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2.2 Rahmenbedingungen des Marktengagements in Südostasien

3.3.1 Das Fluggänsemodell regionaler

Das Fluggänsemodell wurde von AKAMATSU in den 30er Jahren entworfen,549 aber erst nach zahlreichen Überarbeitungen in den frühen 60er Jahren dem

548 Vgl. z. B. LÜCKE [1996], S. 3; BLEICHER [1982], S. 421ff.; WILMES [1996], S. 53ff.; JOHNSON [1982], S. 9, 157ff., 242ff.; OHMAE [1982], S. 231ff.; ABEGGLEN [1984], S. 101ff.; MORISHIMA [1982], S. 187ff.

549 Erstmals erwähnt in AKAMATSU [1935], wo der Autor schreibt: „Wir entdecken eine Reihe von Verbindungen von Import zu Produktion, von Produktion zu Export ... wir sollten in der Lage sein, ein Fluggänse-Schema von Import, Produktion und Export in einer Industrie zu formulieren.“ (EBENDA, S. 208; Übersetzung durch den Verfasser; im Original ohne Her-vorhebung). Das Modell wird vertieft in AKAMATSU [1937], wo die Stadien Import, Inlands-produktion und Export anhand von Baumwolle, Baumwollprodukten und Maschinen für die Verarbeitung von Baumwolle ausführlich untersucht werden.

ternationalen Publikum vorgestellt.550 Das Beschreibungsinteresse des Modells richtet sich auf das wirtschaftliche Zusammenspiel von verschiedenen Ländern innerhalb einer Region. Hierzu werden zwei Arten von Ländern unterschie-den.551 ‘Führungsländer’ (senshinkoku) zeichnen sich dadurch aus, dass sie einen komparativen Vorteil gegenüber ‘Folgeländern’ (kôshinkoku) besitzen. Aufgrund dieses Vorteils vermag das Führungsland in einer ersten Phase des Modells ein bestimmtes Gut zu produzieren. Durch internationale Kommunikation wird das Gut auch in dem Folgeland bekannt, wodurch dort eine entsprechende Nachfrage entsteht.552 Das Folgeland ist wegen seines relativen Nachteils zu-nächst gezwungen, die Inlandsnachfrage durch Importe zu befriedigen. Da es sich auf einer niedrigeren Entwicklungsstufe befindet, ist seine Wirtschaft noch auf die Erschließung von Rohstoffen und nicht auf die Herstellung von Kon-sumgütern ausgerichtet. Auf dem Wege einfacher Nachahmung wird in einem zweiten Stadium zur Befriedigung der steigenden Inlandsnachfrage die Produk-tion im Folgeland aufgenommen. Allmählicher Technologietransfer ermöglicht später die Überwindung der anfänglichen Qualitäts- und Kostenprobleme, und die Ausweitung der Produktion führt zu einer Substitution der Importe aus der Vorreiternation. Lohnkostenvorteile gegenüber dem Führungsland führen die Produktion langfristig zu internationaler Wettbewerbsfähigkeit. So kann das Gut trotz rückläufiger Inlandsnachfrage in einer dritten Phase exportiert und die Produktion insgesamt dank steigender Nachfrage aus dem Ausland ausgewei-tet werden. Das Führungsland hat seinen komparativen Vorteil in Bezug auf das betrachtete Gut an das Folgeland verloren.

Diese drei Phasen industrieller Entwicklung bilden den Kern des Fluggänse-modells in seiner ursprünglichen Form. Später wurde noch eine vierte Phase hinzugefügt. Wie in dem vorhergehenden Stadium das Führungsland verliert die betrachtete Nation - nunmehr selbst ein Führungsland - den erworbenen komparativen Vorteil wieder an ein dann nachfolgendes Land. Wenngleich die Produktion nicht ganz abwandert, so wird doch der Großteil der Nachfrage erneut durch Importe - diesmal jedoch aus dem nachfolgenden Land - befrie-digt.553 Die somit frei gewordenen Kapazitäten stehen für eine Neuausrichtung

550 Vgl. AKAMATSU [1961], S. 196ff.; AKAMATSU [1962], S. 1ff.

551 Ausführlich zum Fluggänsemodell vgl. KORHONEN [1994], S. 93ff., insbes. S. 95-102

552 Der genaue Grund für die Entstehung eines Absatzmarktes wird von AKAMATSU nicht genannt. KORHONEN verweist darauf, dass es sich um „eigenartige, interessante oder einfach nur nützliche Güter“ (KORHONEN [1994], S. 35; Übersetzung des Verfassers) handeln mag.

Für das Verständnis des Modells ist die Frage nach dem genauen Grund aber unerheblich und braucht somit nicht weiter vertieft zu werden.

553 Dieses Stadium wird vielfach als Reverse-Import, vereinzelt auch als Wealth-Phase bezeichnet (vgl. z. B. MORTIMORE [1993], S. 17; KORHONEN [1994], S. 98). Im Übrigen wurde

der Industrie zur Verfügung. Der Strukturwandel zielt auf Produkte, welche das Land entweder von einer ihm vorauseilenden Nation übernommen oder selbst entwickelt hat.

Abbildung 3.1 zeigt im oberen Teil die Phasen des Fluggänsemodells in graphi-scher Darstellung. Dabei ist zu erkennen, dass die letzte Phase eines Zyklus gleichzeitig die erste Phase des nächsten Zyklus darstellt. Außerdem veran-schaulicht die graphische Aufbereitung im unteren Teil der Abbildung den Hintergrund der Namensgebung. Die Bezeichnung als Fluggänsemodell ent-stand in Anlehnung an Wildgänse, von denen gesagt wird, sie zögen „im Herbst von Sibirien nach Japan und vor dem Frühjahr wieder zurück in den Norden, wobei sie in Form umgekehrter ‘V’s fliegen, von denen jedes das ande-re zum Teil überlagert.“554

Im Fluggänsemodell werden mithin drei verschiedene Entwicklungsprozesse zusammengefasst. Mit Blick auf eine bestimmte Industrie in einem Land be-schreibt es erstens einen Zyklus mit den Phasen ‘Import’, ‘Inlandsproduktion’,

‘Export’ und ‘umgekehrter Import’ (Reverse-Import’). Da die letzte Phase einer Industrie in dem betreffenden Land regelmäßig in die erste Phase einer ande-ren, komplexeren Industrie mündet, beleuchtet das Modell zweitens den Wan-del des Leistungsschwerpunktes eines Landes von Konsumgütern hin zu Kapital-gütern und von einfachen zu komplexen Produkten. Weitet man den Blickwin-kel schließlich noch über den nationalen Rahmen hinaus, so ist die dritte Funk-tion die des dynamischen Ordnens einer Mehrzahl von Ländern nach ihrem je-weiligen wirtschaftlichen Entwicklungsniveau.555

AKAMATSUs Phaseneinteilung nicht von allen Autoren übernommen, so dass gelegentlich auch von fünf Stadien die Rede ist (s. etwa BLOMQVIST [1996], S. 219; YAMAZAWA [1990], S. 27ff.).

554 AKAMATSU [1961], S. 205f. (FN 1)

555 Vgl. AKAMATSU [1961], S. 208. Ähnlich auch BLOMQVIST ([1996], S. 217), der a) die Visualisierung der Entwicklung einer Industrie im Zeitablauf,

b) die Beleuchtung des Wandels in der Industriestruktur eines Landes und c) das Hervorheben der Interdependenzen zwischen Ländern

als die Funktionen des Modells nennt.

a) Phasen des Fluggänsemodells556

b) Ursprung der Namensgebung557 Abbildung 3.1: Das Fluggänsemodell nach AKAMATSU

Der fließende Charakter des Modells wird noch unterstrichen durch die Erwei-terung der genannten Ländergruppen um die der ‘neu heranwachsenden Län-der’ (Newly rising countries, shinkôkoku). Bei ihnen handelt es sich um Länder, welche sich schneller als andere entwickeln und deren relative Position somit steigt.558 Ferner gibt es Nationen, welche zwar räumlich in einer Fluggänse-Region liegen, doch in Ermangelung internationaler Kontakte mit einem Vor-reiterland noch nicht in den Prozess eingebunden sind. Insgesamt lässt sich feststellen, dass internationale Kommunikation und ein Initial-Import zentrale

556 Eigene Darstellung, in Anlehnung an YAMAZAWA [1990], S. 29

557 Entnommen aus AKAMATSU [1961], S. 206

558 Vgl. KORHONEN [1994], S. 95

Bedeutung für den nachfolgenden, großen Entwicklungssprung beigemessen wird.559 Interessant ist, dass in diesem Zusammenhang in der Literatur ver-schiedentlich von einer ‘Verführung’ des Nachfolgelandes die Rede ist.560 Para-doxerweise scheint ein Folgeland dabei später umso unabhängiger zu werden, je mehr es in der Frühphase des Zyklus von der Kultur des Führungslandes beeinflusst wurde.561 Bestes Beispiel hierfür scheint Japan zu sein.

Von zentraler Bedeutung für die modellgemäße wirtschaftliche Entwicklung einer Region ist AKAMATSU zufolge das Verhältnis, in dem die Ökonomien der beteiligten Länder zueinander stehen. Es kann entweder komplementärer oder substitutiver Natur sein.562 Ein komplementäres Verhältnis beschreibt einen Zu-stand, bei dem die Industriestrukturen der beteiligten Länder einander ergän-zen, so dass der internationale Handel aufgrund ineinander greifender Speziali-sierungsvorteile gefördert wird. Ein substitutives Verhältnis hingegen wirkt auf-grund konkurrierender Industriestrukturen handelshemmend. Entsprechend können Direktinvestitionen im Ausland handelsförderlich sein, wenn sie die internationale Arbeitsteilung durch Schaffung komplementärer Strukturen un-terstützen.563 Handelsförderlich wäre beispielsweise die Errichtung einer Pro-duktionsstätte in einem Nachfolgerland durch eine Unternehmung aus einem Vorreiterland, wenn die Investition einer Industrieverlagerung im Sinne des Fluggänsemodells dienlich ist. Dies war der Fall, als japanische Textilhersteller ihre Betriebe (= Produktion von [einfachen] Konsumgütern) in den 30er Jahren nach Korea verlegten, weil die dortigen Lohnkosten deutlich unter denen in Japan lagen. Mit Blick auf die Textilindustrie befand sich Korea seinerzeit in der dritten Phase (‘Export’), Japan in der vierten Phase (‘Reverse-Import’) des Mo-dells. In Japan wurden die dadurch freiwerdenden Ressourcen derweil in die Herstellung von Textilmaschinen (= Produktion von [komplizierten]

559 Vgl. KORHONEN [1994], S. 96

560 Vgl. etwa KWANG [1994], S. 187

561 Vgl. KORHONEN [1994], S. 100f.

562 AKAMATSU verwendet hier die Begriffe ‘homogen’ und ‘heterogen’ und sieht darin die zwei möglichen Formen der ‘oppositiven Beziehung’ zweier Länder: „Bei Anwendung des Prin-zips auf die Beziehungen der verschiedenen Nationalökonomien der Weltwirtschaft weisen die Nationalökonomien mit homogenen Wirtschaftsstrukturen eine substitutive und konflik-täre Beziehung auf, während diejenigen mit heterogenen Wirtschaftsstrukturen über eine komplementäre und praktisch verwertbare Beziehung verfügen. Das bedeutet, dass die komparative Kostenstruktur in einer heterogenen Beziehung unähnlich und in einer homo-genen Beziehung ähnlich ist.“ (AKAMATSU [1961], S. 198, Übersetzung des Verfassers; im Original ohne Hervorhebungen) Von der Begriffswahl AKAMATSUs soll hier bewusst abge-wichen werden, um den missverständlichen Ausdruck einer ‘homogenen Opposition’ zu vermeiden.

563 Vgl. KOJIMA [1986], S. 69ff.

gütern) gelenkt. Die Direktinvestitionen fördern hier den Handel in Textilien von Korea nach Japan und die Ausstattung der koreanischen Industrie mit ja-panischen Anlagen. Im Gegensatz dazu erzeugen handelshemmende Auslands-investitionen substitutive nationale Wirtschaftsstrukturen. Als Beispiel hierfür verweist KOJIMA etwa auf die amerikanischen Auslandsinvestitionen im Bereich der Informationstechnologien. 564

Obwohl das Modell ursprünglich aus der Beobachtung anderer Regionen ab-geleitet wurde565, scheint es besonders gut die Entwicklungen in Asien zu be-schreiben. Auf regionaler Ebene käme Japan die Rolle als Führungsland zu. Die erste Gruppe von Folgeländern wären seine ostasiatischen Nachbarn (Süd-Korea, Taiwan), die zweite Gruppe die ASEAN-Staaten. Am Beispiel letzterer lässt sich auch feststellen, dass das Modell ebenfalls geeignet ist, den Industria-lisierungsprozess auf nationaler Ebene treffend abzubilden.566 Weil es in Japan entwickelt wurde, wo es schnell zum mit Abstand bekanntesten Modell regio-naler Wirtschaftsentwicklung avancierte, und weil es vor allem von offizieller Seite zur Erklärung der Wirtschaftsbeziehungen zwischen Japan und Südost-asien herangezogen wird,567 ist zu prüfen, ob es neben seiner deskriptiven auch eine handlungsleitende Funktion für das staatliche Agieren gehabt haben könnte, aus welcher der japanischen Automobilindustrie womöglich ein Wett-bewerbsvorteil in Südostasien entstand.

3.3.2 Mögliche Formen der Unterstützung durch die japanische Regierung