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Geistiges Eigentum und Kartellrecht

II. c. Konzept und Vollzug des Kartellgesetzes

17 Geistiges Eigentum und Kartellrecht

17.1 Hintergrund

346. Unter die Gesetzgebung über das geistige Eigentum fallen Sachverhalte, welche ein Immaterialgüterrecht zum Gegenstand haben, also namentlich Urheber-, Marken-, Design- und Patentrechte. Die entsprechenden Gesetze räumen den jeweiligen Schutzrechtsinha-bern bestimmte Ausschliesslichkeitsrechte ein, wie z. B. Dritten zu verbieten, eine patentierte Vorrichtung zu verwenden. Im Spannungsfeld zwischen Immaterialgüter- und Wettbewerbs-recht geht es u. a. darum zu klären, ob ImmaterialgüterWettbewerbs-rechte – neben dem Schutz vor Nachahmungen – zusätzlich auch ermöglichen, den (grenzüberschreitenden) Handel mit immaterialgüterrechtlich geschützten Produkten, die durch den Schutzrechtsinhaber selbst oder mit dessen Zustimmung durch Dritte auf den Markt gesetzt worden sind („Parallelim-port“), zu beschränken.

347. Gemäss Art. 3 Abs. 2 Satz 1 KG „fallen Wettbewerbswirkungen, die sich ausschliess-lich aus der Gesetzgebung über das geistige Eigentum ergeben“, nicht unter das

195 Zudem sollte die Einführung individueller Verwaltungssanktionen – anders als in den beiden par-lamentarischen Vorstössen vorgesehen (Fn. 186) – unabhängig von der Frage nach den Auswir-kungen von Compliance-Programmen erfolgen (vgl. dazu oben Rz. 314 ff.).

196 Preis-, Mengen- und Gebietskartelle i. S. v. Art. 5 Abs. 3 KG.

197 Dieser Abschnitt stützt sich im Wesentlichen auf den folgenden im Rahmen der Evaluation erstell-ten Bericht: Projektbericht P2 (vgl. Anhang 2).

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setz. Satz 2 sieht vor: „Hingegen unterliegen Einfuhrbeschränkungen, die sich auf Rechte des geistigen Eigentums stützen, der Beurteilung nach diesem Gesetz“. Dieser zweite Satz („Hingegen ...“) geht auf das Kodak-Urteil198 des Bundesgerichtes zurück und wurde erst an-lässlich der KG-Revision 2003 eingeführt.

348. Im Kodak-Urteil hatte das Bundesgericht entschieden, dass für das Patentrecht das Prinzip der nationalen Erschöpfung199 gilt. Gleichzeitig stellte es fest, dass die Ausübung der Befugnis, Parallelimporte zu verhindern, unter bestimmten Umständen wettbewerbswidrig sein könne. Denn das patentrechtliche Verbotsrecht räume dem Rechtsinhaber in Bezug auf die Einfuhr eine „überschiessende Rechtsmacht“ ein, sofern die rechtlichen und wirtschaftli-chen Rahmenbedingungen beim Inverkehrbringen im Ausland mit den Bedingungen in der Schweiz vergleichbar seien. In diesen Fällen seien die Einfuhrbeschränkungen gestützt auf das Patentrecht einer kartellrechtlichen Missbrauchskontrolle zu unterstellen, womit das Kar-tellgesetz und insbesondere dessen Art. 5 und 7 KG grundsätzlich anwendbar seien.200 Folg-lich setze das Kartellrecht der nationalen Erschöpfung im Patentrecht Grenzen.

17.2 Abgrenzung von Immaterialgüter- und Kartellrecht

349. Art. 3 Abs. 2 KG stellt in der Praxis weder in seiner ursprünglichen noch in seiner an-lässlich der Revision 2003 um den zweiten Satz ergänzten Fassung einen Vorbehalt für die Anwendung bzw. Geltung des Kartellgesetzes dar. Zunächst ist ohnehin im Einzelfall mit immaterialgüterrechtlichem Bezug anhand von Art. 2 KG der Geltungsbereich des Kartellge-setzes zu prüfen. Schliesslich erfolgt aufgrund des GeKartellge-setzesvorbehaltes gemäss Art. 3 Abs. 2 KG eine Abgrenzung von Immaterialgüter- und Kartellrecht. Mit der herrschenden Lehre ist zu fordern, dass diese Bestimmung restriktiv auszulegen ist, was dazu führt, dass ein Sachverhalt mit immaterialgüter- und wettbewerbsrechtlicher Komponente praktisch im-mer aufgrund des materiellen Kartellrechts (Art. 5 oder 7 KG) geprüft werden kann.

350. In der Lehre wird auch darauf hingewiesen, dass die Norm zwar eine Trennungslinie zwischen Immaterialgüter- und Kartellrecht suggeriere, die jedoch vom konkreten Fall losge-löst zu ziehen nicht möglich sei. Eine argumentativ schlüssige Anwendung der Norm in der Praxis sei daher zum Scheitern verurteilt. Dies könnte mitunter ein Grund dafür sein, wes-halb in der bisherigen wettbewerbsrechtlichen Praxis Art. 3 Abs. 2 KG noch nicht eingehend thematisiert wurde.

351. Des Weiteren lässt sich eine unterschiedliche Behandlung von Eigentumsrechten (Sacheigentum und geistiges Eigentum) in Bezug auf das Kartellrecht nicht rechtfertigen. Die Ausübung von Eigentumsrechten sowohl gestützt auf Sachenrecht wie auch auf Immaterial-güterrecht sollte grundsätzlich wettbewerbsrechtlich überprüfbar sein, soweit die Beachtung der dem Allgemeinwohl dienenden Wettbewerbsregeln – stets in Relation zu den dem Imma-terialgüter- bzw. Sachenrecht innewohnenden wettbewerbsrechtlichen Grundsätzen gesetzt – dies erfordert. Die von Art. 3 Abs. 2 Satz 1 KG suggerierte (und nun durch den Begriff

„Hingegen“ in Satz 2 noch verstärkte) teilweise Immunisierung von Immaterialgüterrechten gegenüber dem Kartellrecht und somit deren Privilegierung gegenüber dem Sachenrecht er-scheinen nicht sachgerecht.

198 BGE 126 III 129 ff. (Kodak).

199 Gemäss dem Prinzip der nationalen Erschöpfung gehen die Verbotsrechte aus einem für das In-land erteilten Schutzrecht an einem Erzeugnis unter, wenn dieses mit der Zustimmung des Patent-inhabers im Inland in Verkehr gebracht wird. Der rechtmässige Erwerber des Erzeugnisses erlangt ein freies Gebrauchs- und Weiterveräusserungsrecht. Wird ein geschütztes Erzeugnis im Ausland in Verkehr gebracht, so erschöpfen sich die daran bestehenden Schutzrechte im Inland nicht und ermöglichen dem Inhaber eines Patentes, nach Absatzländern differenzierte Preise durchzusetzen.

Für die Einfuhr der im Ausland in Verkehr gebrachten Erzeugnisse ist die Zustimmung des Schutz-rechtsinhabers erforderlich.

200 BGE 126 III 129 ff., E. 9.

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352. Speziell in Bezug auf Art. 3 Abs. 2 Satz 2 KG ist aus juristischer Sicht festzuhalten, dass das Kartellrecht mit seinen materiellen Eingriffsvoraussetzungen in der Praxis nur be-dingt dazu geeignet ist, eine befriedigende Lösung für die Frage des Parallelimports zu fin-den. Offenbar ist den potenziell interessierten Akteuren heute die Rechtsunsicherheit bzw.

das (Verfahrens-)Risiko zu gross, weshalb sie lieber auf Parallelimporte verzichten, statt sich auf die „korrektive“ Wirkung von Art. 3 Abs. 2 sowie Art. 5 und 7 KG zu verlassen.

353. Art. 3 Abs. 2 KG gibt vor, dass eindeutig zwischen der legitimen Ausübung von Imma-terialgüterrechten und unzulässigen Wettbewerbsbeschränkungen unterschieden werden könne. In der Praxis erscheint eine klare Abgrenzung jedoch schwierig. Es ist daher fraglich, ob diese Bestimmung den ihr zugedachten Zweck, d. h. den Anwendungsbereich des Kar-tellgesetzes auf bestimmte immaterialgüterrechtliche Sachverhalte zu beschränken, erfüllen kann.

17.3 Praktische Bedeutung

354. Die praktische Bedeutung von Art. 3 Abs. 2 KG besteht insbesondere im Zusammen-hang mit Parallelimporten patentgeschützter Güter aus dem Ausland. Werden Parallelim-porte infolge vertraglicher Vereinbarungen und/oder einer „entsprechenden“ faktischen Ver-haltensweise des Schutzrechtsinhabers unterbunden bzw. eingeschränkt, kann dieser Sach-verhalt nach den materiellrechtlichen Bestimmungen des Kartellgesetzes beurteilt werden.

Zur Diskussion stehen namentlich Art. 5 Abs. 4 und Art. 7 KG. In Bezug auf die konkreten Konsequenzen der kartellrechtlichen Anwendbarkeit auf immaterialgüterrechtliche Einfuhr-verbote herrscht indessen grosse rechtliche und faktische Unsicherheit. Aus Art. 5 oder Art. 7 KG ergeben sich jedenfalls eine ganze Reihe von Hürden und Voraussetzungen, die erfüllt sein müssen, bevor ein Vorgehen gegen Parallelimporte als wettbewerbswidrig qualifi-ziert werden kann.

355. Auch wenn Daten über das Volumen von Parallelimporten fehlen, so ist – entgegen den Erwartungen anlässlich der KG-Revision 2003 – doch davon auszugehen, dass deren Bedeutung sich de facto in engen Grenzen hält. Im Rahmen von Gesprächen, welche das SECO zwecks Beantwortung des Postulats David201 mit Händlern, produzierenden Unter-nehmen und Parallelimporteuren führte, wurden der Patentschutz und das Kartellgesetz am Rande zum Thema. Angesprochen auf die Möglichkeit, bei spürbaren Preisdifferenzen zum umgebenden Ausland selber direkt zu importieren, gaben die Gesprächspartner auf Han-delsstufe überwiegend eine zurückhaltende bzw. negative Antwort.

356. Die möglichen Gründe dafür, warum Parallelimporte unterbleiben, selbst wenn sie rechtlich zulässig wären, dürften vielfältig sein. Das Risiko eines allfälligen Patentrechts-streits mit dem Hersteller und somit auch die Funktionsweise des revidierten Art. 3 Abs. 2 KG standen dabei jedoch nicht im Vordergrund. Vielmehr wurden andere Gründe für die Zu-rückhaltung bzw. den Verzicht auf Parallelimporte geltend gemacht. Dennoch kann die Tat-sache, dass der Produzent mit seinem Patentrecht drohen kann (Stichwort „nationale Er-schöpfung“)202, den Händler im Einzelfall dazu bewegen, all den Unannehmlichkeiten und Risiken auszuweichen und auf den Parallelimport zu verzichten. Anstatt das Problem bei der WEKO zu melden, wird aufgrund des Aufwands und des gerichtlichen Risikos, das u. a. auch aufgrund fehlender Präjudizien besteht, das betreffende Produkt entweder zum höheren Preis auf dem „offiziellen“ Kanal bezogen oder aber aus dem Sortiment genommen.

201 Postulat Eugen David (05.3816, 14.12.2005): Preisinsel Schweiz.

202 Händler/Parallelimporteure weisen in diesem Zusammenhang darauf hin, dass es oft um relativ

„unbedeutende“ patentierte Bestandteile geht, aufgrund derer ein Parallelimport verhindert wird (so genannte Doppelschutzproblematik, d. h. die Konstellation, dass ein Produkt durch mehrere ver-schiedene Immaterialgüterrechte geschützt wird).

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357. Der Bundesrat erachtet Leitentscheide als wichtig, um gestützt auf das Immaterialgü-terrecht im Hinblick auf die Verhinderung von Parallelimporten präventive Wirkung zu erzie-len. Abgesehen vom bereits erwähnten Bundesgerichtsentscheid i. S. Kodak, welcher die KG-Revision 2003 beeinflusste, existiert indessen – soweit ersichtlich – weder unter dem al-ten noch unter dem revidieral-ten Kartellgesetz eine Fallpraxis, die sich eingehend mit der An-wendung von Art. 3 Abs. 2 KG auseinandergesetzt hätte. Aus der Praxis sind lediglich vier Fälle203 bekannt, zwei von Wettbewerbsbehörden und zwei von Handelsgerichten, denen je-doch der erwünschte Präjudizcharakter zur Schaffung von mehr Rechtssicherheit kaum zu-kommt.

17.4 Fazit

358. Nach der KG-Revision 2003 dürfte im Ergebnis zumindest klargestellt sein, dass die Verhinderung von Parallelimporten, sei es aufgrund vertraglicher Vertriebssysteme, sei es aufgrund einseitiger Durchsetzung immaterialgüterrechtlicher Schutzpositionen, stets und generell der Prüfung durch die Wettbewerbsbehörden und somit den kartellrechtlichen Schranken und Sanktionsandrohungen untersteht.

359. Dennoch stellt sich die Frage, ob es sinnvoll ist, das Wettbewerbsrecht als Korrektiv im Bereich patentrechtlich geschützter Güter herbeizuziehen. Eine aktive Förderung von Paral-lelimporten kann nicht auf dem Umweg über das Kartellrecht geschehen, und Art. 3 Abs. 2 KG kann höchstens beschränkt als Gegengewicht zum Prinzip der nationalen Erschöpfung im Patentrecht dienen. Falls gewünscht wird, dass wettbewerbsbeeinträchtigende Abschot-tungswirkungen, die durch die nationale Erschöpfung entstehen können, verhindert werden, müsste die Korrektur am wirksamsten im Patentgesetz erfolgen, das sich zur Zeit in parla-mentarischer Beratung befindet.

360. Aus juristisch-dogmatischer Sicht könnte die „Sondernorm“ von Art. 3 Abs. 2 Satz 1 und 2 KG grundsätzlich ersatzlos gestrichen werden. Das Schweigen des Gesetzes wäre dann in dem Sinne zu verstehen, dass einerseits alle Eigentumsrechte grundsätzlich gleich behandelt werden und andererseits Wettbewerbsbeeinträchtigungen auch gestützt auf Ei-gentumsrechte grundsätzlich der materiellen Prüfung des Kartellgesetzes unterstehen (wo-mit noch nichts über deren Un-/Zulässigkeit gesagt ist). Jedoch können politische Gründe für eine Beibehaltung von Art. 3 Abs. 2 KG sprechen.

203 Schlussbericht des Sekretariats vom 29.05.2006 betreffend Medikamentenpreis Thalidomid, RPW 2006/3, S. 433 ff., 435 Rz. 26 ff.; Verfügung der WEKO vom 22.11.2004 i. S. Swisscom Directories AG betreffend Herstellung, Verwaltung und Herausgabe von regulierten Verzeichnisdaten, RPW 2005/1, S. 54 ff., 90 ff. Rz. 231 ff.; Urteil des Handelsgerichtes Bern vom 06.07.2005, publ. in: sic!

5/2006, S. 348 ff., insb. 353 f.; Entscheid des Handelsgerichtes Aargau „Milchschäumer“ vom 23.08.2005 (nicht rechtskräftig nach Berufung und Rückweisung durch das BGer).

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18 KMU-Klausel und Bekanntmachung über