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5. Diskussion

5.5. Hinweise auf die Todesursache

Anhand der morphologischen Untersuchungen konnte kein ultimativer Hinweis auf die Todesursache der Individuen gefunden werden. An einigen Maxillenfragmenten konnte ein Hinweis auf apikale Zystenbildung gefunden werden, was durch die Ge-fahr einer Sepsis als mögliche Todesursache in Betracht kommen könnte, dies betraf jedoch nur fünf Individuen. Im Weiteren konnte jedoch ein allgemein schlechter ge-sundheitlicher Zustand aufgezeigt werden. In diesem Zusammenhang lieferte der molekulargenetische Nachweis von Humanpathogenen einen entscheidenden Hin-weis. Bei drei Individuen konnte Bartonella quintana, bei einem Individuum Salmo-nella typhi und bei einem weiteren Individuum SalmoSalmo-nella enterica spec. nachgewie-sen werden.

Die PCR-gestützten Nachweissysteme basieren dabei auf der Spezifität der Primer, so dass falsch-positive Ergebnisse vermieden werden sollten. Da zwar in der Theorie die Primer nur bei Anwesenheit der spezifischen Erreger-DNA amplifizieren, das System aber neu entwickelt wurde und keine Referenzen vorliegen, wurden die Pro-dukte sequenziert und so bestätigt, dass es sich tatsächlich um die spezifische DNA handelt. Die Koamplifikation von Bodenextrakten und menschlicher Kontroll-DNA soll zeigen, dass nur bei Anwesenheit von spezifischer Erreger-DNA das System amplifizieren kann und falsch-positive Ergebnisse nicht zu befürchten sind. Dabei sollen die Bodenextrakte die mikrobielle Fauna repräsentieren, welcher die Knochen ausgesetzt waren. Da im Gegensatz zum menschlichen Erbgut die genetische Varia-bilität der Mikrooganismen erst im Ansatz bekannt ist, ist es durchaus möglich, dass zwar laut Datenbanken ein entwickeltes Primerset spezifisch ist, ein noch nicht

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fasstes bodenlebendes Bakterium jedoch eine ähnliche genetische Ausstattung besitzt wie der eigentlich nachzuweisende Erreger bzw. sich Gene mit diesem teilt.

Eine Kontamination durch die Positivkontrollen wurde umgangen, indem Proben und Kontrolle zeitlich und räumlich getrennt voneinander pipettiert wurden, d.h. erst nachdem die Individuenproben fertig angesetzt und verschlossen waren, wurden die Positivkontrollen in einem anderen Raum pipettiert. Alle diese Ergebnisse und Vor-sichtsmaßnahmen authentifizieren die positiven Nachweise in den Extrakten, so dass davon ausgegangen werden kann, dass zumindest ein Teil der Individuen mit Bar-tonella quintana und / oder Salmonella typhi infiziert war. Die Interpretation nega-tiver Ergebnisse ist weniger eindeutig.

“The absence of evidence is not the evidence of absence.”

- Carl Sagan, Comlos

Die Tatsache, dass nur bei wenigen Individuen Bartonella und Salmonella nachge-wiesen werden konnte, bedeutet nicht, dass die übrigen Individuen nicht infiziert gewesen sein könnten. Es ist durchaus möglich, dass die Zielsequenz in so geringen Mengen vorliegt, dass sie nicht mehr nachgewiesen werden kann bzw. durch DNA-Degradierung keine intakten Zielsequenzen mehr vorliegen. Dasselbe gilt auch für die anderen untersuchten Bakterienspezies, die nicht nachgewiesen werden konnten.

Dass die erfolgreiche Amplifikation in zwei Fällen nur nach mehreren Versuchen und in einem Fall gar nicht reproduzierbar war, spricht dafür, dass in den Extrakten sehr wenige intakte Zielsequenzen vorliegen und die Menge an Erreger-DNA knapp oberhalb der Nachweisgrenze liegt. Die erfolgreiche Amplifikation nach Beladen von Proben mit sehr wenig rezenter Bakterien-DNA zeigt, dass in den Extrakten kei-ne bzw. wenig Inhibitoren vorliegen. Die Wahrscheinlichkeit eikei-nes falsch-kei-negativen Ergebnisses aufgrund von PCR-Inhibitoren ist daher gering, da jedoch nicht alle Ex-trakte explizit getestet wurden, kann dies nicht völlig ausgeschlossen werden.

Im Weiteren ist aber auch denkbar, dass die gesuchte Zielsequenz bzw. die Primer-bindungsstellen in den historischen Bakterienstämmen abweichend vorlagen. Da die Mutationsrate von Bakterien im Allgemeinen höher ist als bei eukaryotischen Orga-nismen, könnten in 200 Jahren erheblich mehr Mutationen aufgetreten sein, die auch als konservativ geltende Gene betroffen haben könnten. Das Testen mit mehreren Primern für verschiedene Genorte einer Spezies könnte dabei die Wahrscheinlichkeit eines falsch-negativen Ergebnisses aufgrund von Mutationsereignissen stark verrin-gern. Aus Zeit- und Kostengründen wurde in dieser Arbeit jedoch darauf verzichtet.

Zwar ist die ultimative Todesursache nicht mehr zu rekonstruieren, jedoch gibt die Anwesenheit von Humanpathogenen entscheidende Hinweise. Heutzutage zählen Bartonellen und Salmonellen aufgrund der enormen Fortschritte in der Medizin zu den weniger tödlichen Fiebererkrankungen, für geschwächte Menschen ist die Er-krankung jedoch immer noch ernst. Besonders das lang anhaltende Fieber stellt ohne entsprechende Gegenmaßnahmen eine Gefahr dar. Der allgemein schlechte Zustand der Individuen ist anhand der gefundenen morphologischen Auffälligkeiten gut

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kumentiert. Unter diesen Umständen stellt eine Infektion mit Bartonella quintana oder Salmonella typhi ein großes Risiko dar. In diesem Zusammenhang ist auch die Beschreibung der Symptomatik des Nervenfiebers interessant, das vom zuständigen Arzt als „äußert ansteckend und gutartig“ beschrieben wurde (vgl. Kap. 1.1.). Gerade die Beschreibung als gutartig könnte ein Hinweis auf eine Bartonelleninfektion ge-ben, da anscheinend zwar viele Individuen infiziert, aber verhältnismäßig wenig da-ran verstorben waren. Eine Infektion mit einem tödlicheren Bakterium, etwa Rickett-sia prowazekii, wäre wahrscheinlich nicht als gutartig klassifiziert worden.

Bartonella und Salmonella nutzen dabei unterschiedliche Übertragungswege für eine Infektion, die jedoch beide aus schlechten hygienischen Bedingungen resultieren.

Während Bartonella die Kleiderlaus für eine Infektion nutzt, findet eine Übertragung von Salmonella hauptsächlich über kontaminierte Lebensmittel statt. Da die Zustän-de im Notlazarett katastrophal gewesen sein müssen (vgl. Kap. 1.1.), können beiZustän-de Übertragungswege plausibel nachvollzogen werden. Raoult et al. wiesen 2006 neben Bartonella auch Rickettsia prowazekii-DNA in napoleonischen Truppen nach, was die simultane Anwesenheit von mehreren Bakterienspezies in der Armee belegt. Die zeitliche und räumliche Trennung der untersuchten Individuen aus Kassel zu den Individuen aus Vilnius lässt es plausibel erscheinen, dass nicht unbedingt dieselben Bakterien in beiden Truppenteilen vertreten waren. Gerade das tödlichere Rickettsia könnte durch seine Aggressivität im Gegensatz zum ungefährlicheren Bartonella einen Nachteil in der Ausbreitung gehabt haben. Da Bartonella bei großen Truppen-bewegungen durch den allgemeine Läusebefall massenhaft auftrat (belegt ist dies z.B. im 1. Weltkrieg, Karem et al. 2000), könnte es auch bei napoleonischen Truppen ein generelles Phänomen gewesen sein. Im Gegensatz dazu könnte Salmonella durch seinen Übertragungsweg spezifisch für das Kasseler Kollektiv sein. Aufgrund der ähnlichen Symptomatik und der bruchstückhaften Überlieferungen kann zu diesem Zeitpunkt jedoch nicht gesagt werden, ob eines, und wenn ja welches, der Bakterien der Hauptverursacher des tödlichen Typhus-Ausbruchs gewesen ist.

Außerdem könnten weitere Erkrankungen im Notlazarett eine Rolle gespielt haben, die nicht im Zuge dieser Arbeit untersucht worden sind. Einen Untersuchungsansatz könnten die neuen Sequenziermethoden des Next-Generation-Sequencing liefern.

Gerade bei sehr wenig DNA und starker Fragmentierung bieten diese Methoden ent-scheidende Vorteile gegenüber den PCR-gestützten Amplifikationen.

Zusammenfassung – Kapitel 6.

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