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Gang der Argumentation

Im Dokument Arbeit und Organisation (Seite 29-41)

Die vorliegende Arbeit gliedert sich wie folgt:

Im ersten Teil (Kapitel 2 und 3) wird ein metatheoretischer Rahmen entwickelt, der die zentrale Absicht erfüllt, gesellschaftliche Ökonomisierung aus einer praxis-16 Seit einigen Jahren werden sog. Pay-for-Performance-Modelle erarbeitet, die medizinische Behandlungsqualität quantitativ bemessen und die dann festgestellten Qualitätsunterschie-de auch an finanzielle Leistungen koppeln sollen. Für einen kritischen Überblick hierzu siehe Weigel (2018) sowie die Ausführungen unter 4.2.2 und die empirischen Analysen unter 6.

und organisationstheoretischen Perspektive mit besonderer Aufmerksamkeit für das Verhältnis von Autonomie und Kalkulation zu erschließen.

Hierzu wird zunächst in Kapitel 2 eine begriffs- wie ideengeschichtliche Ein-ordnung des Diskurses um den Begriff der Ökonomisierung geleistet, die sich vor allem für die liberalistische Seite der Debatte interessiert. Um den performati-ven Charakter der Wirtschaftswissenschaften nachzuvollziehen, kommt die Dar-stellung zunächst auf die Ausdifferenzierung der Wirtschaft als Analysefeld einer eigenständigen, am Ideal der Naturwissenschaften orientierten Wirtschaftswis-senschaft (klassische Nationalökonomie). Anschließend wird die Ideengenese des Marktes als Ort einer unter Knappheitsbedingungen sich selbst regulierenden Ord-nungsfigur diskutiert. Beide Aspekte – eine quantitative, an physikalischen Ge-setzen orientierte Wirtschaftswissenschaft und die Idee eines eigengesetzlichen Marktes – scheinen sich immer weiter von einer wertbasierten, sittlichen Ord-nung der Gesellschaft zu entfernen, deren Teil wirtschaftliche Zusammenhänge bislang im Rahmen moralphilosophischer Anschauungen (exemplarisch bei Adam Smith) stets gewesen sind.

Daraufhin wird die gesellschaftstheoretische Ökonomisierungsthese von Karl Polanyi (1978 [1944]) vorgestellt, der behauptet, mit dem Aufkommen der Industria-lisierung habe die neu geschaffene Institution des Marktes sich aus dem Bett der Gesellschaft emanzipiert und diese postwendend zu ihrem »Anhängsel« gemacht.

Entgegen der Idee einer »Entbettung« und Konvergenz von Wirtschaft und schaft in einer »Marktgesellschaft« wird das Verhältnis von Wirtschaft und Gesell-schaft daraufhin aus dem Foucault’schen Blickwinkel als funktionales Verhältnis von Macht und Wissen innerhalb einer historisch-spezifischen Gouvernementa-lität diskutiert. Es wird hier argumentiert, dass weder Polanyis Konvergenzthese differenztheoretisch überzeugt, noch Foucaults Machtanalytik für ein gesättigtes Verständnis von Ökonomisierung ausreicht, da das Verhältnis zwar vor allem mit Blick auf Rechenapparaturen (statistische »Sicherheitspositive«) angelegt ist, die im Rahmen der Arbeit besonders interessieren, gleichzeitig aber dem Eigensinn von Organisationen und der Existenz autonomer Wertbezüge in Gesellschaften nicht genügend Rechnung getragen wird. Ein stärkeres Interesse für Organisa-tionen (und Ordnungsbildung durch Selbstorganisationsprozesse) hat die in syn-taktischer Nähe zu Foucault sich gerierende Governance-Forschung entwickelt, al-lerdings werden Organisationen hier auf eine institutionalistische Perspektive (Re-gelungsstrukturen) verkürzt.

Da dem Phänomen der Ökonomisierung aus Sicht der vorliegenden Arbeit so nicht beizukommen ist, werden zunächst Prämissen formuliert, die in Zusam-menhang mit dem soeben dargestellten Ökonomisierungsdiskurs und dem hier zu entwickelnden Entwurf stehen, Ökonomisierung als Verhältnis von Autonomie und Kalkulation praxis- und organisationstheoretisch aufzuschließen. Es werden insgesamt vier Prämissen diskutiert: Im Rahmen der ersten Prämisse

»Autono-mie« wird der Begriff aus gesellschafts-, institutionen- und professionstheoreti-scher Perspektive in Augenschein genommen und gezeigt, wie er im Rahmen von Arbeiten zu Ökonomisierung bislang Verwendung gefunden hat. Letztlich wird für eine professionssensible Auslegung des Begriffs plädiert, da hierdurch auch pra-xistheoretische Annahmen mitgeführt werden können. Die zweite Prämisse »Ra-tionalisierung« stellt auf die von Max Weber prominent gemachte Diagnose der Moderne als Kultur der Rationalisierung ab, die auch häufig in Zusammenhang mit Ökonomisierungsdiskursen – nicht zuletzt von Seite der Ökonomisierungsbe-fürworter*innen – aufgegriffen wird. Weber fasst den Begriff komplex und ver-ortet ihn auf drei Ebenen (Institution, praktische Lebensführung und Weltbilder).

Er kann als wichtiger Impulsgeber für eine Betrachtung von Gesellschaft gelten, die auf die Bedeutung von Kalkulationen und Zahlen abstellt, gleichwohl sein For-schungsprogramm selbst rationalistisch aufgestellt ist und sich in entscheidenden Hinsichten (vor allem die Institutionen- bzw. Bürokratietheorie, die unter 3.3.2 diskutiert wird) mit idealtypischen Formalbetrachtungen zufriedengibt.

Um den von Weber beschriebenen Rationalisierungsprozess der Moderne stär-ker in Richtung der kalkulativen Praktiken zu rücken, wird unter der dritten Prä-misse »Quantifizierung und Vergleich« geklärt, was eigentlich vor sich geht, wenn Dinge quantifiziert werden und diese eine »numerische Differenz« (Heintz 2010) erzeugen. Über die zählbaren Unterschiede wird zu den numerischen Vergleichen übergeleitet, die als soziale Einrichtungen das Kunststück vollbringen, Gleiches und Differentes in einem Ordnungsrahmen (z.B. als eine Bewertungsskala ärztli-cher Leistungen) unterzubringen. Damit wird offensichtlich, dass es bei Ökono-misierungsvorgängen sowohl zu Wertbemessungen (X erhält einen numerischen Wert) als auch zu Wertschätzungen und -differenzierungen im Sinne sozialer Ka-tegorisierungen (X hat im Vergleich zu Y einen größeren oder kleineren Wert mit Blick auf Kategorie Z) kommt. Zu guter Letzt wird mit der vierten Prämisse »Kalku-lation« auf eine verwandte, aber doch von der Quantifizierung und numerischen Vergleichung zu unterscheidende Rechenoperation abgestellt, die für Ökonomi-sierungsvorgänge entscheidend ist: die Ausrichtung an einer erwerbsmäßigen Zu-kunft. Die Thesen von Weber und Werner Sombart zur Logik der doppelten Buch-führung, zur Funktion des Geldes und die erwerbslogische Differenzierung von Haushalt und Betrieb werden diskutiert, um dann auf Lesarten (u.a.: Bröckling 2007; Miller 2001; Vormbusch 2004) abzustellen, die sich stärker für die soziale Praxis und lebensweltliche Ambivalenz der Kalkulationen fernab rationalistischer Zuschreibungen interessieren.

Im dritten Kapitel erweitert sich das bis dato entworfene Theoriegerüst in Rich-tung einer praxis- und organisationstheoretischen Perspektive auf Ökonomisie-rung. Das Feld der Praxistheorien wird vor allem von Seiten Pierre Bourdieus auf-gerollt, dessen Habituskonzept für die vorliegende Arbeit insofern instruktiv ist, als dass es dabei hilft, die Prämisse einer sozialen (bzw. professionellen)

»Autono-mie« als implizites Erfahrungswissen praxistheoretisch zu konkretisieren. Bour-dieus Theorie sozialer Felder und Soziologie als Ökonomie der Praxis wird disku-tiert, jedoch nicht weiterverfolgt, da in Bourdieus Theorieanlage kein Interesse für die Eigenlogik von Organisationen auszumachen ist. Anschließend werden ver-schiedene Organisationstheorien auf der Suche nach Beschreibungen diskutiert, die für die Analyse von Ökonomisierungsvorgängen und kalkulativen Praktiken relevant erscheinen und zugleich ein Gespür für die spezifischen Probleme ver-mitteln, die Organisationen bearbeiten. Die Auseinandersetzung beginnt mit dem Taylorismus, dessen Programm es war und ist, das in Industrieorganisationen vor-zufindende Erfahrungswissen von Arbeiter*innen zugunsten einer wissenschaftli-chen Betriebsführung (»scientific management«) zurückzudrängen. Bürokratische Theorien der Organisation stellen hingegen auf Koordination durch Formalstruk-turen und hierarchische Regelbefolgung ab. Sie vernachlässigen – für den Gang der Argumentation entscheidend – hierdurch die Existenz von Sozialisationsformen egalitärer Kollegialität (etwa innerhalb professioneller Berufsgruppen von Ärzt*in-nen, Pflegekräften, Sozialarbeiter*innen etc.) und mikropolitische Spiele, die in der Summe eine Charakterisierung bürokratischer Organisation als einem »stahl-harten Gehäuse der Hörigkeit« (Weber) in Zweifel ziehen.

Die dritte Betrachtung von Organisationen stellt stärker auf die komplexen und unsicheren Verhältnisse ab, mit denen Organisationen im rekursiven »Prozess des Organisierens« (Weick 1995) konfrontiert werden. Eine unzureichende Klarheit von Zielen, Ressourcenabhängigkeiten, unzuverlässige Technologien, eine turbulente und äußerst vieldeutige Umwelt, unsichere Entscheidungen als Ausdruck einer unbekannten Zukunft, illoyale Mitglieder, unzuverlässige Stakeholder, usf., stel-len ausreichende Gründe dar, nach der eigenlogischen Praxis des Organisierens, dem spezifischen modus operandi von Organisationen zu fragen. Es wird u.a. mit Rekurs auf systemtheoretische Organisationstheorien (Luhmann 1972, 2003, 2006;

Baecker 1999; 2014; 2017) die Bedeutung von operativen Fiktionen des Organisie-rens beleuchtet, mit deren Hilfe sich Organisationen von Entscheidung zu Ent-scheidung, von Bilanz zu Bilanz, von Projekt zu Projekt hangeln, ihre Mitglieder rekrutieren und zu künstlichen Verhaltensweisen motivieren können. Im prakti-schen »Als-Ob« (Ortmann 2004) erscheint ein Blick auf Organisationen, der kom-patibel ist mit praxistheoretische Annahmen und den in dieser Arbeit entwickel-ten Blick auf Recheninstrumente und »Zahlenwerke« (Mennicken/Vollmer 2007:

10) der Ökonomisierung. Ihnen kommt genau jene Funktion zu: »Wirklichkeits-grundlagen« (Vollmer 2004: 457) zu schaffen, die morgen wieder anders aussehen können. »Organisiertes Rechnen« (ebd.) firmiert dann als Praxis, vermittels derer sich Organisationsmitglieder an der Differenz unterschiedlicher Zukunftsszenari-en ausrichtZukunftsszenari-en und hierüber Leistungsansprüche konstruierZukunftsszenari-en, die als »Aspiratio-nalisierung« (ebd.) durch Zahlen wirksam werden.

Diese Synthese mündet im nächsten Schritt in die Darstellung der Arbeit Latours (2014) zu den drei modernen Existenzweisen der Ökonomisierung.

Nach einer Darstellung der differenztheoretischen Wende, die Latour mit dem Existenzweisen-Projekt vollzieht, wird sein Lieblingsthema vorgestellt: die blin-den Flecke des westlichen Rationalismus zu erkunblin-den, dessen Methode Latour für eine schlecht funktionierende »Institution« hält und als Existenzweise des

»Doppelklick« [DK] bezeichnet. Mit Hilfe der drei ökonomischen Existenzweisen wird ein anthropologisches Verständnis von Ökonomisierung präsentiert, das vor allem die spezifisch wirtschaftlichen Erfahrungen des Besitzens, Berechnens und Organisierens fokussiert. Die drei Existenzweisen formen eine Prozesskette, die je für sich und doch nur gemeinsam, ein Inventar für Ökonomisierungsvorgän-ge darstellt, das hinreichend kompatibel zu den voranÖkonomisierungsvorgän-geganÖkonomisierungsvorgän-genen praxis- und organisationstheoretischen Weichstellungen (vier Prämissen, Habituskonzept, organisationale Fiktionen und Aspirationalisierung durch Zahlen) erscheint.

Im zweiten Teil der Arbeit (Kapitel 4 bis 7) steht die empirische Untersuchung von Ökonomisierungsprozessen in deutschen Krankenhäusern im Vordergrund.

Hierzu erfolgt im vierten Kapitel eine erste vom metatheoretischen Rahmen inspirierte Lesart des Strukturwandels im Krankenhaus- und Gesundheitswesen.

Die Darstellung konzentriert sich anhand der drei Dimensionen »Finanzierung«,

»Leistung« und »Organisation« sowohl auf das alte wohlfahrtsstaatliche Setting als auch auf die neue an Wettbewerb und Effizienz orientierte Ordnungspoli-tik. Insbesondere an den Recheninstrumenten und Kalkulationspraktiken des sich entwickelnden Settings, anhand der »medizinischen Leistungssteuerung«

(Simon 1997) durch Fallpauschalen (DRG), Pay-for-Performance-Modelle als quantitative Rechen- und Bewertungsinstrumente zur Vergütung medizinischer Behandlungsqualität, Kosten-Nutzen-Analysen der Gesundheitsökonomie und einer auf Wettbewerb ausgerichteten Gesundheitspolitik, zeigt sich ein erstes wirklichkeitsgenerierendes Muster der Ordnungspolitik, das sich mit Latours Ökonomisierungsbegriff erhellen lässt. Gleichwohl ist damit noch nicht praxis-theoretisch erschlossen, wie Ökonomisierungsprozesse erfahren und vollzogen werden und wie der medizinische Professionalismus, der das wohlfahrtsstaatliche Setting geprägt hatte, und die habituellen Träger desselben, die Ärzt*innen, auf den Einzug der gesundheitlichen Rechendisziplinen antworten.

Das fünfte Kapitel dient der Vorbereitung der empirischen Analyse insoweit, als dass hier das methodische Rüstzeug – die dokumentarische Methode (Bohnsack 2007, 2013a) – eingeführt und auf das Erkenntnisinteresse der vorliegenden Arbeit hin gelesen wird. Neben einer Darstellung zentraler Begrifflichkeiten (formulieren-de und reflektieren(formulieren-de Interpretation, Fallvergleich und funktionale Typenbildung) und Weiterentwicklungen einer von der dokumentarischen Methode vertretenen praxeologischen Wissenssoziologie, werden Studien vorgestellt, die mit Hilfe der dokumentarischen Methode Organisationen und Zahlen bzw. Kalkulationen

em-pirisch untersucht haben. Zuletzt folgt eine Darstellung der Erhebungsverfahren (Experteninterview, vgl. Meusser/Nagel 2002 und teilnehmende Beobachtung, vgl.

Vogd 2006), die zur Anwendung kamen, sowie die Beschreibung des Samples, das der empirischen Untersuchung zugrunde liegt.

Im sechsten Kapitel, der empirischen Analyse, werden insgesamt vier Begriffs-paare (Transparenz und Mangel; Vergleich und Konkurrenz; Verantwortung und Aktivierung; Objektivität und Krankenhausökonomie) eingeführt, die sich im Rah-men der formulierenden und reflektierenden Interpretationen herauskristallisier-ten und jeweils ein Unterkapitel bilden auf dem Weg zu einem gesättigherauskristallisier-ten Ver-ständnis von Ökonomisierungsprozessen in Krankenhäusern. Sie bilden die zen-tralen funktionalen Bezugsprobleme (vgl. Bohnsack 2007; Vogd 2018a) im empiri-schen Material und stellen auf das grundsätzliche praxeologische »Orientierungs-dilemma« (Przyborski 2004) im modernen Krankenhaus zwischen Autonomie und Kalkulation ab.

Im darauffolgenden siebten Kapitel werden die Analysen im Sinne einer sinn-genetischen Typenbildung (Bohnsack 2013a, 2014, 2017) zusammengeführt. Dies geschieht durch eine Darstellung von vier ärztlichen Handlungsorientierungen (»Erfüllungsgehilfe«, »Als-Ob Kooperation«, »Unternehmerischer Leistungsträ-ger« und »Gemeinsame Mikropolitik«), die ausgehend von einer funktionalen Basistypik – die Spannung zwischen medizinischer Professionalität und öko-nomischer Kalkulation aufrechtzuerhalten – rekonstruiert werden konnten.

Darüber hinaus werden drei Management-Arrangements zwischen kaufmänni-schen Geschäftsführungen, Ärztlichen Direktionen und Chefärzten dargestellt:

»Controllingbasierte Führung und Leistungsexpansion«, »Lose Kopplung« und

»Gemeinsame ›Portfolioarbeit‹ vs. ›Top-Down‹ Steuerung«. Diese nehmen auf die vier sinngenetischen Typen Bezug, gehen jedoch darüber hinaus und stellen auf die Frage ab, in welchen Konstellationen die Akteur*innen stehen und was jeweils für oder gegen ein gelingendes Arrangement im Management spricht.

Anschließend wird unter 7.3 die Konklusion der Arbeit präsentiert, die sich aus den metatheoretischen und empirischen Analysen herausarbeiten lässt und eine (typologische) Antwort auf die Frage nach dem Verhältnis von Autonomie und Kalkulation im zeitgenössischen Krankenhaus zu geben sucht. Unter 7.4 und 8. folgen dann noch ein krankenhausbezogener und wirtschaftssoziologischer Ausblick.

Gesellschaftstheorie

Eine nähere Betrachtung des Begriffs der Ökonomisierung offenbart, wie äußerst vieldeutig die Konzepte sind, die Autor*innen zu ihrer Konturierung heranzie-hen. Im Verlauf der letzten drei Jahrzehnte hat sich Ökonomisierung zu einem umbrella termfür ganz unterschiedliche Beobachtungen entwickelt, die im Allge-meinen eine Ausbreitung marktwirtschaftlich-kapitalistischer Elementeeiner Markt-, Leistungs-, Wettbewerbs-, Wachstums-, Exzellenz-, Innovations-, Effizienz-, Preis- oder Gewinnorientierung in staatlichen Verwaltungen und gesellschaftli-chen Verhältnissen postulieren. Ökonomisierung wird dabei teils synonym mit Begriffen wie »Kommerzialisierung«, »Vermarktlichung«, »Rationalisierung«,

»Privatisierung«, »(Neo)Liberalisierung«, »Managerialisierung«, »Kommodifizie-rung«, »Deregulie»Kommodifizie-rung«, »Monetarisie»Kommodifizie-rung«, »New Public Management« oder auch

»Quantifizierung« verwendet. Häufig werden derlei Begriffe normativ gewendet und zu einer kritischen Zeitdiagnose amalgamiert, wenn sie nicht dezidiert mit einem gesellschaftstheoretischen Anspruch auftreten.1 Der Diskurs ist in der Regel so verteilt, dass die Ausbreitung marktwirtschaftlich-kapitalistischer Ele-mente von der einen (kritischen) Seite als gesellschaftlichesProblemausgemacht wird, während die andere (affirmative) Seite hierin Gestaltungspotenziale er-blickt, die geradewegs eineLösunggesellschaftlicher Verteilungs- bzw. politischer Steuerungskonflikte verheißen.

Jenseits dieser recht offensichtlichen Dichotomie treffen Leser*innen jedoch auf ein Konvolut diagnostischer Thesen, die sich auf vielfältige Untersuchungsbe-reiche richten und dabei völlig unterschiedliche, teils widerstreitende theoretische wie methodische Setzungen vornehmen. Gepaart mit den häufig emotional ge-führten Debatten in der (Fach-)Öffentlichkeit, erscheint Ökonomisierung zuneh-mend als wissenschaftlich fragwürdiger, politischer »Kampfbegriff« (Vogd 2016a:

1 Zum Verhältnis von Gesellschaftstheorie und Zeitdiagnose am Beispiel der Quantifizierung, die unter 2.2.3 ausführlich diskutiert wird, siehe Werron (2018). Eine ausufernde Bespre-chung aller anderen Begriffe wird hier nicht geleitstet. Es werden allerdings einige Begriffe im Verlauf der Arbeit, die für den Fortgang der Argumentation wichtig sind, aufgegriffen.

Eine ausführliche Besprechung bieten etwa Aykel (2013), Geißler (2016) und Peetz (2014).

299; siehe auch Baur 2008). Der Begriff offenbart so besehen eher Erklärungspro-bleme der scientific community, als dass er ein zufriedenstellendes Analyseinstru-ment, geschweige denn eine wissenschaftliche Erklärung für gesellschaftliche bleme liefern würde (vgl. Kette 2019). Dabei ist der im Diskurs entworfene Pro-blemhorizont von großer, teils existenzieller Tragweite, wenn der Term etwa für das Streichen sozialstaatlicher Transferleistungen im Zuge der Ausbreitung »neo-liberaler Glaubenssätze« (Butterwege et al. 2008), für die Gefährdung der Pati-ent*innensicherheit in Krankenhäusern (vgl. Maio 2014) oder zur Bestreitung einer Existenz von Gesellschaft an sich (Thatcher 1987: »there’s no such thing as society«) herhalten muss.

Um einen ersten Überblick zu schaffen, wird der Diskurs über Ökonomisierung an dieser Stelle etwas grobschnittig in eineninteriorenStrang und einenexterioren Strang geteilt. Mit deminteriorenStrang sollen all jene Beiträge gemeint sein, die eine Ökonomisierunginnerhalbdes Wirtschaftssystems betreffen. Gemeint ist eine Binnenperspektive, die »Wirtschaft« als Untersuchungsgegenstand konzipiert, in dem sich selbst unablässig Prozesse der Ökonomisierung ereignen. Diesen Strang haben Schimank/Volkmann (2017: 10) als »Ökonomisierung des Ökonomischen«

bezeichnet. So kann die unternehmerische Priorisierung des Shareholder-Value in einem von kurzfristigen Renditeerwartungen getriebenen Finanzmarkt-Kapitalismus (z.B. Windolf 2005) zulasten von Belegschaftsinteressen als eine Art von Ökonomisierung im Sinne einer forcierten Gewinnorientierung verstanden werden; oder die Produktionsstrategie der »geplanten Obsoleszenz« mit seinen kürzeren Produktionszyklen und den implizierten Nachteilen für Ökologie und Geldbeutel der Konsumenten als Ökonomisierung einer Fabrikationslogik gel-ten, die vormals stärker von ingenieurwissenschaftlichen Qualitätsmaßstäben dominiert war (z.B. Prakash et al. 2016).

Gleichzeitig wird unter dem Banner einer innerwirtschaftlichen Ökonomisie-rung ein weiterer Aspekt offenbar, der den Kitt zwischen Theorie und Praxis be-trifft und auf die historische Entwicklung eines akademischen Fachwissens der Wirtschaftswissenschaften sui generisabstellt. Die Herausbildung einer als Öko-nomikbezeichneten, eigenständigen Wissenschaft fördert ein institutionalisiertes Wissen über wirtschaftliche Zusammenhänge zutage, die unmittelbarer Ausdruck der spezifischen Recheninstrumente der Ökonomik sind, von denen »konstrukti-ve und wirklichkeitsgenerierende Effekte« (Mennicken/Vollmer 2007: 10) ausgehen und welche damit einen bestimmenden Einfluss darauf ausüben, wie Wirtschaft theoretisch verstanden, von anderen Bereichen abgegrenzt und zugleich praktisch vollzogen wird (vgl. Çalışkan/Callon 2009; MacKenzie et al. 2007). Besonderes Au-genmerk fällt im Diskurs auf das wissenschaftstheoretische Fundament der oben bereits eingeführten »neoklassischen« Schulen, die sich ausgehend von der klassi-schen Nationalökonomie (Smith, Ricardo, Malthus, Mill, Say) im späten 19. Jahr-hundert entwickelten und noch immer den Mainstream des Fachs repräsentieren

(vgl. Heine/Herr 2013: 11-315; klassisch: Schumpeter 1954 [1912]). Kritiker monie-ren insbesondere die Formulierung ökonomischer Gesetze bei gleichzeitiger Aus-blendung der Methoden empirischer Sozialforschung (»Modell-Platonismus«, Al-bert 1971 [1963]), die Engführung der wirtschaftlichen Forschungsperspektive auf einen methodologischen Individualismus und das Menschenbild des Eigeninteres-sen verfolgenden, nutzenmaximierendenhomo oeconomicus(z.B. Aretz 1997; Hogd-son 2012), die forschungsstrategische Ausrichtung als positivistische Wissenschaft (»positive economics«, Friedman 1966 [1953]; selbstkritisch hierzu Rubinstein 2006;

Reiss 2012) und die daraus resultierende abgeschlossene Insellage (»insularity«, Fourcade et al. 2015) der Ökonomik innerhalb der Sozialwissenschaften.

Als problematisch hervorgehoben wird, dass all jene Aspekte als nicht-ökonomisch tituliert und von der nicht-ökonomischen Analyse ausgesondert werden (Ökonom*innen sprechen von »externalisieren« bzw. »externen« Effekten), die sich einer mathematischen Quantifizierung und damit exakten Berechenbarkeit entziehen. Der Begriff der Ökonomisierung verweist hier auf die Herausbildung einer hegemonialen Forschungsorthodoxie innerhalb der Wirtschaftswissenschaf-ten in Form einerwertneutralen Rechendisziplin, die konkurrierende (»heterodoxe«) Ansätze vermittels einer radikalen Vereinfachung durch Mathematisierung und Rationalisierung zu übertrumpfen glaubt. Einen Schritt weiter (in Richtung ex-terior) ging Gary S. Becker (1982) mit seinem nobelpreisgekrönten Werk »Eine ökonomische Erklärung menschlichen Verhaltens«. Neben der Haltung, Wirt-schaftswissenschaft als Formalwissenschaft zu betreiben, konzipierte Becker auf Grundlage einer an Lionell Robbins geschulten Definition von Ökonomie2 die Ökonomik als allgemeine Verhaltenswissenschaft vom Menschen, der als präferenzstabiler, nutzenmaximierender Akteur unter Knappheitsbedingungen zwischen konkurrierenden Zielen wählen muss. Aus einer »Verallgemeinerung der Nutzenfunktion« (Tietzel 1983: 230; für eine Kritik am Nutzenkonzept siehe Hodgson 2012) leitet sich sein Anspruch ab, jedes menschliche Verhalten öko-nomisch erklären zu können. Becker weitete die ökonomische Haushaltstheorie beträchtlich aus, indem er Haushalte als »kleine Fabriken« (Becker 1982: 101) mit einer spezifischen Produktionsumwelt definierte. Die Umwelt sollte u.a. über folgende als Waren betrachtete Konsumgüter erschlossen werden (siehe hierzu auch Tietzel 1983): »Reinigung, Ernährung, Fortpflanzung« (ebd.), »Neid, Prestige, physische und psychische Gesundheit, Umsichtigkeit« (ebd.: 166), »die Qualität der Mahlzeiten, Erholung, Kameradschaft, Liebe« (ebd.: 228) oder »die Anzahl und Qualität von Kindern« (ebd.: 215).

Aus sozialwissenschaftlicher Richtung ist der Ansatz seither ausufernder Kritik ausgesetzt, bis hin zur pejorativen Titulierung, es handele sich dabei um eine Art 2 Robbins (1932: 15) »Economics is the science which studies human behaviour as a relationship

between ends and scarce means which have alternative uses«.

»ökonomischen Imperialismus« (Aretz 1997). Diese und andere in der Neoklassik explizierte Axiome (z.B. Grenznutzentheorie, Nutzenmaximierung, Präferenzsta-bilität und Entscheidungsrationalität des homo oeconomicus, Allokationseffizienz und Gleichgewichtsmodell von Märkten) werden in der Forschung einerseits vor dem Hintergrund realwirtschaftlicher Abläufe und empirischer Widersprüche auf ihren wissenschaftlichen Gehalt geprüft bzw. ihre Realitätstauglichkeit in Zweifel gezogen.

Andererseits wird das, was unter dem liberalen Ökonomen und Monetaris-ten Milton Friedman (1966 [1953]) gar in den Rang einer physikalischen Wissen-schaft erhoben wurde (siehe hierzu einflussreich Mirowski 1989, sowie ausführli-cher weiter unten 2.1.2), als Ausfluss einer durch die mathematischen Konstrukte der Mainstream-Ökonomik selbst erzeugtenPerformativität(siehe z.B. Callon 1998;

MacKenzie et al. 2007) undNarration(vgl. McCloskey 1985; ein »ausrichtendes Nar-rativ« Priddat 2013: 421) gelesen. Ökonomisierung wird hier nicht als realitätsfer-nes, idealistisches Rechenspiel diskreditiert, sondern geradewegs als selbsterfül-lende Prophezeiung der Wirtschaftswissenschaften verstanden, da ihre vereinfa-chenden Modellannahmen überhaupt erst die hierfür erforderlichen Verhaltens-weisen und Infrastrukturen (u.a. Markt-, Wettbewerbs- und Verhaltensregeln) be-schreiben. Letztlich brächten sie durch ihre Modellrechnungen jene »calculative agents« erst hervor, von denen sie im Anschluss an Adam Smith ausgehen, sie sei-en bloßer Ausdruck der »Neigungsei-en des Msei-enschsei-en im Naturzustand« (Polanyi 1976:

MacKenzie et al. 2007) undNarration(vgl. McCloskey 1985; ein »ausrichtendes Nar-rativ« Priddat 2013: 421) gelesen. Ökonomisierung wird hier nicht als realitätsfer-nes, idealistisches Rechenspiel diskreditiert, sondern geradewegs als selbsterfül-lende Prophezeiung der Wirtschaftswissenschaften verstanden, da ihre vereinfa-chenden Modellannahmen überhaupt erst die hierfür erforderlichen Verhaltens-weisen und Infrastrukturen (u.a. Markt-, Wettbewerbs- und Verhaltensregeln) be-schreiben. Letztlich brächten sie durch ihre Modellrechnungen jene »calculative agents« erst hervor, von denen sie im Anschluss an Adam Smith ausgehen, sie sei-en bloßer Ausdruck der »Neigungsei-en des Msei-enschsei-en im Naturzustand« (Polanyi 1976:

Im Dokument Arbeit und Organisation (Seite 29-41)