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Formale Eigenschaften des Gesamtkompositums

4. Eigenschaften der romanischen VNK

4.5. Das Gesamtkompositum

4.5.1. Formale Eigenschaften des Gesamtkompositums

ausgeschlosse-ne Interpretatioausgeschlosse-nen der nominalen Konstituente sind temporale Adjunkte sowie Lokalan-gaben bei Nicht-Bewegungsverben.

(c) Katalanisch

PESABEBÈS (N:MASC:SG)

wieg (VERBALER STAMM)-Babys (N:MASC-PL) ,Babywaage‘

(d) Italienisch

ASCIUGAMANO (N:MASC:SG)

trockne (VERBALER STAMM)-Hand (N:FEM:SG) ,Handtuch‘

Es muss in diesem Zusammenhang jedoch angemerkt werden, dass von den lexikalischen Merkmalen maskulin und nominal in speziellen Kontexten abgewichen werden kann. Das Genus des Wortbildungstyps bzw. der Konstruktion ist mit sehr wenigen Ausnahmen maskulin, wenn aber auf eine belebte Entität mit weiblichem Sexus referiert wird, kann das Genus dem Kontext angepasst werden (vgl. (34)). Genusmerkmale, die im Zusam-menhang mit dem Verweis auf konkrete Referenten in der außersprachlichen Welt unter Bezugnahme auf (biologisch-geschlechtliche) Attribute des Referenten realisiert werden, werden in der Genusforschung unter dem Terminus referentielles Genus (im Gegensatz zum lexikalischen Genus) subsumiert (vgl. auch Dahl 2000).

(34)

La pinchadiscos bebe mucho.

Lit. Die Pieks-Scheiben trinkt viel.

,Die D-Jane trinkt viel.’

In Bezug auf das nominale Merkmal der romanischen VNK lässt sich anführen, dass die Semantik einiger VNK eine attributive oder prädikative Verwendung (35) des Komposi-tums erlaubt (Beispiele teilweise entnommen aus: Desmets & Villoing 2009 und Gather 2001).9

9 Rainer (1993) und auch Ricca (2010) verweisen aufgrund beträchtlicher Vorkommen attributiver Verwen-dungen romanischer VNK im Spanischen und Italienischen auf die Möglichkeit bzw. die Notwendigkeit, zwei Wortbildungsprozesse anzunehmen; wovon einer adjektivische VN-Komposita erzeugt und der andere Komposita mit nominalem kategorialen Status hervorbringt.

(35)

(a) Fr. Paul a acheté du papier tue-mouche.

Lit. Paul hat Papier töte-Fliege gekauft.

,Paul hat eine Fliegenfalle gekauft.’

(b) Sp. Este pasillo tiene tres puertas cortallamas.

Lit. Dieser Flur hat drei Türen schneid-Flammen.

,Dieser Flur hat drei Feuerschutztüren.’

(c) Sp. Es un tío huelepedos.

Lit. Er ist ein Typ riech-Füsse.

,Er ist ein Schleimer.’

(d) Fr. Pierre est rabat-joie.

Lit. Pierre ist reduzier-Freude.

,Pierre ist ein Spaßverderber.’

Der Umstand, dass romanische VNK für gewöhnlich maskulines Genus und ein nominales Merkmal tragen, scheint auf den ersten Blick ein wenig Aufsehen erregendes Detail bei der Beschreibung dieses Wortbildungstyps. Etwas mehr Brisanz erhält die Angelegenheit, wenn man sich, wie bereits erwähnt, noch einmal vor Augen führt, dass romanische VNK exozentrisch sind, d. h. dass keine der beiden Konstituenten sich für einen morphosyntak-tischen Kopf klassifiziert (vgl. Williams (1981), Selkirk (1982) und Di Sciullo & Williams (1987), Scalise et al. 2009 und Kapitel 3). Keine der Konstituenten determiniert die mor-phosyntaktischen Merkmale der gesamten komplexen Einheit (und auch nicht ihre Sem-antik) (vgl. (36) für Katalanisch).

(36)

OBRELLAUNES

obre-llaunes [N:MASC:SG]

öffne [VERBAL STEM / 3sg. PRES]-Dosen [N:FEM-PL]

‘Dosenöffner’

OBRE ist eine verbale Einheit und kann nicht für die Merkmale des Gesamtkompositums verantwortlich gemacht werden, da diese Konstituente grundsätzlich ein nominales Merkmal entbehrt. LLAUNES ist ein feminines Nomen im Plural, auch hier kann festgestellt werden, dass die Eigenschaften des Gesamtkompositums, d. h. maskulin und Singular nicht auf diese Konstituente zurückgeführt werden können. Auch semantisch stellt keine der beteiligten Konstituenten den Denotatsbereich des gesamten Kompositums. Romani-sche VNK sind übersummenhaft, sie sind mehr als die Summe ihrer Einzelteile und die Tatsache, dass romanische VNK stets nominal und maskulin sind, bedarf einer alternati-ven Erklärung bzw. Beschreibung, die m. E. am besten in einem wortbasierten Modell zu erreichen ist (vgl. Kapitel 2 für eine Diskussion und Kapitel 7 für die konkrete Analyse).

Die Kopflosigkeit der romanischen Komposita hat in der Forschung vielfach zu Diskussio-nen geführt, da - insbesondere im Rahmen der generativen Grammatik - eine Übertra-gung der für die germanischen, synthetischen Komposita entwickelten Analyse auf die romanischen Strukturen angestrebt wird. Scalise et al. (2009: 65) klassifizieren romani-sche VNK aufgrund ihrer Kopflosigkeit als „potentially very problematic cases“. Die Struk-tur des vermeintlich äquivalenten germanischen Kompositionstyps ist endozentrisch, d. h.

sie verfügt über eine Konstituente, die die semantischen und moprhosyntaktischen Merkmale des Gesamtkompositums determiniert (vgl. (37a) für Deutsch und (37b) für Englisch).

(37)

(a) Geschirrspüler Deutsch: Geschirrspüler Geschirr-spül-er [MASC.SG]

Geschirr.NEUT.SG-spül-DERI.MASC.SG

(b) Dishwasher Englisch: dishwasher Dish-wash-er [SG]

dish.SG-wash-DERI.SG ,Geschirrspüler‘

Die strukturelle Übertragung einer endozentrischen Analyse auf einen exozentrischen Kompositionstyp ist aus vielerlei Hinsicht problematisch, da sowohl strukturelle; aber ins-besondere auch semantische Vorhersagen getroffen werden, die von den Daten nicht erfüllt werden. Für eine ausführliche Diskussion von Endo- und Exozentrizität möchte ich auf Kapitel 3 verweisen und für eine kritische Diskussion der Übertragung der germani-schen Struktur auf romanische Komposita auf Kapitel 5 und 6. Die hier aufgeführten Ei-genschaften stellen einen Überblick dar und erfüllen an dieser Stelle eine deskriptive Funktion.

Im Sprachvergleich divergierend ist zudem die Serialisierung der romanischen VNK, die mit der romanischen Syntax (Verb-Objekt) koinzidiert (38d). Die aus dem Englischen und Deutschen bekannte Serialisierung für den äquivalenten Kompositionstyp Objekt-Verb (38a-b) führt in den romanischen Sprachen zu ungrammatischen Strukturen (vgl. (38c)).

(38)

Deutsch (OV) (a) DOSENÖFFNER

Englisch (OV)

(b) CAN OPENER (lit. Dosen-Öffner; ,Dosenöffner‘)

Romanisch (VO)

(c) *LATASABRE (lit. Dosen-öffne)

(d) ABRELATAS (lit. öffne-Dosen; ,Dosenöffner‘)

Dies ist insbesondere deshalb bemerkenswert, da das Englische die morphologische Seria-lisierung OV aufweist, obwohl die in der Syntax anzutreffende SeriaSeria-lisierung VO ist. Damit teilen Deutsch und Englisch die morphologische Wortstellung und die romanischen Spra-chen und Englisch die syntaktische.

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass es sich bei den romanischen VNK um lexikalische, singularische Nomen mit maskulinem Genus handelt, die das Genus sowie die

morpho-syntaktische Kategorie kontextgegeben ändern können. Sie unterscheiden sich von ihren germanischen Äquivalenten durch ihre Exozentrizität, d. h. durch ihre Kopflosigkeit. Des Weiteren weisen sie eine mit der romanischen Syntax korrelierende Wortstellung auf (VO).

4.5.1.1 Exkurs: Die Akzentstruktur romanischer VNK

Über die Akzentstruktur romanischer VNK werden unterschiedliche Angaben gemacht, die alle „nur auf Sprecherintuitionen beruhen“ und deshalb „mit Vorsicht zu bewerten“

sind (Gather 2001: 10). Diese Sprecherintuitionen dienen auch selten einem rein deskrip-tiven Zweck, da sie in der Regel in eine Argumentationslinie eingebettet werden, die dar-über entscheiden soll, welche Schlüsse aus der Akzentstruktur dar-über den Status als Wort bzw. als Phrase zu ziehen sind, wobei ein Hauptakzent auf den Status als Wort hinweist, zwei Hauptakzente hingegen eine Klassifizierung als phrasales Element plausibel machen.

Es sei jedoch angemerkt, dass die Frage, inwiefern die Akzentstruktur ein verlässlicher Indikator für die Definition von Komposita ist, in der Literatur kontrovers diskutiert wird (vgl. auch Gather 2001: 10).

Darüber hinaus ist die Akzentstruktur romanischer VNK kaum einheitlich zu beschreiben, da die Phonologie der einzelnen romanischen Sprachen unbestritten derjenige Punkt ist, an dem – wenn überhaupt – am wenigsten von einer einheitlichen Gruppe „romanische“

Sprachen gesprochen werden sollte. Für das Französische steht fest, dass der Wortakzent kein entscheidendes Kriterium für die Definition eines Wortbildungstyps sein kann, da diese Sprache „keinen Wortakzent im eigentlichen Sinn kennt“ (Gather 2001: 10). Für das Italienische stellen Vogel & Scalise (1982) fest, dass die VNK den Hauptakzent auf der no-minalen und einen Nebenakzent auf der verbalen Konstituente tragen. Ähnliches attes-tiert Wheeler (1979) für das Katalanische, wobei dieser Nebenakzent bei lexikalisierten Einheiten verloren gehe und zusätzlich eine Vokalreduktion in der verbalen Konstituente stattfinden könne. Für das Spanische attestiert Lloyd (1968) jeweils einen Hauptakzent auf der verbalen als auch auf der nominalen Konstituente. Die Mehrheit wendet sich je-doch gegen eine solche Einschätzung. Die Grammatik der Real Academia Española (1973) bekräftigt, dass nur die zweite Konstituente einen Akzent trage. Bustos Gisbert (1986)

schließt sich dieser Position an, allerdings mit der Einschränkung, dass bei denjenigen VNK, bei denen der betonten Silbe mehr als drei Silben vorangestellt sind, ein Nebenak-zent auf dem Kompositumserstglied zu verzeichnen ist. González Ollé & Casado Velarde (1992: 105) attestieren „un solo acento principal localizado en el segundo elemento“ [ei-nen einzigen Hauptakzent auf dem zweiten Element; meine Übersetzung] und Contreras (1985) argumentiert dafür, dass im Normalfall stets ein Nebenakzent auf der verbalen Konstituente liege. Ähnlich wie Gather (2001) halte ich den Standpunkt, „romanische“

VNK trügen zwei gleichberechtigte Hauptakzente je auf der verbalen und nominalen Kon-stituente für zweifelhaft und kontraintuitiv. Ich gehe davon aus, dass romanische VNK als ein phonologisches Wort zu repräsentieren sind. Den Nachweis, ob und in welcher Form die verbale Konstituente mit einem Nebenakzent versehen ist, bildet den Gegenstand akustischer Analysen, die außerhalb der Fragestellung dieser Arbeit liegen. Das nun fol-gende Kapitel beschäftigt sich mit den möglichen Interpretationen romanischer VNK.