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Gesundheit in der Arbeitswelt“ –

ein Beziehungsverhältnis in gesundheitswissenschaftlicher und

arbeits-(schutz-)rechtlicher Betrachtung

Einleitung

Das erste Kapitel dieser Forschungsarbeit soll mit einer kleiner Anekdote eingeleitet werden, die sich auf einer Arbeitgeberveranstaltung zum Thema: „Pflichten des Arbeitge-bers“ ereignete, in der das vorliegende Forschungsvorhaben vorgestellt wurde. Im Rahmen der Präsentation wurde von Seiten der Arbeitgeber die Frage gestellt: „Wieso soll sich nun auch noch mit dem Thema: ‚Gesundheit in der Arbeitswelt‘ beschäftigt werden?“

Zunächst erscheint diese Frage klein und unbedeutend und man könnte der Versuchung erliegen, diese schnell und unreflektiert ausschließlich mit der Begründung einer Sinnhaftig-keit von ökonomischer NotwendigSinnhaftig-keit in der vorliegenden Forschungsarbeit herleiten und beantworten zu wollen. Gleichwohl gilt es, im Forschungsrahmen inne zu halten und sich bewusst zu machen, ob sich von der Beantwortung dieser Fragestellung auch Folgen für die Beantwortung der zugrunde liegenden Forschungsfrage zum BEM ergeben.

Wenn diese Frage zu beantworten ist, gilt es, sich im Zuge des wissenschaftlichen Arbei-tens dann auch der Frage zu widmen, aus welcher wissenschaftlichen Perspektive eine Beantwortung zu erfolgen hat bzw. erfolgen kann.

Im nachfolgenden Kapitel können dahingehend die Antworten gegeben werden, dass es sich bei den Konzepten betrieblicher Gesundheitsansätze um multi- und interdisziplinäre Handlungsfelder handelt, diese Ansätze folglich ebenso differenziert betrachtet werden müssen und der Arbeitsschutz an sich nicht nur historisch fester Bestandteil, sondern auf-grund der Teleologie des Themas bis heute den Kern des Arbeitsrechts ausmacht.

Somit muss die Antwort auf die Frage aus der Anekdote gegeben werden, dass sowohl der Arbeitsschutz im Großen als auch das BEM im Kleinen auf eine lange historische Ent-wicklung zurückblicken und verpflichtender Auftrag an den Arbeitgeber sind.

1. 1 Betrachtung aus gesundheitswissenschaftlicher Perspektive

Im folgenden Abschnitt wird sich für die Erschließung des Beziehungsverhältnisses von der Gesundheit in der Arbeitswelt den Fragen zugewandt, aus welchen Gründen die Arbeitswelt ein besonders interessanter Beobachtungsrahmen für eine inter- und multidisziplinäre Ge-sundheitsforschung ist und wo sich genau in eben dieser die Disziplinen von Public Health und den Rehabilitationswissenschaften verorten.

Über die Einblicke in die bestehende Theoriebildung und in die praktische Wirklichkeit der drei populärsten Konzepte zur Förderung der Gesundheit in der Arbeitswelt wird den Fragen nachgegangen, in welchen Bedingungen sich diese Konzepte gegenseitig abgren-zen und überschneiden.

Darüber hinaus wird eine Vielzahl individueller und ökonomischer Notwendigkeiten dar-gestellt, die systematisch belegen, wieso die Thematisierung der Gesundheit in der

Ar-chem Ausmaße die Wirkzusammenhänge in der Arbeitswelt mit der Gesunderhaltung der Beschäftigten in Beziehung stehen, welche Kosten verursacht werden und inwieweit die bereits bestehenden Ansätze der betrieblichen Prävention, Gesundheitsförderung und Re-habilitation positive Ergebnisse erzielen.

Im Fazit der gesundheitswissenschaftlichen Betrachtung steht die Antwort, dass die ge-sundheitsförderlichen, präventiven und vor allem auch rehabilitativen Anstrengungen in Theorie und Praxis und vor allem deren Erfolge die sinnhaften Belege liefern, sich auch zukünftig den Herausforderungen in der Professionalisierung der verschiedenen Ansätze und somit auch des BEM zu stellen.

1. 1. 1 Gesundheit in der Arbeitswelt – ein attraktiver Forschungskontext

Wie oben angekündigt, ist die Arbeitswelt nicht nur durch die vielfältigen Wechselwirkungen mit den Themen der Gesundheit von außerordentlichem Interesse für die Untersuchung, sondern es sind per se die struktur-organisatorischen Rahmenbedingungen, die gesund-heitlichen Interventionen und die daraus abgeleitete Forschung in diesem Setting, die sie interessant erscheinen lässt.

Die Arbeitswelt wurde bereits 1986 in der Ottawa-Charta durch die Weltgesundheitsor-ganisation (World Health Organization, WHO):

„als alltägliche Umwelt definiert, in der Gesundheit von Menschen geschaffen und gelebt wird“ (WHO, 1986, S.5).

Sowohl durch die Rahmenbedingungen im Großen als auch beispielsweise durch die Aus-führungsbestimmungen, sozialen Gefüge oder Werkstoffe im Kleinen kann in der Arbeits-welt Gesundheit beeinflusst, d. h. positiv gefördert oder negativ beeinträchtigt werden (Schwartz, 2003).

Die wohl wichtigsten Charakteristika der Arbeitswelt für die gesundheitlichen Interventio-nen liegen darin, dass viele Menschen und vor allem definierbare Zielgruppen erreichbar sind (Hurrelmann, 2004; Naidoo, 2003). Über die Steuerung der Rahmenbedingungen kön-nen Motivation und konkretes Gesundheitsverhalten effektiv beeinflusst werden, wodurch in der Arbeitswelt im Gegensatz zu norm- und einflussfreieren Settings langfristige Interventi-onseffekte erreicht werden können (Bueren, 2002; Kuhn & Sommer, 2004; Roth, 2001).

Zudem ist die Arbeitswelt durch eine Vielzahl konkreter rechtlicher Gegebenheiten ge-kennzeichnet, wodurch die gesundheitlichen Rahmenbedingungen in ihrer Komplexität und Charakteristik normiert werden können. Dies ist sowohl für die Interventions- als auch für die Grundlagenforschung über die gesundheitlichen Wechselwirkungen zwischen den Be-zügen der Arbeitswelt und der Gesundheit von großer und vor allem praktischer Tragweite.

Die unterschiedlichen, aber nicht einheitlich definierten Ansätze der Betrieblichen Gesund-heitsförderung (folgend BGF) gelten bereits heute als die erfolgreichsten Felder der

prakti-schen Umsetzung des Setting-Ansatzes in der Prävention und Gesundheitsförderung (Ro-senbrock, 2003).

Ein Setting ist in den Gesundheitswissenschaften unterdessen kein klarer, trennscharfer, definitorischer Begriff. Das Setting bzw. der Setting-Ansatz schöpft seine Handlungsanreize aus einem multidisziplinären Methodenkanon. Es fehlt jedoch grundsätzlich eine integrie-rende Theorie und ein anschauliches Modell (Engelmann & Halkow, 2008). Im Rahmen dieser Untersuchung soll ein Setting als ein bio-psycho-soziales System verstanden werden (Bauch, 2004), das durch seine nicht-linearen, selbstorganisatorischen Wechselwirkungen zwischen Ursache und Wirkung gekennzeichnet ist. So wie eine Vielzahl relevanter Um-welteinflüsse auf bestimmte Personengruppen wirken, sind eben diese Personengruppen an der Aufrechterhaltung, Morphologie oder Auflösung dieser Umwelteinflüsse mitverant-wortlich. Dabei handelt es sich bei der Definition eines Settings grundsätzlich um eine Beo-bachtungsleistung, die zum Zwecke einer Gesundheitsförderungsintervention getroffen wird (Grossmann & Scala, 2003).

Da der Setting-Ansatz im Gegensatz zu den traditionellen und individualisierenden Ge-sundheitserziehungsaktivitäten die Wechselwirkungen zwischen ökonomischen, sozialen und organisatorischen Rahmenbedingung und persönlichen Lebensweisen berücksichtigt, genießt der Setting-Ansatz in der Gesundheitsförderung einen außerordentlich hohen Stel-lenwert (Grossmann & Scala, 2003). Hieran sind hohe Erwartungen verbunden, Gesund-heitsförderung von einem Nischenthema zur Querschnittstrategie aller gesundheitswissen-schaftlichen und -politischen Aktivitäten zu entwickeln. Der Setting-Ansatz gilt als Schlüs-selstrategie im Methodenkanon der Gesundheitsförderung (Bauch, 2002; Grossmann &

Scala, 2003). Er ist das Kernelement im Verständnis der Gesundheitsförderung, wie es 1986 in der Ottawa-Charta der Gesundheitsförderung (WHO, 1986) als konzeptionelle Grundlage formuliert wurde.

Der Erfolg der am Setting orientierten BGF-Ansätze liegt daran, dass bereits frühzeitig die Forderung der WHO (1991) in Praxis und Forschung aufgegriffen wurde, in Settings des alltäglichen Lebens und somit auch in der Arbeitswelt, mehr Möglichkeiten zur Förde-rung der Gesundheit anzubieten. Schließlich eine FordeFörde-rung, die 1997 zur Unterstützung der Luxemburger Deklaration durch die Mitglieder des Europäischen Netzwerkes für be-triebliche Gesundheitsförderung (ENWHP) führte. An dieser Stelle sei vorweggenommen und betont, dass die BGF in der Praxis kein akteur- und themenspezifisches Handlungs-feld ist, sondern von der gesamten Bandbreite der Gesundheitsakteure in den unterschied-lichen Zielstellungen als Überschrift verwendet wird. So finden sich in der Praxis unter dem Deckmantel der BGF z. B. Hebe- und Bewegungstrainings durch Unfallversicherungsträger, Stressseminare im Managementbereich, Rückenschulen durch die Krankenkassen, ver-schiedenste Ansätze der Organisationsentwicklung oder Fortbildungen für Betriebsärzte.

1. 1. 1. 1 Gesundheit – eine multiple Begriffsbestimmung

Auch wenn sich in dieser Arbeit nicht umfassend dem Gesundheitsbegriff gewidmet werden kann, so ist für das Verständnis der Prävention und Gesundheitsförderung in der Arbeits-welt ein Einblick in die vielseitigen Ansätze und Funktionszuschreibungen notwendig. So werden im Folgenden neben unterschiedlichen Definitionen, Funktionszuschreibungen und Leitvorstellungen von Gesundheit auch die Gesundheit des Einzelnen und die Betriebliche Gesundheit dar- und gegenübergestellt. Dies ist notwendig, um die noch aufzuführenden Konzeptionen der Prävention und Gesundheitsförderung in der Arbeitswelt in ihrer Sinnhaf-tigkeit einordnen zu können.

Die für die Gesundheitswissenschaften und deren Nachbardisziplinen wohl prägenste, wenn auch immer wieder umstrittenste Definition von Gesundheit stammt aus der Charta der WHO (WHO, 1946, S. 1), ihrem Gründungsjahr 1946:

„Gesundheit ist der Zustand vollständigen physischen, psychischen und sozialen Wohlbefindens und nicht nur die Abwesenheit von Krankheit oder Gebrechen. Sich des bestmöglichen Gesundheitszustandes zu erfreuen, ist eines der Grundrechte je-des Menschen, ohne Unterschied der Rasse, Religion, der politischen Überzeugung, der wirtschaftlichen und sozialen Stellung.“

Gesundheit ist weit mehr als die Abwesenheit von Krankheit. Mit dieser Definition eines komplexen und vielseitigen Begriffs der Gesundheit legt die WHO die bis zu diesem Zeit-punkt vorherrschende bio-medizinische Sichtweise ab und stellt sich offensiv gegen die engen Bezüge des medizinischen Verständnisses und des bestehenden kurativen Medizin-systems. Der Fokus auf die komplexen Wechselwirkungen zwischen körperlichen, seeli-schen, geistigen und sozialen Anteilen bildet die Grundlagen der vielen bis heute in den präventiven und gesundheitsförderlichen Ansätzen vorherrschenden Modelle.

Obwohl die Definition der WHO mit ihrer Beschreibung eines Zustandes vollständigen Wohlbefindens oft als utopisch und idealisierend kritisiert wurde und wird, besteht dennoch breiter Konsens darüber, dass für die Definition von Gesundheit die bloße Abwesenheit von Krankheit nicht mehr adäquat ist (WHO, 1992). Die Kritik resultiert sicher auch daraus, dass bei der Übersetzung ein Fehler auftrat, indem aus dem englischen „complete“ eher im deut-schen ein „umfassend“ hätte übersetzt werden sollen.

Sowohl aus der Diskussion, Auseinandersetzung, Weiterentwicklung als auch aus der Gegenpositionierung zum Gesundheitsbegriff der WHO entwickelte sich eine Vielzahl un-terschiedlicher Sichtweisen und Definitionen:

ƒ Gesundheit kann als Kapazität oder Potenzial verstanden werden, persönli-che Ziele erfolgreich zu verfolgen,

ƒ Gesundheit kann als Prozess zielgerichteter Handlungen bzw. als Prozess erfolgreicher Bewältigung beschrieben werden,

ƒ Gesundheit ist die Balance oder das Gleichgewicht innerhalb des Selbst und mit der Umwelt,

ƒ Gesundheit ist die Abwesenheit von Symptomen,

ƒ Gesundheit steht für eine positiv besetzte/bewertete psychologische Erfah-rung und schließlich

ƒ Gesundheit ist der Ausdruck eines ausgeprägten Kohärenzsinns (Ducki &

Greiner, 1992).

Um in den unterschiedlichen gesundheitsorientierten Handlungsfeldern in der Arbeitswelt den Begriff der Gesundheit praktisch nutzen zu können, ist es nach Niehoff (2008) unab-dingbar, im Vorfeld den Interpretationskontext festzulegen. Dieser ergibt sich aus einem doppelten Sinne.

Auf der einen Seite ist Gesundheit, wie bemerkt, ein abstrakter und vielfältig definierter Oberbegriff für jeglichen physischen und psychischen Zustand eines Menschen in einer konkreten Umwelt – wodurch jeder Mensch „irgendeine Art“ von Gesundheit hat, die durch ergänzende Parameter differenziert und in einem entsprechenden Kontext bewertet werden kann. Auf der anderen Seite ist Gesundheit ein normativer Begriff für körperliche und zu-nehmend psychische Zustände, die als positiv oder wünschenswert betrachtet werden bzw.

für die kein medizinisches Interventionsziel existiert.

Als abstrakter Begriff bezeichnet Gesundheit somit jeden körperlichen und psychischen Zustand in Relation zu einer konkreten Umwelt. Als wertender Begriff steht das „gesund sein“ dafür, über alle körperlichen und psychischen Voraussetzungen zu verfügen, um selbstständig in einer konkreten Umwelt leben und diese gestalten zu können. Die prakti-sche Funktion des Gesundheitsbegriffs hängt somit zentral vom jeweiligen Bezugsrahmen ab, da der funktionelle Sinn des Gesundheitsbegriffes nur aus der Reflexion des Kontextes seiner Anwendung verstanden werden kann.

So unterscheiden sich die Funktionsaussagen und vor allem die Bewertung hinsichtlich des Überbegriffs Gesundheit grundsätzlich, ob zum Beispiel eine Person in der Lage ist, sich erfolgreich physiologisch und psychologisch unter den Bedingungen einer konkreten Lebensumwelt nach seinen eigenen Bedürfnissen anzupassen oder ob eine Person in der (gesunden) Lage ist, besondere und spezifische Anforderungen in der Ausübung einer be-ruflichen Tätigkeit auszuführen. Um sich mit den Funktionsperspektiven auseinandersetzen zu können, ist es hilfreich, sich die Deutungsfigurationen nach G. Göckenjan (1992) zu ver-gegenwärtigen. Aus seinen Analysen heraus wird Gesundheit aus drei funktionellen Per-spektiven betrachtet:

1. Abgrenzungskonzept: Gesundheit ist eng mit der (bio-)medizinischen Deu-tung, Diagnostik und Klassifikation von Krankheit verknüpft und fokussiert somit grundsätzlich auf eine defizitäre Perspektive des z. B. „noch nicht

krank seins“ oder des „noch nicht schlecht seins“,

2. Funktionsaussage: Gesundheit wird sowohl als Sinnbild der Rollenerfüllung verstanden, d. h. als Leistungs- und Arbeitsfähigkeit in körperlicher und sozi-aler Hinsicht als auch als homöostatische Vorstellung eines gesunden Gleichgewichts oder als flexible Anpassung von Köper und Selbst an sich verändernde Umweltbedingungen und

3. Wertaussagen: Gesundheit definiert sich als das höchste Gut, an dem alles Streben ausgerichtet ist. Diese Perspektive ist eng mit dem Prinzip des

„Healthismus“ assoziiert.

Letztlich können in den Gesundheitswissenschaften über die Lern- und Persönlichkeitstheo-rien, die Stress-Bewältigungs-TheoPersönlichkeitstheo-rien, SozialisationstheoPersönlichkeitstheo-rien, Interaktions- und Sozial-strukturtheorien und Public-Health-Theorien vier interdisziplinär tragfähige Vorstellungen von bio-psycho-sozialer Gesundheit und Krankheit identifiziert werden:

1. die Leitvorstellung von Gesundheit als gelungene und Krankheit als nicht ge-lungene Bewältigung von inneren und äußeren Anforderungen,

2. die Leitvorstellung von Gesundheit als Gleichgewicht und Krankheit als Un-gleichgewicht von Risiko- und Schutzfaktoren auf körperlicher, psychischer und sozialer Ebene,

3. die Leitvorstellung von relativer Gesundheit und relativer Krankheit nach ob-jektiven und subob-jektiven Kriterien und

4. die Leitvorstellung von Gesundheit und Krankheit als Reaktion auf gesell-schaftliche Gegebenheiten (Hurrelmann & Franzkowiak, 2003).

Vor allem die erste Leitvorstellung ist für die Gesundheitswissenschaften im Großen als auch für die Ansätze der Prävention und Gesundheitsförderung in der Arbeitswelt im Klei-nen von herausragender Bedeutung. Sie versteht den Menschen unter Berücksichtigung der komplexen Wechselbeziehungen zwischen biologischen, psychischen, sozialen bzw.

sozial-ökologischen Komponenten als aktives Wesen, das die Kompetenz hat, sich auf der einen Seite produktiv mit inneren und äußeren Anforderungen auseinanderzusetzen und auf der anderen Seite sowohl aktiv Einfluss auf seine eigene Weiterentwicklung als auch auf seine Umwelt nehmen kann (Hurrelmann & Franzkowiak, 2003; Mathe, 2005).

Es ist der salutogenetische Grundgedanke, der in entscheidendem Maße die Modelle der Prävention und Gesundheitsförderung prägt. Durch die Abkehr vom klassischen bio-medizinischen Modell, das eine dichotome und defizitorientierte Sichtweise von (körperori-entierter) Gesundheit und Krankheit verfolgt und den Menschen als passives Objekt be-stimmt, wird Gesundheit zu einem mehrdimensionalen Gestaltungsprozess eines aktives Subjekts unter der Berücksichtigung komplexer Wechselwirkungen zwischen biologischen als auch psychischen und sozial-ökologischen Komponenten (Margraf, 1998; Mathe, 2005).

Um sich diesem salutogenetischen Verständnis und den abgeleiteten präventiven und gesundheitsförderlichen Modellansätzen nähern zu können, ist es förderlich, sich die Grundannahmen der Salutogenese zu vergegenwärtigen, ohne an dieser Stelle auf die wei-terführenden für die Gesunderhaltung wichtigen Bezüge des Kohärenzgefühls und der Wi-derstandsressourcen einzugehen.

Die Salutogenese ist eng mit den Arbeiten in der Stressforschung von A. Antonowsky (1923 – 1994) verbunden. Wurden die salutogenetischen Grundannahmen zu Beginn in erster Linie für die körperliche Gesundheit entwickelt, so konnten sie in den 1990er Jahren auch mit Erfolg auf das Gebiet der seelischen Gesundheit übertragen werden und wurden zum Schlüsselparadigma der Public-Health-Ansätze und somit der präventiven und ge-sundheitsförderlichen Ansätze in der Arbeitswelt (Franzkowiak, 2003a). Bei der Auseinan-dersetzung mit der Gesundheit des Einzelnen geht es nicht um die Gegenüberstellung von Gesundheit versus Krankheit bzw. der Salutogenese versus Pathogenese. Die Salutogene-se versteht sich als eine ganzheitliche Konzeption, die die Fragen nach der KrankheitSalutogene-sent- Krankheitsent-stehung neben den Fragen nach der Erhaltung von Gesundheit mit einschließt.

Ebenso wie die Salutogenese die ganzheitliche Perspektive einer dichotomen Betrach-tung der Lehre von Gesundheit und Krankheit vorzieht, so versteht sie auch Krankheit und Gesundheit nicht als dichotome, sich konträr gegenüberstehende operationalisierbare Ei-genschaften. Gesundheit und Krankheit werden in der Salutogenese als Phänomene ver-standen, die in einem Kontinuum möglicher Zustände simultan, sequenziell und/oder unab-hängig oder abunab-hängig voneinander auftreten können. Es sind grundsätzlich – bis auf das Ultima Ratio Prinzip des Todes – immer Anteile beider Phänomene vorhanden.

Gesundheit ist kein passiver Gleichgewichtszustand, sondern ein labiles, aktives und sich dynamisch regulierendes bio-psycho-soziales Geschehen. Sie ist somit nicht statisch, sondern ein dynamischer Prozess. Wie jedes energetische System ist auch der menschli-che Organismus der stetigen Kraft der Entropie, d. h. der Auflösung ausgeliefert (Franke, 1993). Kein Mensch kann somit hundertprozentig gesund sein. Wird der Tod als absoluter Endzustand von Krankheit begriffen, kann ein Mensch jedoch hundertprozentig krank sein, da die kohärente bio-psycho-soziale Funktionsfähigkeit des Organismus vollends erloschen ist. Der dynamische Charakter des Gesundheits-Krankheits-Kontinuums kann als perma-nent und nie ganz erfolgreich in Richtung Gesundheit beschrieben werden (Franke, 1993;

Franke, 1997).

Abbildung 4: Die unterschiedlichen Betrachtungen der Pathogenese und Salutogenese unter Einbeziehung der Verortung von Prävention und Gesundheitsförderung

(Missal, 2007)

Die Gesundheit des Einzelnen kann in ihrer jeweiligen Ausprägung somit losgelöst vom Krankheitsfokus als aktive und gelungene Bewältigung bio-psycho-sozialer Anforderungen verstanden werden. Übereinstimmend schlagen Hurrelmann und Franzkowiak (2003) fol-gende Definition für die Gesundheit vor:

„Gesundheit ist das Stadium des Gleichgewichts von Risiko- und Schutzfaktoren, das eintritt, wenn einem Menschen eine Bewältigung sowohl der inneren (körperlichen und psychischen) als auch äußeren (sozialen und materiellen) Anforderungen gelingt.

Gesundheit ist ein Stadium, das einem Menschen Wohlbefinden und Lebensfreude vermittelt“ (Hurrelmann & Franzkowiak, 2003, S 54) (siehe Abbildung 5).

Zusätzlich zu den in der Abbildung 5 aufgeführten „inneren Anforderungen“ wird an dieser Stelle noch der Begriff der Kognition hinzugefügt, da die individuellen (und sich auch durch Erfahrung verändernden) „inneren“ Möglichkeiten, Fertig- und Fähigkeiten der Wahrneh-mung und kognitiven Verarbeitung nachhaltigen Einfluss auf die Gesundheitsgestaltung des Einzelnen haben.

Gesundheit ist somit für den Einzelnen mit kohärenter, das heißt sinnhafter, verstehba-rer, handhabbarer und emotional befriedigender Ordnung zwischen inneren und äußeren Anforderungen verbunden. Krankheit hingegen ist mit erstarrter Ordnung und chaotischen Prozessen außerhalb kohärenter Ordnungsmuster verknüpft, womit die Möglichkeiten

verlo-ren gehen, sich an innere und äußere Veränderungen flexibel anpassen zu können (Gerok, 1989; Haken & Schiepek, 2006; Missal, 2004; Schiepek, 1999).

Ebenso wie der menschliche Organismus für sich bzw. in der Wechselwirkung mit seiner sozial-ökologischen Umwelt ein bio-psycho-soziales System ist, ist auch ein Unternehmen ein komplexes (selbstreferentielles) System, dessen Erhalt durch eine dynamische Anpas-sungsfähigkeit an innere und äußere Anforderungen gekennzeichnet ist (Barthelmess, 2001; Deser, 1997; Ellebracht, Lenz & Osterhold, 2009; Haken, 1997; Haken & Schiepek, 2006; Malik, 1996).

Abbildung 5: Gesundheit als Bewältigung von inneren und äußeren Anforderungen (Hurrelmann, 2000)

Ohne an dieser Stelle auf die selbstorganisationstheoretischen Ansätze einzugehen, die sich mit den Gestaltprinzipien von Unternehmen und Wirtschaftssystemen befassen, ist es für die Auseinandersetzung mit dem Thema der Gesundheit in der Arbeitswelt jedoch not-wendig, die Frage zu stellen, was sich hinter der Betrieblichen Gesundheit verbirgt. Jeden-falls sei hier hervorgehoben, dass der menschliche Organismus und dessen Organisations-prinzipien immer wieder dem Design und der Beschreibung lebensfähiger Organisationen als isomorphes Modell in der Managementlehre dienen (Haken & Schiepek, 2006; Lam-bertz, Vandenhouten, Grebe & Langhorst, 2000).

Da es für die Betriebliche Gesundheit bisher keine definitorischen Ansätze gibt, wird für das weitere Verständnis die folgende Begriffsbestimmung eingeführt. Dies ist notwendig, um die Sinn- bzw. Funktionsprinzipien der noch aufzuführenden Ansätze der BGF, des Be-trieblichen Gesundheitsmanagements (im Folgenden BGM) und vor allem des BEM aufzu-führen und untereinander abzugrenzen.

Im holistischen und weiterführenden emergenten Sinne ist die Betriebliche Gesundheit etwas qualitativ anderes als die Summe der Gesundheit der Beschäftigten. Die Betriebliche Gesundheit wird als derjenige Gestaltungsprozess definiert, der auf Basis der

unterneh-Gesundheit als gelungene Bewältigung

innerer und äußerer

mensspezifischen Potenziale die Leistung (Bereitschaft und Fähigkeit) des Unternehmens bestimmt, sich flexibel und dynamisch sowohl an innere als auch äußere Veränderungen

mensspezifischen Potenziale die Leistung (Bereitschaft und Fähigkeit) des Unternehmens bestimmt, sich flexibel und dynamisch sowohl an innere als auch äußere Veränderungen