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Hinweise für Leser*innen

Im Dokument Geschlecht, Familie, Sexualität (Seite 22-28)

Im Zuge der Zweiten Frauenbewegung und der sich mit ihr entwickeln-den Frauen- und Geschlechterforschung wurde die Verwendung des gene-rischen Maskulinums nachdrücklich problematisiert.12 Seitdem hat sich ein zunehmendes gesellschaftliches Bewusstsein für die Notwendigkeit entwi-ckelt, nicht nur das männliche Geschlecht sprachlich sichtbar zu machen.

Neben den bereits seit Längerem existierenden Varianten, Frauen durch die Verwendung von Schrägstrich oder großem Binnen-I ausdrücklich zu be-nennen, stellen der sogenannte Gender-Gap oder das Gender-Sternchen neuere Vorschläge einer geschlechtergerechten bzw. geschlechterinklusiven Sprache dar. Letztere sollen auch Menschen einschließen, die sich als transse-xuell, transgender oder intersexuell verstehen bzw. Selbstbezeichnungen wie

› agender‹, ›queer‹ oder ›genderfluid‹ bevorzugen. Die ausdrückliche Artiku-lation einer solchen über die Binarität der Zweigeschlechtlichkeit hinausge-henden Vielfalt an Geschlechtsidentitäten ist damit ein jüngeres Phänomen;

Identität selbst ein Konzept, das mit der modernen bürgerlichen Gesellschaft wenn nicht entsteht, so doch entscheidend an Bedeutung gewinnt. Inso-fern wäre es ahistorisch zu behaupten, die sich in letzter Zeit artikulierenden

›geschlechtlichen Existenzweisen‹ (Andrea Maihofer) hätte es als Identitäten schon immer gegeben. Zudem ist eine künftige Gesellschaft vorstellbar, in der Identität keine oder eine weniger zentrale Rolle spielen würde und/oder nicht mehr derart eng an Geschlecht gekoppelt wäre, wie dies heute der Fall ist. Da es sich bei Sprache um eine gesellschaftliche Praxis handelt, derer wir uns tagtäglich – in Alltagssituationen ebenso wie in wissenschaftlichen Kon-texten, im Denken für uns allein ebenso wie in der mündlichen und schriftli-chen Kommunikation mit Anderen – bedienen, kommt der Verwendung ei-ner geschlechterinklusiven Sprache eine nicht zu vernachlässigende Rolle bei der emanzipatorischen Veränderung patriarchaler, binärer, heteronormativer Geschlechterverhältnisse zu, ohne dass sich allein da rü ber diese Verhältnisse nachhaltig verändern ließen.

Aus diesem Grund wurde sich in der vorliegenden Arbeit grundsätzlich für die Verwendung des Gendersternchens entschieden. Da es sich bei der Kritischen Theorie um einen Kreis überwiegend männlich sozialisierter Den-ker handelte, schien die Verwendung des Gendersternchens hier allerdings

12 Vgl. hierzu etwa Luise Pusch Das Deutsche als Männersprache: Aufsätze und Glossen zur feministischen Linguistik (1984).

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nicht angemessen.13 Von ›den zentralen Protagonisten‹ der Kritischen Theo-rie wird – den faktischen Geschlechterverhältnissen in der Frankfurter Schu-le entsprechend – ausschließlich in der männlichen Form die Rede sein. Um die damaligen Geschlechterverhältnisse sichtbar zu machen, ohne da rü ber die Beiträge von Frauen zur Kritischen Theorie gänzlich zum Verschwinden zu bringen, wird in anderen Fällen von ›kritischen Theoretiker(-innen)‹ bzw.

›Mitarbeiter(-innen) des Instituts für Sozialforschung‹ gesprochen. Analog wird beispielsweise mit der ›Arbeiter(-innen)bewegung‹ des 19. und frühen 20. Jahrhunderts verfahren, um auch hier männliche Dominanz und dama-lige Selbstverständlichkeiten sichtbar zu machen, ohne die aktive Beteiligung von Frauen sprachlich komplett auszublenden. Sofern es sich nicht um Zita-te handelt, die sZita-tets unverändert übernommen wurden, wird in allen ande-ren Fällen das Gendersternchen verwendet.

Eine Entscheidung zu treffen war auch dahingehend, wie mit Texten der Kritischen Theorie umgegangen werden sollte, die ursprünglich in englischer Sprache veröffentlicht und erst später ins Deutsche übersetzt worden waren.

Dies betraf vor allem Arbeiten Herbert Mar cuses. Da auch die sorgfältigste Übersetzung stets eine gewisse Modifikation bedeutet, wurden die Primär-texte stets in der Sprache herangezogen, in der sie erstmals erschienen wa-ren. Um einer deutschsprachigen Leser*innenschaft die Orientierung zu er-leichtern, beziehen sich die Seitenangaben im Fließtext aber auf die jeweilige deutschsprachige Ausgabe. Wo Interpretationen sich dem Rückgriff auf die englischen Originale verdanken oder dieser eine Modifikation von Zitaten der deutschen Ausgabe geboten erscheinen ließ, wird dies in Fußnoten erläu-tert bzw., sofern es sich um geringfügige Änderungen handelt, durch eckige Klammern gekennzeichnet. Beibehalten wurde der englische Originaltitel der zwei wohl bekanntesten Bücher Mar cuses: Eros and Civilization. A Phi-losophical Inquiry into Freud (1955) und die neun Jahre später erschienene Studie One-Dimensional Man. Studies in the Ideology of Advanced Industrial Society (1964). Was Eros and Civilization betrifft, war dafür ausschlaggebend, dass die deutsche Erstausgabe von 1957 den Titel zwar noch als Eros und Kul-tur übersetzte, dieser seit der Neuauflage von 1965 jedoch TriebstrukKul-tur und Gesellschaft lautet. Zum Verschwinden gebracht wurde damit der Begriff des Eros, der für die vorliegende Arbeit jedoch keine zu vernachlässigende

13 Hinzu kommt, dass den Kritischen Theoretiker(-inne)n feministische Sprachkritik fern lag und sie selbst das generische Maskulinum verwendeten. Eine durchgehende Verwen-dung des Gendersternchens hätte damit bei Zitaten einen Eingriff in die Originaltexte bedeutet.

Einleitung 23 bensache darstellt. Für das Festhalten am englischen Titel One-Dimensional Man sprachen hingegen andere Gründe. Hier ging es darum, den im engli-schen Original zum Ausdruck kommenden Androzentrismus – ›man‹ als Sy-nonym für ›den Menschen‹, während ›woman‹ stets nur für sich steht und nicht ›das Allgemeine‹ repräsentieren kann – nicht unsichtbar zu machen.

Wo sich in den Texten der Kritischen Theorie Begriffe fanden, die eine eurozentrische Perspektive verraten, wurde ähnlich verfahren. Zitate wur-den auch in diesem Fall unverändert übernommen. Gleichzeitig werwur-den ent-sprechende Formulierungen und die da rin sich ausdrückende Blickrichtung kritisch kommentiert. Auf diese Weise soll präsent gehalten werden, dass die Entwicklung einer geschlechterinklusiven und nicht-diskriminierenden Sprache einer zeitlich später einsetzenden kritischen Reflexionsbewegung entstammt.

Da es in der vorliegenden Studie darum geht, Entwicklungen des kriti-schen Nachdenkens über Geschlechterverhältnisse und Gesellschaft nachzu-zeichnen, wurde sich dafür entschieden, bei Literaturbelegen stets das Jahr der Erstveröffentlichung anzugeben.14 So wird beispielsweise die Dialektik der Aufklärung, die zunächst 1944 in kleiner Auflage als hektographiertes Ty-poskript erschien und schließlich 1947, mit gewissen Modifikationen, als ge-drucktes Buch, im Weiteren als ›Ador no & Horkheimer 1944/1947‹ zitiert.15 Im Literaturverzeichnis wird das Jahr der Erstveröffentlichung in eckigen, das Jahr derjenigen Ausgabe, aus der zitiert wurde, in runden Klammern ausgewiesen.

14 Da die aphoristischen Notizen Horkheimers aus den Nachkriegsjahren zum Teil erst nach dessen Tod erschienen, wurde sich in diesem Fall für die Angabe des jeweiligen Entstehungszeitraums entschieden.

15 Für eine Diskussion der Gründe, die Ador no und Horkheimer zu Veränderungen am Text von 1944 bewogen haben mögen, und eine Einschätzung der Bedeutung dieser Modifikationen vgl. den editorischen Anhang in Band 5 der Gesammelten Schriften Horkheimers.

2. Die Geschlechterthematik in der Rezeption der Kritischen Theorie

Die sogenannte Frankfurter Schule kann als eine der einflussreichsten geis-tes- und sozialwissenschaftlichen Theorieströmungen des 20. Jahrhunderts gelten. Entsprechend umfangreich und weiterhin wachsend ist die zwi-schenzeitlich vorliegende Sekundärliteratur, die vollständig zu überblicken ein Ding der Unmöglichkeit ist. Im Folgenden soll danach gefragt werden, welche Rolle die Geschlechterthematik in der bisherigen Rezeption der Kri-tischen Theorie spielt. Angesichts der Fülle an Literatur kann es dabei um nicht mehr – aber eben auch nicht weniger – gehen als darum, zentrale Re-zeptionslinien herauszuarbeiten.

In einem ersten Schritt werden hierfür zum einen Arbeiten betrachtet, die in das Denken der Kritischen Theorie bzw. einzelner zentraler Vertreter einführen, zum anderen material- und umfangreiche Studien zu Geschichte und Entwicklung der Frankfurter Schule bzw. dem Werk bestimmter Pro-tagonisten. Dabei wird sich zeigen, dass die Geschlechterthematik, wenn überhaupt, zumeist am Rande Erwähnung findet. Bei Leser*innen muss so der Eindruck entstehen, die Kritische Theorie habe sich mit entsprechenden Fragen nicht weiter befasst. Eine gewisse Ausnahme stellt lediglich die Dar-stellung der Arbeiten Herbert Mar cuses dar, auf die daher gesondert einge-gangen wird.

In einem zweiten Schritt wird sich Sekundärliteratur zugewandt, in der die Auseinandersetzungen der Kritischen Theorie mit der Geschlechterthe-matik größere Aufmerksamkeit erfahren. Besonderes Augenmerk wird dabei auf Arbeiten von Autor*innen liegen, die sich selbst als feministisch bezeich-nen und/oder eibezeich-nen Arbeitsschwerpunkt in der Frauen- und Geschlechter-forschung haben.16 Da im Zuge der Recherchen für die vorliegende Studie

16 Wenn im weiteren Verlauf der Darstellung bisweilen von einer ›geschlechterthemati-schen‹, an anderen Stellen von einer ›feministischen‹ Rezeption der Kritischen Theorie die Rede ist, so ist der erste Begriff breiter zu verstehen. Er besagt zunächst einmal nur, dass in dieser Rezeption Geschlechterfragen im weitesten Sinne als ein Thema der

Kriti-26 Geschlecht, Familie, Sexualität

allein rund 80 Aufsätze ausfindig gemacht werden konnten, die sich mit der Geschlechterthematik in der Kritischen Theorie beschäftigen, können auch hier nur zentrale Rezeptionslinien herausgearbeitet werden. Um jene Texte interessierten Leser*innen für eigene Lektüren zugänglich zu machen, werden diese jedoch ausführlich in Fußnoten ausgewiesen. Die Betrachtung dieser zweiten Art von Arbeiten wird deutlich machen, dass die Geschlech-terthematik – anders als die Lektüre der im ersten Schritt behandelten Ein-führungen und Studien vermuten lassen würde – für die Kritische Theorie durchaus Gegenstand war. Gleichzeitig wird sich zeigen, dass ungeachtet der Vielzahl an Beiträgen eine detaillierte Studie zur Geschlechterthematik in der Kritischen Theorie weiterhin als Forschungslücke gelten muss. Mit der vorliegenden Arbeit wird diese geschlossen. Deren Vorgehensweise, die in enger Auseinandersetzung mit dem bisherigen Forschungstand entwickelt wurde, wird im letzten Abschnitt dieses Kapitels genauer dargestellt.

Berücksichtigt werden im Folgenden Beiträge, die in deutscher und/oder englischer Sprache erschienen sind. Untersucht werden diese zum einen da-rauf, was man als Leser*in über die Auseinandersetzungen der Kritischen Theorie mit der Geschlechterthematik erfährt: Inwiefern findet diese in der Sekundärliteratur Erwähnung? Welche Texte und Autor*innen werden in diesem Zusammenhang betrachtet? Äußern sich die Rezipient*innen aus-drücklich zur Frage, welche Bedeutung die Kritische Theorie der Geschlech-terthematik beimaß und wenn ja, wie schätzen sie deren Stellenwert ein?

Nehmen die Rezipient*innen eine Bewertung von deren Behandlung durch

schen Theorie wahrgenommen und im Vergleich zu den eingangs diskutierten Arbeiten relativ ausführlich behandelt werden, trifft aber noch keine Aussage da rü ber, aus wel-cher (kritischen) Perspektive dies geschieht. Der ›geschlechterthematischen Rezeption‹

zugerechnet werden beispielsweise Arbeiten von Autor*innen wie Reimut Reiche oder Dennis Altman, die eher einer kritischen Psychoanalyse und Sexualforschung (Reiche) bzw. den sich Anfang der 1970er-Jahre entwickelnden Gay Studies (Altman) zuzuord-nen sind. Die Formulierung von der ›feministischen Rezeption‹ ist hingegen enger ge-fasst. Letzterer zugeordnet werden nur solche Arbeiten, deren Autor*innen sich aus-drücklich auf die Begriffe ›Feminismus‹ bzw. ›feministisch‹ beziehen und/oder einen Forschungsschwerpunkt in der Frauen- und Geschlechterforschung haben. Mit dieser begrifflichen Differenzierung soll nicht suggeriert werden, dass Gay Studies oder die sich später entwickelnden Queer Studies ein klar von Geschlechterforschung im engeren Sinne zu trennendes Forschungsfeld wären. Wie im Folgenden noch deutlich werden wird, zielt die Unterscheidung zwischen einer feministischen Rezeption im engeren Sin-ne und eiSin-ner geschlechterthematischen Rezeption im breiteren SinSin-ne vielmehr da rauf, unterschiedliche Fragestellungen, Schwerpunktsetzungen und Perspektiven erkennbar werden zu lassen.

Die Geschlechterthematik in der Rezeption der Kritischen Theorie 27 die Kritische Theorie vor und zu welchen Schlüssen gelangen sie, wo dies der Fall ist? Zum anderen wird danach gefragt, inwiefern sich in der Sekun-därliteratur über die direkten Auseinandersetzungen der Kritischen Theo-rie mit der Geschlechterthematik hinaus Einschätzungen zu deren Poten-zial für ein Verständnis von Geschlechterverhältnissen finden: Gehen die Rezipient*innen da rauf ein, welche erkenntnistheoretischen und methodo-logischen Möglichkeiten die Kritische Theorie hierfür bietet? Was wird gege-benenfalls als produktiv, was als unzureichend, hinderlich oder der Weiter-entwicklung bedürftig betrachtet?

Zur Darstellung des grundlegenden Ansatzes

Im Dokument Geschlecht, Familie, Sexualität (Seite 22-28)

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