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8. Diskussion der Ergebnisse, Gesamtbeurteilung

8.3 Gesamtbeurteilung und Ausblick

In dem vorliegenden Projekt konnten erstmalig genauere Erkenntnisse zu den Hintergründen und Rahmenbedingungen nicht-leitliniengerechter Verschreibung von Benzodiazepinen und Z-Substanzen aus Sicht der Patientinnen und Patienten sowie der beteiligten Professionen gewon-nen werden. Diese Medikamente werden den Betroffegewon-nen über erheblich längere Zeiträume verschrieben als vorgesehen. Dies geschieht in der Regel in niedriger Dosierung, wobei insbe-sondere die Patientinnen und Patienten mit leitlinienabweichenden Verschreibungen eine Zu-nahme an Beschwerden und Symptomen sowie an Nebenwirkungen gegenüber dem Beginn der medikamentösen Behandlung angeben. Die Hälfte der Befragten spürt im weiteren Behand-lungsverlauf allerdings keinerlei Nebenwirkungen bzw. es ist davon auszugehen, dass die ab-gefragten Beschwerden und Zustände nicht mit der Medikamenteneinnahme in Zusammenhang gebracht werden. Dies deutet auf eine insgesamt akzeptable Verträglichkeit der Medikamente, was vor dem Hintergrund einer hoch eingeschätzten Notwendigkeit und weit verbreiteten Er-wartung einer lebenslangen Einnahme bedeutsam ist. Aus Sicht der beteiligten Ärztinnen und Ärzte und Pflegekräfte ist gegenüber Absetzversuchen in höherem Lebensalter Vorsicht gebo-ten. Von Patientenseite wird betont, wie selten das Absetzen der Medikamente in den ärztlichen Konsultationen thematisiert wird.

Bemängelt wird von den Patientinnen und Patienten auch, dass die vorrangig gegen Schlafstö-rungen erfolgende Verordnung nicht dazu Anlass gibt, von Seiten der Ärztinnen und Ärzte die Ursachen der Symptomatik genauer zu thematisieren. Da die Befragten aktuell deutlich häufi-ger Schlafstörungen angeben als zu Beginn der Behandlung mit Benzodiazepinen und Z-Sub-stanzen, ist kritisch zu diskutieren, warum eine langfristige Verordnung dieser Medikamente beibehalten wird und inwieweit sie bei einer Langzeiteinnahme selbst zu einer schlechten Schlafqualität beitragen könnten.

Wenngleich unter Patientinnen und Patienten mit leitliniengerechten Verschreibungen ver-mehrt psychische Symptome als Indikation zugrunde liegen, fällt auf, dass sich diese Patien-tengruppe hinsichtlich ihres aktuellen körperlichen oder psychischen Gesundheitszustands kaum von jenen mit leitlinienabweichenden Verordnungen unterscheidet. Dies bedeutet, dass etwaige Schlussfolgerungen zu Zusammenhängen zwischen der (vermeintlichen) Notwendig-keit von Langzeitverschreibungen von Sedativa oder Hypnotika und dem gesundheitlichen Be-finden (unter älteren Menschen) nicht zu ziehen sind. Dennoch ist zu betonen, dass unter den Befragungsteilnehmern der Anteil an Personen mit einem problematischen Medikamentenge-brauch überproportional hoch ist – und dies in größerem Maße unter jenen mit leitlinienabwei-chenden Verschreibungen. Und hier zeigen sich die erwarteten Zusammenhänge, dass die prob-lematischen Medikamentengebraucher verstärkt unter psychischen Symptomen und Nebenwir-kungen leiden, wobei von ihnen zusätzlich vermehrt Schmerzmittel eingenommen werden.

Stellt man den KFM als Messinstrument für problematischen Medikamentengebrauch nicht in-frage, so lässt sich insgesamt schlussfolgern, dass unter älteren Menschen mit BZD- oder Z-Substanz-Verschreibungen die Schwelle problematischer Medikation oft überschritten wird und auf ein generelles Problem der Medikalisierung vorwiegend psychischer Symptome und Beschwerden verweist. Diese Problematik kann nicht allein der Ärzteschaft zugeschrieben wer-den, sondern fordert eine umfassende Lösung im Gesundheits- und Fürsorgewesen für von Schlafstörungen und psychischen Symptomen betroffenen älteren Menschen heraus.

Für den Bereich der Verschreibung von BZD und Z-Substanzen für ältere Menschen wurde erstmalig eine ärztliche Gruppenschulung zur Risikokommunikation der partizipativen Ent-scheidungsfindung konzipiert und durchgeführt. Die Intervention zielt auf Seiten der Ärztinnen und Ärzte auf eine Verbesserung von kommunikativen Kompetenzen und eine partnerschaftli-che Behandlung mittels PEF. Auf Seiten der Patientinnen und Patienten wurden Informationen entwickelt, die Vor- und Nachteile von BZD und Z-Substanzen und nicht pharmakologische alternative Behandlungsmöglichkeiten darstellen.

Das Konzept wurde insbesondere auf die Behandlung von Schlafproblemen und Angstzustän-den bei älteren Menschen angepasst und ist somit indikationsspezifisch. Das erstellte Programm kann eine Grundlage für weitere Indikationen bilden, bei denen eine Reduktion problematischer Medikamentenverordnungen angestrebt wird. Das Konzept wurde durch die teilnehmenden Ärztinnen und Ärzte im Allgemeinen positiv bewertet und liefert einerseits wichtige Hinweise zu Akzeptanz und Interesse hinsichtlich des PEF-Ansatzes, andererseits werden Versorgungs-lücken (bspw. Überforderung im Umgang mit älteren Patienten oder fehlendes Wissen zu phar-makologischen Alternativen) sichtbar. Hier ist der Bedarf an alternativen pharphar-makologischen und nicht-pharmakologischen Therapien groß. In weiteren Studien sollte daher die Schulung um diese Inhalte erweitert werden. Ferner sollte zwischen der Erst- und der Langzeitverschrei-bung von BZD und Z-Substanzen unterschieden werden. Da PEF eine klare Indikation voraus-setzt, eignet sie sich für die Erstverschreibungssituation, bei der Patientinnen und Patienten nach einer Behandlung ihrer Symptome suchen. Bei der Behandlung der Langzeiteinnehmer sollte im Rahmen eines PEF-Gespräches ein Zwischenschritt erfolgen, bei dem die bestehende Indikation klarer besprochen wird und im Prozess nach einer risikoarmen Therapie geschaut wird. Diese Unterscheidung sollte im weiteren Ausbauprozess des Schulungskonzeptes berück-sichtigt werden.

Um die Wirksamkeit einer ärztlichen Schulung zu überprüfen und dem Standard der evidenz-basierten Medizin gerecht zu werden, wäre es sinnvoll, an die Ergebnisse der vorliegenden Evaluation anzuknüpfen und patientenseitig mit dem ursprünglich geplanten randomisiert-kon-trolliertem Studiendesign zu evaluieren. Die entwickelte Patienteninformation wurde seitens der kleinen Gruppe von befragten Patientinnen und Patienten bewertet und erwies sich als nütz-lich, verständnütz-lich, klar und übersichtlich. Zudem bewerteten die Befragten sie bezgl. Aufklä-rung und Hilfestellung als gut bis sehr gut. Es ist somit davon auszugehen, dass die Patienten-information einen potentiellen informativen Nutzen für ältere Menschen hat. Die ursprüngliche Vermutung, mit den Materialien auch die Verschreibung bzw. den Konsum zu beeinflussen, konnte nicht überprüft werden, da diese Auswertung aufgrund der geringen Stichprobe nicht möglich war. Trotz der tendenziell positiven Bewertung der entwickelten Intervention (Schu-lung und Patienteninformation) könnten weitere Verbesserungen in der Berücksichtigung ver-schiedener Gesprächssituationen (Erst- und Langzeitverordnungen) liegen. Die Optimierung der Effektivitätsprüfung benötigt eine größere Stichprobe, also zusätzliche Zugangswege zu den älteren Patientinnen und Patienten (Pflege- und Altenheime). Ein Design für eine derartige Studie wurde oben vorgestellt und kann – nach Überwindung der genannten Rekrutierungs-probleme – genutzt werden.

Die Ergebnisse deuten das Potential von Möglichkeiten an, die Versorgung zu verbessern, wenn Risikokommunikation basierend auf PEF zwischen Ärztinnen bzw. Ärzten und Patientinnen bzw. Patienten praktiziert wird. Das vorliegende Projekt kann den Weg für eine innovative Versorgungsforschung in einem bislang unzureichend berücksichtigten Bereich ebnen.