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1. Erster Teil - Der Begriff der Toleranz

1.2. Kontinentaleuropäische Entwicklung des Toleranzbegriffs bis zur Zeit Lockes

1.2.2. Augustinus

1.2.2. Augustinus

Entscheidenden Einfluss auf die weitere Entwicklung christlicher Toleranz nimmt das Werk des Bischofs Augustinus. Im seinem frühen Wirkensstadium erarbeitet Augustinus wichtige Argumente für Toleranz. Augustinus ist sehr zurückhaltend was den Einsatz staatlicher Gewalt zugunsten der Kirche betrifft. Im Laufe immer stärkere

34 Kamen, Henry, Intoleranz und Toleranz zwischen Reformation und Aufklärung, S. 13; Llanque, Marcus, Politische Ideengeschichte, S. 87.

35 Schlette, Heinz Robert, Toleranz, in: Zur Geschichte der Toleranz und Religionsfreiheit, S. 196; Guggisberg, Hans, Religiöse Toleranz, S. 21; Moeller, Bernd, Geschichte des Christentums in Grundzügen, S. 81f.

36 Angenendt, Arnold, Toleranz und Gewalt, S. 232.

37 Guggisberg, Hans, Religiöse Toleranz, S. 20.

38 Schlette, Heinz Robert, Toleranz, in: Zur Geschichte der Toleranz und Religionsfreiheit, S. 196.

14 werdender Auseinandersetzungen mit einer Gruppe von Häretikern, den sog.

Donatisten, die eine abweichende Lehre von den Sakramenten innerhalb der katholischen Kirche entwickelten, legitimiert er schließlich 410 n. Chr. die Gewaltanwendung gegen Häretiker jeglicher Art.39

Dreh- und Angelpunkt des menschlichen Daseins sei die Erkenntnis, dass Gott der Ursprung allen Lebens ist. Die vorbehaltlose Liebe zu Gott definiere das Verhältnis zur eigenen Person und zu den Mitmenschen.40 Der Gläubige finde nur über die Liebe zu Gott, zum wahren Glauben und damit zu seinem Seelenheil. Zudem erkenne der Gläubige, dass die Liebe zum Mitmenschen auch Geduld für dessen Schwächen und Sünden fordere.41 Die Erbsünde bedinge die Sündhaftigkeit jedes Menschen gleichermaßen. Mithin bedürfe jeder, ob gläubig oder ungläubig, der Geduld seiner Mitmenschen.42 Die Gleichheit in der Sündhaftigkeit und das Hoffen auf Gottes Gnade statuieren den Ausgangspunkt für eine nachsichtige Einstellung gegenüber den Mitmenschen.43 Auf diese Weise machen die eigenen Schwächen und die Erwartung des Endzeitgerichts eine gegenseitige Toleranzgewährung zur notwendigen christlichen Tugend. Die Menschen selbst seien schwach und aufgrund ihrer begrenzten Urteilskraft nicht in der Lage übereinander zu richten, dieses Privileg obliege allein Gott.44 Seine hierfür vorgebrachten Argumente untermauert Augustinus mit dem oben genannten Gleichnis vom Unkraut.

Auch der Sorge um die Einheit der Kirche und des Glaubens könne mittels Toleranzgewährung begegnet werden. Statt mit Gewalt müsse mit Verständnis auf Andersgläubige reagiert werden.45 Einen Zwang zum Eintreten im Sinne des Wortes vom „Compelle intrare“ soll es nicht geben. Um Trennungen und Konflikte mit christlichen Häretikern nicht weiter zu verschärfen, müssten „Andersdenkende mit

39 Guggisberg, Hans, Religiöse Toleranz, S. 22 f.; Mahlmann, Matthias, Ethische Duldsamkeit und Glauben – (Rechts-)Philosophische Grundlagen religiöser Toleranz, in: Ein neuer Kampf der Religionen?, S. 77 f.; Kruip, Gerhard, Katholische Kirche und Religionsfreiheit, in: Ein neuer Kampf der Religionen?, S. 110 f.; Angenendt, Arnold, Toleranz und Gewalt, S. 237; Pamela Bright, in: Augustin-Handbuch, S. 171ff.; Forst, Rainer, Toleranz im Konflikt, S. 69.

40 Geest, Paul von, in: Augustin-Handbuch, S. 527; Forst, Rainer, Toleranz im Konflikt, S. 70.

41 Forst, Rainer, Toleranz im Konflikt, S. 70.

42 Forst, Rainer, Toleranz im Konflikt, S. 70; Angenendt, Arnold, Toleranz und Gewalt, S. 236.

43 Forst, Rainer, Toleranz im Konflikt, S. 71.

44 Forst, Rainer, Toleranz im Konflikt, S. 72.

45 Forst, Rainer, Toleranz im Konflikt, S. 72.

15 Sanftmut zurechtgewiesen“ werden.46 Ein weiteres Argument ist die Freiheit des Gewissens. Nur aufrichtiger Glaube werde vor Gott bestehen und Zwang würde nur äußerlich konforme Mitglieder der Kirche, aber keine aufrichtigen Katholiken hervorbringen.47 Aufrichtiger Glaube sei aber immer frei.

Von den ständigen Auseinandersetzungen mit den Donatisten geprägt, verändert sich Augustinus' Haltung im Hinblick auf die Gewaltanwendung in Glaubensfragen nachhaltig: Die Liebe zu Gott und die daraus folgende Liebe zum Mitmenschen fordere nicht länger die Duldung von Irrtümern, sondern ein Vorgehen gegen sie.48 So sollen die Andersgläubigen zum wahren Glauben bekehrt und ihre Seele auch gegen ihren Willen errettet werden.49 Die Zwangsanwendung ist nunmehr notwendig, um sich nicht selbst der Vernachlässigung der Mitmenschen schuldig zu machen.50 Infolgedessen verfolge die Kirche nur aus Liebe zu Gott und zu den Mitmenschen.51 Diese Argumentation liefert den Ausgangspunkt für Augustinus' Lehre vom „guten“

Zwang. Hierfür stellt er eine neue Interpretation der Lehre von den zwei Reichen und des Gleichnisses vom Unkraut vor. Augustinus zufolge erlaubt das Gleichnis vom Unkraut dann „guten“ Zwang, wenn es möglich wird, gut und böse sicher voneinander zu unterscheiden, d.h. das Unkraut dürfe und müsse ausgerissen werden, wenn man ganz sicher sei, dass kein Weizen mit ausgerissen werde.52 Die Aufgabe der gewaltsamen Unterscheidung falle dabei in die weltliche Gerichtsbarkeit, da Häresie die öffentliche Ordnung störe.53 Die weltliche Macht sei von Gott eingesetzt worden, um den wahren Glauben zu sichern und zu bewahren und damit zugleich für Ruhe und Frieden unter den Menschen zu sorgen. Zur Sicherung der Einheit im Glauben und des Friedens im Staat sei nunmehr eine gewaltsame Eindämmung der Häresie geboten.54 Dies führt konsequenterweise zu einem Zwang zum Eintreten bzw. zu einer gewaltsamen Unterwerfung unter die Autorität der Kirche55 nach dem Vorbild des

46 The works of Saint Augustine, A Translation for the 21st century, Letters 1-99, Letter Nr. 43, S. 157.

47 Aubert, Robert, Das Problem der Religionsfreiheit in der Geschichte des Christentums, in: Zur Geschichte der Toleranz und Religionsfreiheit, S. 425.

48 Forst, Rainer, Toleranz im Konflikt, S. 74.

49 The works of Saint Augustine, A Translation for the 21st century, Letters 156-210, Nr. 173, S. 124f., 128f.;

Forst, Rainer, Toleranz im Konflikt, S. 75.

50 Forst, Rainer, Toleranz im Konflikt, S. 74; The works of Saint Augustine, A Translation for the 21st century, Letters 1-99, Letter Nr. 93, S. 376 ff.; 380ff.; Letters 156-210, Nr. 173, S. 124f;

51 Kamen, Henry, Intoleranz und Toleranz zwischen Reformation und Aufklärung, S. 15.

52 Kamen, Henry, Intoleranz und Toleranz zwischen Reformation und Aufklärung, S. 15.

53 Pamela Bright, in: Augustin-Handbuch, S. 173.

54 Forst, Rainer, Toleranz im Konflikt, S. 76.

55 Guggisberg, Hans, Religiöse Toleranz, S. 23.

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„Compelle intrare“.56 Den Einsatz der Todesstrafe lehnt Augustinus aber ab.57 Der aufrichtige Glaube beruht für Augustinus weiterhin auf eigener Einsicht und Überzeugung, allerdings geht er nun im Gegensatz zu seiner früheren Auffassung davon aus, dass Zwang jedenfalls zum Zustandekommen einer echten Gewissensentscheidung hilfreich sein kann.58 Der Häretiker soll durch die Zwangsanwendung auf die Erwägungen der Wahrheit gelenkt werden.59 Die Gewissensfreiheit reduziert sich folglich auf die Freiheit den wahren Glauben zu erkennen und ihn anzunehmen.60

Diese Argumentationen des Augustinus bestimmen auch die Zeit des Mittelalters nachhaltig. Das christliche Mittelalter, das durch die starke Verflechtung von

„Sacerdotium“ als geistiges Reich und „Imperium“ als weltliches Reich bestimmt war, kam zu keiner neuen Begründung der Toleranz.61 Neue Gesichtspunkte in der Toleranzentwicklung kommen erst durch die Kanonisten und Thomas von Aquin Mitte des 13. Jahrhunderts hinzu.62