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1.3 In vivo-Modell – „Knockout“ Maus

1.3.1 Grundlagen

In den klassischen Experimenten von Capecchi und seinen Mitarbeitern [102] wurde die Inaktivierung eines Gens durch den Austausch einer Genregion gegen eine manipulierte Genversion auf der Ebene der embryonale Stammzellen (ES-Zellen) via homologer Re-kombination realisiert. Dazu wurde ein Targetingvektor konstruiert, der mit zwei speziel-len DNA-Elementen versehen wurde. Zum einem wurde zur positiven Selektion von ES-Zellen eine Neomycin-Phosphotransferase (kurz Neo)-Kassette in einem Exon einge-baut. Die getargeten Zellen zeichneten sich durch eine Unterbrechung des betroffenen Genbereichs und zugleich durch eine Resistenz gegen das Aminoglykosid-Antibiotikum Neomycin aus. Zum anderen wurde zur negativen Selektion ein Herpes-Simplex-Virus Thymidin-Kinase (HSV-tk)-Element außerhalb des homologen Bereichs eingebaut. Fin-det eine zufällige Integration statt, bewirkt die Zugabe des Virostatikums Ganciclovir in das Zellkulturmedium das Absterben der betroffenen ES-Zelle. Bei korrekter Integration wird die HSV-tk Kassette nicht ins Genom eingebaut. Ganciclovir wird nun nicht phosphoryliert und ist somit unschädlich für die Zelle. Zusammen bewirken diese beiden Selektionsmechanismen eine effektive Anreicherung der homolog getargeten ES-Zellen, die als Ausgangspunkt zur Etablierung einer konventionellen Mauslinie dienen, welche sich durch die Zerstörung des Zielgens in jeder Mauszelle auszeichnen [103].

Abb. 6: Generelle Strategie zur Erstellung einer gendefizienten Mauslinie

Schematisch dargestellt sind die wesentlichsten Schritte zur Generierung einer KO-Mauslinie: (a) Gewin-nung von ES-Zellen aus Blastozyste und Konstruktion des Targetingvektors; (b) Transfektion der ES-Zellen;

(c) positiv/negativ Selektion zur Anreicherung der getargeten ES-Zellen; (d) Isolation und Weiterzucht der Neomycin-resistenten und Ganciclovir-resistenten Zellen; (f) Identifizierung der Rekombinaten; (e) Blasto-zysteninjektion zur Gewinnung chimärer Tiere und Rückkreuzung. Weitere Erläuterungen im Text. In Anleh-nung an [102] und [104].

Ein Nachteil dieser Methode besteht darin, dass die Neo-Kassette im getargeten Locus verbleibt. Der spätere Phänotyp kann somit durch die Anwesenheit des Neo-Gens in einer unvorhersehbaren Weise beeinflusst werden. Zudem verursacht die Deletion eines Gens häufig hochkomplexe, schwer zu interpretierende Phänotypen, da ein Gen in un-terschiedlichen Geweben auch unterschiedliche Aufgaben übernehmen kann. Oder es kommen in der Mausentwicklung Kompensationsmechanismen zum Tragen, die mitunter die eigentliche Wirkung des zu untersuchenden Proteins im adulten Tier vollkommen verfälschen können. In vielen Fällen zeigte sich auch, dass Nullmutationen zur prä- oder postnatalen Letalität führen können. Um diesen Problemen zu begegnen, wurde die Technik des Gentargeting durch die Einführung spezieller Rekombinationsysteme erwei-tert [105] [106] [107]. Die beiden Rekombinasen Cre ("cyclization recombination") aus dem Bakteriophagen P1 und Flp (steht für das englische Wort "flip") aus der Hefe Sac-charomyces cerevisiae sind in der Lage die DNA-Rekombination zwischen zwei Erken-nungssequenzen (loxP - "locus of crossover of P1" bzw. FRT - "FLP recombinase re-cognition target") ohne weitere Kofaktoren zu vermitteln [108]. Die loxP- und FRT-Sequenzen unterscheiden sich zwar in ihrer Nukleotidabfolge, sind jedoch in ihrer se-kundären Struktur gleich. Sie bestehen aus zwei palindromischen Sequenzen von 13 bp Länge, die durch ein zentrales Element (8 bp) unterbrochen sind (Abb. 7 a). Die Anord-nung der ErkenAnord-nungssequenzen bestimmt hierbei, ob die Rekombinase eine Deletion, Inversion oder eine Translokation induziert. Liegt eine DNA-Region zwischen zwei gleichgerichteten Sequenzen (kurz "gefloxte" DNA), so wird es durch die Rekombinase als zirkuläres Fragment ausgeschnitten und von der Zelle abgebaut. Übrig bleibt eine lox- bzw. FRT-Sequenz (Abb. 7 b). Dieser Mechanismus bildet die Grundlage des kondi-tionalen Gentargetings [109] und bietet die Möglichkeit zur Generierung von organ- und entwicklungsspezifischen KO-Mäusen. Hierbei werden die klassischen Gentargeting-Techniken eingesetzt, um ein Mausmodell zu erzeugen, in dem der essentielle Bereich des zu manipulierenden Gens in gefloxter Form vorliegt. Erst durch die Verpaarung mit cre exprimierenden Mausstämmen kommt es zu einer Inaktivierung des gewünschten Allels (Abb. 7c). Vor der Cre-Rekombination sollte das Allel die normale Wildtypaktivität aufweisen [110]. Daher ist wichtig, bei der Targetingstrategie ein besonderes Augenmerk auf die Lage der Rekombinationsseiten zulegen. Liegen diese zum Beispiel in dem Pro-motorbereich des Genes, so kann man auch im gefloxten Zustand mit einer Expressi-onsveränderung rechnen. Mittels dieser Methode ist nicht nur die gewebe- bzw. zellspe-zifische Ausschaltung der Gene möglich, sondern auch das eingangs erwähnte Problem der Neo-Kassette findet hiermit eine Lösung. Durch die zusätzliche Einführung einer weiteren loxP-Erkennungssequenz kann die Selektionskassette entfernt werden, wobei die bewusste gefloxte Genregion erhalten bleibt [111]. Kombiniert man die beiden Re-kombinationsquenzen loxP und FRT, so dass das getargete Allel gefloxt vorliegt und die Neo-Kassette von zwei FRT-Seiten flankiert wird [112], ist man in der Lage gezielt, je nach Verpaarungsstrategie, unterschiedliche Mauslinien zu generieren (siehe auch Abb.

23). Zunächst besteht die Möglichkeit durch die Verpaarung mit FRT-transgene Tieren ein konditionales Modell zu erzeugen, welches den Ausgangspunkt für weitere Verpaa-rungen mit ubiquitär oder gewebespezifischen und/oder induzierbaren [113]

cre-exprimierenden Linien bildet (Abb. 7 c). Die hierfür benötigten cre- bzw. flp-exprimierenden Mauslinien werden entweder durch zufällige Integration einer Rekombi-nase-codierenden Sequenz mit entsprechenden Promotor in das Mausgenom einge-bracht [114] oder durch das gezielte Einbringen der FRT- bzw. cre-codierenden Sequenz in ein Gen, dessen Promotor dann die Kontrolle der Rekombinaseexpression obliegt [115].

Abb. 7: Rekombinase-vermittelte Exzision und Integration von DNA

(a) In Pfeilform dargestellt ist die Basenfolge der loxP- und FRT-Sequenz. Die schwarzen horizontalen Pfeile zeigen die 13 bp lange palindromische Sequenzen. Der zentrale Bereich wird durch die gestrichelte Linie gekennzeichnet. (b) Schematische Darstellung des Mechanismus der Rekombination am Beispiel von Cre-Systems. Die Rekombinase Cre katalysiert die Rekombination zwischen zwei identischen loxP-Erkennungssequenzen. Das DNA-Segment zwischen den beiden gleichgerichteten loxP-Sequenzen wird in Form eines zirkulären Fragments ausgeschnitten, übrig bleibt eine loxP-Erkennungsseite. (c) Konditionale Deletion von Genen. Die homozygot-gefloxte Maus kann mit verschiedenen Rekombinase (hier Cre) expri-mierenden Mausstämmen verpaart werden. Das Zielgen wird nur in den cre-expriexpri-mierenden Zellen inakti-viert. Die Cre-Expression kann der Kontrolle eines ubiquitären oder eines gewebespezifischen und/oder eines Liganden (z.B. Tamoxifen)-aktivierbaren Promotors unterliegen. In Anlehnung an [108].

Die Möglichkeit der Einfügung von jeglichen Mutationen in das Mausgenom durch das Gentargeting in ES-Zellen ist, wie auch schon zu Beginn erwähnt wurde, ein hilfreiches Werkzeug für die Untersuchung der Genfunktion in vivo. Jedoch gilt der erste essentielle Schritt, die Erstellung eines konditionalen Knockoutvektors, als ein kritischer und mitun-ter sehr zeitaufwendiger Faktor. Die klassische Methode zur Generierung eines solchen Vektor ist zunächst die Suche nach passenden Restriktionsstellen im oder in der Nähe des gewünschten Gens. Diese Schnittstellen werden dann genutzt, um die loxP/FRT Erkennungsstellen und verschiedene andere DNA-Elemente, wie die Selektionskasset-ten, per Ligation einzubringen. Allerdings liegen geeignete Restriktionsstellen in den meisten Fällen limitiert vor. Des Weiteren gestaltet sich die Amplifikation und Manipulati-on vManipulati-on großen DNA-Abschnitten extrem schwierig. Einfacher und weniger zeitaufwendig dagegen ist auch bei diesem Schritt das Konzept der homologen Rekombination [116]

anzuwenden. Dieser Prozess, das sogenannte "Recombineering" (homologie-abhängiges, rekombinationsvermitteltes DNA-Engineering) [117] wurde ursprünglich in Hefen angewandt [118] und auf Escherichia coli übertragen. Genutzt werden hierbei entweder die bakterieneigene Rekombinationsfunktion via recA [119] oder Bakteriopha-gen-codierten Rekombinationssysteme wie die recET-Gene des Rac-Phagen [120] und die red Gene des Phagen λ [121]. Das Funktionsprinzip ist in allen Systemen ähnlich:

Rekombinations-defiziente E. coli Stämme werden so ausgestattet, dass sie über einen begrenzten Zeitrahmen in der Lage sind doppelsträngige (ds) DNA-Fragmente (z.B. Se-lektionsmarker und FRT/loxP Sequenzen) via homologe Rekombination in Plasmide oder BACs ("bacterial artificial chromosomes") einzubauen.

Das λ-Red System, welches auch in der vorliegenden Arbeit verwendet wurde (3.2.6 und 4.2.1), umfasst zwei Red-Gene, die für die Rekombination erforderlich sind. Zum einen exo, eine 5'-3' Exonuklease, die am 5'-Ende des dsDNA-Fragments einzelsträngige DNA-Überhänge produziert. Zum anderen bet, welches diese Überhänge schützt und beim Rekombinationsprozess unterstützend wirkt. Ein drittes Red-Gen, namens gam codiert für ein Protein, dass das bakterieneigene Reparatursystem RecBCD (Exonuklea-se, welche lineare dsDNA abbaut) inhibiert. In diesem λ Prophagen-abgeleiteten System werden exo, bet und gam vom einem λ Prophagen, der im E. coli Chromosomen integ-riert ist [121] [122], exprimiert. Die Expression dieser Gene unterliegt dem λ PL -Promotor, der seinerseits unter Kontrolle des temperatur-sensitiven Repressor λ cI857 steht. Bei 32°C ist der Repressor aktiv; die Expression ist unterdrückt. Erst durch einen kurzen Hitzeschock von 42°C werden die Gene exprimiert. Solche rekombinogenen Bakterien sind nun in der Lage, zuvor transformierte lineare dsDNA-Fragmente, flankiert von kurzen homologen Armen (50 bp [121] bis 500 bp [116]), gegen die entsprechende Ziel-DNA eines BACs oder Plasmids auszutauschen. Das "Recombineering" stellt somit eine äußerst effiziente Methode zur genetischen Modifikation in vivo dar. Mit ihr ist es relativ einfach konditionale Targetingkonstrukte zu erstellen [123], die ihrerseits den Ausgangspunkt für konditionale KO-Mauslinien bilden.