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Die Grenze als Herausforderung

Im Dokument OPUS 4 | Aktiv in Europa (Seite 70-74)

MINISTERPRÄSIDENT LANDTAG

4. Grenze und Kooperation im Osten 1. Der Osten als Grenzland

4.3. Die Grenze als Herausforderung

Was die Beziehungen in den Grenzräumen zu Polen und Tschechien angeht, so stellt die heutige Grenze zwar keinen politischen Streitpunkt mehr dar, jedoch ist sie in dreifacher Hinsicht eine Herausforderung für die betroffenen Länder Brandenburg, Mecklenburg-Vorpommern und Sachsen:

Erstensist diese Grenze ein Teil jener Wirtschafts- und Wohlstandsgrenze, die Europa heute in Ost und West teilt. Am östlichen Rand der westeuropäischen Wohlstandsinsel gelegen, spüren diese Länder vor allem und zuerst den „eisi-gen Wind von draußen“. Mit den mittlerweile verstärkten Grenzbefestigun-gen können zwar illegale Grenzübertritte verringert werden, jedoch ist der Sog der Wirtschaft zu groß, als daß die neuen Zäune des Bundesgrenzschutzes den Drang aufhalten könnten. Auf dem Arbeitsmarkt in Berlin-Brandenburg, spe-ziell im Bau, wächst der Anteil von Arbeitern aus mittel- und osteuropäischen Ländern, die um ein Vielfaches billiger als deutsche Arbeitskräfte sind. Gleich-zeitig nutzen Investoren die Lohnkosten auf der anderen Seite und siedeln sich entsprechend dort an. Während die Arbeitslosigkeit in den östlichen Grenzre-gionen Mecklenburg-Vorpommerns bei fast 30% liegt, beträgt sie auf der anderen Seite der Grenze, in dem polnischen Gebiet von Szczecin, nur 5%.

Die brandenburgische Regierung versucht, dieser Tendenz entgegenzuwirken, indem sie ein spezielles Kreditprogramm entwickelte, das die Ansiedlung eines Teils der jeweils geplanten Investition in Brandenburg fördern soll. Zugleich wurde eine deutsch-polnische Wirtschaftsfördergesellschaft geschaffen, der tragen gerade jene geteilten Städte an einem schweren historischen Erbe, das bis heute die Zusammenarbeit besonders belastet. Vermischt mit gegenwärti-gen sozialen und wirtschaftlichen Schwierigkeiten entstehen gerade hier erhebliche mentale und soziale Barrieren. Das Bild vom Grenzraum als „Labo-ratorium“ der Integration trifft in diesen Fällen besonders. Das prominenteste Beispiel ist Frankfurt an der Oder, dessen Stadtkern und Hauptteil auf der lin-ken Uferseite sich in eine Bezirksstadt in der DDR verwandelte, und deren Vor-stadt, die DammvorVor-stadt, auf der rechten Uferseite die polnischen Stadt Slu-bice wurde. Andere „Zwillingsstädte“ sind Görlitz und Zgorzelec, Kietz und Kostrzyn oder Forst und Zasieki. Guben-Gubin, eine andere „Zwillingsstadt“

an der Neiße, soll mittlerweile als „Euro-Stadt“ entwickelt werden, „die den deutschen und polnischen Bürgern eine neue Identität und Zukunft bietet.“ So ist es zumindest im Projekt des gemeinsamen Koordinierungsausschusses geplant.

auf deutscher Seite die drei „Grenzländer“ sowie das Land Berlin angehören. In der Debatte um die Förderung der Wirtschaft in diesem Gebiet tauchten in diesem Kontext auch die Begriffe „Sonderwirtschaftszone“

und maquiladora auf.

Zweitens hat diese Grenze eine starke psychologisch-mentale Dimension.

Diese Grenze ist jung, hat aber eine leidvolle und dramatische Geschichte.

Obwohl die gegenwärtigen deutsch-polnischen Beziehungen gewiß den besten Stand seit über 200 Jahren haben, ist das bilaterale Verhältnis noch heute mit Vorurteilen, Klischees und Ängsten (auf beiden Seiten) vollgestopft.

Die schmerzvolle Geschichte deutsch-polnischer Beziehungen ist bei allen politischen Überlegungen, auch und gerade für die wirtschaftliche Gestaltung dieses Grenzraumes, mitzudenken. Wenn das versäumt wird, wie 1992 bei den Überlegungen zur ökonomischen Entwicklung im grenznahen Raum, die als „Stolpe-Plan“ in die Öffentlichkeit kamen, führt dies zu Kritik und Ableh-nung auf polnischer Seite. Hinzu kommt, daß das Wirtschafts- und Wohl-standsgefälle diese Vorurteile beständig reproduziert, zumindest aber beför-dert. Handwerker und Händler in den deutschen Grenzgebieten und besonders in Grenzstädten wie Frankfurt an der Oder bzw. Görlitz stehen einer polnischen Konkurrenz gegenüber, die zu bedeutend niedrigeren Preisen ihre Waren anbietet. Neue Grenzübergänge werden auf deutscher Seite viel-fach mit Skepsis betrachtet, denn sie bringen neben den kilometerlangen Ver-kehrsstaus in der Regel auf der anderen Seite auch die „Polenmärkte“ hervor, auf denen dann deutsche Konsumenten ihren Bedarf decken. Dementspre-chend steht ein Teil der Bevölkerung, speziell die Klein- und Mittelunterneh-mer, den politischen Erklärungen zur baldigen Osterweiterung der EU skep-tisch bis ablehnend gegenüber. Auf polnischer Seite werden dagegen viel stärker die Chancen gesehen und, wie die wirtschaftliche Entwicklung zeigt, auch genutzt. Hinzu kommt, daß die Menschen in dieser Grenzregion zum Großteil keine gemeinsame Geschichte haben und von einer „grenzüber-Das spanische Wort maquiladora bezeichnet eine Produktionsform an einem anderen Teil des ”neuen Limes”, an der Grenze zwischen den USA und Mexiko. Bei der maquiladora-Produktion nutzten US-amerikanische Unternehmen bei grenzüberschreitender Produktion die billigeren Arbeits-kräfte, den niedrigen Grad gewerkschaftlicher Organisation und die gerin-geren ökologischen Standards auf der mexikanischen Seite und realisieren dort Zwischenschritte im Produktionsprozeß.

schreitenden Identität“ nicht die Rede sein kann. Die Mehrheit auf polnischer Seite stammt aus ehemaligen polnischen Ostgebieten bzw. aus der Zentralre-gion Polens. Auf deutscher Seite haben sich oftmals Flüchtlinge und später Aussiedler niedergelassen, die die Gebiete auf der polnischen Seite nach 1945 verlassen mußten. Seit 1990 bemüht sich z.B. Brandenburg sehr engagiert um den Abbau der „mentalen Grenze“. Dazu wurde eine Vielzahl von gemein-samen Projekten entwickelt, die Gespräche, gegenseitiges Kennenlernen und Verständnis fördern soll, so die Europa-Universität in Frankfurt/Oder mit pol-nischen Studenten, deutsch-polnische Schulklassen, grenzüberschreitende Tourismusprojekte und Dutzende von deutsch-polnischen Vereinen.

Akteure im Netzwerk grenzüberschreitender Zusammenarbeit

Quelle: Jaedicke/ Schwab 1999.

Drittensist diese Grenze, speziell die deutsch-polnische, auch eine geographi-sche. Die Flüsse Neiße und Oder erschweren zwar die illegale Migration erheblich, behindern aber auch den rapide angestiegenen grenzüberschrei-tenden Personen- und Güterverkehr. Die Zahl der Personen, die jährlich die deutsch-polnische Grenze überqueren, vervierfachte sich allein von 1989 auf 1993 auf 85 Millionen Reisende. Die Erweiterung bzw. Neueröffnung von Grenzübergängen gehört deshalb zu den Prioritäten an der deutsch-polnischen Grenze.

Sächsischer Brückenschlag nach Polen

Eine neue Brücke entsteht über der Neiße, konkret zwischen dem sächsi-schen Hagenwerder und dem polnisächsi-schen Radomierzyce (Radmeritz). Am Baubeginn im November 2001, dem ersten Rammschlag, nahmen Sach-sens Wirtschaftsminister Schommer, der sächsische Europaminister Tillich und der Marschall der niederschlesischen Wojewodschaft, Waszkiewicz teil. Bis 1945 stand an gleicher Stelle auch eine Brücke. Die neue Brücke soll bis 2003 fertiggestellt werden. Die Kosten von 4, 3 Mio. Euro werden mit EU-Fördermittel aus INTERREG III a kofinanziert.

Diese Brücke ist eines der ersten Projekte des EU-Förderprogramms im Zeit-raum 2001 bis 2006. Die Verhandlungen für den Brückenneubau reichen bis 1992 zurück. Die Landesregierung hofft, dass „diesem ersten Brücken-schlag nach Polen“ bald weitere folgen werden. Mit der EU-Osterweite-rung rechnen Verkehrsexperten mit einer Zunahme des grenzüberschrei-tenden Straßengüterverkehrs von 70%. Sachsen mit seiner insgesamt 570 Kilometer langen „Noch-EU-Außengrenze“ unternimmt große Anstren-gungen im grenzüberschreitenden Straßen- und Brückenbau. Zu den geplanten Vorhaben gehören ein Grenzübergang in Zittau und zwei Fußgängerbrücken in Marienthal und Bad Muskau. Die Zahl der Übergän-ge nach Polen könnte sich kurzfristig von sechs auf 13 erhöhen - bis 1945 gab es entlang der sächsischen Neiße 97 Brücken!

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