7.2 DRIFT-Spektroskopie zur Oberfl¨ achenanalyse
8.1.2 Feuchteaktivierte CO 2 –Reaktion
Im folgenden wird der Beitrag zur ¨Anderung der Austrittsarbeitsdifferenz SCO2·logpCO2+SH2O·logpH2Odiskutiert. Diese beiden Terme k¨onnen nicht getrennt behandelt werden, da ihr Auftreten jeweils das Vorhandensein beider Gasspezies erfordert.
DRIFT–Spektroskopie: Um einen direkten Zugriff auf die Ober-fl¨achenreaktionen zu erhalten, wurden Untersuchungen mit DRIFT-Spektroskopie (vgl. Kap. 7.2) durchgef¨uhrt. Es konnte gezeigt werden, daß die Bildung von Hydrogenkarbonationen auf der Oberfl¨ache kor-reliert mit der CO2–Reaktion im Temperaturbereich bis 100oC auftritt.
Dieses Ergebnis stimmt qualitativ mit den theoretischen Berechnungen in w¨assriger L¨osung (Kapitel 2.2 und im Anhang A) ¨uberein. Im Sy-stem BaCO3/H2O/CO2 wird die L¨oslichkeit von BaCO3 im Vergleich zu reinem Wasser ohne CO2 erh¨oht. Damit einhergehend wird auch eine gr¨oßere Konzentration von Hydrogenkarbonationen im Wasser gefunden als bei der L¨osung von CO2 in reinem Wasser ohne BaCO3. Auf diesen Verst¨arkungsmechanismus im Vergleich zur reinen Kohlens¨ auredissoziati-on wird zur¨uckgef¨uhrt, daß sich auf BaCO3 die Bildung der
Hydrogen-karbonationen so gut nachweisen l¨aßt27. Als fundamentale Nettoreaktion der CO2–Gassensitivit¨at wird daher die von [Arm47, Yan48, Sam49] po-stulierte Oberfl¨achenreaktion (vgl. Kap. 2.3.2) angesehen:
BaCO3 + H2O + CO2 *) Ba(HCO3)2 (36) wobei die Spezies auf der rechten Seite nur hydratisiert in L¨osung oder – wie in diesem Fall – als Oberfl¨achenspezies vorliegt. Es stellt sich jedoch die Frage, wie es an der Korngrenze des BaCO3 durch CO2–Begasung zur Ausbildung einer Potentialbarriere und somit zu ei-ner Austrittsarbeits¨anderung kommen kann. Es wird also davon aus-gegangen, daß die Reaktion keine Eigenschaft der speziellen Metall–
Karbonatgrenzfl¨ache ist, sondern an jeder Oberfl¨ache der Karbonatk¨orner ablaufen kann. Das geschieht in ¨Ubereinstimmung mit den Ergebnissen von [Arm47, Yan48, Sam49] zum radioaktiv markierten Kohlenstoff in Kapitel 2.3.2 und den Beobachtungen zum Einfluß des Untergrundes in Tabelle 6.1. Die CO2–Reaktion h¨angt weniger stark von der Wahl des Un-tergrundes ab, als die Reaktion auf NO2 in Tabelle 6.2. Insbesondere kann sie nicht durch die Wahl eines nicht-metallischen Untergrundes eliminiert werden. Das heißt zun¨achst nicht, daß die Austrittsarbeits¨anderung unter CO2–Begasung keine Beitr¨age der Grenzfl¨ache zwischen Metall und Kar-bonat enth¨alt. Jedoch wird eine Beschreibung des Meßeffektes gesucht, die keine direkte Reaktion an Metallelektroden darstellt.
Adsorptionsmodelle: Bei der Beschreibung der CO2–Reaktion an BaCO3 im Rahmen eines Adsorptionsprozesses ist es wegen der Feuch-tebeteiligung n¨otig, zumindest auf eines der Coadsorptionsmodelle (vgl.
Kap. 4.2.2) zur¨uckzugreifen. Qualitativ entspricht die Gasreaktion z.B.
einem Modell das in Kapitel 4.2.2 als Ad-Adsorption bezeichnet wurde.
Feuchte belegt in diesem Bild die Oberfl¨ache vor28 und CO2 reagiert unter Bildung des Hydrogenkarbonates29. Die t90–Zeiten des CO2–Signals zei-gen eine Abnahme der Reaktionsgeschwindigkeit sowohl mit abnehmen-dem CO2–Partialdruck als auch mit abnehmender Feuchte (Abbildungen 6.14 und 6.15). Als Kehrwerte aufgetragen sind die Ansprechzeiten in
27Im Falle des KBr, der in Kapitel 3.2 erw¨ahnt wurde, aber auch an gedampften Goldschichten konnte keine Hydrogenkarbonatbildung nachgewiesen werden.
28Das entspricht der Spezies G1A in Gleichung (27). Der Adsorptionsplatz A ist dabei eine BaCO3–Formeleinheit.
29Vgl. Reaktionsgleichung (27): Es wird assoziiert G2G1A≡Ba(HCO3)2
Abbildung 8.3: Der Kehrwert der t90–Ansprechzeit des CO2–Signals folgt einem Wurzel-gesetz als Funktion des Partialdruckes. Dies ist typisch bei einem Modell auf der Basis einfacher Ratengleichungen, wie dem Langmuirmodell, wenn mehr als ein Gas an der Reaktion beteiligt ist.
guter N¨aherung Wurzelfunktionen der Partialdr¨ucke der beteiligten Ga-se, wie es bei diesem Modell zu erwarten ist (vgl. Formel (28)). Dieses Verhalten zeigt Abbildung 8.3 f¨ur die CO2–Abh¨angigkeit. Allerdings ist man bei der Formulierung solcher Reaktionen aufgrund der in Kapitel 4.2.1 dargelegten Probleme in starkem Maße auf Spekulationen angewie-sen. Insbesondere eine Verwendung von Gleichung (21) – d.h. ∆φ ∼ θ – scheint nicht sinnvoll, was zuletzt eine Zuordnung der θ und ∆φ Werte unm¨oglich macht. Gleichung (36) kann aber nicht nur als Adsorptions-gleichung mit einer BaCO3–Formeleinheit als Adsorptionsplatz gedeutet werden, sondern auch als eine Kopplung der elektrochemischen Potentiale zwischen CO2, H2O und BaCO3. Dies f¨uhrt auf die Diskussion im Sinne einer Nernstspannung im n¨achsten Abschnitt.
Diskussion im Sinne einer Nernstspannung: Die logarithmische Abh¨angigkeit des Meßeffektes vom CO2–Partialdruck, die zu der Defini-tion der Sensitivit¨at in Gleichung (35) f¨uhrt, kann als
”nernst¨ahnliches“
Verhalten gedeutet werden. Betrachtet man die CO2–Reaktion, so ent-sprechen die Steigungen der beiden Kurven bei 25oC und 50oC aus Abbil-dung 6.4 in diesem Bild zwei formal ¨ubertragenen Ladungen (es ergibt sich n = 1,9±0,1). Der Wert von SH2O, der aus der Differenzkurve in Abbil-dung 8.2 bestimmt werden kann, hat einen Wert von 32 meV. Wird dieser
ebenfalls im Sinne einer Nernstgleichung interpretiert, so ergibt sich f¨ur die Anzahl der formal ¨ubertragenen Ladungen ein Wert vonn = 2,0±0,2.
In diesem Sinne kann die Oberfl¨achenreaktion (36) unter Einbeziehung der Potentiale wie folgt als eine Kopplung der chemischen Potentiale von CO2 im Gas und CO23− im Kornvolumen gedeutet werden.
CO23−+ CO2 + H2O *) 2HCO−3|Surf. (37) In die entsprechende Gleichung f¨ur die elektrochemischen Potentiale k¨onnen dann die speziellen Auspr¨agungen dieser Gr¨oße im Volumen (f¨ur CO23−), im Gas (f¨ur CO2, H2O) und an der Oberfl¨ache (f¨ur HCO−3 ) ein-gesetzt werden. Dabei wird die Gleichgewichtsbedingung (16) zugrunde gelegt:
µCO2−
3 |Bulk−2Φ|Bulk +µCO2 + µH2O = 2µHCO−
3|Surf.−2Φ|Surf. (38) Damit stellt die Austrittsarbeits¨anderung eine ¨Anderung der Potential-differenz zwischen dem Kornvolumen und der Oberfl¨ache dar. F¨ur das Meßsignal gilt:
∆Φ−∆Φ0 = kBT 2e ln
pCO2
pCO2,0
+ kBT 2e ln
pH2O
pH2O,0
(39) Im Zusammenhang mit dieser Deutung der experimentellen Daten seien zwei Diskussionspunkte genannt:
1. Problematisch bei der Beschreibung des Meßeffektes nach Gleichung (38) ist, daß CO23− nicht als ein potentialbestimmendes Ion im BaCO3 angesehen werden kann, da BaCO3 kein Ionenleiter ist. Eine gewisse Ionenbeweglichkeit kann aber nicht ausgeschlossen werden, da gem¨aß den Ergebnissen von [Arm47, Yan48, Sam49] zum radio-aktiv markierten Kohlenstoff in Kapitel 2.3.2, das gesamte Volumen des Karbonates vom Kohlenstoffaustausch betroffen war.
2. Durch die Gleichung wird auch den Spezies im Adsorbat ein elek-trisches Potential zugewiesen (vgl.
”isoconcs “in [Boc93]), wie es sonst nur f¨ur ausgedehnte Phasen ¨ublich ist und in Kapitel 4 f¨ur den Gasraum (außen: Ψ) und das Adsorbens (innen: Φ) getan wur-de. Das elektrische Potential f¨allt an der Grenzfl¨ache jedoch ab und ist nicht r¨aumlich konstant, so daß es nicht klar ist, welcher Wert Φ|Surf. zuzuweisen ist.
Beachtet man aber die Tatsache, daß gem¨aß der Absch¨atzung aus Kapitel 7 mehrere Monolagen Wasser auf der Oberfl¨ache vorliegen, kann Reakti-on (37) dennoch im Sinne einer diffusen
”aufgeweichten“ Grenzschicht verstanden werden. Dabei gelten Konzepte, wie sie in Kapitel 4.2.2 bei mehrfach vorbelegten Oberfl¨achen beschrieben wurden. Die involvierten Ionensorten sind nicht so verteilt, daß ¨uberall lokal die Ladungsneutralit¨at erf¨ullt ist, sondern es bilden sich Konzentrationsgef¨alle, die die gemesse-ne Austrittsarbeitsdifferenz erzeugen. Abbildung 8.4 zeigt qualitativ eigemesse-ne solche Verteilung, wie sie m¨oglicherweise vorliegt.
Abbildung 8.4: Der linke Teil der Abbildung zeigt eine m¨ogliche Verteilung der Ionen an der Karbonatoberfl¨ache unter CO2 und Feuchteeinwirkung. Im rechten Teil ist darge-stellt, wie die Beitr¨age der verschiedenen Ionensorten zur gesamten Ladungsverteilung die Ausbildung einer Dipolschicht bewirken k¨onnen.