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Grundlagen und Arbeitsprinzipien der Hilfen zur Erziehung in Wiesbaden

7 Hilfen zur Erziehung, Hilfe für junge Volljährige und Eingliederungshilfe

7.6 Grundlagen und Arbeitsprinzipien der Hilfen zur Erziehung in Wiesbaden

Neben den Verfahrensstandards des Hilfeplanungsprozesses kommen in der Ausgestaltung der einzelnen Erziehungshilfemaßnahmen fachliche Arbeitsprinzipien zum Tragen, die als

„roter Faden“ eine Orientierung für die Bezirkssozialarbeiterinnen und Bezirkssozialarbeiter in Wiesbaden darstellen. An ihnen werden fachliche Grundhaltungen und Konzepte erkenn-bar, die der Arbeit der Bezirkssozialarbeit zugrunde liegen.

Lebensweltorientierung und Normalisierung

Ziel von Erziehungshilfen ist meist eine bessere Problembewältigung und Ver-haltensänderungen bei Erwachsenen und jungen Menschen. Dazu werden i. d. R. für einen begrenzten Zeitraum besondere Hilfesettings in Einrichtungen und Diensten geschaffen, die nicht der alltäglichen Normalität von Familien entsprechen. Da das Ziel der Erziehungshilfen aber darin besteht, nicht (nur) innerhalb eines besonderen Hilfesettings besser zurechtzu-kommen, sondern in der alltäglichen Lebensrealität der Adressaten, ist es von großer Bedeu-tung, in der Ausgestaltung der Hilfen den Bezug zur Lebenswelt außerhalb der Hilfemaß-nahme aufrechtzuerhalten und so viel „Echtsituation“ wie möglich in die HilfemaßHilfemaß-nahme ein-zubeziehen. Die Übertragung (neu) erlernten Verhaltens in den Alltag außerhalb der Hil-femaßnahme ist ein zentraler Erfolgsfaktor. Durch eine möglichst lebensweltorientierte

Aus-gestaltung, durch rechtzeitige Einbeziehung von dauerhaft zugänglichen Unterstützungsmög-lichkeiten und Akteuren am Lebensort der Familie, durch den Aufbau sozialer Kontakte im Stadtteil usw. werden Bedingungen angelegt, die begünstigen, dass die Familie auch nach Beendigung einer Erziehungshilfe unter Normalbedingungen ihre Lebenssituation bewältigt.

Sozialraumbezug

Erziehungshilfen sollen räumlich nah am bisherigen Lebensumfeld erbracht werden. Bei am-bulanten Hilfen ist das zwingende Voraussetzung – sie wäre bei Entfernungen über die Stadt Wiesbaden hinaus und langen Fahrzeiten der Familie oder der pädagogischen Fachkraft gar nicht machbar. Aber auch bei stationären Hilfen, die außerhalb der eigenen Familie erbracht werden, wird eine räumliche Nähe angestrebt, die das Aufrechterhalten des familiären Kon-takts und damit ggf. eine Rückkehroption erleichtert, die vielleicht den weiteren Besuch der bisherigen Schule ermöglicht, das Pflegen von bestehenden Freundschaften usw. Darüber hinaus wird mit der schwerpunktmäßigen Nutzung der regionalen Einrichtungen eine bessere Ausrichtung an unseren konkreten Bedarfen und eine verlässliche und vertrauensvolle Zu-sammenarbeit erreicht.

Ambulant vor stationär

Auch wenn es keine rechtlich vorgegebene Abfolge innerhalb der Erziehungshilfen gibt, ge-hört es zum fachlichen Standard, möglichst die niedrigschwelligste und am wenigsten ein-greifende Hilfe zu wählen, die geeignet ist. Die Aufrechterhaltung des familiären Zusammen-lebens und des Sozialisationsumfeldes von jungen Menschen hat eine hohe Bedeutung bei der Wahl einer geeigneten Erziehungshilfe. Das bedeutet ausdrücklich aber nicht, dass in jedem Fall ein Versuch ambulanter Hilfen gemacht werden muss, bevor eine stationäre Hilfe in Betracht kommt. Im Einzelfall entscheidend ist immer die Eignung der Hilfe unter Berück-sichtigung auch des Wunsch- und Wahlrechts der Beteiligten.

Vorrang der Familienpflege für kleine Kinder

Jüngere Kinder sollen vorrangig in Pflegefamilien versorgt werden, wenn eine Hilfe außer-halb der eigenen Familie erforderlich ist. Die Möglichkeit einer exklusiven persönlichen Bin-dung an (mindestens) einen verlässlichen Erwachsenen ist für die gesunde Entwicklung von Kindern von herausragender Bedeutung. In der Regel wird dieses Bindungsangebot in Fami-lien eher herstellbar sein als in Wohngruppen mit wechselnden Fachkräften. Der Gewinnung von geeigneten Pflegefamilien kommt daher eine besondere Bedeutung zu. In der Praxis muss in den konkreten Einzelfällen nicht selten entschieden werden zwischen der Möglich-keit, wohnortnah unterzubringen, dann aber nicht in einer Pflegefamilie oder eine Pflegefami-lie zu nutzen, die dann aber räumlich weiter entfernt lebt.

Hilfe zur Erziehung vor Eingliederungshilfe für seelisch behinderte Kinder und Jugendliche

Die Hilfebedarfe aufgrund einer seelischen Behinderung von jungen Menschen sind in etli-chen Fällen nicht trennscharf zu denen, bei denen ohne Hilfe eine dem Wohl des Kindes ent-sprechende Erziehung nicht gewährleistet ist. Darüber hinaus greifen die Eingliederungshilfe und die Hilfe zur Erziehung überwiegend auf die gleiche Hilfepalette zu. Geeignete Hilfen werden in Wiesbaden vorrangig als Hilfen zur Erziehung geleistet. Auf die förmliche Feststel-lung einer (drohenden) seelischen Behinderung wird immer dann verzichtet, wenn eine ge-eignete Hilfe auch im Rahmen der Hilfen zur Erziehung erbracht werden kann. Dies folgt dem inklusiven Gedanken der gemeinsamen Betreuung behinderter und nichtbehinderter Kinder.

Volljährigkeit als Endzeitpunkt stationärer Hilfen

Stationäre Hilfen in Einrichtungen leisten umfassenden Schutz, Betreuung und Versorgung.

Um das Ziel selbständiger Lebensführung zu erreichen, wird rechtzeitig vor der vollständigen Beendigung einer Hilfemaßnahme die Reduzierung der Betreuungsintensität, die Überleitung in selbständige Wohnform und die schrittweise Ablösung persönlicher Bindung an Betreu-ungspersonen angestrebt. Dazu dient insbesondere, i. d. R. mit Erreichen der Volljährigkeit, der Wechsel aus stationärer Betreuung in ambulante Formen des betreuten Wohnens, vor-zugsweise in eigenem Wohnraum, der auch nach Beendigung der Betreuungsmaßnahme dem jungen Menschen weiter zur Verfügung steht. Mit dieser Herangehensweise wird sowohl der steigenden Selbstverantwortung mit Erreichen der Volljährigkeit, als auch der Altersgren-ze (Vollendung des 21. Lebensjahres) bei den Hilfen für junge Volljährige Rechnung getra-gen.

Bedeutung der Ausbildung für eigenverantwortliche Lebensführung

Neben der Bewältigung der Entwicklungsaufgaben junger Menschen in der Persön-lichkeitsreifung wird das Ziel, selbständige und eigenverantwortliche Lebensführung zu errei-chen, insbesondere unterstützt durch eine erfolgreiche schulische oder berufliche Ausbil-dung. Dem Zugang zu schulischen und beruflichen Ausbildungen und der sozialpädagogi-schen Unterstützung zur Bewältigung dieser Anforderung kommt daher eine herausgehobe-ne Bedeutung zu, sie stellt eiherausgehobe-nen zentralen inhaltlichen Schwerpunkt in der Ausgestaltung der Hilfen bei Jugendlichen und jungen Volljährigen dar. Die Anforderungen an Mitwirkung und Mitarbeitsbereitschaft der jungen Menschen werden daher insbesondere an diesem Punkt konkretisiert.

Selbstverständlich werden diese Arbeitsprinzipien nicht schematisch und für alle Fälle gleich umgesetzt. Das Grundprinzip der Ausgestaltung anhand des individuellen Bedarfs im

Einzel-fall bleibt bestehen und führt zu differenzierten Fallentscheidungen, die im EinzelEinzel-fall von dem hier beschriebenen „roten Faden“ abweichen können.