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Monika Motylinska

V. FAZIT UND AUSBLICK

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass die Berliner Debatten über den Umgang mit der Architek-tur der 1960er Jahre eine einzigartige Stellung im Diskurs einnehmen, da die politische Situation besonders war. Schließlich handelte es sich um die Hauptstadt der DDR und eine Hauptstadt in po-tentia von Westdeutschland sowie – dies sehr lange eher in den utopischen Visionen – eine

Haupt-79 Monika Motylinska Radikal berlinisch? www.kunsttexte.de

stadt des wiedervereinigten Deutschlands. Die Diskussionen aus der Wendezeit und den frühen 1990er Jahren zeichneten sich durch ihre thematische Differenziertheit aus. Es bleibt ein Desiderat, sie genauer zu untersuchen, vor allem mit Bezug zu damaligen Architekturausstellungen.

Die Spirale auf dem Alexanderplatz, die schon längst spurlos verschwunden ist, kann als eine Meta-pher für die analysierten diskursiven Verläufe gelten: Auch wenn sich die Geschichte vielleicht nicht immer im Kreis dreht wie im Topos der rota fortunae, kann man doch zumindest von einem spiral-förmigen Verlauf sprechen. Seit dem Beginn der öffentlichen Diskussionen über das Schicksal der Architektur der 1960er Jahre – und dies nicht nur in Berlin – stieg die Akzeptanz für Bauwerke jener Zeit sicherlich an. Dennoch werden manche diskursiven Muster oder Manipulationen mit erstaun-licher Hartnäckigkeit weiterhin wiederholt, als ob all die abgeschlossenen öffentlichen Debatten keine wirklich große Resonanz gehabt hätten.

Daher sei zum Abschluss noch ein kurzer Ausblick erlaubt. Alle, welche die Ausstellung Radikal Mo-dern gesehen haben, durften feststellen, dass sie auch als eine Archäologie des Diskurses interpre-tiert werden kann. Als eine Wiederbegegnung mit den Gebäuden, die spurlos verschwunden sind, wie das Ministerium für Auswärtige Angelegenheiten. Es bleibt nur zu hoffen, dass, sollte in der Berlinischen Galerie in etwa 20 Jahren eine weitere Ausstellung über die Architektur der 1960er Jahre stattfinden – sie eher Dokumentation eines erfolgreichen Umwertungsprozesses als ein un-endlicher Katalog der Verluste werden wird.

2 Die Autorin des vorliegenden Aufsatzes schloss im Dezember 2016 ihre Dissertation zum Thema Akzeptiert, abgelehnt, rehabilitiert? Zum umgang mit dem Architekturerbe der Nachkriegszeit in Deutschland.

Eine Diskursanalyse an der Technischen Universität Berlin ab (Betreuer: Prof. Dr. Adrian von Buttlar und Prof. Dr. Kerstin Wittmann-Englert). Die Veröffentlichung ist für den Herbst 2017 geplant.

3 Vgl. Sarasin, Philipp: Geschichtswissenschaft und Diskursanalyse, Frankfurt am Main 2003; Brendgens, Guido: Demokratisches Bauen. Eine architekturtheoretische Diskursanalyse zu Parlamentsbauten in der Bundesrepublik Deutschland, Aachen 2008; Dreesen, Philipp: Mediendiskursanalyse. Diskurse – Dispositive – Medien – Macht, Wiesbaden 2012.

4 Siehe auch: Wittmann-Englert, Kerstin: Wert der Nachkriegsmoderne. Denkmalpflege und Architektur der 1960er Jahre, im vorliegenden Band.

5 Warnke, Stephanie: Stein gegen Stein. Architektur und Medien im geteilten Berlin 1950–1970, Frankfurt am Main et al. 2009.

6 Weise, Klaus: Berlin. Hauptstadt der DDR (Stadtführer – Atlas), Berlin/Leipzig 1979.

7 Frey, Alexander: Berlin. Westberlin, ostberlin, Potsdam, Zürich et al. 1982.

8 U. a.: Pfankuch, Peter: Hans Scharoun, Ausstellung in der Akademie der Künste vom 5.3.–30.4.1967, [Berlin] 1967; Tumler, Franz: Über die Akademie der Künste. Persönliche Betrachtung einer Berliner Institution in 18 Kapiteln, Berlin 1971. Vgl. auch: Gleiss, Marita (Hg.): Brüder luckhardt und Alfons Anker. Berliner Architekten der Moderne, Berlin 1990; Geisert, Helmut: Hauptstadt Berlin. Internationaler städtebaulicher Ideenwettbewerb 1957/58, Berlin 1990; Geisert, Helmut/Haneberg, Doris: Berlin heute. Projekte für das neue Berlin, Berlin 1991.

9 Ott, Nicolaus/Stein, Bernard: In memoriam Kongreßhalle Berlin. Realistische Phantasien über die Zukunft unserer Ruine, Ausstellung vom 6.11.1980–17.1.1981, Aedes, Galerie für Architektur u. Raum, Berlin 1980.

10 Berlin – Denkmal oder Denkmodell? Architektonische Entwürfe für den Aufbruch in das 21. Jahrhundert, hg. v. Kristin Feireiss/Julius Posener, Berlin 1988.

11 U. a.: Senatsverwaltung für Bau- und Wohnungswesen (Hg.): Nachkriegssiedlungen in Berlin-West der Baujahre 1949–1974. untersuchung der Verdichtungspotentiale und Nachbesserungsbedarfe, Berlin 1990;

Schmidt-Eich staedt, Gerd (Hg.): Nachkriegssiedlungen in Berlin-West. Vertiefende untersuchung; Szenarien zur Programmstrukturierung, Berlin 1991; Senatsverwaltung für Bau- u. Wohnungswesen, Berlin/

Stimmann, Hans (Hg.): Hauptstadt Berlin: zur Geschichte der Regierungsstandorte, Berlin 1992; Quambusch, Rainer (Hg.): Die Zukunft der Großsiedlung, Berlin 1992. Vgl. auch: Kotzur, Marlene (Hg.): Denkmalpflege nach dem Mauerfall – Eine Zwischenbilanz (Beiträge zur Denkmalpflege in Berlin), Berlin 1997.

12 U. a.: Ellereit, Rudolf (Hg.): Kampf um den Palast, Berlin 1996; Schug, Alexander: Palast der Republik. Politischer Diskurs und private Erinnerung, Berlin 2007; Falser, Michael: Zwischen Identität und Authentizität.

Zur politischen Geschichte der Denkmalpflege in Deutschland, Dresden 2008; Binder, Beate: Streitfall Stadtmitte. Der Berliner Schloßplatz, Köln et al. 2009; Meuser, Philipp: Schlossplatz 1: Vom Staatsratsgebäude zum Bundeskanzleramt, hg. v. Hans Stimmann, Berlin 1999; Hertweck, Florian: Der Berliner Architekturstreit. Architektur, Stadtbau, Geschichte und Identität in der Berliner Republik 1989–1999, Diss. Paris 2007, Berlin 2010.

13 Stimmann, Hans/Ouwerkerk, Erik-Jan: Von der Architektur- zur Stadtdebatte. Die Diskussion um das Planwerk Innenstadt, Berlin 2001; sowie Hertweck 2010 (wie Anm. 12).

14 Eine wunderbare Katastrophe, in: DER SPIEGEl, 26/1991, 24.6.1991, S. 30.

15 Vgl. u. a. Senatsverwaltung für Bau- und Wohnungswesen, Berlin (Hg.): Großsiedlungen. Montagebau in Berlin (ost). Bestandsaufnahme und Bewertung der industriell errichteten Wohngebäude, Berlin 1992.

16 Vgl. Kier, Hiltrud: Pro und Contra Rekonstruktion Berliner Stadtschloß, in: Städtebau und Staatsbau im 20. Jahrhundert, hg. v. Gabi Dolff-Bonekämper/Hiltrud Kier, München/Berlin 1996, S. 213–234.

17 Vgl. Bodenschatz, Harald/Engstfeld, Hans-Joachim/Seifert, Carsten: Berlin. Auf der Suche nach dem verlorenen Zentrum, hg. v. der Architektenkammer Berlin, Hamburg 1995, S. 71f., 163.

18 Pehnt, Wolfgang: Der Mieter, der darin wohnt, bleibt stumm. Die Bausünden der sechziger Jahre, in: DER SPIEGEl, 23/1970, 1.6.1970, S. 66–79.

19 Die Hölle is det hier, in: DER SPIEGEl, 37/1968, 9.9.1968, S. 138.

20 Es bröckelt, in: DER SPIEGEl, 6/1969, 3.2.1969, S. 41.

21 „Mir wird speiübel“: Professor Frei otto über westdeutsche Nachkriegsarchitektur, in: DER SPIEGEl, 13/1977, 21.3.1977, S. 223.

22 Otte, Heidrun: Impressionen von Großsiedlungen aus Berlin, Hamburg und Bremen – Die Bewohner wollen verschönern …, in: Handelsblatt, Nr. 154, 14.8.1987, S. 3.

23 Vollbrechtshausen, Andreas: Keine Angst um die City West, in: Berliner Morgenpost, Nr. 306, Jg. 101, 8.11.1999, S. 4.

24 Menting, Annette: Paul Baumgarten. Schaffen aus dem Charakter der Zeit (Die Bauwerke und Kunstdenkmäler von Berlin/Beiheft), hg. v. Berliner Landesdenkmalamt, Berlin 1998, S. 245, 251.

25 Stache, Reiner: Kein Pardon für Baumgartens Moderne der 60er-Jahre, in: Berliner Morgenpost, Nr. 259, Jg. 102, 21.9.2000, S. 39.

26 Ebd., S. 39.

27 Ebd., S. 39.

28 Ebd., S. 39.

zum Inhalt

81 Yasmin Katzer Der Komplex Fischerkietz Berlin www.kunsttexte.de

„Nein zu Hochhaus auf der Fischerinsel“, titelt die Berliner Zeitung im Juni 2016.1 Am Mühlendamm, der achtspurigen DDR-Magistrale, soll ein 58 m hoher Wohnturm entstehen, eingebettet in eine U-förmige Blockrandbebauung. Diesmal ist es die Baubehörde, die sich dem Vorhaben entgegenstellt.

Sechs Plattenbauhochhäuser der späten 1960er Jahre ragen hier bereits aus baumbestandener Fläche auf. Ein zusätzliches Hochhaus ist seit den 1990er Jahren im Gespräch, die entsprechen-de Genehmigung sorgt schon damals intern für großen Wirbel.2 Rege auch die Einwände aus der Bevölkerung: Anwohner fürchten abnehmende Wohnqualität, Verfechter einer historisierenden Stadtplanung wittern das „Schaffen von Tatsachen“. Stimmen fordern die „Erweiterung des Nikolai-viertels“ oder „die Wiederherstellung der Stadtidentität an Berlins Geburtsort“.3 Es scheint, als sei die moderne Bebauung der Fischerinsel determiniert durch den historischen Grund und Boden, den sie besetzt. House of one und Archäologisches Besucherzentrum werden bald der Geschichts-trächtigkeit des nahen Petriplatzes Respekt zollen. Schon längst ist das DDR-Bauministerium an der Gertraudenstraße abgeräumt. Nun lenkt das Urteil des Stadtenwicklungsamts den Blick zurück auf den Bestand: Der geplante Turm samt Randbebauung breche den Strukturrhythmus einer Umge-bung, geprägt durch Hochhaussolitäre und frei dazwischen angeordnete Flachbauten.4 Unerwähnt bleibt, dass es sich dabei um eine konzeptuell geschlossene Anlage handelt, die im Geflecht des

Der Komplex Fischerkietz Berlin

STÄDTEBAULICHE VERFLECHTUNGEN EINES BEDRÄNGTEN ENSEMBLES