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welcher Wahrscheinlichkeit unter Berücksichtigung der Verteilung der unsicheren Parameter ein Ziel erfüllt oder verfehlt wird. Bei Vorliegen eines mathematischen Modells des Prozesses, welches in jüngerer Zeit immer häufiger für Neubauten wie auch Bestandsanlagen entwickelt wird (vgl. Seider, Seader und Lewin 2004, S. 104), ist die Berechnung einer solchen Wahrschein-lichkeitsaussage mathematisch möglich. Insofern stellt sich die Frage, ob der Schlüsselindikator

„Wahrscheinlichkeit, eine Zielvorgabe einzuhalten / zu verletzen“

die unsicheren Parameter dem Operateur auf eine solche Art und Weise aufbereitet, dass er in der Lage ist, bessere Entscheidungen zu treffen. Die empirische Untersuchung der allgemei-nen Eignung dieses Schlüsselindikators ist Bestandteil der folgenden Abschnitte. Aspekte und Hindernisse der Einführung in der Praxis, wie von W. Lee und Weekman Jr. (1976) zusammen-gefasst, bleiben hierbei unberücksichtigt.

Hinsichtlich dieses Ansatzes ist zu beachten, dass die Zusammenfassung, mathematische Verarbeitung und anschließende Aufbereitung von Wahrscheinlichkeitsinformationen eine Au-tomatisierung von zuvor vom Menschen durchgeführten Tätigkeiten darstellt. Zahlreiche Stu-dien konnten beispielhaft belegen, dass Automatisierung das Situationsbewusstsein beeinträch-tigen kann (Bainbridge 1983). Die Bereitstellung eines Schlüsselindikators zur Entscheidungs-unterstützung entspricht der Automatisierungsstufe 2 auf der fünfstufigen Skala nach Endsley und Kiris (1995).11 Bereits für diese Automatisierungsstufe konnte in einzelnen Studien eine Reduzierung des Situationsbewusstseins festgestellt werden (ebd.). Letztlich handelt es sich beim Situationsbewusstsein allerdings nur um ein mittelbares Ziel, welches keinen Wert an sich darstellt, entscheidend ist die Qualität der Entscheidungen, die der Operateur trifft.

2.6 Fragestellung

Das beschriebene Spannungsfeld aus Zielkonflikten und unsicheren Parametern, in dem Opera-teure in prozesstechnischen Produktionsanlagen arbeiten, und die aus der Literatur entnomme-nen Schwierigkeiten für Menschen mit Wahrscheinlichkeitsinformatioentnomme-nen umzugehen, führ-ten zur Entwicklung des im vorangegangenen Abschnitt beschriebenen Schlüsselindikators.

11Die einzelnen Stufen dieser Skala sind: (1) keine Automation, (2) Entscheidungsunterstützung, (3) konsensuale Automation (Bestätigung der Entscheidungen der Automation erforderlich), (4) überwachte Automation (Entschei-dungen der Automation müssen nicht bestätigt werden, können aber bei Bedarf korrigiert werden) und (5) Volle Automation (keine Eingriffsmöglichkeiten)

Ziel dieser Arbeit ist es nun zu untersuchen, ob der Schlüsselindikator „Wahrscheinlichkeit, eine Zielvorgabe einzuhalten / zu verletzen“ es Operateuren in Leitwarten tatsächlich ermög-lichen könnte, im Sinne der vorgegebenen Ziele bessere Entscheidungen zu treffen.

Die Untersuchung der Fragestellung ist in realen prozesstechnischen Produktionsanlagen nicht möglich, da zum einen bisher nur eine begrenzte Anzahl an Prozessanlagen im Betrieb dynamisch simuliert wird und zum anderen von Seiten der Unternehmen aufgrund von Wirt-schaftlichkeitsbetrachtungen und Zertifizierungsvorgaben derart tiefe Eingriffe in die Leitwar-ten zu Studienzwecken nicht zugelassen werden. Aus diesem Grund wird die Untersuchung der Fragestellung mit Hilfe einer Versuchsumgebung durchgeführt. In dieser wird eine typi-sche Enttypi-scheidungssituation in chemitypi-schen Leitwarten dargestellt: Es sind aufeinanderfolgen-de und mittelbar voneinanaufeinanderfolgen-der abhängige Dosieraufgaben durch manuelle Anpassung aufeinanderfolgen-der Leis-tung einer Pumpe zu bearbeiten, wobei die benötigten Mengen und Lieferzeitpunkte unsichere Einflussgrößen darstellen.

Inhaltlich vergleichbare Aufgaben sind in der täglichen Praxis vieler chemischer Leitwarten anzutreffen. So werden die Blending-Abteilungen12mit Bestellungen der Tankstellenbetreiber konfrontiert und stehen vor der Aufgabe, das gewünschte Endprodukt aus den vorhandenen Zwischen- oder Endprodukten so zusammenzustellen, dass die gesetzlichen Qualitätsvorgaben möglichst genau erreicht werden. Werden sie unterschritten, ist eine Korrektur nur durch teu-re Additive möglich, werden sie überschritten beinhaltet das Endprodukt mehr höherwertige Bestandteile als eigentlich nötig. Neben schwankenden Qualitäten und ungeklärtem Mischver-halten stellen auch die Lieferzeitpunkte und angeforderte Mengen oft kurzfristig anzupassende und nur in Form von Prognosen verfügbare Einflussgrößen dar.

Üblicherweise orientieren sich die verantwortlichen Operateure in diesen Abteilungen an individuellen Erfahrungswerten, unterstützt durch einfache Mischmodelle. Der Schlüsselindi-kator könnte diesen Operateuren Aufschluss darüber geben, mit welcher Wahrscheinlichkeit sie kurzfristige Bestelländerungen, deren Eintrittswahrscheinlichkeiten sich aus vergangenen Daten berechnen lassen, noch bewältigen können und mit welcher Wahrscheinlichkeit sie die Qualitätsvorgaben einhalten, ohne sie deutlich zu übertreffen.

Im Folgenden wird zunächst die zur Untersuchung der Wirksamkeit des Schlüsselindikators entwickelte erforderliche Versuchsumgebung beschrieben und anschließend die Fragestellung in einer Vor- und einer Hauptstudie untersucht.

12Blending(deutsch:Mischen) bezeichnet in der Petrochemie die Herstellung von Zwischen- oder Endprodukten wie Treibstoffen durch Zusammenstellung verschiedener Vorprodukte und Additive.

3 Versuchsumgebung

Um die Auswirkungen der Darstellung von Unsicherheiten für Operateure in Leitwarten der Prozessindustrie zu untersuchen, wurde eine Versuchsumgebung entwickelt, die die im vorhe-rigen Abschnitt erwähnte Dosieraufgabe simuliert. Im Rahmen der Erfüllung der Aufgabenstel-lung sollen die Probanden mit Zielkonflikten (siehe Abschnitt 2.2) konfrontiert werden und zur Entscheidungsfindung die Beachtung mehrerer unsicherer Einflussgrößen erforderlich sein. Im Entwurf der Versuchsumgebung ist zu berücksichtigen, dass hinsichtlich der Durchführbarkeit der Untersuchung eine begrenzte Komplexität von Vorteil ist, da die empirische Untersuchung dann mit Laien ohne verfahrenstechnisches Vorwissen durchgeführt werden kann.

Die zur Verfügung stehenden Versuchsumgebungen wie M-TOPS (M-TOPS2013), AutoCAMS (Manzey u. a. 2008) oder StimulusChecking (Kerer 2011) konnten diese Anforderungen nicht er-füllen, insbesondere ein dynamischer1Prozessverlauf mit Unsicherheiten, wie er in der Praxis häufig auftritt, war in diesen Versuchsumgebungen nicht vorhanden und nur unbefriedigend implementierbar. Aus diesem Grund wurde für die empirische Untersuchung eine Versuchsum-gebung von Grund auf neu entwickelt und eingesetzt. Diese wird im Folgenden beschrieben.

Die Beschreibung der dem simulierten Prozess zugrundeliegenden mathematischen Modelle erfolgt erst im Rahmen der numerischen Untersuchungen in Abschnitt 11.3.

3.1 Simulierter Prozess und Aufgabenstellung

Als simulierter Prozess wurde eine solche Dosieraufgabe gewählt, bei der alle zehn bis fünfzehn Sekunden zu einem fixierten Zeitpunkt eine variierende Menge eines Stoffes bereitgestellt wer-den muss. Bei dem bereitzustellenwer-den Stoff soll es sich um einen Gefahrstoff handeln, der nicht produktionsnah gelagert werden darf und deshalb kontinuierlich per Pumpe gefördert wird.

Aufgabe ist es, die Pumpgeschwindigkeit so zu steuern, dass in dem Moment, in dem die Do-sieraufgabe eintrifft, die für sie benötigte Menge des Gefahrstoffes möglichst genau bereitsteht.

Der Zielkonflikt besteht darin, dass weder zu viel (Überschuss) noch zu wenig (Fehlmenge)

1Dynamischsteht hierbei für das zugrundeliegende mathematische Modell.

des Gefahrstoffs bereitgestellt werden darf. Bleibt Überschuss, so werden Sicherheitsbestim-mungen verletzt, reicht die bereitgestellte Menge hingegen nicht aus, so beeinträchtigt dies die Qualität des Endproduktes.

Die Aktualisierung der Versuchsumgebung (siehe Abbildung 3.1) erfolgt kontinuierlich; den Probanden werden ungefähr die vergangenen zehn Sekunden sowie die folgenden dreißig Se-kunden angezeigt. Somit haben die Probanden in der Regel eine Übersicht über die zuletzt bearbeitete sowie die kommenden zwei bis drei folgenden Dosieraufgaben. Dies ermöglicht ei-ne vorausschauende Anlagenführung, wie sie in realen Anlagen in vielen Fällen erforderlich ist.

Die Probanden haben weiterhin einen Überblick über ihre bisher verursachten Minuspunkte, getrennt nach Überschuss, Fehlmenge und Summe der Minuspunkte.