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ÄSTHETISCHE UND GESELLSCHAFTLICHE EBENE DES DISKURSES

Monika Motylinska

III. ÄSTHETISCHE UND GESELLSCHAFTLICHE EBENE DES DISKURSES

Pauschalierend und zugespitzt könnte man sagen, dass – im Gegensatz zu gerade besprochenen Aspekten – die Berliner Bauwerke der 1960er Jahre im öffentlichen Diskurs als genauso hässlich und aus sozialer Sicht problematisch galten und zum Teil immer noch gelten, wie jene aus anderen Städ-ten. Wie oft sie als „hässliche Betonklötze“ bezeichnet werden, lässt sich nicht zählen. So verbreitet diese Überzeugung ist, so oberflächlich wird darüber gesprochen und so oft handelt es sich um nichts mehr als Tautologien. Hässlichkeit wird dabei zur Deponie für alle Phänomene, die sich nicht akzeptieren lassen, die als misslungen oder einfach problematisch eingeschätzt werden.

Dass das Epitheton „hässlich“ das Schicksal des Gebäudes maßgeblich beeinflussen kann, bezeugt der Fall des Sitzes des ehemaligen DDR-Ministeriums für Auswärtige Angelegenheiten (Abb. 3). Das Gebäude war mit der Wende funktionslos geworden und wurde bereits im Jahre 1995 geschleift, der Prozess begleitet nur von knappen, meist gleichgültigen Presseberichten, wie jenem aus dem SPIEGEl:

„Der Bund erbt so schöne Stücke wie das Kronprinzenpalais und das Palais am Festungsgraben, das Zeughaus und die Neue Wache – aber auch so problematische wie den Palast der Republik, das Staatsratsgebäude und das häßliche Außenministerium der ehemaligen DDR.“14

Eine kennzeichnende Tatsache: Auch das bauhistorische Gutachten zu diesem Bauwerk wurde erst nach seinem Abriss verfasst.15

Es ist offenkundig, dass es sich in diesem Fall um die kaum verschleierte Ablehnung des architekto-nischen Erbes der DDR handelte, das für viele als politisch kontaminiert galt.16 Interessant ist, dass auch jene Experten der Meinung waren, eine derartige städtebauliche „Korrektur“ am Marx-Engels-Forum (1994 in Schloßplatz umbenannt) sei zulässig, die für einen Erhalt des benachbarten Palasts

2 EHEM. STAATSRATSGEBÄUDE – BLICK VON OSTEN

AUF DIE VORDERFRONT, BERLIN, ZUSTAND 2009

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der Republik und des Staatsratsgebäudes plädierten. Das Ministeriumsgebäude sei angeblich ar-chitektonisch eher durchschnittlich und städtebaulich völlig misslungen gewesen.17

Das Etikett „hässlich“ ist allgemein verständlich und wird extrem selten hinterfragt, denn angeb-lich soll man über Geschmacksurteile nicht diskutieren. Hier wird das Streben nach einer Schön-heit impliziert, die zugleich als moralisch gut empfunden wird. Das Hässliche dagegen darf nicht akzeptiert werden; es kann für den Menschen irgendwie bedrohlich sein oder zumindest einen schlechten Einfluss verbreiten. Verfolgt man dieses Argumentationsmuster weiter, ist es deswegen ein Imperativ, das Hässliche zu beseitigen. Es wird ein kausaler Zusammenhang suggeriert: Wenn etwas hässlich ist, dann soll es entsorgt werden.

In Bezug auf die Wohnbauten der 1960er Jahre kann bis zu einem gewissen Grad eine ähnliche Ablehnungsstrategie festgestellt werden. Das Märkische Viertel wird zwar in diesem Kontext be-sonders oft erwähnt, aber es steht in einer Reihe mit weiteren Beispielen aus anderen deutschen Städten. Aus einer gesellschaftsorientierten städtebaulichen Kritik im Sinne Jane Jacobs, Alexander Mitscherlichs oder Wolfgang Pehnts entwickelte sich in den Printmedien der späten 1960er Jahre ein Topos, der mitunter bis heute persistent bleibt.18 Die Großsiedlungen werden als menschen-feindliche, bedrohliche Orte bezeichnet, welche sogar gesundheitliche Gefährdungen bringen. Das düstere Repertoire ist breit. Exemplarisch dafür sind die Zitate aus SPIEGEl-Artikeln von 1968 und 1969, welche Aussagen der Bewohner von Berliner Großsiedlungen zitieren:

„Bunker, Arbeitshaus, Obdachlosenasyl und Kleen-Chicago – so wird det Ding hier bezeichnet. Is’

doch ’ne Schande! Een janz neuet Viertel und schon so verrufen!“; „Brutal sieht det hier aus, janz jemein … det stumpft doch ab irjendwie.“; „Die graue Hölle is det hier!“ „Wat mich det eene Jahr hier schon für Nerven jekostet hat! Vorne keene Ruhe, hinten keene Ruhe, noch nich’ mal ’ne Türe zwischen Wohnzimmer und Flur! Der janze Lärm von der Treppe kommt ’rin – ruff, runter, ruff, peng.

Det macht mich krank.“19

Die Wohnstatt als Infektionsherd für soziale, psychische und körperliche Erkrankungen – so lau-ten vielfach auch die Diagnosen der Sozialhelfer und Mediziner, die sich dem Elend in den neuen Beton-Slums täglich konfrontiert sehen.

„Ein Arzt (Berlin, Märkisches Viertel): ‚Junge Leute kommen mit Beschwerden wie allgemeinem Un-lustgefühl, Reizbarkeit, innerer Unruhe, Schlaflosigkeit, mannigfaltigen Herzsensationen,

Schwin-3 EHEM. MINISTERIUM FÜR AUSWÄRTIGE ANGELEGENHEIT DER DDR, ZUSTAND 1991

delgefühlen‘; die Ursachen seien ‚Isolierung, Entwurzelung, erhebliches aggressives Potential ge-gen anonyme Obrigkeiten‘.“

„Ein Pfarrer (in der Berliner Gropius-Stadt): ‚Teenager prostituieren sich in den Fahrstühlen der Hoch-häuser … Die Leiche eines Ermordeten lag in einem neubezogenen Hochhaus drei Wochen unent-deckt in der Badewanne.‘ (Bis zum 14. Geschoß hinauf taten die an denselben Luftschacht ange-schlossenen Mieter nichts weiter, als die Lüftungsklappen zuzudrehen.)“20

Die gebaute Umgebung wird als Stressfaktor dargestellt und wahrgenommen, Großsiedlungen werden mit Kriminalität und Erkrankungen assoziiert.

Von „Krankheit“ und Mangel an „Menschenliebe“ sprachen auch Fachleute, wie der gefeierte Archi-tekt Frei Otto in seiner Rede beim 122. Schinkelfest im Jahre 1977, ebenfalls im SPIEGEl veröffent-licht:

„In unseren Neubauvierteln wird mir speiübel, und nicht nur mir. Wo bleibt die Menschenliebe?

Ich bewundere Architektur, doch habe ich die Häuser unserer Zeit hassen gelernt, selbst wenn sie perfekt geplant sein sollten. Wir bauen die Stadt und versteinern die Natur. Wir sind alle von der gleichen Krankheit befallen und haben noch nicht die Medizin dagegen.“21

Als man allerdings bereits 1987 anfing, sich fachlich mit der Zukunft der Großsiedlungen ausei-nander zusetzen, wurde eine andere Tendenz in den Printmedien sichtbar. Zum Beispiel zitierte das Handelsblatt die Bewohner von Trabanten-Städten, darunter in Berlin: „Wir müssen allmählich menschliche Nähe wieder lernen und brauchen Geduld“22. Die ästhetische Bewertung blieb zwar eindeutig negativ, aber man versuchte, mit dem Vorhandenen umzugehen und es gemütlicher zu gestalten, um das Unbehagen an der Nachkriegsmoderne zu lindern.

Verhältnismäßig selten waren dagegen Plädoyers für einen verständnisvollen Umgang mit den Bauwerken der Nachkriegszeit als Zeugnisse einer bestimmten historischen Periode, etwa jenes von Andreas Vollbrechtshausen, das auch auf die ästhetische Ebene eingeht:

„Die westliche Innenstadt reizt mit der herben Mischung aus Baustilen. Spiegelt sich doch in der Nachkriegsarchitektur der Aufbauwille der 50-er und 60-er Jahre wider. Das muss verstanden wer-den als bewusster Abschied vom wilhelminischen Berlin und brüske Abkehr von der tummelnwer-den Großmannssucht der Nazis. Bikinihaus, Schimmelpfenghaus oder Europa-Center – sie stehen rund um die an den Krieg gemahnende Kirchenruine für den architektonischen Anschluss der

eingemau-77 Monika Motylinska Radikal berlinisch? www.kunsttexte.de

erten Halbstadt an westliche Architektur. Sicher, diese kühlen Fassaden wollen nicht recht passen zum leicht schnörkeligen Geschmack der ausgehenden 90er Jahre. Aber in ihrer Ästhetik manifes-tiert sich der damalige Drang, Neues zu schaffen.“23