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flickter Räume, Vorgesetzter glänzender Fassaden zu eng, hatten einen

k le in s tä d tis c h e n , o ft spieß b ürg e rlich e n Z u sch n itt.

D ie häufig e n g s tirn ig e , m anchm al b lin d e V e rb isse n h e it in diese A n lie g e n und in ih re m Gefolge die In to le ra n z , eine w a hrh a ft "in q u is ì-to ris c h e ", w ie S cheibert m e in t 30, gegenüber dem Andersdenkenden is t nur a ls le id e n s c h a ftlic h e Suche nach A ntw orten auf an Ü b erforderung grenzende H erausforderungen zu verstehen; diese H erausforderungen (ic h w ähle dieses zunächst w e rtfre ie W o rt, w e il es sowohl das E rs tre - b e n s -, Nachahm enswerte a ls auch das zu Überwindende m einen kann) la ssen sich u n te r wenigen S tichw orten zusam m enfassen:

/ Das ” E rbe des A lte n R ußland", a ls In ka rn a tio n des " p a tria rc h a l!- sehen D ru c k s " (S cheibert), der 'P r o v in z ', des G enerationenkon- f lik t s e in e rs e its , a n d e re rs e its a ls Zeichen fü r das z u k u n fts trä c h - tig e sp e zifisch R ussische.

/ D ie eigene p h y s is c h -m a te rie lle und in te lle k tu e lle K o n stitu tio n . / D ie H auptstädte: das a u fg e klä rte , das g e istig e Rußland, dessen

Spaltung offenbar w ird , aber auch die elende V o rs ta d t.

D er E in d ru ck des U nstabilen entpuppt sich a ls V erä n d ern der O p tik , a ls P a rie re n m it im m e r neuen M itte ln auf im Grunde g le ic h - bleibende K onfrontationen. W as B e lin s k ij n ich t gelang: die D is ta n z ie

-T s c h iź e w s k ij, S. 209.

S cheibert, S. 172; ä h n lich T s c h iź e w s k ij, S. 207f. , der sich dem berühm ten U r te il Samar ins anschließ t. Rolf Lettmann - 9783954793501 Downloaded from PubFactory at 01/10/2019 06:13:45AM

ru n g , das S p ie le ris c h e , das den H e ra u sfo rd e ru n g e n das B e d ro h lich e ge- nommen h ä tte , d e r B e w ä ltig u n g das V e rz w e ife lte , das L e id e n s c h a ftlic h e , das der nüchternen B e tra ch tu n g o ft den W eg v e r s te llte . A b e r w ie e in e r Sache H e rr w e rd e n , wenn d ie M itte l, b e vo r überhaupt r ic h t ig e rp ro b t, ungeduldig a ls u n ta u g lich e ü b e r B o rd gew orfen w e rd e n ?

1.22

B e lin s k ij w uchs in d e r P ro v in z auf. D as M ilie u des E lternhauses ־ der V a te r w a r L a n d a rz t ־ w a r k le in b ü rg e rlic h . Von den M enschen d ie - se r S chicht, in d e r d ie F a m ilie getreues A b b ild der feudalen G e s e ll- schaftsordnung w a r: a u to r itä r , auf K o n s e rv ie ru n g bedacht, m iß tra u is c h gegen a lle s Neue, jeden W id e rs p ru c h , je d e s A n d e rs s e in s tre n g ahn- dend, Gott und Z a r bedenkenlos ergeben, w a re n keine R evolutionen zu

Ш

e rw a rte n ; to ta l angepaßt, le b te n s ie in e in e r d u rc h D ogm a und Ukaz eingezäunten, h e ile n , w eü abgeschlossenen W e lt, e n tw ic k lu n g s fre m d , d a m it man sic h im M o rg e n so le ic h t zu re ch tfa n d w ie im H eute. D er B rie fw e ch se l B e lin s k ijs m it s e in e r F a m ilie z e ig t das G ew icht d ie se r B ürde, die e r z e itle b e n s tru g 31. A us diesen Jug e n dja h re n in der P ro - v in z , in C em bar (1815-25), in Penza (1825-29) hat B e lin s k ij w ohl nur

das B ild des stu m p f in d ie s e r A tm o sp h ä re V e rh a fte te n b e w a h rt. D ie andere, aus einem s e n tim e n ta lis c h e n V e rh ä ltn is d e r Stadt zum Land e rk lä rb a re V o rs te llu n g vom R ussen, vom g e w itzte n , b ü d b a re n , m it gesundem M enschenverstand begabten, la g in d e r L u ft. B e lin s k ij g r if f diese F ik tio n a u f, setzte seine Hoffnungen auf eine lite r a r is c h e E r fin - dung, die m it dem A nspruch a u ftra t, das ty p is c h e Rußland zu tre ffe n , die den Russen m it G e ra d h e it des Denkens und A u fric h tig k e it des F üh- lens a u ssta tte te . D ie se M enschen beneidete B e lin s k ij um ih re n G ott, um eine G lä u b ig k e it, die n ic h t w ie ein M a n te l, a ls etw as Äußeres an- gelegt w ird , sondern von innen h e r S tärke und W ärm e v e rle ih t.

Man könnte d ie s e r a m b iva le n te n E inschätzung des R ussen, e in e r A m b ivale n z, die auch B e lin s k ijs E in s te llu n g zu anderen Erscheinungen

H ie rzu a u s fü h rlic h : S chultze, V. G. B e lin s k ij, S. 39ff

kennzeichnet, das P rä d ik a t d e r d iffe re n z ie re n d e n Anschauung geben, wenn n ic h t d iese s 4S o w o h l-a ls -a u c h ' in B e lin s k ijs Äußerungen a llz u le ic h t zu einem k a te g o ris c h e n 'E n tw e d e r-o d e r' e n ta rte te , zu e in e r fa s t la u n isch e n Ü berzeichnung des einen und V e rn a ch lä ssig u n g des anderen. F ließ ende Übergänge sind eben n u r aus e in e r b e stim m te n

E ntfernung h e ra us zu erkennen. W as a ls V o r u r te il den Russen gegen- über so le ic h t b e i d e r Hand is t : das V e rd ä c h tig s e in des K o m p ro m isse s - auf B e lin s k ij t r i f f t es zu.

Es gab eine H e ra u s fo rd e ru n g , d ie w ie keine u n m itte lb a r und im le tz te n L e b e n sja h rze h n t a llg e g e n w ä rtig w a r: d ie K ra n k h e it. Das ja h re - lange L u n g en le ide n w ir d n ic h t z u le tz t U rsache d e r U n ra s t und der daraus re s u ltie re n d e n O b e rflä c h lic h k e it gewesen se in . A us d e r A n g st, die w e - nige Z e it könne ungenutzt v e rta n s e in , w e n ig e r aus m angelnder g e is ti- ger K a p a z itä t, le ite t s ic h d ie o ft b lin d e , nur auf s ta rk K o n tu rie rte s re a g ie re n d e W iß b e g ie r ab.

A n g e m e rkt w e rd e n m uß d ie u n g e sich e rte m a te rie lle E xistenz, ein w e s e n tlic h e r F a k to r des 'b e w u ß tseinbestim m enden S e in s'. Bowman

*

s c h re ib t m it R e ch t, daß es fü r einen Caadaev oder einen F ü rs te n Odoev-s k ij le ic h te r w a r, zu einem "k la re n in te lle k tu e lle n V e rOdoev-s tä n d n iOdoev-s der Übel der ru s s is c h e n k u ltu re lle n F o rm lo s ig k e it" zu kom m en, wenn man die

"F in s te rn is , in d e r das V o lk le b te " n u r aus d e r F e rn e b e tra ch te te und n ic h t, w ie B e lin s k ij, in d e re n Schatten 32 leben m ußte. Es is t m üßig zu fra g e n , was G röß ere a ls B e lin s k ij m it le e re n T aschen, ohne das Unab- hängigkeit gewährende P o rte fe u ille b e g ü te rte r F a m ilie n geschrieben hätten und jem andem g e re ch t w e rd e n , kann n ic h t heißen, nach m ild e rn - den Um ständen suchen. A b e r v ie lle ic h t s o llte m an d ie F ü lle von A u f- sätzen und R ezensionen, d ie um und n u r um des H o n o ra rs w ille n ge- schrieben w urden und o ft entsprechend sch le ch t w a re n , s c h lic h t ü b e r- gehen, s ta tt s ie B e lin s k ij a n zu kre id e n und, b e vo r m an d ie p h ilo so p h i- sehe D u rch trä n ku n g b e la n g lo se r A r tik e l a n p ra n g e rt, bedenken, daß

Bowm an, S. 32

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diese Gedanken o ft nur deshalb so d e p la c ie rt s in d , w e il sich d e r geeig-nete Rahmen n ic h t verkaufen lie ß . D iese B etrachtungsw eise is t h e ik e l, aber ohne diesen B lic k w in k e l bleiben Lücken im B ild . M angelnder A b -stand kann eben beides bedeuten: enge E in s e itig k e it, d ie U nfähigkeit zu o b je k tiv ie re n , ins große Ganze einzuordnen und E rg riffe n h e it, die F ä -h ig k e it, sic-h le id e n s c -h a ftlic -h zu engagieren. Es is t w o-hl doc-h "das große H e rz 11 33 Vengerov ü b e rs c h rie b eine Abhandlung so , das B e -lin s k ij von der "etw as hohlen, a u sschließ lichen In te lle k tu a litä t" 34 eines B akunin, auch wohl eines H erzen unterschied.

Nach M oskau kam B e lin s k ij m angelhaft v o rb e re ite t, sehr belesen z w a r, auf geschlossen und m it scheinbar unbegrenzter A ufnahm efähig- k e it begabt, aber sein W issen w a r n ich t k o o rd in ie rt, sein L e rn e ife r u n g e zie lt, ein etwas w a h llo se r B ildungshunger. Z w a r hatte B e lin s k ij das G lück gehabt, in Penza die Freundschaft eines G ym n a sia lp ra fe

s-*

so rs zu gewinnen, e ine n F ö rd e re r se ine r A nlagen, und auch in Cem bar w ar e r n ich t gänzlich vom k u ltu re lle n Rußland abgeschnitten 35; d o rt hatte ihm die B ib lio th e k V erw andter z u r V erfügung gestanden. Aber das Angelesene w ar noch n icht in ein Gedankengebäude eingebracht w orden. O bgleich von anderer H e rku n ft a ls d ie m e iste n M oskauer In -te lle k tu e lle n , w urde B e lin s k ij ohne V o rb e h a lt a k z e p tie rt. Stankevič und sein K re is w aren ihm M ittle r , Ü bersetzer v o r a lle m 36, d e r deut-

sehen P hüosophie: H e rd e r, A .W . Schlegel, S ch e llin g , F ic h te , später H egel

V engerov: V e liko e serdee, S. 247ff.

S cheibert, S. 175.

H ie rz u a u s fü h rlic h : Bowm an, S. 31ff. und V engerov, S. 298ff.

Zu den Sprachkenntnissen B e lin s k ijs , u n te r d eren M a n g elh a ftig - k e it er zeitlebens l i t t , die zu erw erben e r sic h nie die Z e it nahm, v g l. Bowman, S. 37. W e lle k m iß t der unzureichenden K enntnis

des Deutschen (und F ranzösischen) n ic h t eine so große Bedeu-« « tung zu, da hinreichend v ie le Übersetzungen Vorgelegen hätten (S. 245). W e lle k u n te rsch ä tzt m . E. das M om ent der v o re in g e - nommenen Ausw ahl. B e lin s k ij w ar eben n u r das ־ und m eistens schon ko m m e n tie rt - zugänglich, was z .B . K a tko v, Nadeždin, später Bakunin le se n s- und über setzensw ert e rsch ie n .

33 34 35 36

B ezugloses T h e o re tls ie re n b lie b B e lin s k ij fre m d . T h e o rie w a r ihm im m e r nur - und d a m it ste h t e r keineswegs a lle in - a ls anwendbare denk-b a r, Kunst a ls n u tzdenk-b ring e n d e , denk-belehrende, aufklärende. Man muß m . E.

das V e rh ä ltn is von D enkm odell und W irk lic h k e it b e i B e lin s k ij ganz v o r -d e rg rü n -d ig a ls T y p is ie ru n g -der re a le n E rscheinungen, re s p . A ufspüren des T ypischen in d e r R e a litä t sehen. D e r V e rsu ch , die zeitgenössischen philosophischen S tröm ungen zum M aßstab fü r B e lin s k ij zu nehmen,

scheint m ir u n ta u g lic h zu se in. Um b e i ihm von k la r geschiedenen P e-rio d e n dieses oder je n e s E in flu sse s zu sprechen, fe h lt ganz einfach die D u rch d rin g u n g d e r W eltanschauungen. A uf d e r ständigen Suche nach e in e r A u to ritä t z u r B estätigung se ine r M einungen g r if f B e lin s k ij das aus den Denkgebäuden h e ra u s, was in sein Konzept paßte. O ft begnüg-te e r sich m it der bloßen Nennung eines großen Nam ens, um m it dem G ew icht, dem 'W a llu n g s w e rt' des z itie rte n Kronzeugen jeden Z w e ife l an den eigenen Aussagen zu e rs tic k e n . Es is t v ie l geliehener Glanz in B e lin s k ijs W e rk . Bow m an nennt das ״ in te lle k tu e lle A b h ä n g ig ke it";

S cheibert bezeichnet B e lin s k ij a ls einen "G e is t, der e rn s th a ft und v e r -g e b lich um -g e is ti-g e U nabhän-gi-gkeit ra n -g " 37. Das is t ric h tig ; ric h tig is t aber auch, daß d ie A n zie h u n g skra ft d ie se r heterogenen V o rb ild e r n ic h t v e rm o c h te , B e lin s k ij von den Grundzügen se in e r Anschauung ab- zuziehen, daß e r den s ta b ile n K e rn se ine r Überzeugungen o ft le d ig lic h v e rb rä m te , zeitgem äß a u fp u tzte , ihnen den A n s tric h von P hilosophie gab.

B e lin s k ij le g t d ie P e rio d is ie ru n g se in e r S chaffenszeit nahe, weü e r sich s e lb s t nach w esteuropäischen D enkern k a te g o ris ie rte , aber das B ekenntnis zu einem P hilosophen besagt noch n ich ts über den G rad der V e ra rb e itu n g s e in e r Ideen, In le tz te r Z e it is t René W e lle k den E in stu -fungen entgegengetreten:

"N o r can one d is tin g u is h nead p e rio d s in B e lin s k y s c r itic a l deve- lo p m e n t: th e re w as no d e fin ite ly F ichtean, S ch e llin g ia n , H egelian, o r F euerbachian p e rio d in h is c r itic is m . F ro m the v e ry beginning of h is w r itin g , fro m the 'L ite r a r y R e v e rie s ' (1834) to the la s t

Bowm an, S. 41; bzw . S cheibert, S. 1 7 1 /

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annual survey of R ussian lite ra tu re (1847), B e lin sky uses the sam e ca te g o rie s, concepts, and pro ce du re s, the same basic th e o re tic a l id io m w hatever h is s h iftin g em phasis and w hatever h is p o litic a l co n victio n s. O nly in the la s t fiv e y e a rs of h is lif e can one d is c e rn a d e fin ite change" 38e

W e lle k gesteht abschließend B e lin s k ij das V e rd ie n st zu, die D o k tr i-nen des deutschen Idealism us der T ra d itio n der ru ssisch e n K r it ik ü b e r-m itte lt zu haben 39, aber eben D o ktrin e n ; in d ie s e r, d ie D iffe re n z ie ru n - gen verdeckenden V e rkü rzu n g w ird das u rs p rü n g lic h e D enkm odell zum Dogm a, das zu r E rk lä ru n g von a lle m und jedem h e rhalten muß. D ie

Endstation 'U to p is c h e r S o zia lism u s' - a ls ein vom Ansatz her m a xim a - lis tis c h e s P rogram m - scheint zw angsläufig zu sein. A ber die Nähe B e - lin s k ijs zu r R e a litä t, le ic h t a ls N achteü angekreidet, ze ig t h ie r eine po- s itiv e Seite: sie w ir k t auf die T h e o rie k o rrig ie re n d , zw ischen den Theo- rie n v e rm itte ln d , bew ahrte B e lin s k ij v o r der R a d ik a litä t.

Es paßt in das B üd eines Debütanten aus der sogenannten In te lli- g e n cija , daß er m it der N egierung des Vorhandenen beginnt, daß er sein Konzept auf dem leergefegten T isch a u s b re ite t: "W ir haben keine

L ite r a tu r " .

M it diesem v ie l z itie r ten, keineswegs o rig in e lle n Satz 40 beklagt B e lin s k ij w eniger den Mangel an L ite ra tu r in Rußland a ls v ie lm e h r den Mangel an r u s s i s c h e r L ite r a tu r , an L ite r a tu r , die 'in s V o lk g e h t'.

D ie p e ssim istisch e Einschätzung der zeitgenössischen ru ssisch e n L ite - ra tu r geht Hand in Hand m it der E rw a rtu n g e in e r lite ra r is c h fru c h tb a re n Zukunft; und das durchaus in Anlehnung an H e rd e rs e x -o rie n te -lu x -P ro - phezeiung. D er G rundtenor der 'L ite ra tu rn y e m e ć ta n ija ' is t o p tim is tis c h ; im tra d itio n s fre ie n Raum kann unbelastet eine zeitgem äße Kunst e rb lü - hen. "W ir haben keine L ite r a tu r , . . . , aber in d iese r Tatsache sehe ich das U nterpfand u n se rer künftigen E rfo lg e " (1,101). Es is t die A n tith e se von Asche und Phönix; die Negation zu negieren, w ird der D ic h te r a u

f-38 W e lle k , S. 244.

Q Q

e b d ., S. 264.

V g l. M ü lle r: K ire e v s k ij, S. 94 und ebd. Anm erkung 37.

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g e ru fe n , ihm - b e sse r: der L ite ra tu r - w e is t B e lin s k ij eine S chlüssel- fu n k tio n zu. D e r D ic h te r se in e r V o rs te llu n g is t ein s p ä te r, ein pragm a- tis c h e r N achfahre dessen, der P rie s te r w a r, der K önig w erden s o llte .

D ie 'm e č ta n ija ' sind ein Debüt par excellence: B e lin s k ij z e ig t, was e r w eiß . U nter diesem T ite l - e r is t w e it genug gefaßt - la ssen sich a lle L e s e frü c h te bequem u n te rb rin g e n . B e lin s k ij wendet sich gegen eine tro c k e n le h rh a fte V e rs ta n d e s lite ra tu r, aber auch gegen a lle pseudoro- m antische V o lk s tü m e le i. L ite ra tu r v e rs te h t B e lin s k ij ze itle b e n s a ls In - s titu t der A u fklä ru n g , A u fklä ru n g w eniger a ls W is s e n s v e rm ittlu n g , v ie l- m ehr a ls B ew uß tseinsbildung verstanden. Aus zw ei Q uellen s o ll der D ic h - te r schöpfen: aus dem V e rsta n d und dem Gefühl und beide z u r V e rn u n ft v e re in ig e n .

Von e in e r L ite ra tu rth e o rie im Sinne eines geschlossenen Systems kann man b e i B e lin s k ij nur in s o fe rn sprechen, a ls e r in seinen K ritik e n ־ sie machen etwa v ie r F ü n fte l seines W e rks aus ־ gew isse g ru n d sä tzlich e A nforderungen an das lite ra ris c h e P rodukt s te llt. W e lle k nennt B e lin s k ij den "e rs te n ru s s is c h e n K ritik e r von m ehr a ls lo k a le r Bedeutung",

sch rä n kt aber g leich e in , daß ihm "B e lin s k ijs P o sitio n a ls L ite r a tu r -th e o re tik e r in e in e r allgem einen G eschichte der K r it ik . . . w e it w eniger

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bedeutend" erscheine . D e r Weg von e in e r ־ w ie W e lle k m eint ro m a n tis c h -id e a lis tis c h e n zu e in e r p ra ktisch e n , w isse n sch a ftlich e n , p o s itiv is tis c h e n B etrachtung der L ite ra tu r entbehrt n ich t der inneren Konsequenz. P a ra lle l dazu v e rlä u ft der W eg, auf dem B e lin s k ij das Z ie l eines m ündigen Rußland suchte. D e r anfängliche O p tim ism u s, der G lau-be an d ie M ö g lic h k e it der A u fklä ru n g und B ildung des V o lke s, die H o

ff-Es w ä re eine Studie fü r sich , auf die fe in e n U nterschiede zw ischen 'lite r a tu r a ' und 'p o é z ija ' einzugehen. B e lin s k ij v e rs te h t unter 'lite r a tu r a ' e in e rs e its a lle s G eschriebene m it g e s e lls c h a ftlic h e r F unktion, im engeren Sinne D ichtung a ls A usdruck des V olkes (in Absetzung von 'G e s e lls c h a ft' im Sinne der 'beau m onde'),

'p o é z ija ' hat b e i B e lin s k ij le ic h t den Nebensinn des E litä re n . W e lle k , S. 243f.

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nung, daß d ie Ä nderung d e r gegenw ärtigen Zustände dann von se lb st k ä - m e , w urden von zunehm ender R e sig n a tio n und V e rb itte ru n g auf g e ze h rt.

Den späteren G r iff zu re v o lu tio n ä re n Ideen ta t B e lin s k ij w ohl w eniger aus d e r ra tio n a le n Ü berzeugung, daß R e fo rm e n deshalb sin n lo s sind, w e il s ie n ic h t in d ie D ia le k tik d e r G eschichte passen, w e il W andlung nur a ls q u a lita tiv e r Sprung q u a n tita tiv e r U n tra g b a r k e it, a ls R evolution ge־

schehen kann, sondern v ie lm e h r aus U ngeduld, a ls M o ra lis t.

D e r W e rt a lle s G eschriebenen w u rd e von B e lin s k ij zunehmend d a ra n gem essen, w as es fü r den g e s e lls c h a ftlic h e n F o r ts c h r itt le is te te . A b e r es w ä re fa ls c h , im späten B e lin s k ij einen V o rlä u fe r je n e r 'S o z ia - lis tis c h e r R e a lis m u s ' e tik e ttie r te n T h e o rie zu sehen. Noch in seinem le tz te n großen L ite r a tu r r ü c k b lic k auf das J a h r 1847 betont B e lin s k ij, daß K unst in e rs te r L in ie K unst sein m üsse und e rs t dann A u sd ru ck des G eistes und d e r A u s ric h tu n g d e r G e s e lls c h a ft in e in e r b e stim m te n

Epoche se in könne (X ,3 0 3 ).

D as Konzept e in e r e ig e n w e rtig e n K unst m it s o z ia le r F unktion is t im G runde schon an den 'm e ć ta n ija ' abzulesen, wenn man sie von d e r ro m a n tis c h -id e a lis tis c h e n V e rb rä m u n g b e fr e it: D e r D ic h te r habe v o r d e r "ew igen Id e e .. . , d ie s ic h in za h llo se n F o rm e n a ls das gew altige Schauspiel a b s o lu te r E in h e it in u n e n d lich e r V ie lfa lt m a n ife s tie rt" (1,30) n ic h t in staunender K o n te m p la tio n zu v e rh a rre n , sondern a ls unbewußt- bew ußter Schöpfer am R e p ro d u zie re n d ie s e r Idee teüzunehm en, denn

" fü r diese Idee g ib t es keine Ruhe; s ie le b t u n a u fh ö rlic h , d .h . sie sch a fft u n a b lä ssig , um zu z e rs tö re n , und z e r s tö r t, um zu schaffen" (ebd. ).

M it d ü rre n W o rte n : D e r D ic h te r b ra u c h t e in G espür fü r die Zeichen der Z e it und muß sie an d ie G e se llsch a ft w e ite rg e b e n , indem e r in der D a r- S tellung des A lltä g lic h e n , d e r N a tu r e tc . die H inw eise auf die Idee, das W e ltp ro g ra m m a u fd e ckt, das T yp isch e z e ig t. 'W ir haben keine L ite r a -

t u r ' heißt dann, daß B e lin s k ij in Rußland niem anden sah, der d ie B e- S tim m ung des V o lke s (im Sinne H e rd e rs ) e rkannte und v e rm itte lte .

"D ie L ite r a tu r muß Symbol des in n e re n Lebens eines V o lke s se in " (1,29).

F o lg e ric h tig b e sch lie ß t B e lin s k ij den A u fsa tz m it der F o rd e ru n g : "W as w ir a ls o heute brauchen, is t n ic h t eine L it e r a t u r , . . . , sondern A u fk lä -

S e tsch ka re ff s p ric h t von e in e r "S c h e llin g s tim m u n g " 44, die d ie A u f-sätze b is etw a 1837 e in h ü lle ; e r e rke n n t in d e r im G o g o l'-A u fs a tz 1835 ge äußerten A n s ic h t B e lin s k ij s, daß d ie k ü n s tle ris c h e P ro d u k tio n 11z ie lv o lle Z ie llo s ig k e it, unbewußtes B ew uß tsein, fr e ie N o tw e n d ig ke it" (1,285) s e i,

"fa s t w ö rtlic h e S c h e llin g z ita te ". D ie A b s ic h t, in einem poetischen S ym -bol irg e n d e in e Idee auszudrücken, s e i durchaus bewußt und g e z ie lt. A b e r w e de r d ie W ahl d e r Idee noch ih re E n tw icklu n g hänge vom W ille n des D ie l te r s ab 45. Das bewußte Z ie l des D ic h te rs , d ie (ew ige) Idee in einem Sym bol zu fassen und dem L e s e r b e g re ifb a r zu m achen, h eiß t doch n ic h ts a n - d e re s , a ls d ie G e s e lls c h a ft m it ih re m h is to ris c h e n Sein und W erden v e r - tra u t zu m achen, so w ie es von d e r V orsehung (vom W e ltg e is t, oder w ie d ie U m schreibungen des irra tio n a le n U rg ru n d e s im m e r la u te n mögen) dem V o lk b e s tim m t is t. Z ie llo s ig k e it, U nbew ußtheit und N o tw en d ig ke it sin d a ls V e rz ic h t auf eigene Z ie ls e tz u n g , a ls gläubige E rfü llu n g e in e r fü r v e rn ü n ftig e ra ch te te n Idee zu in te rp re tie re n . R e d u z ie rt auf 'D o k tr i-

"fa s t w ö rtlic h e S c h e llin g z ita te ". D ie A b s ic h t, in einem poetischen S ym -bol irg e n d e in e Idee auszudrücken, s e i durchaus bewußt und g e z ie lt. A b e r w e de r d ie W ahl d e r Idee noch ih re E n tw icklu n g hänge vom W ille n des D ie l te r s ab 45. Das bewußte Z ie l des D ic h te rs , d ie (ew ige) Idee in einem Sym bol zu fassen und dem L e s e r b e g re ifb a r zu m achen, h eiß t doch n ic h ts a n - d e re s , a ls d ie G e s e lls c h a ft m it ih re m h is to ris c h e n Sein und W erden v e r - tra u t zu m achen, so w ie es von d e r V orsehung (vom W e ltg e is t, oder w ie d ie U m schreibungen des irra tio n a le n U rg ru n d e s im m e r la u te n mögen) dem V o lk b e s tim m t is t. Z ie llo s ig k e it, U nbew ußtheit und N o tw en d ig ke it sin d a ls V e rz ic h t auf eigene Z ie ls e tz u n g , a ls gläubige E rfü llu n g e in e r fü r v e rn ü n ftig e ra ch te te n Idee zu in te rp re tie re n . R e d u z ie rt auf 'D o k tr i-