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Gemeinsamer Jahrestätigkeitsbericht der Arbeitsschutzbehörden der Länder

3. Überblick zum Stand von Sicherheit und Gesundheit bei der Arbeit

3.3 Aktivitäten der Arbeitsschutzakteure

3.3.2 Gemeinsamer Jahrestätigkeitsbericht der Arbeitsschutzbehörden der Länder

Zur Wirksamkeit der Überwachungstätigkeit der Arbeitsschutzbehörden der Länder – Erkenntnisse und Schlussfolgerungen einer länderbezogene Auswertung der GDA-Dachevaluation8

Hintergrund und Ziel

Mit der Entwicklung, der gesetzlichen Fixierung und der Umsetzung der Gemeinsamen Deutschen Arbeits-schutzstrategie (GDA) hat das deutsche Arbeitsschutzsystem mit den Trägern Bund, Länder und Unfallversiche-rungsträger auf drängende Herausforderungen reagiert. Diese ergeben sich aus

– den Veränderungen der Arbeitswelt, in der neue Berufsbilder und Arbeitsformen sowie damit verbunden

„neue“ und veränderte Belastungen und Gefährdungen für die Beschäftigten hervortreten,

– dem demografischen Wandel, der in Verbindung mit einem höheren Renteneintrittsalter zu älter werdenden Belegschaften in den Betrieben führt,

– der Notwendigkeit strategischer Zielorientierungen und Prioritätensetzung auf dem Gebiet der Sicherheit und des Gesundheitsschutzes, auch im europäischen Kontext und

7 www.gda-portal.de/de/Evaluation/Evaluation.html

8 Durchgeführt durch das Landesinstitut für Arbeitsgestaltung (LIA) des Landes Nordrhein-Westfalen im Auftrag des LASI

– dem Erfordernis einer Modernisierung der in Deutschland historisch gewachsenen und hoch-differenzierten Institutionen- und Regelungsstruktur.

Zentrales Ziel dieses strategischen Ansatzes ist, in den Betrieben und Verwaltungen das Niveau des Arbeits-schutzes nachhaltig zu sichern und zu verbessern.

Um den Erfolg der GDA in Hinblick auf das zentrale Ziel einer verbesserten Prävention einzuschätzen und weitergehende Erkenntnisse über die Effizienz und Effektivität gewählter Ansätze, Strukturen und Vorgehens-weisen zu gewinnen, haben sich die Träger der GDA darauf verständigt, die gemeinsame Strategie fortlaufend umfassend zu evaluieren (GDA-Dachevaluation und Evaluation der GDA-Arbeitsprogramme).

Der Länderausschuss für Arbeitsschutz und Sicherheitstechnik (LASI) hat in Auswertung der auf die erste Periode (2008 bis 2012) bezogenen Abschlussberichte zu den Arbeitsprogrammen sowie zur GDA-Dachevaluation beschlossen, diese Daten länderbezogen auszuwerten, um hieraus Schlussfolgerungen zur Ver-besserung der Wirksamkeit des Aufsichtshandelns der staatlichen Arbeitsschutzbehörden ableiten zu können.

Datenquellen und Hypothesen

Als Datenquellen wurden herangezogen:

1. die Ergebnisse der ersten Betriebsbefragung im Rahmen der GDA-Dachevaluation,

2. die Ergebnisse einer anonymisierten Online-Befragung des Aufsichtspersonals der Arbeitsschutzbehörden der Länder,

3. die von den Aufsichtsbeamtinnen und –beamten der Arbeitsschutzbehörden der Länder im Ergebnis durch-geführter Betriebsbesichtigungen vorgenommenen Bewertungen zur Gefährdungsbeurteilung und zur be-trieblichen Arbeitsschutzorganisation in den Datenbögen (Kopfdaten), die in den Arbeitsprogrammen er-fasst wurden,

4. Daten aus den Berichten der Bundesregierung über den Stand von Sicherheit und Gesundheit bei der Arbeit (SUGA-Berichte), aus der Betriebsstatistik der Bundesagentur für Arbeit, aus der Statistik zur Zahl der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer von Destatis, aus dem Scoreboard der Arbeitsschutzbehörden der Länder.

Zur Umsetzung des LASI-Auftrags einer länderübergreifenden als auch länderbezogenen Auswertung der Er-gebnisse der ersten GDA-Periode wurden folgende Hypothesen zu den die Qualität des betrieblichen Arbeits-schutzes bestimmenden Determinanten abgeleitet:

Die quantitative und qualitative Umsetzung des betrieblichen Arbeitsschutzes in den Betrieben wird signifikant beeinflusst durch

H1 die Betriebsgröße (in größeren Betrieben besser als in kleineren Betrieben),

H2 die Wirtschaftsgruppe (in Bereichen, in denen ein hohes Potenzial für hohe körperliche Belastungen und/oder technische Gefährdungen besteht, besser als in Branchen mit geringen körperlichen und/oder psy-chischen Belastungen),

H3 die Einbeziehung und Beteiligung der Beschäftigten (besser in Betrieben mit einem Betriebs- oder Perso-nalrat),

H4 die Einflussnahme durch die staatliche Arbeitsschutzaufsicht (bei einem proaktiven Vorgehen besser als bei ausschließlich reaktivem Handeln).

Kategorisierung und Indexbildung

1. Zielgröße „Qualität des betrieblichen Arbeitsschutzes“

Zur Kategorisierung der Zielgröße „Qualität des betrieblichen Arbeitsschutzes“ wurden zwei verschiedene In-dexbildungen wie folgt vorgenommen:

a) Index „Guter Arbeitsschutz – Betrieb“

Zur Auswertung der Ergebnisse der Betriebsbefragung wurde ein Index „Guter Arbeitsschutz – Betrieb“ zur Umsetzung des betrieblichen Arbeitsschutzes nach den Aussagen in der Befragung der Betriebe gebildet.

Dieser Index setzt sich zusammen aus den Komponenten „Vorhandensein einer (internen oder externen) Fachkraft für Arbeitssicherheit“ (20 Punkte), „Vorhandensein eines (internen oder externen) Betriebsarztes bzw. einer Betriebsärztin“ (20 Punkte) und sechs der sieben abgefragten Aspekte, die bei der Durchführung der Gefährdungsbeurteilung zu berücksichtigen sind und auf alle Tätigkeiten zutreffen (jeweils 10 Punkte), d. h. Arbeitsplatzgestaltung, Arbeitsumgebung, Arbeitsmittel, Arbeitszeitgestaltung, Arbeitsorganisation,

soziale Beziehungen. Damit ist ein Indexwert zwischen 0 Punkten (keine Elemente umgesetzt) und 100 Punkten (alle Elemente umgesetzt) erreichbar. Der Index „Guter Arbeitsschutz“ ist folglich eine Kenn-zahl, die die quantitative Umsetzung der Maßnahmen des betrieblichen Arbeitsschutzes nach ASiG und ArbSchG aus Sicht der Betriebe beschreibt.

b) Index „Guter Arbeitsschutz – Aufsicht“

Zur Auswertung der vom Aufsichtspersonal bei den durchgeführten Betriebsbesichtigungen vorgenomme-nen Einschätzungen dient der Index „Guter Arbeitsschutz – Aufsicht“. Dieser setzt sich aus der Bewertung der zwei Komponenten Durchführung der Gefährdungsbeurteilung (keine Durchführung – 0 Punkte; nicht angemessene bzw. angemessene Durchführung der Gefährdungsbeurteilung – 25 bzw. 50 Punkte) sowie Geeignetheit der betrieblichen Arbeitsschutzorganisation (nicht geeignet – 0 Punkte; teilweise geeignet – 25 Punkte; geeignet – 50 Punkte) zusammen. Der Index beschreibt die Einschätzung der betrieblichen Arbeitsschutzsituation aus der Sicht der Aufsicht und umfasst einen Wertebereich von 0 Punkten (Gefähr-dungsbeurteilung nicht durchgeführt und nicht geeignete Arbeitsschutzorganisation) bis 100 Punkten (angemessene Gefährdungsbeurteilung und geeignete Arbeitsschutzorganisation).

2. Analysierte Einflussfaktoren a) Betriebsgröße

Für die Einteilung nach der Betriebsgröße sind vier Kategorien gebildet worden:

– Kleinstbetreibe (1 - 9 Beschäftigte) – Kleinbetriebe (10 - 49 Beschäftigte) – Mittelbetriebe (50 - 249 Beschäftigte) – Großbetriebe (mehr als 250 Beschäftigte).

b) Belastungsart und -intensität

Aus den Angaben der Betriebe mit Einschätzungen zu den auftretenden arbeitsbedingten Belastungen der Beschäftigten sind die Wirtschaftssektoren und -abteilungen in die Bereiche Dienstleistung einerseits und Landwirtschaft/Produktion andererseits zusammengefasst worden. Während physische Belastungen durch körperlich schwere Arbeit oder Zwangshaltungen vor allem Beschäftigte im Bereich Landwirtschaft und Produktion betreffen, erleben Beschäftigte in den Dienstleistungen viel häufiger psychische Belastungen und physische Belastungen in der Folge von Bewegungsarmut.

c) betriebliche Mitbestimmung

Die Kategorisierung wurde nach den Angaben zum Vorhandensein eines Betriebs- bzw. Personalrats vor-genommen.

d) Überwachungskonzept/Personalstärke der staatlichen Arbeitsschutzbehörde

Die Arbeitsschutzbehörden der Länder wurden nach dem Überwachungskonzept in drei Gruppen (proaktiv vs. reaktiv vs. 50/50) und nach der Aufsichtspersonalquote in zwei Gruppen (weniger vs. mehr als 1 Aufsichtsbeamter je 20.000 Beschäftigten) eingeteilt.

Ergebnisse der länderbezogenen Datenauswertung

Im Ergebnis lassen sich unter Berücksichtigung regressionsanalytischer Verfahren (jeweils unter Ausschluss aller anderen Einflussfaktoren) aus den Auswerteergebnissen folgende signifikanten Aussagen ableiten:

1. Den stärksten Einfluss bzw. die höchste Vorhersagekraft auf die Höhe der zur Beurteilung der Qualität des betrieblichen Arbeitsschutzes gebildeten Indexwerte hat die Betriebsgröße (dies betrifft gleichermaßen die Analyse der Aussagen aus der Betriebsbefragung als auch die Analyse der Aussagen aus den Kopfdaten der Besichtigungen) – je größer die Betriebe, umso höher der durchschnittlich erreichte Index.

2. Die Betrachtung des Wirtschaftssektors ergibt einen Effekt, wenn die Branchen geordnet nach der Intensität der körperlichen Belastung in die Berechnung einbezogen werden – je höher die körperliche Belastung, um-so höher der durchschnittlich erreichte Index (dieser Effekt ist bei der Befragung der Betriebe allerdings stärker ausgeprägt als bei der Bewertung durch das Aufsichtspersonal).

3. Mitarbeitervertretungen haben einen positiven Einfluss auf die Umsetzung betrieblicher Arbeitsschutzmaß-nahmen. Betriebe, in denen eine Mitarbeitervertretung aktiv ist, erreichen durchschnittlich einen höheren Index (auch hier ist die Vorhersagekraft bei der Betriebsbefragung höher als bei der Bewertung durch das Aufsichtspersonal).

4. Sowohl bei der Auswertung der Ergebnisse der Betriebsbefragung als auch der Bewertungen des Aufsichts-personals zeigt sich, dass ein proaktives Überwachungskonzept der Arbeitsschutzbehörde (und damit eine höhere Anzahl besuchter Betriebe) bei jeweiliger Kontrolle des Einflusses der anderen Einflussgrößen Be-triebsgröße, Wirtschaftsgruppe und Mitarbeitervertretung einen, wenn auch im Verhältnis insbesondere zu Betriebsgröße geringeren, aber dennoch statistisch nachweisbaren positiven Effekt hat.

Erkenntnisse für die Arbeitsschutzbehörden der Länder

Aus den Ergebnissen der Betriebsbefragung zeichnen sich bei den Grundsätzen des betrieblichen Arbeitsschut-zes insgesamt erhebliche Defizite ab:

– 52 % der Betriebe haben eine sicherheitstechnische Betreuung (Spannweite innerhalb der Länder 66 % bis 46 %),

– 40 % der Betriebe haben eine betriebsärztliche Betreuung (Spannweite innerhalb der Länder 50 % bis 35 %) und

– 51 % der Betriebe haben angegeben, eine Gefährdungsbeurteilung durchgeführt zu haben (Spannweite innerhalb der Länder 62 % bis 44 %).

Im Einzelnen wird deutlich, dass

– größere Betriebe mehr Elemente des betrieblichen Arbeitsschutzes umsetzen als kleinere.

– die betriebliche Arbeitsschutzorganisation einen eindeutig positiven Einfluss auf die Durchführung der Gefährdungsbeurteilung in den Betrieben hat. Die Durchführung der Gefährdungsbeurteilung ist 3,7-mal wahrscheinlicher, wenn ein Betriebsrat vorhanden ist und je 6,4-mal wahrscheinlicher, wenn eine Fachkraft für Arbeitssicherheit bzw. ein Betriebsarzt oder eine Betriebsärztin bestellt ist.

– bei durchgeführten Gefährdungsbeurteilungen (das gaben 51 % aller 2011 befragten Betriebe an) nicht-technische Aspekte im Vergleich zu den klassischen Gefährdungen nur unzureichend berücksichtigt werden:

48 % Arbeitszeitgestaltung, 39 % Psychische Belastung, 55 % Arbeitsorganisation und 44 % soziale Beziehungen.

– Betriebe in den Wirtschaftsbereichen Landwirtschaft und Produktion mehr Elemente des betrieblichen Arbeitsschutzes umsetzen als Betriebe aus dem Bereich Dienstleistung.

Gegenüber 2011 hat die Befragung 2015 hinsichtlich der Durchführung einer Gefährdungsbeurteilung sowie der sicherheitstechnischen und betriebsärztlichen Betreuung keine größeren Veränderungen gezeigt. Waren es in 2011 50,9 % der Betriebe, die eine Gefährdungsbeurteilung durchgeführt haben, geben dies in 2015 52,4 % an.

Der Anteil der Beschäftigten, die in Betrieben arbeiten, die Gefährdungsbeurteilungen durchführen, beträgt 79,6 % (2011: 78,9 %). Der Anteil der Betriebe, die alle Prozessschritte einer Gefährdungsbeurteilung durch-führen, liegt in 2015 bei 12,9 % (2011: 15,4 %). Dabei ist insbesondere beim letzten Schritt „Überprüfung der Wirksamkeit der Maßnahmen“ eine geringere Umsetzungsquote zu verzeichnen. Hier zeichnet sich u. U. auch ein methodisches Defizit der Aufsichtsbehörden ab, das es in Zukunft zu beheben gilt.

Die Angaben der Betriebe zur Häufigkeit des Besuches der staatlichen Arbeitsschutzverwaltung in einem Drei-jahreszeitraum ergaben deutliche Unterschiede. Im Ländervergleich variierte dies zwischen 7 % und 21 %.

Aus der Datenanalyse geht hervor, dass ein aktives Vorgehen des staatlichen Arbeitsschutzes, mehr Aufsichts-beamte und mehr Besichtigungen durch die Arbeitsschutzbehörde, die Umsetzung des betrieblichen Arbeits-schutzes positiv beeinflussen.

Die Ergebnisse der 2. Betriebs- und Beschäftigtenbefragung 2015 bestätigen diese Ergebnisse in wesentlichen Punkten. Bestätigt haben sich der positive Einfluss von Besuchen der Aufsicht sowie das Vorhandensein von Mitarbeitervertretungen auf den betrieblichen Arbeitsschutz: diese Betriebe führen häufiger Gefährdungsbeur-teilungen durch und verfügen über die zentralen Elemente einer geeigneten Arbeitsschutzorganisation. Die Da-ten weisen darüber hinaus auch auf einen positiven Einfluss der Aufsichtstätigkeit auf die Qualität des betriebli-chen Arbeitsschutzsystems hin.

Fazit:

a) Die Aktivitäten der Arbeitsschutzbehörden der Länder sind weiterhin so zu entwickeln, dass die Verbesse-rung der betrieblichen Arbeitsschutzorganisation im Vordergrund steht, da diese einen eindeutig positiven Einfluss auf die Sicherheit und Gesundheit der Beschäftigten hat. Der Ansatz der Systemkontrolle hat sich bewährt.

b) Die Betriebe haben einen überproportionalen Nachholbedarf bei Gefährdungen im weitesten Sinne durch die „Arbeitsorganisation“. Der Bereich Dienstleistung hat einen Nachholbedarf gegenüber den klassischen Bereichen der Produktion. Kleinere Betriebe haben einen Nachholbedarf gegenüber größeren. Auf diese Feststellungen müssen die Arbeitsschutzbehörden der Länder mit einer Anpassung ihrer Prioritätensetzun-gen (risikoorientiert) und Überwachungskonzepte reagieren.

c) Das Niveau des betrieblichen Arbeitsschutzes hängt neben der Betriebsgröße, der Wirtschaftsklasse und dem Vorhandensein einer Mitarbeitervertretung auch von der Personalstärke bzw. der Besichtigungsfre-quenz sowie dem Überwachungskonzept der staatlichen Arbeitsschutzbehörden ab. Positiv beeinflusst wird der betriebliche Arbeitsschutz durch die personelle Ausstattung der Arbeitsschutzbehörde und eine auf akti-ve (weniger auf reaktiakti-ve) und konsequente Betriebsbesichtigungen ausgerichtete Aufsichtsstrategie.