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2 Theoretischer Hintergrund

2.2 Selbstkonzept

2.2.3 Genese akademischer Selbstkonzepte

2.2.3.1 Die Theorie sozialer Vergleichsprozesse

Grundlage der Theorie sozialer Vergleichsprozesse nach Festinger (1954) ist die Hypothese, dass Menschen das Motiv besitzen, ihre eigenen Meinungen und Fähigkei-ten zu bewerFähigkei-ten. Dazu führen sie Vergleiche mit anderen Personen durch, und zwar vor allem dann, wenn sie unsicher bezüglich ihrer eigenen Meinungen und Fähigkeiten sind.

Diese Vergleiche können sowohl anhand von objektiven Kriterien (z.B. durch physikali-sche oder psychologiphysikali-sche Messungen) als auch anhand von sozialen Kriterien (z.B. Ver-gleich der eigenen Leistungen mit denen anderer Personen) vorgenommen werden.

Festinger geht dabei von zwei zentralen Annahmen aus: Zum einen verursachen fehlen-de objektive und soziale Kriterien für Vergleiche ein erhöhtes Maß an kognitiver Unsi-cherheit. Zum anderen ziehen Personen grundsätzlich objektive Kriterien sozialen Krite-rien vor. Diese zweite Annahme konnte in zahlreichen Studien widerlegt werden. So konnte beispielsweise Miller (1977) anhand eines Experimentes zeigen, dass die Ten-denz, soziale Bewertungskriterien zu wählen, umso stärker wurde, je attraktiver und wichtiger die Bezugsgruppe für die vergleichende Person war bzw. je personenorientier-ter die Person insgesamt war.

Ein weiterer zentraler Punkt in der Theorie sozialer Vergleichsprozesse ist die Ähnlichkeitshypothese: Vergleichen Personen ihre Fähigkeiten und Meinungen mit de-nen anderer Persode-nen, so suchen sie sich in der Regel solche Persode-nen aus, die ihde-nen in den relevanten Attributen am ähnlichsten sind.

Ebenfalls eine wichtige Rolle in Festingers Theorie spielt die Hypothese, dass der Mensch stets nach der Verbesserung seiner eigenen Leistungen (nicht jedoch seiner ei-genen Meinung) strebt. Dieses Bestreben resultiert daraus, dass Personen mit besseren Leistungen von ihrer Umwelt auch besser beurteilt werden.

Schließlich geht Festinger in seiner Theorie davon aus, dass der Mensch bestrebt ist, Meinungsdiskrepanzen mit anderen Menschen zu verringern. Dies kann entweder dadurch geschehen, dass er seine Meinung der anderer anpasst (in der Regel, wenn er in der Minderheit ist), oder aber dadurch, dass er versucht, andere von seiner Meinung zu überzeugen (in der Regel dann, wenn er die Mehrheitsposition vertritt).

Vor allem Festingers Annahmen und Hypothesen zum Vergleich der eigenen Leis-tungen mit denen anderer können Wirkungsmechanismen bei der Genese akademischer Selbstkonzepte erklären. Dies gilt für die Selbstkonzeptgenese generell, in ganz beson-derer Weise jedoch nach dem Übergang in eine neue Bezugsgruppe, also beispielsweise nach dem Grundschulübergang: Schüler haben grundsätzlich das Motiv, ihre eigenen

Leistungen zu bewerten. Um dies zu erreichen, führen sie Leistungsvergleiche durch.

Die Ergebnisse dieser Leistungsvergleiche beeinflussen dann das Selbstkonzept der Schüler. Nach einem Bezugsgruppenwechsel sind die Schüler besonders unsicher be-züglich ihrer eigenen Leistungen beziehungsweise ihrem relativen „Rangplatz“ inner-halb der neuen Klasse. In diesem Zustand der Unsicherheit wird laut Festingers Theorie das Motiv, die eigenen Fähigkeiten zu vergleichen und zu verorten, besonders stark, so dass hier vermutlich verstärkt Leistungsvergleiche vorgenommen werden, deren Ergeb-nisse sich dann auf das Selbstkonzept der Schüler auswirken. Da den Schülern vor al-lem zu Beginn des neuen Schuljahres nur begrenzt objektive Kriterien (z.B. Klassenar-beiten) zur Bewertung der eigenen Leistungen zur Verfügung stehen, ist davon auszuge-hen, dass sich die Schüler unmittelbar nach dem Grundschulübergang in erster Linie mit anderen Schülern vergleichen, also soziale Kriterien nutzen. Dabei ist die relevante Ver-gleichsgruppe diejenige, die von den Schülern als die ihnen am ähnlichste wahrgenom-men wird, was in der Regel die Mitschüler der eigenen Klasse oder bestenfalls der eige-nen Schule sind und nicht etwa alle Schüler der gleichen Alters- bzw. Klassenstufe. Im dreigliedrigen deutschen Schulsystem hat das zur Folge, dass die Leistungsvergleiche in den leistungshomogeneren weiterführenden Schulformen andere Ergebnisse haben als die in der leistungsheterogenen Grundschule. Darauf wird noch genauer in Kapitel 2.2.4 eingegangen.

2.2.3.2 Das Internal/External-frame-of-reference-Modell

Das zentrale Modell zur Genese akademischer Selbstkonzepte im pädagogisch-psychologischen Bereich ist das Bezugsrahmenmodell (Internal/External-frame-of-reference-Modell, kurz I/E-Modell) nach Marsh (1986). Ausgehend von dem erweiter-ten Shavelson-Modell, das eine verbale und eine mathematische Facette des akademi-schen Selbstkonzepts beinhaltet, und dem Befund, dass sich diese beiden Selbstkonzept-facetten in Untersuchungen nahezu unkorreliert zeigen (Marsh, 1984), nimmt das I/E-Modell zwei wesentliche Informationsquellen für die Bildung akademischer Selbstkon-zepte an:

Die erste Informationsquelle über die eigenen Leistungen sind – wie in der Theo-rie sozialer Vergleichsprozesse – interindividuelle bzw. soziale Vergleiche, bei denen die

Schüler ihre Leistungen in einem Fach mit denen ihrer Mitschüler vergleichen. Dieser external frame of reference zeigt sich in seiner Bedeutung vor allem dadurch, dass die Leistungen und die Selbstkonzepte in einem Fach in der Regel deutlich miteinander korreliert sind (Möller & Köller, 2004).

Die zweite Informationsquelle sind intraindividuelle bzw. dimensionale Verglei-che, die die Schüler durchführen, d.h. Schüler vergleichen ihre Leistungen in einem Fach mit ihren Leistungen in einem anderen Fach. Dieser internal frame of reference erklärt laut Marsh (1986) die niedrigen Korrelationen zwischen der verbalen und der mathematischen Selbstkonzeptfacette. Häufig zeigt sich in Analysen fachspezifischer Selbstkonzepte auch noch ein weiteres Befundmuster, das diese dimensionalen Verglei-che demonstriert: Betrachtet man die Regressions- oder Pfadkoeffizienten der Leistun-gen in dem einem Fach auf das Selbstkonzept in dem anderen Fach bei Kontrolle der Leistungen in diesem anderen Fach, so sind diese häufig negativ (z. B. Faber 1992; Köl-ler, Daniels, Schnabel & Baumert, 2000; Marsh, 1986; Möller & KölKöl-ler, 2001; Skaalvik

& Rankin,1995).

Das Internal/External-frame-of-reference-Modell konnte in zahlreichen Studien nachgewiesen werden. Ein ausführlicher Überblick über diese Studien findet sich bei Möller und Köller (2004).