• Keine Ergebnisse gefunden

Glaube und Vertrauen

Im Dokument Franz von Kutschera Vernunft und Glaube (Seite 130-150)

2 Glaube ohne rationale Rechtfertigung

2.4 Glaube und Vertrauen

Nach der Grundthese des Fideismus besteht religiöser Glaube nicht

— oder jedenfalls nicht primär — im Fürwahrhalten von Sätzen, sondern in einer Haltung, für die Argumente letztlich nicht entschei-dend sind. Um diese These diskutieren zu können, wollen wir zu-nächst verschiedene Formen des Glaubens unterscheiden.1 Sprachlich verwenden wir das Verb „glauben" in drei Formen. Wir sagen a) Jemand glaubt, daß etwas der Fall ist.

1 2 Vgl. dazu z. B. Malcolm (1977) und Plantinga (1982). Der Paritätsgedanke findet sich auch schon bei Pascal.

1 3 Penelhum (1983), S. 150.

1 Vgl. dazu insbesondere Price (1965). Es ist allerdings zu beachten, daß das engl, believe in in vielen Fällen gebraucht wird, in denen man im Deutschen nicht von einem „glauben an" reden kann. „1 believe in ..."

heißt oft nur „Ich halte etwas von ...".

b) Jemand glaubt jemandem oder einer Versicherung oder Zusiche-rung von jemandem (schenkt dem Glauben, was jemand behauptet oder verspricht).

c) jemand glaubt an jemanden oder etwas.

Diese grammatikalischen Verwendungsformen zeichnen die Glau-bensbegriffe, um die es uns hier geht, zwar nicht eindeutig aus, weisen aber doch auf wichtige sachliche Unterschiede hin.

Mit Aussagen der Form (a) wird ein Fürwahrhalten ausgedrückt;

wir wollen von einem doxastischen Glauben reden.2 Eine Person a glaubt, daß ein Sachverhalt p besteht, wenn a vom Bestehen von p überzeugt ist oder/) die subjektive Wahrscheinlichkeit 1 zuordnet.3 Das ist der starke Sinn von „glauben, daß". In einem schwächeren Sinn (der etwa dem des Verbs „vermuten" entspricht) sagt man, a glaube, daß p, wenn a dem Sachverhalt p eine höhere subjektive Wahrscheinlichkeit zuordnet als nicht-/), wenn also a eher damit rechnet, daß p der Fall ist, als daß p nicht der Fall ist.4 Wir verwenden im folgenden „glauben" im starken Sinn. 1st von einem „Glauben"

die Rede, so kann sowohl der Akt oder Zustand des Glaubens gemeint sein — man redet auch gelegentlich von einem „subjektiven Glauben"

(fides, qua creditur) — oder sein Inhalt, der Sachverhalt, der geglaubt wird, der „objektive Glaube" (fides, quae creditur).

Ein Satz der Form (b) „Die Person a glaubt der Person b" besagt, daß a gewissen — durch den Kontext spezifizierten — Behauptungen oder Zusagen, die b macht, Glauben schenkt. Das heißt im Fall von Behauptungen erstens, daß a sie für wahr hält. „Glauben" in diesem

2 Im Englischen redet man von factual belief, im Griechischen würde man das Wort Doxa verwenden. Die doxastische Logik ist die Logik eines rationalisierten doxastischen Glaubensbegriffs, vgl. dazu z. B. Lenzen (1980) oder Kutschera (1976), Kap. 4.

3 Alle Glaubensbegriffe haben einen Zeitbezug, den wir hier der Einfachheit halber weglassen. Ich glaube heute vieles, was ich vor einem Jahr nicht geglaubt habe und vermutlich auch manches, was ich in einem Jahr nicht mehr glauben werde.

4 Im Prinzip läßt sich jeder Zahl e mit \¡2<e<\ ein Glaubensbegriff zuordnen, so daß „a glaubt, daß />" der Aussage „wfp) > e", d. h. „a

•' ordnet p mindestens die subjektive Wahrscheinlichkeit e zu", entspricht.

Vgl. dazu Lenzen (1980).

zweiten Sinne impliziert also einen doxastischen Glauben, daß das wahr ist, was b sagt. Glaubt a, daß das richtig ist, was b z. B. als Zeuge in einer Gerichtsverhandlung ausgesagt hat, so folgt daraus aber noch nicht, daß a dem b glaubt. Ist a davon z. B. schon unabhängig von den Aussagen von b überzeugt oder weil er zuver-lässige Indizien dafür hat, daß b nicht lügt, so würden wir nicht sagen, daß a dem b glaubt, jemand glauben heißt ihm vertrauen und deshalb spricht man hier von einem fidu^iellen Glauben} Vertrauen impliziert ebenfalls einen doxastischen Glauben, aber auch eine po-sitive affektive Haltung zu dem, dem man vertraut. Das Wort „af-fektiv" wollen wir hier in einem weiten Sinn verwenden, so daß es emotionale, valuative und voluntative Komponenten umfaßt. Ver-trauen ist also eine Gesamthaltung, an der das Urteilsvermögen ebenso beteiligt ist wie das Gefühl und die voluntative Einstellung.

Wir wollen die affektive Komponente des Vertrauens hier einmal als

„Zutrauen" bezeichnen. Wir können dann sagen, daß der doxastische Glaube, der sich mit dem Vertrauen verbindet auf Zutrauen beruht:

Wir glauben, daß jemand die Wahrheit sagt oder seine Zusage ein-halten wird, weil wir Zutrauen zu ihm haben. Wir sprechen von

„Vertrauen" meist nur dort, wo man etwas Positives vom anderen erwartet, obwohl es Gründe gibt, die gegen diese Erwartung spre-chen. Der doxastische Glaube stützt sich also nicht oder nicht nur auf sachliche Gründe, sondern geht über die Erwartung hinaus, die sich allein aus ihnen ergäbe. Dieser Überschuß wird vom Zutrauen getragen, und wenn das Zutrauen hinreichend stark ist, kann es die Überzeugung auch angesichts massiver Gründe gegen die Annahme stützen. Das Zutrauen ist freilich seinerseits auch nicht immun gegen Argumente und Evidenzen. Das Zutrauen zu einem Zeugen wird in der Regel schwinden, wenn wir erfahren, daß er schon einmal wegen Meineids verurteilt wurde. Daher ist keine der beiden Komponenten des Vertrauens unabhängig von der anderen; Verstand und Affekte wirken in ihm zusammen.

5 Im Griechischen wäre hier nicht von Doxa, sondern von Pistis zu reden.

Das lateinische credere bedeutet sowohl ein doxastisches Glauben, wie ein fiduzielles Glauben, Glauben oder Vertrauen schenken, ja auch Anver-trauen oder Leihen.

Glaubt a an die Person b, so vertraut a (auf) b, z. B. auf seinen beruflichen Erfolg, seinen Charakter, seine Treue, Liebe, Freund-schaft, seine Zusagen etc. Auch hier handelt es sich also um einen fiduziellen Glauben. E r impliziert wieder einen doxastischen Glauben, die Überzeugung, daß der andere beruflichen Erfolg haben wird, daß er einen guten Charakter hat usf., und diese Überzeugung beruht wiederum entscheidend auf einem Zutrauen zum anderen. Wenn wir von einem Glauben an jemanden, von einem Vertrauen auf ihn reden, drücken wir also zugleich aus, daß wir zu ihm eine positive affektive Einstellung haben, ein Zutrauen zu ihm, und daß das, was wir von ihm annehmen, entscheidend auf diesem Zutrauen beruht. Ein Glaube an Institutionen (die Rechtsprechung, die Demokratie, die Kirche), an die Gerechtigkeit oder die Macht des Guten oder der Liebe ist entsprechend zu verstehen, d. h. als ein doxastischer Glaube, daß diese Institutionen z. B. zuverlässig oder nützlich sind, bzw. daß Gerechtigkeit sich durchsetzen wird, daß das Gute oder die Liebe eine kreative Macht hat, aufgrund eines Zutrauens, das man zu diesen Institutionen oder Phänomenen hat. Man kann auch an Sachverhalte glauben. Der Kranke kann z. B. daran glauben, daß er wieder gesund werden wird. Er ist dann nicht nur davon überzeugt, sondern vertraut darauf. Dieses Vertrauen braucht nicht einer Person oder Institution zu gelten (dem Arzt oder der Medizin), sondern kann einfach auf einem Zutrauen zu dem beruhen, was die Zukunft bringen wird, auf einer positiven Erwartungshaltung zum Leben.

Da sich „a glaubt b" immer übersetzen läßt in „a glaubt an die Wahrheit der Aussagen von b" oder „die Einhaltung der Zusagen von b'\ ist der entscheidende Unterschied zwischen den drei betrachteten Formen des Glaubens jener zwischen dem doxastischen Glauben-daß und dem fiduziellen Glauben-an} Man sagt nun zurecht, daß religiöser

6 Wie Price in (1965) betont, ist die Mannigfaltigkeit der Entitäten, an die man glauben kann, sehr groß. Man kann auch sagen, der Blinde glaube an seinen Hund, der Rennfahrer an sein Auto, der Gärtner an seine Chrysanthemen, der Wanderer an schönes Wetter. Man kann an Theorien glauben, an Luftschiffe (ihre Zukunft, ihre Leistungsfähigkeit), an eine Diät, an Statistiken, Produktionsverfahren, den Fortschritt usf. Diese Fälle bringen aber nichts Neues. Price meint auch, daß man

Glauben-an-Glaube fiduziellen Charakter hat. Ein Glauben-an-Glaube an die Existenz Gottes impliziert den doxastischen Glauben, daß Gott existiert. Diese Uber-zeugung ist aber noch kein Glaube an die Existenz Gottes. Der liegt vielmehr erst vor, wenn man darauf vertraut, daß Gott existiert, wenn man darin z. B. eine Bedingung für den Sinn menschlichen Lebens sieht

Sätze oft in Glauben-daß-Sätze übersetzen könne und umgekehrt. Glaubt jemand, daß die Fußballmannschaft X besser sei als die Mannschaft Y, so könne man das auch ausdrücken durch „Er glaubt an die Überlegenheit der Mannschaft X über die Mannschaft Y". Das ist aber nicht korrekt:

Ein Glauben an die Überlegenheit der Mannschaft X ist ein Vertrauen darauf, das sich auf ein Zutrauen, eine positive affektive Haltung zu dieser Mannschaft gründet, die ein doxastischer Glaube nicht impliziert. Price sagt ferner, „glauben an" habe einen futurischen Aspekt. Das ergibt sich aus der fiduziellen Komponente: Vertrauen und Zuversicht, die wir Per-sonen oder auch Institutionen entgegenbringen, gelten in der Regel ihrem zukünftigen Verhalten oder Leistungen. Und wenn ich darauf vertraue, daß die Aussage oder Zusage einer Person verläßlich ist, so weiß ich noch nicht, ob sie wahr ist bzw. eingehalten wird, selbst wenn er sie in der Vergangenheit gemacht hat. Ich vertraue also darauf, daß sie sich als verläßlich erweisen wird. — Aussagen über doxastischen und fiduziellen Glauben unterscheiden sich ihrem Sinn gemäß auch in ihrem performa-tiven Charakter. Die Aussage „Ich glaube, daß Gott existiert" hat einen primär deskriptiven Sinn, ist eine Behauptung. Dagegen hat, wie Hudson in (1975), S. 176 betont, die Aussage „Ich glaube an Gott" in der Ter-minologie von J . L. Austin auch einen behabitiven, verdiktiven und kom-missiven Charakter: Der Sprecher drückt damit eine affektive Haltung gegenüber Gott aus, seine Entscheidung für den Glauben (ein Bekenntnis) und verpflichtet sich zu gewissen Verhaltensweisen. Aussagen wie „Ich glaube an Gott, er bedeutet mir aber nichts (oder: ich bin aber unent-schieden, ob ich den christlichen Glauben akzeptieren soll, oder: ich bin aber nicht bereit, seine Gebote zu befolgen)" wären daher im Gegensatz zu den Aussagen „Ich glaube, daß Gott existiert, er bedeutet mir aber nichts" usw. sinnwidrig. Aussagen der Form „Ich glaube an ..." sind also nicht rein deskriptiv. Man kann diese Bedeutungskomponenten aber, wie wir das getan haben, auch dem Verb „glauben-an" zuschreiben und sagen, es impliziere eine Einstellung, Entscheidung und Verpflichtung, denn wenn ich sage „Fritz glaubt an Gott", so ist das ein primär deskriptiver Satz, aber „Fritz glaubt an Gott, er bedeutet ihm aber nichts" ist ebenso sinnwidrig wie derselbe Satz in Ich-Form.

und das Zutrauen zu diesem Sinn den doxastischen Glauben trägt.

Unter einem Glauben an Gott versteht man aber in der Regel nicht bloß den Glauben an seine Existenz. Ein Glaube an Gott setzt vielmehr die Überzeugung von seiner Existenz voraus und ist ein Vertrauen auf ihn, auf seine Gerechtigkeit, Güte oder Vorsehung.7 Auch im fidu-ziellen Sinn hat Glauben also immer eine doxastische Komponente. Die fideistische These, religiöser Glaube habe mit einem Fürwahrhalten nichts zu tun, ist also unhaltbar. Auch die schwächere Behauptung, Glaubensannahmen seien immun gegen Argumente, der Glaube beruhe weder auf Gründen und Evidenzen, noch werde er durch sie tangiert, ist falsch. Im Vertrauen wird zwar die doxastische Einstellung von der affektiven getragen, aber selbst wenn sie allein von ihr getragen wird, so sind doch Gefühle und Strebungen nicht unabhängig von Einsich-ten. E i n Vertrauen, dessen affektive Komponente durch Argumente und Evidenzen nicht erschüttert werden kann, wäre irrational, weil die emotionalen und voluntad ven Einstellungen von den noetischen ab-gekoppelt sind. Vernünftigkeit besteht nicht darin, diese Einstellungen dem Verstand zu unterwerfen, sondern Gefühl, Willen und Verstand harmonisch miteinander zu verbinden.

Das klassische Beispiel für einen irrationalen Glauben ist S. Kierkegaard. Er hat seine Konzeption des Glaubens in systemati-scher Form vor allem in der Abschließenden unwissenschaftlichen Nachschrift

Zum fiduziellen Charakter religiösen Glaubens vgl. z. B. Swinburne (1981), Kap. 4. Wo Glauben nur doxastisch verstanden wird, wie z. B.

bei Thomas, erscheint er als eine der drei theologischen Kardinaltugenden.

Bei einem fiduziellen Verständnis umfaßt er aber die beiden anderen, Hoffnung und Liebe. Der fiduzielle Charakter des Glaubens ist besonders von Luther (vgl. z. B. Von der Freiheit eines Christenmenschen, § 11) nach-drücklich betont worden. Er macht sich aber auch bei Thomas insofern geltend, als doxastischer Glaube bei ihm in den Fällen, wo wir die Richtigkeit des Geglaubten nicht selbst erkennen können wie z. B. im Fall von Offenbarungen, einen willentlichen Akt der Zustimmung erfor-dert. — Der Christ versteht seinen Glauben als ein personales Verhältnis zu Gott. In religionsphilosophischen Untersuchungen, in denen es um vernünftige Gründe für einen Glauben an Gott geht, steht hingegen die Legitimität dieses Selbstverständnisses zur Debatte, so daß man nicht von dieser Charakterisierung des Glaubens ausgehen kann.

%u den 'Philosophischen Brocken' (1846) entwickelt. E r betont dort zu-nächst, daß religiöser Glaube kein bloßes Fürwahrhalten ist und so nicht bloß auf rationalen Gründen beruht. Für eine Entscheidung für den Glauben sind Tatsachenerkenntnisse nicht ausreichend, ausschlag-gebend ist vielmehr das „unendliche, leidenschaftliche Interesse an ewi-ger Seligkeit". Kierkegaard sieht nun aber in der Glaubensentscheidung nicht nur eine Entscheidung unter Unsicherheit — er lehnt alle meta-physischen wie historischen Argumente für die Wahrheit des christli-chen Glaubens ab —, sondern eine Entscheidung gegen alle Vernunft.

Die zentrale Aussage des christlichen Glaubens ist für ihn die Mensch-werdung Gottes in Jesus, und die ist paradox und widerspricht der Vernunft.8 Im Glauben „schafft sich die Vernunft selbst beiseite", er ist eine „Verabschiedung des Verstandes".9 Glaube stellt sich für Kier-kegaard so allein als Sache der „Leidenschaft" als „höchste Kraft der Innerlichkeit" dar. Er ist Leidenschaft, und alle Versuche, ihn zu be-gründen oder auch nur zu verstehen, verfehlen ihn.1 0 Diese extreme Zuspitzung des Fideismus bei Kierkegaard ist einerseits als Reaktion auf die neuzeitlichen Versuche — insbesondere etwa die Kants und Hegels — zu sehen, den christlichen Glauben so zu interpretieren, daß er sich als Resultat vernünftiger Überlegungen darstellt. Andererseits ist es eine Reaktion auf den Zusammenbruch metaphysischer Speku-lationen nach Hegel und die Kritik an der historischen Zuverlässigkeit der biblischen Aussagen. Sieht man von Kierkegaards These der A b -surdität des Glaubens ab, so bleibt noch seine Behauptung, der Glaube bedürfe der Ungesichertheit durch rationale Gründe; ein echter, tiefer Glaube sei durch ein überragendes Interesse an seinen Inhalten

ge-8 Vgl. z. B. Gesammelte Werke 26,S. 136.

9 Vgl. a. a. O. 10, S. 56 und 58f.

1 0 Vgl. a. a. O. 16,1, S. 202f. Maclntyre in (1957), S. 209 und Hick in (1968), S. 55f. meinen, die Existenz von Gottesbeweisen sei mit der Freiheit der Glaubensentscheidung nicht verträglich. Sicher: Ein Beweis der Existenz Gottes läßt nicht mehr viel Platz für eine Entscheidung, diese Existenz anzunehmen. Unter einer Glaubensentscheidung versteht man aber mehr als eine solche Annahme, nämlich die Zuwendung zu Gott, die Befolgung seiner Gebote usw., und darin bliebe man auch dann frei, wenn man die Existenz Gottes nicht bezweifeln könnte.

kennzeichnet und das beweise sich nur, wenn man ihn auch ohne hin-reichende Gründe akzeptiert. Auch das ist kaum überzeugend: Das Interesse am Glauben kann sich zwar darin zeigen, daß man sich trotz vieler Einwände, denen seine Lehren ausgesetzt sind, für ihn entschei-det. Aber dieses Interesse könnte natürlich auch dann bestehen, wenn seine Aussagen argumentativ gesichert wären. Ein hinreichendes Indiz ist nicht immer eine notwendige Bedingung. Die „Torheit" der Glau-bensinhalte, ihre „Absurdität" ist jedenfalls weder Grund noch Bedin-gung eines Interesses daran. Jemand, dem es auch in Glaubensdingen um Vernunft geht, hat im Gegenteil ein vitales Interesse an Gründen für das, was er für wahr hält. Man kann kaum von einem „überragenden Interesse" am Glauben reden, wenn man gegen Gründe gleichgültig ist, die für oder gegen seine Wahrheit sprechen. Wenn Kierkegaard sagt, auch noch so gute Gründe für die Glaubensinhaite könnten unsere religiöse Entscheidung wegen ihrer großen existentiellen Bedeutung nicht legitimieren, und noch so viele Argumente dagegen könnten sie nicht erschüttern, so ist das fragwürdig. Zunächst einmal ist zu sagen, daß alle Entscheidungen mit praktisch relevanten Folgen nicht allein durch Wahrscheinlichkeiten bestimmt werden, sondern auch durch unsere Interessen, d. h. unsere Präferenzen. Eine Entscheidung für eine Handlungsalternative, die unter der Bedingung p einen überragenden Nutzen bringt, kann im Sinne der Entscheidungstheorie auch dann rational sein, wenn die Wahrscheinlichkeit fürp sehr gering ist.1 1 Kier-kegaards Behauptung, die Entscheidung für den Glauben impliziere, daß man auftretende Zweifel an den Glaubensinhalten ignoriert und

1 1 Pascals Wette ist dafür kein überzeugendes Beispiel. Vgl. dazu z. B. Cargile (1966) und Mackie (1982), Kap. 11 (S. 200ff.). Einschlägig ist dagegen etwa folgender Fall: A sei ein Sachverhalt und in der Entscheidung gehe es darum, F zu tun oder zu unterlassen. Der Wert von F bei A sei /?, der von nicht-F bei nicht-A sei m. Der Nutzen von jpbei nicht-A sei — m, der von nicht- F bei A sei m — n. Ist w(A) die subjektive Wahrscheinlichkeit von A , so ergibt sich dann als der zu erwartende Nutzen von F der Wert U(F) —w(A) ' (n-m)-m und entsprechend für nicht-F U(F)=m—w(A) - n. Es ist also U(F)>U(F) genau dann, wenn wiA) >2m\2n—m ist (für » > 3 • m/2). Ist nun n sehr groß gegenüber m, so ist F bei einer Wahrscheinlichkeit w(A)> m\n vorzuziehen, die sehr gering sein kann.

am Glauben festhält, komme, was da wolle, ist überzogen. Aus der Tatsache, daß für die Glaubensentscheidung und das Festhalten an ihr nicht nur rationale Gründe ausschlaggebend sind, folgt nicht, daß sie irrelevant dafür blieben. Aus der Stärke unseres Interesses, unserer affektiven Haltung und dem Charakter der Entscheidung als Lebens-entscheidung ergibt sich, daß sie verbindlich ist und nicht nur bis auf weiteres gilt, daß wir sie nicht bei jedem neu auftretenden Problem infrage stellen, sondern ihr konsequent folgen.1 2 Diese von der Sache her notwendige Festigkeit erfordert aber keinen Entschluß, vernünftige Einwände zu ignorieren. Glaube ist ein Wagnis, und das bedeutet, daß sich die Entscheidung für ihn als falsch erweisen kann, daß die Mög-lichkeit besteht, daß wir uns eines Tages unser Scheitern eingestehen müssen. Wir vertrauen auf seine Richtigkeit, aber dieses Vertrauen ist nicht blind.

Es stellt sich nun aber die Frage, ob ein fiduzieller Glaube, ein Ver-trauen, das in seinen Annahmen über das hinausgeht, was Evidenzen und Argumente rechtfertigen, den Kriterien der Rationalität nicht grundsätzlich widerspricht. Affektiven Momenten einen Einfluß auf unsere doxastischen Einstellungen, auf unser Fürwahrhalten einzuräu-men, wird fast allgemein als irrational angesehen, als unzulässig, nach den Kriterien rationalen Denkens. Descartes hat im Dicoursde la methode (II.7) vier Grundregeln wissenschaftlichen Denkens formuliert, von denen die erste fordert, "niemals eine Sache als wahr anzunehmen, von der ich nicht evidentermaßen erkenne, daß sie wahr ist, dh. ... über nichts zu urteilen, was sich meinem Geist nicht so klar und deutlich darstellte, daß ich keinen Anlaß hätte, daran zu zweifeln." Dieses

Postu-1 2 Vgl. dazu auch Mitchell (1973), Kap. 7 und 8. Generell ist eine Verpflich-tung auf bestimmte Grundwerte und HalVerpflich-tungen notwendig, um im Leben einen geraden, festen und konsequenten Kurs zu steuern, auch bei Pro-blemen, Anfechtungen, Zweifeln. Standhaftigkeit ist oft als Ersatz für gute Gründe nötig, weil wir die Konsequenzen unseres Tuns nicht immer übersehen und so auf die Richtigkeit unserer generellen Maximen ver-trauen müssen. Wir vermögen auch oft die Argumente für und gegen eine Ansicht oder Verhaltensregel selbst nicht zuverlässig zu beurteilen, ohne sie deswegen gleich infrage stellen zu können.

lat hat durch die Geschichte der neuzeitlichen Philosophie hindurch ein vielfaches Echo gefunden. So sagt D . Hume: „A wise man ...

proportions his belief to the evidence" und folgt darin fast wörtlich Locke. Unter dem Ziel einer ausschließlichen Orientierung unserer Annahmen an objektiven Tatsachen erscheint eine "Anpassung unseres Glaubens'' an subjektive Einstellungen als grundsätzlich verfehlt, denn für Tatsachenerkenntnis ist allein der Verstand zuständig. Die Hume-sche Regel ist als Grundmaxime wissenschaftlicher Rationalität ihrer Intention nach zweifellos berechtigt, als allgemeine Regel für den „ver-nünftigen Menschen" ist sie aber unrealistisch. Damit soll nicht nur gesagt werden, daß viele Leute ihr im Alltag tatsächlich nicht folgen

— das wäre kein Einwand gegen ihre normative Geltung —, sondern

— das wäre kein Einwand gegen ihre normative Geltung —, sondern

Im Dokument Franz von Kutschera Vernunft und Glaube (Seite 130-150)