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Die Gesellschaft gibt für alle Bereiche und Systeme unserer Kultur, also auch für den Sport, Rahmenbedingungen vor, die mittels der mit ihnen verbundenen Prä-missen und Postulate direkt oder indirekt Einfluss auf bestimmte soziale Ver-haltensmuster und Handlungsabläufe nehmen. Wie oben bereits angedeutet lässt sich daher vermuten, dass Doping, sprich die bewusste irreguläre Einnahme leistungsfördernder Medikamente, kein sportspezifisches Phänomen darstellt, sondern auf spezifische Bedingungen unserer Gesellschaft rückführbar ist. So weist Digel (1990) auf den Zusammenhang zwischen gesellschaftlichen Werten und dem Sport als ein Teilsystem der Gesellschaft hin. Er macht in diesem Kontext neben den neuen Bedürfnislagen ethisch-moralische Veränderungen für einen möglichen mit der Dopingproblematik in Relation stehenden Wertewandel im Sportsystem verantwortlich. Denselben Ansatz verfolgen Bette & Schimank. Für sie hat, obwohl Doping seit jeher im Sport verwurzelt ist, erst die Ausdifferenzierung des Hochleistungssports als Teilsystem unserer Gesellschaft die Voraussetzungen für die Entwicklung der Dopingszene geschaffen (vgl. 1995, S. 21-22).

In diesem Abschnitt werden daher bestimmte gesellschaftliche Rahmen-bedingungen vorgestellt und beleuchtet, die mit der Entwicklung und Entstehung des Phänomens Doping in engem Zusammenhang stehen. Des Weiteren be-handelt das folgende Kapitel das Problem der Sanktionierung von Dopingver-gehen. Dabei wird davon ausgegangen, dass Doping als unerwünschtes Verhalten im Sport ähnlich zu beurteilen und folglich auch zu sanktionieren ist wie alle anderen von unserer Gesellschaft als kriminell und illegal eingestuften Hand-lungen.

Wie bereits skizziert sind die Gesellschaft und das jeweiligen Verhalten der zu dieser Gesellschaft gehörenden Personen geprägt von spezifisch gültigen Werten.

Diese können sozialpsychologisch als durch die Kultur bestimmte, innerpsychische Ordnungskonzepte verstanden werden, welche eine Orientierungsleitlinie für das Verhalten darstellen (vgl. Kmieciak, 1976, S. 43). Nun ließ sich in der gesamten westlichen Welt in den letzten Jahrzehnten ein Wertewandel feststellen, von dem auch der Sport als ein Teilsystem unserer Gesellschaft betroffen ist. Nach Digel lassen sich darüber hinaus Werte als die „letztendlich entscheidenden

Steuerungs-größen des menschlichen Handelns interpretieren“ (1986, S. 22). Somit unter-scheiden sich Werte von Bedürfnissen, die eher etwas Biologisches repräsentieren. Hepp beschreibt, dass der Wertewandel enorme qualitative und normative Verwerfungen mit sich brachte: „Traditionelle normative Orientierungen, Einstellungen und Verhaltensmuster verloren an Bedeutung, es fanden Gewichts-verlagerungen und Neuakzentuierungen statt“ (vgl. 2001, S. 31).

Zusammengefasst können nach Hepp drei unterschiedliche Konzeptionen des Wertewandels festgelegt werden: die Postmaterialismustheorie von Inglehart, die kulturpessimistische Thesevon Noelle-Neumann, die einen seit 1968 kontinuierlich voranschreitenden Werteverfall postuliert und der von Klages begründete Ansatz des „mittleren Wegs“. Die Postmaterialismustheorie von Inglehart unterstellt einen Wertewandel von materialistischen zu postmaterialistischen Werten (vgl. Hepp, 2001, S. 31) und interpretiert diesen als positiven Fortschritt hin zu einem qualitativ höheren kulturellen und politischen Entwicklungsniveau. Auf der Basis einer hohen individuellen Mobilisierung wird laut Inglehart über eine hohe Engagementbereit-schaft der Durchbruch in Richtung umfassend partizipativer und freiheitlicher Ziele geschafft. Im schroffen Gegensatz zu dieser Theorie vertritt Noelle-Neumann in ihrer kulturpessimistischen These den seit 1968 kontinuierlich fortschreitenden Werteverfall (vgl. Noelle-Neumann & Petersen, 2001, S. 20). Dieser dokumentiert sich dementsprechend in negativen Tendenzen wie Bindungsverluste an Gemein-schaften, an Religion und Kirche, allgemeine Infragestellung von Autoritäten und Hierarchien, Erosion der Sekundärtugenden und der bürgerlichen Arbeits- und Leistungsethik, individuelle Anspruchinflation, abnehmender Gemeinsinn und sinkende Bereitschaft zum politischen Engagement. Der von Klages begründete Ansatz des „mittleren Wegs“ beschreibt einen Trend von Pflicht- und Akzeptanz-werten hin zu SelbstentfaltungsAkzeptanz-werten (vgl. Klages, 2001, S. 8). Von der kultur-pessimistischen These unterscheidet ihn allerdings die Ablehnung des Theorems des Wertewandels als genereller Werteverfall. Vielmehr sieht Klages eine Ambivalenz des Wertewandels, der sowohl Risiken als auch Chancen, sowohl Ver-luste als auch Gewinne einschließt. In seinem Ansatz bekommt das Bedürfnis des Individuums, das Subjekt des eigenen Handelns zu sein, eine hohe Präferenz.

Persönliche Motivation, individuelle Überzeugungen, das Bedürfnis nach persön-licher Autonomie und Mitbestimmung, der eigene Handlungsspielraum werden im

Hinblick auf Leistung, Normbefolgung oder die Übernahme von Rollenpflichten handlungsbestimmend (vgl. Hepp, 2001, S. 31-32).

Auch in allen gängigen Untersuchungen über das Verhalten von Jugendlichen in Deutschland werden Werte zum wesentlichen Element der jugendlichen Lebens-welt erhoben. Dabei wird allerdings weniger darauf abgezielt, einen gewissen Wertewandel nachzuweisen, als vielmehr eine Art „kollektives Klima” zu be-schreiben, das als Rahmenbedingung Grundlage für bestimmte Verhaltensweisen Jugendlicher ist (vgl. Silbereisen, Vaskovics & Zinnecker, 1996, S. 41). Auffällig ist dabei, dass etwa Ergebnisse der 13. Shell-Studie insbesondere die oben skizzierte Theorie von Klages unterstützen. Laut dieser Untersuchung sind einerseits hedonistisch-materialistische Werteorientierungen deutlicher stärker ausgeprägt als bei Erwachsenen, andererseits kann ein Mega-Trend in Richtung auf individualistische Selbstentfaltungswerte vor allem bei Jüngeren nachgewiesen werden. Der grundgültige, allgemein verbindliche alte „Wertehimmel“ wird nach Fritsche (2000) durch das Kantsche „moralische Gesetz in mir“ ersetzt, in dem persönliche Werte eine Entwicklung erfahren. Der Begriff der Werteinflation be-zeichnet hierbei nicht den Prozess eines Werteverfalls, sondern den beobacht-baren Zerfall der intrapersonellen, d.h. lebenssituationsübergreifenden Dauer-haftigkeit und überindividuellen Gültigkeit (vgl. Fritsche 2000, S. 155). Dieser An-spruch auf Selbstständigkeit und Eigenverantwortung wird mittlerweile noch durch ein auf das lebensweltliche Umfeld zugeschnittenes Schul- und Hochschul-programm verstärkt. Digel spricht in diesem Zusammenhang von einem Werte-pluralismus, durch den eine Art „Wertunsicherheit“ geschaffen wurde (vgl. 1990, S.

62), während Spitzer in diesem Kontext darauf verweist, dass die konkreten Lebensbedingungen und nicht ethische Werte unsere Entscheidungen bestimmen (vgl. 2004, S. 360). Die teilweise verknüpften Lebensbereiche von Ausbildung, Be-ruf, Familie und Freizeit geraten so zur Aufgabe eines situationsadäquaten Selbst-managements der persönlichen Biografie, die sich nicht mehr auf allgemein ver-bindliche Orientierungen oder lineare Karriereverläufe verlassen kann. In dieser Arbeit wird daher noch zu zeigen sein, wie und auf welche Weise die aktuell für die junge Generation gültigen Werte und Normen mit deren Verhältnis zum Thema Doping korrelieren.