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2 Theoretischer Hintergrund

2.2 Selbstkonzept

2.2.4 Bezugsgruppeneffekte auf das Selbstkonzept

Soziale Vergleichsprozesse bzw. der external frame of reference können in Bezug auf die Entwicklung von Fähigkeitsselbstkonzepten verschiedene Bezugsgruppeneffekte bedingen. Veränderungen des Selbstkonzepts auf Grund dieser Bezugsgruppeneffekte sind in erhöhtem Maße dann zu erwarten, wenn sich die Bezugsgruppe ändert. Dies ist im deutschen Schulsystem vor allem an zwei Stellen der Fall: das erste Mal, wenn die Schüler von der leistungsheterogenen Grundschule in die leistungshomogeneren Schul-formen des leistungsdifferenzierten Sekundarstufensystems übergehen, und das zweite Mal, wenn Gymnasiasten in die noch einmal weiter leistungsdifferenzierten Leistungs-kurse der Oberstufe wechseln. Für die vorliegende Arbeit sind vor allem der Big-Fish-Little-Pond-Effekt sowie der Basking-In-Reflected-Glory-Effekt von Bedeutung. Ein drittes Phänomen, der Cutting-Of-Reflected-Failure-Effekt, kann theoretisch ebenfalls

das Selbstkonzept am Übergang beeinflussen. Da dieser Effekt jedoch bisher wenig er-forscht ist und zudem eher bei leistungsschwächeren Schülern auftreten sollte, die auf eine niedrigere Schulform wie die Hauptschule wechseln und die nicht im Fokus dieser Untersuchung stehen, wird dieser Effekt hier nicht näher beschrieben.

2.2.4.1 Der Big-Fish-Little-Pond-Effekt

Marsh (1987, 1990a; auch Marsh & Craven, 1997; Marsh, Kong & Hau, 2000) beschreibt einen Kontrasteffekt auf das Selbstkonzept, den er – in Anlehnung an Davis’

(1966) Frog Pond – als Big-Fish-Little-Pond-Effekt (BFLPE) bezeichnet und der im Wesentlichen besagt, dass sich die mittlere Leistungsstärke einer Lerngruppe negativ auf das Selbstkonzept des einzelnen Schülers auswirkt. Auslöser für diesen Effekt sind soziale Vergleichsprozesse unter Schülern, also der external frame of reference. Schüler vergleichen ihre Leistungen mit denen ihrer Mitschüler und integrieren die Ergebnisse dieser Vergleiche in ihr Selbstkonzept. Dies hat für Schüler gleicher Leistungen in un-terschiedlich starken Leistungskontexten unun-terschiedliche Konsequenzen: Ein Schüler mit mittleren Leistungen wird in einem leistungsstarken Lernumfeld (wie es beispiels-weise im deutschen Sekundarstufensystem das Gymnasium darstellt) eher am unteren Ende der Leistungsverteilung lokalisiert sein. Vergleicht sich dieser Schüler nun mit seinen Mitschülern, sollte er vergleichsweise häufig zu negativen Ergebnissen kommen, was sich in der Folge negativ auf sein Selbstkonzept auswirkt. Ein anderer Schüler, der sich mit den gleichen Leistungen in einer leistungsschwachen Lerngruppe befindet, in der er eher zur Leistungsspitze gehört, wird bei Leistungsvergleichen mit seinen Mit-schülern häufiger positiv abschneiden, was sich günstig auf sein Selbstkonzept auswir-ken sollte.

Dieser Bezugsgruppeneffekt ist in verschiedenen Studien im deutschen Schulsys-tem nachgewiesen worden (z.B. Schwarzer, Lange & Jerusalem, 1982; Köller, 2004a;

für die Grundschule vgl. Zeinz & Köller, 2006). Für den Übergang von der Grundschule in die weiterführenden Schulformen wurde der BFLPE erstmals von Schwarzer et al.

(1982) gezeigt. Die Autoren zeigten, dass Schüler, die auf das Gymnasium wechseln, zum Zeitpunkt des Übergangs ein höheres Fähigkeitsselbstkonzept haben als Schüler, die auf die Hauptschule wechseln. Dieser Unterschied verringert sich jedoch schon in

den ersten Monaten auf der weiterführenden Schule und die Selbstkonzepte nähern sich im Mittel zum Ende des ersten Schuljahres auf der weiterführenden Schule an. Schwar-zer et al. (1982) erklären dies damit, dass für die Bildung des Selbstkonzeptes nur die Leistung innerhalb einer eng begrenzten und für die Schüler leicht zu überschauenden Gruppe von Mitschülern relevant ist und nicht die der gesamten Altersgruppe. Dies ist mit der Ähnlichkeitshypothese der Theorie sozialer Vergleiche nach Festinger (1954) in Einklang, bei der davon ausgegangen wird, dass sich Personen vor allem mit solchen Mitmenschen vergleichen, die ihnen in den relevanten Attributen am ähnlichsten sind.

2.2.4.2 Der Basking-In-Reflected-Glory-Effekt

Soziale Vergleiche können in Bezug auf das Selbstkonzept nicht nur einen Kon-trasteffekt wie den BFLPE verursachen, sondern auch einen Assimilationseffekt (Marsh, Kong & Hau, 2000; Marsh, 1984). Dieser so genannte Basking-In-Reflected-Glory-Effekt (BIRGE; Cialdini et al., 1976) führt bei Schülern leistungsstarker Bezugsgruppen zu einer genau gegenteiligen Entwicklung des Selbstkonzepts als der BFLPE: Die Schü-ler nehmen ihre Bezugsgruppe als besonders positiv wahr und fühlen sich gleichzeitig als Teil dieser Gruppe. Dadurch strahlen die positive Wahrnehmung und Bewertung der Leistungsfähigkeit der Gruppe auf die eigene Selbstwahrnehmung und Selbstbewertung aus, was in der Folge zu einem Anstieg des Fähigkeitsselbstkonzepts führt. Der Effekt sollte demnach vor allem dort auftreten wo sich Schüler in einem – ihrer Einschätzung nach – leistungsstarken, angesehenen Umfeld befinden, also z.B. in leistungsstärkeren und prestigeträchtigeren Schulen (Gymnasien) des leistungsdifferenzierten Schulsys-tems oder in besonderen Klassen innerhalb einer Schule.

Empirische Studien liegen in größerer Zahl für den Big-Fish-Little-Pond-Effekt vor als für den Basking-In-Reflected-Glory-Effekt. Es gibt jedoch auch Studien, die bei-de Effekte berücksichtigen: Trautwein, Lüdtke, Marsh und Nagy (2009) untersuchten anhand dreier verschiedener Datensätze von Sekundarstufen-II-Schülern den Einfluss des wahrgenommenen Ansehens der eigenen Klasse bzw. Schule („perceived class/school standing“) auf das mathematische Selbstkonzept der Schüler. Dabei be-rücksichtigten sie sowohl die Individualebene als auch die Klassen- und Schulebene. In allen drei Studien konnte auf der Individualebene – neben einem negativen

Kontrastef-fekt (BFLPE) – auch ein positiver AssimilationsefKontrastef-fekt (BIRGE) nachgewiesen werden.

In zwei der Studien zeigte sich zudem ein Assimilationseffekt auf Klassenebene (in der dritten Studie wurde anstelle der Klassenebene die Schulebene in die Analysen einbezo-gen, hier zeigte sich der positive Assimilationseffekt nicht). Marsh et al. (2000) unter-suchten das Selbstkonzept von High School-Schülern in Hong Kong, wo High Schools hoch selektive Schulen sind. Marsh et al. (2000) fanden hier sowohl den Kontrast- als auch den Assimilationseffekt, allerdings erwies sich der negative Einfluss der hohen Leistungsstärke einer Schule auf das Selbstkonzept der Schüler (BFLPE) insgesamt als stärker als der positive Einfluss des wahrgenommenen Ansehens der Schule (BIRGE), so dass sich der Besuch einer leistungsstarken Schule unter dem Strich negativ auf das Selbstkonzept der Schüler auswirkte. Zu einem anderen Ergebnis kamen Trautwein, Köller, Lüdtke und Baumert (2005) bei ihrer Untersuchung des relativen Gewichts der beiden Bezugsgruppeneffekte in den Leistungskursen der gymnasialen Oberstufe. Bei Schülern im Leistungskurs Mathematik machte sich der positive BIRGE auf das Selbst-konzept in Mathematik stärker bemerkbar als der negative BFLPE.

2.2.5 Forschungsdesiderate hinsichtlich der Selbstkonzeptentwicklung nach dem