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The Good Life: Amour fou und Ehebruch

Im Dokument Bildlich gesprochen (Seite 180-185)

5. Der 11. September als literarisches Trauma: Emotion, Subjektivität und

5.2. M OTIVISCHE V ERANKERUNG : V ERKNÜPFUNG VON E MOTION UND S PRACHE

5.2.2. Emotion im (Kon)Text: Brief, Intertextualität und Affekt

5.2.2.2. The Good Life: Amour fou und Ehebruch

Auch in The Good Life steht eine emotionale Beziehung im Zentrum der intertextuel-len Referenzen: Die außereheliche Affäre zwischen Corrine und Luke. Neben den überwältigenden Gefühlen der beiden werden auch die Folgen dieser Beziehung wie das schlechte Gewissen, die Verpflichtung gegenüber der Familie und die zuneh-mende Distanz zum betrogenen Ehepartner durch literarische Referenzen untermau-ert. Auch die religiöse Bedeutung des Ehebruchs wird thematisiuntermau-ert.

Die Beschreibung des Seitensprungs wird dadurch eingeleitet, dass Corrine in Lukes Apartment Audens Selected Poems (TGL 222) und Franzens The Corrections (ebd.) findet: Durch die Anspielung auf Auden wird (vor dem Hintergrund seiner zu Beginn des 20. Jahrhunderts noch nicht tolerierten Homosexualität) die Verbindung zu einer „verbotenen“ Beziehung hergestellt; Franzens Roman hingegen erzählt die sehr detaillierte Geschichte einer Familie und ihrer Abgründe.182 Bereits der Beginn der Affäre zwischen Luke und Corrine wird durch die intertextuellen Einschübe als moralisch fragwürdig gekennzeichnet. Corrine greift diese Zweifel auf, indem sie selbst einen (wenn auch im Potentialis stehenden) passenden, im weitesten Sinn intertextuellen, Kommentar einwirft: „I think if I were ever going to write a novel, I’d call it The Mistakes“ (TGL 222).183

„I mean, have you ever ---“ / „Cheated? Just once. Well, a few times… with the same man.“ / „ What happened?“ / „He died.“ / „I’m sorry.“ / „Not because of me. What is it Rosalind says in As You Like It? ‚Men have died from time to time, and worms have eaten them, but not for love.’“ / „I’m not sure I believe that.“ (TGL 223)

Auch bezüglich ihres ersten Ehebruchs greift sie auf intertextuelle Verweise zurück. Als Luke sie fragt, ob sie Russell jemals betrogen hat, erzählt sie ihm von Jeff, versucht aber, die Situation durch ein Shakes-peare-Zitat zu entschärfen und ihre Gefühle herunterzuspielen:

Im Gegensatz zu diesem Ironisierungsversuch, der sich auf die Affäre mit Jeff bezieht, werden Corrines Gefühle für Luke durch intertextuelle Verweise nicht heruntergespielt, sondern eher dramatisiert. Ein diesbezügliches Beispiel, in dem das zitierte Werk überdies erneut in Verbindung mit dem Motiv des Ehebruchs und

182 Der Verweis kann als Vorausdeutung auf die familiären Probleme gedeutet werden: „Jonathan Franzen hat einen außergewöhnlich scharfen Blick dafür, wo sich im familiären Miteinander Risse entlang der glatten Oberfläche auftun.“ (Ecker 2002)

183 Corrine meint hier vermutlich mehr als nur den Betrug an Russel: Es ist auch eine Anspielung auf Corrines eigenes Trauma, das Gefühl der „Schuld“ gegenüber ihren Kindern auf Grund der künstli-chen Befruchtung (siehe hierzu S. 261), das ihr subjektives Empfinden verstärkt, Fehler gemacht zu haben.

Affekts steht, liefert eine Situation in Caseys Ferienhaus, in dem sich Luke und Corrine an einem Wochenende heimlich treffen. Der Moment der „Flucht“ wird intertextuell überhöht, wenn Corrine wie üblich zunächst den Bücherbestand untersucht und eine Ansammlung von „escapist literature“ (TGL 253) findet:

„Don’t stop the Carnival, by Herman Wouk. Back to the Mandalay, by Lowell Thomas. Night in Bombay, by Louis Bromfeld. One Way to Eldorado, by Hol-lister Noble. […] Here’s Thor Heyerdahl’s Aku-Aku; Freedom Road, by How-ard Fast; The Treasure o Pleasant Valley, by Frank Yerby; and, of course, The Shining Trail, by Iola Fuller.“ (TGL 253)

Die Aufzählung endet schließlich in einem Geständnis Corrines: „’I think about going away with you. […] I think about us sweating in the sheets under a ceiling fan in Indochina, too hot and exhausted to move after making love’“ (TGL 253). Reise, Flucht und literarische Verweise werden hier eng miteinander verbun-den: Corrines und Lukes starker Wunsch nach einem gemeinsamen „Entkommen“

wird so auch intertextuell verdeutlicht.

Im Ferienhaus befindet sich auch eine Ausgabe von Platons Symposion, die ebenfalls als literarische Verstärkung der Gefühle von Corrine und Luke fungiert:

Indem Luke Corrines Anspielung auf den Text sofort als Referenz auf die Hermaph-roditen zu deuten versteht, wird relativ plakativ das Motiv der einzig wahren und schicksalsträchtigen Liebe zwischen den beiden aufgenommen: „[She was]

inordinately pleased that he got the reference, which seemed to confirm her guilty hypothesis – was it possible? Was this crazy? – that he, rather than Russel, might be her long-lost twin.“ (TGL 251f.) Luke empfindet ähnlich; als Corrine Luke fragt, ob er jemals das Gefühl hatte, für jemanden bestimmt zu sein, antwortet er: „I do now. I had a glimmer of that feeling the first time I saw you. Walking out of the smoking ruins. And there you were.“ (TGL 252)

Der wichtigste intertextuelle Verweis erfolgt jedoch zweifellos auf Graham Greenes immer wieder genannten Roman The Heart of the Matter, zu dem Corrine ein Drehbuch verfasst. Greenes Text thematisiert mehrere Motive, die auch in The Good Life eine Rolle spielen: Gewissen, Moral und Ehebruch sind Leitmotive beider Werke.

The Heart of the Matter rückt vor allem den religiösen Hintergrund des Ehe-bruchs ins Zentrum;184

184 Andere intertextuelle Verweise, die religiöse Motive aufwerfen, beziehen sich beispielsweise auf John Miltons Gedicht On His Blindness (aufgeworfen durch den Vers „They also serve who only stand and wait“ vgl. TGL 152) oder „Round the Bend, by Nevil Shute“ (TGL 253).

als gläubiger Katholik begeht Scobie eine Todsünde, indem

er seine Frau betrügt. Corrines Gewissensbisse werden zwar nicht durch religiöse Hintergründe erklärt, jedoch quälen auch sie, genau wie Scobie, Schuldgefühle auf Grund des Ehebruchs. Die Selbstvorwürfe sind in ihrem Fall vor allem mit dem Gefühl der Verpflichtung gegenüber ihren Kindern verknüpft. Hier lässt sich eine weitere Parallele zur Figur Greenes aufzeigen: Scobies Denken, Fühlen und Handeln ist stark durch den frühen Tod seiner Tochter Catherine geprägt. Die Folge ist ein

„auf imaginative Offenheit und Sensibilität zurückführbare[s], aber ins Extrem gesteigerte[s] Mitleiden[s], das durch ein fundamentales Gefühl der Verantwortlich-keit ergänzt wird“ (Böker 2000). Eben dieses Gefühl der VerantwortlichVerantwortlich-keit findet sich auch bei Corrine, und darüber hinaus bei Nora, Lukes Mutter: Beide Frauen (so zumindest die Andeutung am Ende von McInerneys Roman) beenden die außereheli-che Affäre auf Grund ihrer mütterliaußereheli-chen Pflichten. Corrines Gewissenhaftigkeit ist nicht zuletzt auf ihre Schuldgefühle bezüglich der Art der Empfängnis zurückzufüh-ren (vgl. hierzu S. 263).

Nora genau wie Corrine messen der Bewahrung einer intakten Familie höhere Priorität als ihrem persönlichen Glück bei. Sowohl McInerneys als auch Greenes Roman beschreiben als Ziel ihrer Protagonisten, das „Leiden anderer zu verhindern“

bzw. „’das Glück der anderen zu schützen’“ (Böker 2000). Scobie begeht am Ende des Romans Selbstmord, da er keinen Ausweg aus seinem inneren Konflikt sieht.

Dadurch sündigt er natürlich erneut und widersetzt sich den katholischen Prinzipien.

Religion und Suizid sind wiederum Themen, die auch in The Good Life eine Rolle spielen. Nicht so sehr Corrines Affäre mit Luke, aber Noras und Ducks Beziehungs-verlauf enthält diesbezügliche Motive: Noras Alltag war sicherlich durch den Beruf ihres Mannes als Pfarrer (vgl. TGL 116) auch christlich geprägt, und Duck wählt nach seinem Bankrott und der Scheidung von seiner Frau genau wie Scobie den Freitod (vgl. ebd.).

The Heart of the Matter überhöht somit bestimmte Themen aus The Good Life:

Betrug, Moral, familiäre Verpflichtung und Aufopferung sind für Corrine, Nora und Scobie gleichermaßen relevant. Die Parallelen zwischen Corrine und Scobie werden auch explizit beschrieben: Das anfängliche Mitgefühl für Scobie („Corrine’s sympathy had always been with Scobie, whose nobility broke her heart. That’s what made her want to do the movie – his fierce, unforgiving morality, his refusal to put his own needs or desires first.“ TGL 64) weicht zunehmend einer Empfindung der Ähnlichkeit. So sagt Corrine zu Luke: „’I used to trust my motives […] That’s the

trouble. Now I don’t know. I want to be a good person and I want to be with you, and I don’t know how to reconcile those two ideas. I feel like Scobie in The Heart of the Matter. I can’t stay and I can’t go.’“ (TGL 301f.)

Zusammenfassend lässt sich auch bei der Untersuchung von McInerneys Ro-man feststellen, dass vor allem emotionale Inhalte durch intertextuelle Verweise akzentuiert werden:185

Neben dieser generellen Betonung von emotionalen Inhalten lässt die Untersu-chung der intertextuellen Motive jedoch auch eine andere Interpretation zu: Die Motive Betrug, Moral und Religion spielen nicht nur im Verhältnis zwischen Luke und Corrine, sondern auch in den Anschlägen auf das World Trade Center eine zentrale Rolle.

Neben der Intensität von Corrines und Lukes Gefühlen und ihren Fluchtgedanken sind auch Moral, Betrug, Schuld- bzw. Verpflichtungsgefühle sowie religiöse Aspekte des Ehebruchs Themen der Verweise auf andere literarische Produkte. Genau wie bei Peltzer lässt sich eine Betonung emotionaler Beziehungen mittels Beispielen aus anderen literarischen Einzelprodukten konstatieren.

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Insgesamt lässt sich somit eine ähnliche These wie bezüglich Bryant Park auf-stellen: Bestimmte Symbole oder Elemente der Attentate werden ausgewählt, in

Ähnlich wie das bei Peltzer zentrale Symbol des übermächtigen Vaters, das ich als Reflexion der politischen Vormachtstellung der USA interpretiert habe, möchte ich auch die beschriebenen Elemente in einen politischen Zusammen-hang mit 9/11 stellen: Der „Betrug“ wäre in diesem Sinne (neben der allgemeinen Vorspiegelung falscher Tatsachen oder Ziele) auch die konkrete Nutzung von US-amerikanischen Institutionen (wie etwa der Besuch der Flugschule „Flight Safety“ in Florida) mit der Intention, die dort erlernten Fähigkeiten gegen dasselbe Land einzusetzen. Der Verstoß gegen moralische Grundprinzipien findet bei 9/11 sowohl auf politischer als auch auf juristischer und sozialer Ebene statt; im Roman wird dieser auf der privaten, zwischenmenschlichen Ebene widergespiegelt. Außerdem stellt offensichtlich der religiöse Hintergrund einen Verweis auf die Attentate dar.

185 Neben konkreten Verweisen auf andere literarische Texte spielen die Themen Affäre, Betrug, Moral und Familie auch in einer im Roman erwähnten Email eine zentrale Rolle: Russells Geliebte Trisha möchte Corrine bei einem zufälligen Aufeinandertreffen auf einer Party ihre gesammelte Mailkorrespondenz vorlesen (siehe auch S. 104), welche auch einige delikate Beispiele enthält:

„’Here’s a good one. Oh, definitely one of my all-time faves. ‚My dearest Trisha. I can’t sleep thinking about you. Corrine is asleep in the other room and all I can think about is you on your knees’—’“ (siehe TGL 194) Diese Email als Beweismaterial für die Affäre zwischen Russell und Trisha hängt mittelbar auch mit Corrines und Lukes Beziehung zusammen: Erst nachdem Corrine von Russells Seitensprung erfahren hat, schläft sie schließlich mit Luke (vgl. TGL 224-227); es ist anzunehmen, dass das Zusammentreffen mit Trisha ihre Entscheidung zumindest erleichtert.

186 Besonders sticht hier natürlich das Thema des Selbstmordes hervor, das durch Duck aufgeworfen und durch Scobie intertextuell verstärkt wird.

einen emotionalen Kontext „übersetzt“ und zugleich durch intertextuelle Verweise überhöht. Die Auswahl von subjektiven und affektbehafteten Themen berücksichtigt die Vorteile der Darstellung des eigenen Mediums, und die Einbindung in andere literarische Werke akzentuiert die literarische Verhaftung zusätzlich. Die These einer symbolischen Übersetzung von Themen, die mit dem 11. September in Zusammen-hang stehen, und einer diesbezüglichen motivischen Verankerung im eigenen Medium wird weiter gestärkt.

Im Dokument Bildlich gesprochen (Seite 180-185)