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Gemeinschaftliche Bindungen als zu integrierender Bestandteil liberaler Theorie

bindet, in diesen Vorschlägen nicht vorgesehen. Die Gewährleistung der vorgesehen Verteilungsziele wäre nicht sichergestellt.

Allerdings können die vorgeschlagenen Systeme so nicht angenommen werden. Rawls Versuch eines universalistischen Systems schafft die Integration sämtlicher Partikularitäten nur unzureichend. Es werden Annahmen über das Individuum getroffen, die aus einer liberalen Grundposition, mit der Berücksichtigung sämtlicher möglicher Pluralitäten des Menschen, als unplausibel gelten müssen. Sens substantiellere Beschreibung des Individuums hingegen ist in seiner Argumentation nicht für die Legitimation eines Systems mit universalistischem Anspruch geeignet. Daher scheint es nahe zu liegen, das Verhältnis von Universalität und Partikularität aus einem anderen Blickwinkel zu betrachten, als die bis jetzt besprochen Liberalen es getan haben.

Schließlich haben die bisher beschriebenen Ansätze auf der einen Seite, wie bei den Libertären, durch eine zu anspruchslose Ausgangsbasis, die dem Individuum nicht gerecht wird, nicht überzeugt. Auf der anderen Seite konnte durch zu einschränkende Annahmen über das Individuum, wie bei Rawls, keine allgemeine Gültigkeit erreicht werden. Daher soll nun ein Ansatz betrachtet werden, der das Verhältnis anders auslotet. Die kommunitaristische Position Michael Walzers zieht die bisherigen liberalen Grundannahmen der Rechtfertigung eines Systems vor dem einzelnen Individuum in Zweifel.

IV. Solidarität in der politischen Gemeinschaft: Die kommunitaristische Position von Michael Walzer

1. Gemeinschaftliche Bindungen als zu integrierender Bestandteil liberaler

gerade in der Ausübung von Zugehörigkeit und der Herstellung von Bindungen und nicht im Aufeinandertreffen vollkommen isolierter und egoistisch handelnder Individuen.91

Die liberale Argumentation stützt sich auf den Freiheitsbegriff. Freiheit bedeutet die Loslösung von allen Bindungen, die man nicht selbst gewählt hat. Demnach zeichnen sich die Individuen in der liberalen Theorie allein durch ihren Willen aus. In einem Natur- oder Urzustand akzeptieren sie Verpflichtungen nur aufgrund der Minimierung ihres persönlichen Risikos. Somit ist der Liberalismus aber auch eine sich selbst unterlaufende Forderung. Schließlich setzen sich liberale Vorstellungen gerade für die Stabilisierung des menschlichen Verhaltens in einem System ein.

Damit stimmt eine Loslösung von jeglichen Bindungen jedoch gerade nicht überein. Die Benennung individueller Rechte, von der Vereinungs- bis zur Redefreiheit, bedeutet stattdessen die Festlegung auf bestimmte gemeinschaftlich geteilte Auffassungen. Diese führen wiederum dazu, dass Gemeinschaft ausgeübt werden kann und nicht zur Abschaffung jeglicher Bindungen.92

Um die liberalen Fehlannahmen weitergehend zu erläutern, lässt sich die Tatsache unfreiwilliger Gemeinschaften beschreiben. Die liberale Versprechung beinhaltet die Sicherung der individuellen Autonomie und die Befähigung der Individuen ihre Lebenszustände zu wählen. Es soll eine Gesellschaft entstehen von freien und mobilen Menschen, die in diesen Eigenschaften gleich sind. Diese Vorstellung ist jedoch irreführend, weil die Menschen und ihre Entscheidungen Einschränkungen unterworfen sind, den der unfreiwilligen Gemeinschaften. Als erstes sind dafür die sozialen und familiären Bindungen zu nennen. Hierzu können religiöse Orientierungen zählen, genauso wie der soziale Status und die politische Orientierung der Eltern. Es ist zwar richtig, dass Menschen sich ab einem gewissen Alter auch gegen diese Bindungen entscheiden können, mit der Geburt sind dies aber erst einmal Gegebenheiten und erst später werden sie zu Gegenständen freier Wahl. In vielen Fällen fällt die Wahl jedoch bewusst oder unbewusst für die gegebenen Bindungen aus. Oft schaffen es die Nachkommen von Eltern bestimmter sozialer Klassen nicht, diese zu verlassen. Auch wenn es Entscheidungen gibt, welche dann Unabhängigkeit von den ursprünglichen sozialen Gegebenheiten bedeuten, beispielsweise die Wahl für oder gegen eine bestimmte religiöse Gemeinschaft, werden diese nie das ganze Spektrum aller gegebenen sozialen Zugehörigkeiten betreffen. Bestimmte Solidaritäten bleiben mit hoher Wahrscheinlichkeit bestehen. Außerdem ist zu sehen, dass die Entscheidungen, auch solche gegen überlieferte

91 Für die kommunitaristische Kritik Walzers am Liberalismus: Walzer, M., Critique, 1990.

92 Vgl. Walzer, M., Critique, 1990, S. 143-144, 153-154.

Bindungen, immer aus den ursprünglichen Gemeinschaften heraus getroffen werden und diese somit von Bedeutung bleiben.93

Eine weitere Einschränkung resultiert aus der kulturellen Beschränkung verfügbarer Gemeinschaftsformen. Zugehörigkeiten mögen gewählt sein, aber der Wählende hat eher keinen Einfluss auf die Struktur und Form der gewählten Gemeinschaft. Beispiel hierfür ist die Ehe.

Strukturen können zwar geändert werden, dies bedeutet aber üblicherweise einen längeren Prozess, der dabei ebenfalls an bereits bestehende Formen angelehnt ist. Freie Wahl geschieht daher immer in den Grenzen des kulturellen Angebots.

Die nächste Einschränkung freier Wahl betrifft die Mitgliedschaft in einer politischen Gemeinschaft. Mit der Geburt ist man zwangsläufig Bürger und hat keine Wahl bezüglich der damit einhergehenden Rechte und Pflichten. Wenn der Bürger aber Einfluss auf diese Gemeinschaft ausüben will und Veränderungen in ihr anstrebt, so ist dies nur möglich in dem er die Mitgliedschaft vorrangig akzeptiert. Dies ist eine grundlegende Bedingung demokratischer Politik. Wohnortswechsel hilft somit auch nur bedingt etwas, da durch ihn zwar eine andere politische Gemeinschaft gewählt wird, ein genereller Austritt aber nicht möglich ist.

Die letzte Einschränkung kann als moralische bezeichnet werden. Bestimmte Pflichten und Handlungen, die als gewissenhaft gelten, können zwar verweigert werden, es ändert aber nichts daran, dass eine Anerkennung dessen, was als gewissenhaft in einen Situation gilt, existiert. Das Zusammenleben mit Menschen bedeutet an sich schon immer eine gewisse Bindung, mit gegebenen Ureilen darüber was als angemessenes Verhalten bezeichnet werden kann. Auch ein der Moral gegenläufiges Verhalten geschieht unter den gegebenen moralischen Regeln.

Nun lässt sich aus liberaler Sicht einwenden, dass gerade die Aufgabe darin besteht diese Gegebenheiten, das heißt die unfreiwilligen Bindungen, durch die individuelle Autonomie herauszufordern. Die Umsetzung des liberalen Ideals könnte dann in vier möglichen Mobilitäten ausgedrückt werden. Dieses sind die geographische, die soziale, die familiäre und die politische Mobilität. Sie verkörpern die Loslösung von hergebrachten Bindungen und die freie Entscheidung. Aber die Auflösung aller Bindungen ist weder realistisch noch ein erstrebenswerter Zustand. Es ist grundsätzlich nicht vorstellbar, wie Kinder ohne jegliche Bindungen zu selbstbestimmten Personen werden sollen. Emotionale Bindungen in der Familie

93 Für die Schilderung der Einschränkungen durch unfreiwillige Gemeinschaften bei Walzer: vgl. Walzer, M., Passion, 2004, S. 3-11.

und Schulbildung, die sich auf bestimmte, allgemein angenommene Einsichten stützt, scheinen unerlässlich. Um frei wählen zu können ist eine gewisse Identität erforderlich. Schließlich kann die Bedeutung von Autonomie gar nicht wahrgenommen werden, wenn der Hintergrund, auf den sich das freie Handeln bezieht, nicht deutlich wird. Die Abschaffung jeglicher Gemeinschaft hätte für das Individuum eine totale Unsicherheit zur Folge und würde die Autonomie unterlaufen.94

Für eine wirklich liberale Auffassung ist es daher unerlässlich das Individuum mit seiner Identität und mit den zugehörigen Bindungen wahrzunehmen. Ist das liberale Ideal eine Gemeinschaft von Individuen, die in gleicher Weise als autonom gelten können, so ist die Stellung des Individuums mit seinen gemeinschaftlichen Bindungen zu fokussieren. Freie Wahl manifestiert sich darin, ob es jemanden möglich ist, Bindungen zum Gegenstand von Entscheidungen zu machen. Liberale Gleichheit bedeutet in diesem Sinne, dass niemand aufgrund der Zugehörigkeit zu bestimmten Gemeinschaften in seiner Wahl eingeschränkt sein sollte. Gleiche Freiheit bedeutet in diesem Kontext gerade nicht die Abschaffung der Gemeinschaften. Die Gleichheit verdeutlicht sich vielmehr in der gleichen Stellung der Menschen als Teile der verschiedenen Gemeinschaften.95

Die Sichtweise Michael Walzers hebt sich so insgesamt in der spezifisch kommunitaristischen Weise von den einenden liberalen Eigenschaften der Libertären und Rawls ab. In seinem Ansatz wird nicht davon ausgegangen, dass eine politische Ordnung nur dann Legitimität zukommt, wenn ihr alle Bürger als freie und gleiche Individuen zustimmen können. Zudem wird der Vorrang der Gerechtigkeit und der darauf zurückgehenden individuellen Rechte vor Vorstellungen des allgemein Guten und kollektiven Interessen angezweifelt.96