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3.1.3 Die verschiedenen Hausbesuchsformen

3.1.3.1.1 Hausbesuche als Betreuungsangebot an nicht primär somatisch Kranke

Es handelt sich hier um einen regelmäßig durchgeführten betreuenden Hausbesuch bei häufig hochbetagten Menschen, die ihr Haus nicht mehr verlassen. Bei dieser Patientengruppe stehen nicht die zumeist chronischen Erkrankungen im Vordergrund sondern die Einsamkeit des Alters. Der betreuende Hausarzt stellt so eine psychosoziale Stütze und Brücke zur Außenwelt dar. Diese Art von Hausbesuchen wird von einer großen Zahl von Interviewten als wichtiger Teil ihrer Arbeit beschrieben. Auf dem Land scheinen diese Hausbesuche einen größeren Anteil der anfallenden Hausbesuche auszumachen.

Zitat (Interview 7)

„Ein Teil der Hausbesuche sind betreuende Hausbesuche, die eigentlich nur Sozialschmiere sind und keine echte medizinische Indikation haben.“

Viele der interviewten Hausärzte sprachen in diesem Zusammenhang von einem Komplex ritualisierter Handlungen, die bei jedem Besuch durchgeführt werden. Gemeint sind die stets wiederholte verbale Zuwendung genauso wie die schnelle visuelle Beurteilung der allgemeinen Situation des Patienten. Wichtig sei es in diesem Zusammenhang, das Augenmerk besonders auf die Veränderungen des Ist-Status gegenüber dem letzten Besuch zu richten. Dieser stets neu erhobene Status gebe dem regelmäßigen Hausbesuch analog der täglichen Visite in einer Klinik durchaus einen präventiven Charakter, da auf diese Weise frühzeitig auch kleine Veränderungen erfasst und bei der Therapieplanung berücksichtigt würden.

Zitat (Interview 19):

„Das ist ja das Entscheidende: Was hat sich am Patienten verändert. Wirkt er anders.

Hat er Beschwerden vielleicht, die er am Telefon nicht erwähnt hat, (…) Wenn da nichts ist, ein bisschen Smalltalk, ein bisschen soziale Betreuung.“

Aus diesem Zitat wird auch schon die Wichtigkeit des sozialen Kontaktes eines Hausbesuches für die alten Menschen deutlich. Dabei wird der Arzt mit seiner Anwesenheit und seiner Zuwendung zu einem therapeutischen Mittel. Man spreche durchaus auch über für die unmittelbare Gesundheitssituation primär nicht relevanten Dinge, z.B. über die Familie und

„das Wohl des Wellensittichs“. Das diene unmittelbar dem allgemeinen Wohlfühlen des Patienten und vermittele verschlüsselt medizinisch verwertbare Informationen über das Allgemeinbefinden des Besuchten. (vergl. Interview 4, 5)

Manchmal erfährt der Arzt durch die scheinbar belanglose Unterhaltung mehr über das Befinden des Patienten, als durch klinische Untersuchungen und Tests möglich wäre.

Zitat (Interview 17):

„Beispiel bei Demenz – ich finde diese Testungen nicht so sinnvoll. (…)Da kann man mal lieber mit denen durch den Garten gehen und gucken: Wie gut können die laufen?

Wie fit sind die? Hat man das Gefühl, die haben Schmerzen beim Laufen? Wissen die noch, wo ihre Erdbeeren sind? So dass man halt wirklich guckt und versucht an deren Leben teilzunehmen.“

Auch die eigentlichen Untersuchungen wurden häufig als ritualisiert beschrieben.

„Der Klassiker“ sei das bei keinem Hausbesuch fehlende Blutdruckmessen und Pulsen unabhängig davon, ob die Klärung der Kreislaufbeurteilung im Einzelfall erforderlich sei. Es wird deutlich, dass der Ausgang dieser Messungen eigentlich völlig nebensächlich ist, und das Ergebnis vielleicht nicht einmal vollständig zur Kenntnis genommen wird. Der Effekt liege in der dem Patienten dokumentierten, professionell dargebotenen Zuwendung und Aufmerksamkeit, die von Letzterem als selbstverständlich und vor allem unabdingbar angesehen werde. Auf diese Weise habe der Arzt auch bei einem rein sozialen Betreuungsbesuch die somatisch medizinische Indikation seiner Anwesenheit - wenn auch vordergründig - legitimiert.

Zitat (Interview 4):

„Blutdruckmessung mache ich sehr regelmäßig. Das gehört fast immer dazu bei einem Hausbesuch. Wenn ich bei solchen Routinehausbesuchen die Dame alle zwei Wochen sehe, dann sehe ich das fast vorsorglicher. Das ist eine Art der Zuwendung dann auch.“

Die Bewertung dieser Art von Hausbesuchen durch die ausführenden Hausärzte ist von großer Wichtigkeit. So sagten einige der Interviewten, ein Hausbesuch mit rein sozialer Indikation sei keine Aufgabe eines Hausarztes. Ein Arzt sei schließlich für die gesundheitliche Versorgung eines Patienten zuständig und nicht ein „Mädchen-für-alles“. Letzteres sollte von der Gesellschaft auch nicht als selbstverständlich angenommen werden. (vergl. Interview 7)

Gerade von den jüngeren Hausärzten wurde immer wieder deutlich ausgesagt, dass sie sich für diese Aufgabe weder ausgebildet noch berufen sähen. Sie seien doch schließlich Ärzte geworden, um kranke Menschen zu behandeln oder Menschen durch Prävention zu helfen, nicht krank zu werden. Die soziale Vereinsamung inmitten unserer Gesellschaft zu mindern, fiele nicht unter diese Aufgabe.

Zitat (Interview 5):

„Das heißt nicht, dass ich die soziale Indikation nicht sinnvoll finde, aber ich empfinde mich nicht als sinnvoll dafür ausgebildet. Es war nicht mein Berufsziel Seelsorger zu werden. Das ist für mich einfach ein gesellschaftliches Problem, was wir uns gezüchtet haben über viele Jahrzehnte und da ist der Arzt nicht dafür da, das aufzulösen.“

oder Zitat (Interview 6):

„Sonst für die sozial betreuenden Besuche, da ist die Frage, wo man das unterbringen will als Gesellschaft, ob man das streichen will oder das tragen will, ob das der Pastor übernimmt oder ein ausgebildeter Sozialarbeiter.“

Ein Großteil der befragten Ärzte (16 von 24) sagte ganz klar aus, dass sie auch Hausbesuche mit fragwürdiger bis nicht vorhandener medizinischer Indikation tätigen würden. Die Darstellung der Verteilung der Personen auf die verschiedenen Gruppen erfolgt tabellarisch:

Gruppen

Stadt Land ♀ ♂ jung Alt

Anzahl Befragter

12 4 7 9 4 12

3.1.3.1.2 Hausbesuche als Überwachungsangebot an multimorbide, chronisch Kranke