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3. Die Entwicklung Des Protests gegen die Nutzung von Atomenergie

3.2. Gorleben als Standort für das nukleare Entsorgungszentrum (NEZ)

Erst im Zusammenhang mit einer Wiederaufbereitungsanlage wäre das Projekt eines ,,schnellen Brüters“ sinnvoll gewesen.33 Aufgrund des wachsenden Drucks durch die steige nde Menge anfallenden Atommülls und der erwarteten Uranknappheit wurden die Forschungen ab dem Beginn der 70er Jahre intensiviert. Es zeigte sich jedoch, dass sowo hl chemische, physikalische als auch sicherheitstechnische Probleme auftraten (RUCHT 1980:

47). 1976 baute die Betreiberfirma COGEMA in La Hague eine Wiederaufbereitungsanlage.

Durch deren Überlastung wurde eine deutsche WAA jedoch immer dringlicher.

Als Lösung wurde ein nukleares Entsorgungszentrum (NEZ) geplant.34 Folgende Einrichtungen sollten das NEZ neben der Wiederaufbereitungsanlage und dem Endlager vervollständigen: Ein Fasslager für die Endlagerung vonschwach- und mittelradioaktivem Abfall aus Atomkraftwerken, Forschungseinrichtungen und der Brennelementeherstellung. In einer Castorhalle sollten hochradioaktive, abgebrannte Brennelementen vor einer Endlagerung zwischengelagert werden. Zudem war eine Pilotkonditionierungsanlage (PKA) geplant, in der Verfahren erprobt werden sollten, mit Hilfe derer hochradioaktive Abfälle aus der Wiederaufarbeitung und abgebrannte Brennelemente für die Zwischen- und Endlagerung vorbereitet werden sollten (Konditionierung).

33 Bei der Wiederaufbereitung abgebrannter Brennelemente entstehen drei Stoffe: 1.: Plutonium, das als Brennstoff für ,,schnelle Brüter“ erforderlich ist. Es wurde angenommen, der Nutzungsgrad des Urans in ,,schnellen Brütern“ sei um das 50-60-fache höher als in herkömmlichen Reaktoren. 2.: Uran, das in Kernkraftwerken wiederverwendet werden kann und damit zur besseren Nutzung der knappen Uranvorkommen dient sowie 3.: hochradioaktiver Atommüll, der endgelagert werden muss (RUCHT 1980:

45ff). Doch auch ohne Wiederaufbereitung entstehen schwach-, mittel- und hochradioaktive Abfälle, die endgelagert werden mü ssen.

34 Die folgenden Daten stammen aus einer Kurzübersicht der Bürgerinitiative Lüchow-Dannenberg vom August 2000.

Als Lösung des Endlagerproblems35 wurde in der Bundesrepublik die Einlagerung in Salzstöcken angestrebt. Für diese sprachen ihr Vorhandensein im Bundesgebiet, ihre geologische Stabilität, ihr plastisches Verhalten, durch das Risse abgedichtet und das Eindringen von Wasser verhindert werden könne, ihre thermische Leitfähigkeit zur Abführung von Wärme, die im Zerfallsprozess entsteht sowie nicht zuletzt ihre leichte bergmännische Erschließung.

Am 22. Februar 1977 benennt der niedersächsische Ministerpräsident Ernst Albrecht (CDU) Gorleben als Standort für das NEZ. Umgehend wird Kritik laut, dass nicht die geologische Eignung des dortigen Salzstockes, sondern vielmehr die geografischen sowie bevölkerungs- und wirtschaftsstrukturellen Besonderheiten des Landkreises Lüchow-Dannenberg für die Entscheidung ausschlaggebend gewesen seien. Misstrauen und Zweifel an der Redlichkeit der Entscheidung wurden bis heute nicht ausgeräumt. Auf diesem Misstrauen fußt ein Großteil des heutigen Protests im Wendland. Daher sollen dessen Besonderheiten im folgenden kurz dargestellt werden, bevor im folgenden Kapitel die Entwicklung des Widerstandes gegen die Gorlebener Atomanlagen nachgezeichnet wird.

Geografie

Bis zur deutschen Wiedervereinigung ragte das Wendland wie ein spitzes Dreieck in die DDR. Auf einer Strecke von 140 Kilometern war es nach Norden, Osten und Süden hin quasi abgeriegelt. Lediglich im Westen war es auf einer Länge von gut 40 Kilometern offen.36 JUNGK (1977) wies darauf hin, dass ein Teil des Landkreises dank des Elbe-Jeetzel-Kanals, der ihn etwa in der Mitte von Norden nach Süden durchschneidet, sowohl nach außen (gegen auswärtigen Demonstranten) sowie im Katastrophenfall nach innen (gegen eine verstrahlte Bevölkerung) leicht abzusperren gewesen wäre. Eine zusätzliche Vermutung der Standortgegner ist die Kombination aus Grenzlage und vorherrschendem Westwind: Eine Gefährdung durch austretende Radioaktivität im Störfall hätte demnach hauptsächlich das Gebiet der DDR betroffen.37

35 Das Endlagerproblem ist bis heute weltweit ungelöst. So verfügen weder Frankreich, Großbritannien, die USA noch Japan oder Russland über Endlager. In allen Ländern wird Atommüll bislang in bevölkerungsarmen Gebieten zwischengelagert. In Deutschland wird der Gorlebener Salzstock als mögliches Endlager erkundet (EJZ, 28.03.2001).

36 IRMSCHER/MOLDMANN (1989).

37 So zitierte Gerd Lüttig, damaliger Vizepräsident des niedersächsischen Landesamtes für Bodenforschung, Ministerpräsident Ernst Albrecht mit den Worten: ,,Jetzt werden wir´s denen mal zeigen, (...) da wird sich die Ostzone schön ärgern“ (Frankfurter Rundschau, 27.11.1993).

Bevölkerungsstruktur

Das Wendland hatte zum Zeitpunkt der Standortbenennung mit 39 Einwohnern pro

Quadratmeter die geringste Bevölkerungsdichte der BRD.38 Der Anteil jüngerer Menschen nahm aufgrund arbeits- und ausbildungsbedingter Abwanderung ab. Der Anteil älterer Menschen nahm Aufgrund des verstärkten Zuzugs von Rentnern zu.39 Zudem war der Landkreis von einer konservativen Wählerschaft geprägt. Die CDU stellte in allen Gremien die Mehrheit.40 Dieser Umstand – so die Vermutung – ließ Politiker in Hannover und Bonn hoffen, in Lüchow-Dannenberg nicht auf ernstzunehmenden Widerstand zu stoßen.

Wirtschaftsstruktur

Die Arbeitslosigkeit im Landkreis Lüchow-Dannenberg lag im Jahr 1977 mit 10,5% knapp doppelt so hoch wie der Bundesdurchschnitt (BEAULIEU 1992). Noch heute liegt die

Arbeitslosigkeit weit über dem niedersächsischen Durchschnitt. Der Kreis und die Gemeinden sind hoch verschuldet. Wichtiger Einkommensfaktor war lange Zeit die

Zonenrandförderung.41 Industrie siedelte sich auch nach 1990 nicht in ausschlaggebendem Maße an. Um Investoren anzulocken, präsentiert sich Lüchow-Dannenberg heute als der ,,am meisten unterschätzten Landkreis Deutschlands.“42

Die genannten Besonderheiten des Landkreises Lüchow-Dannenberg hatten, so die Vermutung der Atomkraftgegner, einen Einfluss auf die Wahl Gorlebens als Standort des nuklearen Entsorgungszentrums. Im folgenden soll nun die Entwicklung des lokalen Widerstandes illustriert werden, da hier das Fundament für den heutigen Protest gegen Castortransporte zu sehen ist.

38 Zum Vergleich: Durchschnittliche Bevölkerungsdichte in der Bundesrepublik/Niedersachsen: 245/152 Einwohner/Quadratkilometer (BEAULIEU 1992).

39 LANDKREIS LÜCHOW-DANNENBERG (1990). Wolfgang Peters, Leiter eines Bildungszentrums, mit dem ein Gespräch geführt wurde (19.06.2001), sagte: ,,Der Landstrich hier wurde von Berlinern und Hamburgern als Refugium genutzt. (...) Berliner fuhren gerne raus, sodass zwei Mischungen hier waren: Die Großstädter und die ländliche Bevölkerung, die sich natürlich arrangiert hatten, weil man auch Vorteile voneinander hatte:

Dadurch kam wenigsten ein bis schen Geld rein.“

40 Martin Schulz, stellvertretender Gemeindedirektor der Gemeinde Dannenberg (12.06.2001).

41 SCHULZ (12.06.2001).

42 Gesellschaft für Wirtschafts - und Beschäftigungsförderung Lüchow-Dannenberg mbH (2001).