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Die Heilige Schrift und das antike Rom

1. Erster Teil - Der Begriff der Toleranz

1.2. Kontinentaleuropäische Entwicklung des Toleranzbegriffs bis zur Zeit Lockes

1.2.1. Die Heilige Schrift und das antike Rom

Bereits die Antike kennt das Problem der Behandlung unterschiedlicher Meinungen und Handlungen. Offen zu Tage trat dieses Problem in den ersten Jahrhunderten nach Christus im Umgang mit dem rasanten Anstieg der christlichen Gläubigen. Das Christentum galt im antiken Rom als Sekte, die sowohl hinsichtlich ihrer Glaubensinhalte als auch in ihren Handlungsweisen konträr zum römischen Staatskult agierte. Traditionell bestand die römische Religiosität aus der Verehrung verschiedener Gottheiten, einschließlich der Person des Kaisers.12 Dieser überlieferte Polytheismus stand dem Monotheismus des aufstrebenden Christentums diametral gegenüber. Die Andersartigkeit des Inhalts und des Kultus, gepaart mit der starken Zunahme der christlichen Anhänger, führten zu Spannungen und Unruhen innerhalb der Bevölkerung. Der Kaiser fühlt sich bedroht und verbietet infolgedessen den fremdartigen christlichen Glauben als potentiell gesellschaftsgefährdend.13 Die Anhänger des Christentums werden zur Ausübung ihres Glaubens in den Untergrund gezwungen und gelten fortan als subversive Elemente. Der Konflikt zwischen den Anhängern des Staatskultus und den verdeckt agierenden Christen schwelt unterdessen weiter und die Suche nach einer Lösung für die Frage der Behandlung unterschiedlicher Kulte im Staat wird immer dringlicher. Die unterschiedlichen Lösungsansätze werden dabei von den jeweiligen philosophischen, theologischen und politischen Strömungen der damaligen Zeit dominiert.

12Forst, Rainer, Toleranz im Konflikt, S. 56; Angenendt, Arnold, Toleranz und Gewalt, S. 233; Speyer, Toleranz und Intoleranz in der alten Kirche, 92.

13 Forst, Rainer, Toleranz im Konflikt, S. 55f.

6 Der Staatsdenker und Philosoph Cicero führte 46 v. Chr. erstmals das Wort

„tolerantia“ in seiner Schrift „Paradoxa stoicorum“ ein. Dort gebrauchte er „tolerantia“

ganz im Sinne stoischer Tradition als das Annehmen und Hinnehmen des Schicksals des Einzelnen mit Würde.14 Die Andersartigkeit des Einzelnen begriff Cicero dabei nicht als etwas grundsätzlich Gutes, dessen Erhalt es zu sichern galt, sondern als widrigen Umstand, der nicht zu ändern und deshalb zu ertragen war.

Der Jurist Tertullian hingegen stellte als erster eine Art Vermittlungsversuch zwischen den widerstreitenden Glaubensparteien vor, der bis hin zu einer positiven Anerkennung des Andersgläubigen gehen sollte.15 Bei ihm taucht erstmals die Aussage auf, dass der Glaube eine innere Überzeugung sei, die nicht durch äußeren Zwang entstehen könne. Aus diesem Grund verstoße Zwang in Glaubensfragen gegen die Natur der Religion selbst. Tertullian vertrat dabei eine moderne Mindermeinung im Staat. Dennoch schloss er sich der bereits in der Antike gängigen Unterscheidung zwischen Nichtgläubigen und Häretikern an. Häretiker würden den wahren Glauben kennen und sich dennoch schuldhaft davon abwenden. Ungläubige hätten dagegen noch keinen Zugang zur wahren Religion gefunden.16 Dementsprechend wog das jeweilige Vergehen unterschiedlich schwer und bedurfte angemessener Bestrafung.

Während die Lösungsansätze der Vertreter des Staatskultes in verschiedene Richtungen gingen, bot auch die Heilige Schrift als Handlungsanleitung für alle christlichen Gläubigen keine expliziten Äußerungen und allgemeingültigen Lösungen.17 Die Heilige Schrift kennt im Alten Testament weder ein neutrales Gewährenlassen noch ein aktives Anerkennen von Andersgläubigen, vielmehr sprechen die Propheten des Alten Testaments von einem rein passiven Verzicht auf Rache trotz des Verbrechens gegen Gott. Ein guter Christ soll seine Mitmenschen einerseits aufgrund der Goldenen Regel der Nächstenliebe verschonen und

14 Vgl. Angenendt, Arnold, Toleranz und Gewalt, S. 233; Forst, Rainer, Toleranz im Konflikt, S. 54; Ronnick, Michele V.; Cicero’s Paradoxa Stoicorum, IV, S. 120, 123, 141; Besier, Schreiner, Toleranz, 450 f.

15 Stötzel, Arnold, Christlicher Glaube und Römische Religiosität bei Tertullian, S. 44; Schmidinger, Heinrich, Wege zur Toleranz, S. 29f.

16 Kaplan, Benjamin J., Divided by Faith, S. 26: “This principle had been firmly established by earlier church fathers, among them Tertullian. Faith, the latter asserted, was an internal conviction that no coercion could generate. It was therefore against the nature of religion to force religion. […] Heretics, by contrast, were the enemy within the Christian fold. […] Heretics knew the truth but chose to adhere instead to their own fancies. Their error, according to the churches, was less a product of misunderstanding than a sinful act of malicious will.”

17 Schlette, Heinz Robert, Toleranz, in: Zur Geschichte der Toleranz und Religionsfreiheit, S. 193.

7 andererseits aufgrund des alleinigen Anspruchs Gottes auf Rache beim Jüngsten Gericht.

"Du sollst deinen Bruder nicht hassen in deinem Herzen, sondern du sollst deinen Nächsten zurechtweisen, damit du nicht seinetwegen Schuld auf dich ladest. Du sollst dich nicht rächen noch Zorn bewahren gegen die Kinder deines Volkes. Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst; ich bin der Herr." (Lev. 19, 17f.) "Rächet euch selber nicht, meine Lieben, sondern gebet Raum dem Zorn Gottes; denn es steht geschrieben: Die Rache ist mein; ich will vergelten, spricht der Herr." (Röm 12, 19).18

Der alttestamentarische Gott selbst wird gegen alle Ungläubigen vorgehen. So kennen einzelne Teile in den Büchern Levitikus und Deuteronomium aus dem Alten Testament die Todesstrafe für Gotteslästerung. In den folgenden Jahrhunderten werden diese Stellen die biblische Grundlage und ultimative Rechtfertigung für gewaltsames Vorgehen gegen Häretiker liefern.19

"So sollst du nun wissen, daß der Herr, dein Gott, allein Gott ist, der treue Gott, der den Bund und die Barmherzigkeit bis ins tausendste Glied hält denen, die ihn lieben und seine Gebote halten, und vergilt ins Angesicht denen, die ihn hassen, und bringt sie um und säumt nicht, zu vergelten ins Angesicht denen, die ihn hassen." (Deut. 7, 9f.)

Im Neuen Testament nimmt die von Jesus propagierte Nächstenliebe bis hin zur Feindesliebe einen weit größeren Stellenwert ein als noch im Alten Testament. Der Verzicht des guten Christen auf ein gewaltsames Vorgehen gegen seine Mitmenschen wird zur neuen Tugend20 bzw. zu dem Versuch sich als Kind Gottes auch gottähnlich zu verhalten. Es findet eine Bedeutungsverschiebung statt: Aus dem rein passiven Racheverzicht im Hinblick auf die jenseitige Rache durch Gott wird eine diesseitige positive Verpflichtung der Christen gegenüber ihren Mitmenschen. Aus diesem Grund sind auch Mitmenschen aus anderen sozialen, ethnischen und religiösen Gruppen sowie Heiden miteinzubeziehen. Selbst jene Mitmenschen, die die Christen um ihres Glaubens willen verfolgen, sind in die Nächstenliebe miteinzubeziehen. Geduld und

18 Apetorgbor, Nicholas Kwame, Tertullian: Rache Gottes, S. 24f.

19 Kaplan, Benjamin J., Divided by Faith, S. 27: “Persecution had also direct scriptural warrant, found mostly in the Old Testament. Passages in Deueronomy (13:1-11, 18:20) and Leviticus (24:14) set the death penalty for idolatry, false prophesying, and blasphemy. Christian tradition going back to Tertullian, Athanisus and other church fathers, equated heresy with these offenses.”

20 Angenendt, Arnold, Toleranz und Gewalt, S. 233; Schreiner, Klaus, Toleranz, in: Geschichtliche Grundbegriffe, S. 532.

8 Verständnis für Andere werden im Sinne einer „imitatio dei“ zu neuen Wesensmerkmalen eines christlichen Gläubigen.21

"Ihr habt gehört, daß da gesagt ist (2.Mose 21, 24): Auge um Auge, Zahn um Zahn. Ich aber sage Euch, daß ihr nicht widerstreben sollt dem Übel; sondern, wenn dir jemand einen Streich gibt auf deine rechte Backe, dem biete die andere auch dar. [...] Ihr habt gehört, daß gesagt ist: Du sollst deinen Nächsten lieben und deinen Feind hassen. Ich aber sage euch: Liebet eure Feinde; segnet, die euch fluchen; tut wohl denen, die euch hassen; bittet für die, so sie euch beleidigen und verfolgen, auf daß ihr Kinder seid eures Vaters im Himmel. Denn er lässt seine Sonne aufgehen über die Bösen und über die Guten und lässt regnen über Gerecht und Ungerechte.[...] Darum sollt ihr vollkommen sein, gleichwie euer Vater im Himmel vollkommen ist." (Mt 5, 38-40, 43-45, 48; Lk 6, 27-32.); "Das ist mein Gebot, daß ihr euch untereinander liebet, gleichwie ich euch liebe."(Joh. 15, 12); „Die Liebe ist langmütig und freundlich, (…), sie rechnet das Böse nicht zu, (…) sie verträgt alles, sie glaubt alles, sie hofft alles, sie duldet alles.“ (1. Kor. 13, 4-7)

Und selbst Ungläubigen muss Liebe entgegengebracht werden.

"Lasset uns Gutes tun an jedermann, allermeist aber an des Glaubens Genossen." (Gal 6, 10) "Wir ermahnen aber euch, liebe Brüder: vermahnet die Unordentlichen, tröstet die Kleinmütigen, traget die Schwachen, seid geduldig gegen jedermann. Sehet zu, daß keiner Böses mit Bösem vergelte, sondern jaget allezeit dem Guten nach untereinander und gegen jedermann." (1 Thess 5, 14f.)

Auf politischer Ebene wurde das sich ausbreitende Christentum weiterhin nicht geduldet. Die zunehmende Anhängerschaft im Untergrund wurde als Bedrohung empfunden und führte schließlich zur staatlichen Christenverfolgung. Während dieser Zeit des massiven staatlichen Vorgehens wurden immer wieder Forderungen der verfolgten Christen nach religiöser Freiheit bzw. unbehelligter Kultausübung laut.22 Die christlichen Gläubigen begründeten ihre Toleranzforderungen mit Bibelstellen des Neuen Testaments. Die wichtigsten Argumentationslinien sollen kurz vorgestellt werden:

Das Neue Testament rückt das individuelle Gewissen und die Gewissensfreiheit in den Mittelpunkt des Daseins der Gläubigen.23

21 Schmidinger, Heinrich, Wege zur Toleranz, S. 26Apetorgbor, Nicholas Kwame, Tertullian: Rache Gottes, S.

34f.

22 Schlette, Heinz Robert, Toleranz, in: Zur Geschichte der Toleranz und Religionsfreiheit, S. 195.

23 Kruip, Gerhard, Katholische Kirche und Religionsfreiheit, in: Ein neuer Kampf der Religionen?, S. 109; Forst, Rainer, Toleranz im Konflikt, S. 58.

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"Denn unser Ruhm ist dieser: das Zeugnis unseres Gewissens, daß wir in Heiligkeit und göttlicher Lauterkeit, nicht in fleischlicher Weisheit, sondern in der Gnade Gottes unser Leben in der Welt geführt haben [...]." (2. Kor. 1,12) "Du aber nach deinem verstockten und unbußfertigen Herzen häufest dir selbst den Zorn auf den Tag des Zorns und der Offenbarung des gerechten Gerichts Gottes, welcher geben wird einem jeglichen nach seinen Werken: ewiges Leben denen, die in aller Geduld mit guten Werken trachten nach Preis und Ehre und unvergänglichem Wesen; Ungnade und Zorn aber denen, die da zänkisch sind und der Wahrheit nicht gehorchen, gehorchen aber der Ungerechtigkeit. [...] Denn vor Gott sind nicht, die das Gesetz hören, gerecht, sondern, die das Gesetz tun, werden gerecht sein. Denn wenn die Heiden, die das Gesetz nicht haben, doch von Natur tun des Gesetzes Werk, so sind sie, obwohl sie das Gesetz nicht haben, sich selbst ein Gesetz; denn sie beweisen, das Gesetzes Werk sei geschrieben in ihrem Herzen da ja ihr Gewissen es ihnen bezeugt [...]" (Röm. 2, 5-8, 13-16)

Jeder Mensch muss am Tag des Jüngsten Gerichts vor Gott treten und ihm über seine Taten Rechenschaft ablegen. Dabei kann nur ein reines Gewissen die Ernsthaftigkeit und Ehrlichkeit des einzelnen Gläubigen belegen. Die Taten der Mitmenschen spielen für das eigene Urteil keine Rolle, sie können weder schaden noch nutzen. Nur aufrichtiger Glaube kann ein reines Gewissen schaffen, Zwangsausübung hingegen produziert gar keinen Glauben. Die Tugend der Nächstenliebe verbietet es deshalb einen Mitmenschen vom Pfad seines Gewissens abzubringen, selbst wenn man sich im Besitz des wahren Glaubens wähnt.24 Die Nächstenliebe fordert von jedem Gläubigen das Gewissen eines Anderen zu nichts zu zwingen. Die Freiheit des Gewissens gelte aufgrund des selbstlosen Opfers Jesu für alle Menschen und die eigene Freiheit des Gläubigen werde nicht durch den Verzicht auf Zwangsausübung eingeschränkt. Die Gewaltanwendung in Glaubensfragen sei vielmehr eine Sünde gegen Jesus selbst.25 Paulus gibt hierfür folgendes Beispiel:

„Wenn einer euch sagt esset nicht davon, dies ist Götzen geopfertes Fleisch, esst nicht davon und zwar um dessentwillen, der darauf hinwies, und um des Gewissens willen. Ich meine damit nicht, das eigene Gewissen, sondern das des anderen. Was soll denn meine Freiheit sich von eines anderen Gewissens richten lassen?“ (1. Kor. 10, 27)„Wenn ihr aber sündigt also an den Brüdern und schlagt ihr schwaches Gewissen, so sündigt ihr an Christo.“ (1. Kor. 8, 12)

Die staatlich verfolgten Christen versuchten der Gewaltanwendung zudem mithilfe einer Grenzziehung zwischen weltlichen und rein göttlichen Machtbereichen und den

24 Forst, Rainer, Toleranz im Konflikt, S. 59.

25Kamen, Henry, Intoleranz und Toleranz zwischen Reformation und Aufklärung, S. 8f.

10 damit korrespondierenden Machtbefugnissen ein Ende zu setzen. Zur Untermauerung ihrer These nutzten sie die „Lehre von den Zwei Reichen“. Bei den „Zwei Reichen“

handelt es sich um das irdische Reich des Staates im Diesseits und um das himmlische Reich Gottes im Jenseits. So spricht Jesus zu seinen Jüngern:

„Ihr sollt nicht wähnen, dass ich gekommen sei, Frieden zu bringen auf die Erde. Ich bin nicht gekommen, Frieden zu bringen, sondern das Schwert.“ (Matth. 10, 34)

Die weltliche Obrigkeit sei von Gott installiert worden und müsse sich deshalb an den ihr zugewiesenen Machtbereich halten. Jesus habe den Gläubigen kein irdisches Schwert gebracht, sondern das Schwert des Geistes. Einzig des Wort Gottes sei die Waffe der Christen gegen Ungläubige. Zwang oder körperliche Gewalt seien keine von Gott vorgesehenen Mittel im Umgang mit den Mitmenschen.26

„Du [Pilates] hättest keine Macht über mich, wenn sie dir nicht wäre von oben her gegeben.“ (Joh. 19, 11) „Man muss Gott mehr gehorchen als den Menschen.“ (Apg. 5, 29) „Jedermann sei Untertan der Obrigkeit, die Gewalt über ihn hat. Denn es ist keine Obrigkeit ohne von Gott; wo aber Obrigkeit ist, die ist von Gott verordnet. [...] Tust du aber Böses, so fürchte dich; denn sie trägt das Schwert nicht umsonst: sie ist die Gottes Dienerin, eine Rächerin zur Strafe über den, der Böses tut. Darum ist's not, untertan zu sein, nicht allein um der Strafe willen, sondern auch um des Gewissens willen.“ (Röm. 13, 1, 4f.) Und deshalb gilt „Gebet dem Kaiser, was des Kaisers ist, und Gott, was Gottes ist.“ (Matth. 22, 21) „Denn Waffen, mit denen wir kämpfen, sind nicht fleischlich, sondern mächtig im Dienste Gottes“.

(2 Kor. 10, 4)"So stehet nun, umgürtet an euren Lenden mit Wahrheit und angetan mit dem Panzer der Gerechtigkeit und an den Beinen gestiefelt, als fertig, zu treiben das Evangelium des Friedens. Vor allen Dingen aber ergreifet den Schild des Glaubens, mit welchem ihr auslöschen könnt alle feurigen Pfeile des Bösen und nehmet den Helm des Heils und das Schwert des Geistes, welches ist das Wort Gottes."

(Eph. 6, 14-18)

Aufgrund des christlichen Grundsatzes des Gewaltverzichts gegenüber Andersgläubigen gebe es keine Notwendigkeit einer staatlichen Verfolgung. Von den Christen gehe für die Mitmenschen und für den Staat keine Gefahr aus. Der Staat dürfe als irdisches Reich Gottes aber nur einschreiten, falls er in seinem Bestand bedroht sei.

Für den Fall des gewaltsamen Vorgehens ohne Anlass versündige sich die Obrigkeit gegen Gott selbst. Solange ein gläubiger Christ den Geboten der staatlichen Obrigkeit

26 Forst, Rainer, Toleranz im Konflikt, S. 61.

11 Folge leiste, müsse er frei von jeder Strafe sein.27 Die Auslegung oben genannter Stelle führte in den folgenden Jahrhunderten zu schweren Konflikten zwischen dem Staat und dem Papsttum. So entnahm man ihr inhaltlich sowohl die Notwendigkeit eines christlichen Kaisertums als auch die Notwendigkeit einer Überordnung der Macht des Papstes über die Macht des weltlichen Kaisers.28

Eine weitere Argumentationslinie der Christen zur Erreichung ihrer Glaubensfreiheit basiert auf dem Gedanken, dass Gott als alleiniger Richter über seine gesamte Schöpfung das Verbot aufgestellt hat, dass Menschen untereinander über den wahren Glauben richten. Im Neuen Testament finden sich hierfür insbesondere die Gleichnisse vom zerbrochenen Rohr und vom Unkraut:

„Richtet nicht, auf dass ihr nicht gerichtet werdet. Denn mit welcherlei Gericht ihr richtet, werdet ihr gerichtet; und mit welcherlei Maß ihr messet, wird euch gemessen werden“ (Matth. 7, 1f.) Keinem Menschen sollte das Recht zustehen über die Wahrheit oder Richtigkeit des Glaubens eines anderen zu urteilen. Vielmehr sollte sich die christliche Kirche tolerant gegenüber Andersgläubigen verhalten, bis Gott sein Urteil fällt. „[…] das zerstoßene Rohr wird er nicht zerbrechen, und den glimmenden Docht wird er nicht auslöschen […]“ (Matth. 12, 20); „Das Himmelreich ist gleich einem Menschen, der guten Samen auf seinen Acker säte. Da aber die Leute schliefen, kam sein Feind und säte Unkraut zwischen den Weizen und ging davon. Da nun aber die Saat wuchs und Frucht brachte, da fand sich auch das Unkraut. Da traten die Knechte zu dem Hausvater vor und sprachen: Herr, hast du nicht guten Samen auf denen Acker gesät? Woher hat er denn das Unkraut? Er sprach zu ihnen: Das hat ein Feind getan.

Da sprachen die Knechte: Willst du denn, dass wir hingehen und es ausjäten? Er sprach: Nein! auf dass ihr nicht zugleich den Weizen mit ausraufet, wenn ihr das Unkraut ausjätet. Lasset beides miteinander wachsen bis zur Ernte; und um der Ernte Zeit will ich zu den Schnittern sagen: Sammelt zuvor das Unkraut und bindet es in Bündel, daß man es verbrenne; aber den Weizen sammelt mir in meine Scheune.“ (Matth. 13, 24-30)

Jesus erläutert das Gleichnis seinen Jüngern:

„Des Menschen Sohn ist’s, der den guten Samen sät. Der Acker ist die Welt. Der gute Same sind die Kinder des Reichs. Das Unkraut sind die Kinder der Bosheit. Der Feind, der es sät, ist der Teufel. Die Ernte ist das Ende der Welt. Die Schnitter sind die Engel. Gleichwie man nun das Unkraut sammelt und mit Feuer verbrennt, so wird’s auch am Ende dieser Welt gehen. Des Menschen Sohn wird seine Engel senden, und sie werden sammeln aus seinem Reich alle, die Ärgernis geben und die da Unrecht tun, und werden sie in den Feuerofen werfen; da wird Heulen und Zähneklappern sein.“ (Matth. 13., 37 - 42)

27 Kamen, Henry, Intoleranz und Toleranz zwischen Reformation und Aufklärung, S. 9.

28 Forst, Rainer, Toleranz im Konflikt, S. 62.

12 Schließlich soll das Wort vom „Compelle intrare“ vorgestellt werden. Dieses Gleichnis wurde in der weiteren Toleranzdiskussion häufig als Rechtfertigung für Zwang in Glaubensangelegenheiten benutzt und stellt damit den Kontrapunkt zu den oben vorgestellten Toleranzforderungen dar. Wie der Herr die geladenen Gäste zwingt in sein Haus einzutreten, sollten auch Andersgläubige gezwungen werden den christlichen Glauben anzunehmen und in das Haus Gottes einzutreten.

„Es war ein Mensch, der macht ein großes Abendmahl und lud viele dazu. Und sandte seinen Knecht aus zur Stunde des Abendmahls, zu sagen den Geladenen: Kommt, denn es ist alles bereit! Und sie fingen an alle nacheinander, sich zu entschuldigen. Der erste sprach zu ihm: Ich habe einen Acker gekauft und muss hinausgehen und ihn besehen; ich bitte dich, entschuldige mich. Und der andere sprach: Ich habe fünf Joch Ochsen gekauft, und ich gehe jetzt hin, sie zu besehen; ich bitte dich entschuldige mich. Und der dritte sprach: Ich habe ein Weib genommen; darum kann ich nicht kommen.

Und der Knecht kam und sagte das seinem Herrn wieder. Da ward der Herr zornig und sprach zu seinem Knechte: Gehe schnell hinaus auf die Straßen und Gassen der Stadt und führe die Armen und Krüppel und Blinden und Lahmen herein. Und der Knecht sprach: Herr, es ist geschehen, was du befohlen hast;

es ist aber noch Raum da. Und der Herr sprach zu dem Knechte: Gehe aus auf die Landstraßen und an die Zäune und nötige sie hereinzukommen, auf dass mein Haus voll werde.“ (Luk. 14, 16-23)

Der Jahrhunderte andauernde Kampf der unterdrückten Christen gipfelte zunächst im Mailänder Edikt von 313 n. Chr.29 Darin gewährten die Kaiser Konstantin und Licinus den Christen und den heidnischen Kulten die Freiheit ihre Religion auszuüben.30 Als Konstantin Licinus 324 n. Chr. besiegte und zum alleinigen Kaiser wurde, wandte er sich offiziell dem Christentum zu.31 Politisch ging es Konstantin um die Unterstützung der Kirche bei der Festigung des neugewonnenen Reiches und bei der Vollendung der Diokletianischen Reformen.32 Konstantin erkannte den Nutzen von rechtlicher Einheit und Einheit im Glauben. In den Edikten von Thessalonich (380) und Konstantinopel (392) wurde das Christentum schließlich zur Staatsreligion erklärt.33

29 Vor der Entscheidungsschlacht gegen seinen Rivalen Maxentius an der Milvischen Brücke bei Rom (312) hatte Konstantin die Vision eines Lichtkreuzes am Himmel mit dem Schriftzug „in hoc signum vinces“.

29 Vor der Entscheidungsschlacht gegen seinen Rivalen Maxentius an der Milvischen Brücke bei Rom (312) hatte Konstantin die Vision eines Lichtkreuzes am Himmel mit dem Schriftzug „in hoc signum vinces“.