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7 Wirkungen von Netz2

7.3 Wirkungskategorien im Netz2 (Fallstudien)

7.4.3 Fall 3: Sandy

Bei Sandy handelt es sich um eine Jugendliche mit gebrochenem Lebensentwurf. Detaillierte Ausführungen zur Ressourcenlage, zum Unterstützungsprozess und zu den Wirkungen finden sich in den Kapiteln 3.2, 5.2, und 7.3.

Fallverlauf

Nach 18 Monaten Unterstützung durch Netz2 gelingt Sandy der Übertritt in eine Sek II-Ausbildung. An einer Privatschule beginnt sie mit einer dreijährigen Lehre zur medizinischen Praxisassistentin. Die Ausbildung wird über die IV finanziert. Dass die Jugendliche den Übergang in eine Berufsausbildung schafft, hängt entscheidend mit der Verbesserung ihres Gesundheitszustandes zusammen. Als sich Sandy bei Netz2 anmeldet, ist ihr Ge-sundheitszustand kritisch. Aufgrund der starken Schmerzen, die sie nach einer länger zurückliegenden Skoliose-Operation verspürt, muss sie ihr Praktikum als medizinische Praxisassistentin abbrechen. In dieser Phase wird sie von ihrem Hausarzt sowie vom Chirurgen behandelt, der sie zuvor am Rücken operiert hatte. Die Ärzte sind jedoch nicht in der Lage, die Ursachen für die Schmerzen festzustellen. Seit Sandy das Praktikum abgebrochen hat, wird sie ausserdem von der RAV unterstützt.

Im Case Management von Netz2 steht die Bearbeitung der gesundheitlichen Problematik im Vordergrund. Die Case Managerin agiert dabei als Lotsin. Zunächst sucht sie nach kompetenten Ärztinnen und Ärzten, die eine genaue Diagnose für die Schmerzen stellen können. Im Schmerzzentrum gelingt es schliesslich, die Ursachen festzustellen (Muskelschwäche). Während sich der Chirurg der Klinik zunehmend zurückzieht, wird der zustän-dige Arzt des Schmerzzentrums immer wichtiger. Im Laufe der Unterstützung durch Netz2 begibt sich Sandy zwei Mal in eine Reha-Klinik. Daneben beginnt Sandy mit einer Physiotherapie.

Dank der adäquaten Behandlung stabilisiert sich der Gesundheitszustand von Sandy. Infolgedessen kann sie sich wieder mit ihrer beruflichen Zukunft auseinandersetzen. In Zusammenarbeit mit der Case Managerin gelingt eine Konkretisierung des beruflichen Entwurfs. Sandy beschliesst, ihren ursprünglichen Plan – das Absolvieren einer Ausbildung zur medizinischen Praxisassistentin – wieder aufzunehmen. Dabei wird sie von der IV-Eingliederungsberatung unterstützt, die die RAV-Beratung nach und nach ablöst. Sandy beginnt zunächst mit einem Berufsvorbereitungsjahr, welches durch die Case Managerin vermittelt wurde. Dadurch erhält Sandy eine Tagesstruktur. Zudem kann sie sich vor Beginn der Berufsausbildung gesundheitlich erholen. Die Ausbildungs-stelle, die sie schliesslich findet, wird über die IV finanziert.

Die Case Managerin schätzt die Wahrscheinlichkeit, dass Sandy die begonnene EFZ-Ausbildung abschliesst, als hoch ein. Für die Nachhaltigkeit sprechen sowohl die Ressourcenstärke der Jugendlichen als auch das aufgebau-te Unaufgebau-terstützungsnetz. Einerseits ist Sandy gewillt, die Ausbildung zur medizinischen Praxisassisaufgebau-tentin abzu-schliessen. Andererseits kommt ihr die Struktur der Ausbildung entgegen. Diese ist so organisiert, dass das Prak-tikum erst im dritten Lehrjahr stattfindet. In den ersten zwei Jahren, die stark schulisch geprägt sind, kann sich die Gesundheit von Sandy weiter stabilisieren. Darüber hinaus ist die medizinische Versorgung auf längere Sicht gewährleistet.

Die Experten und Expertinnen teilen die Auffassung, dass Sandy die begonnene Ausbildung in Normallaufzeit abschliesst. Sie erachten die Jugendliche als ressourcenstark. Förderlich sei insbesondere der gefestigte berufli-che Entwurf, der nur für kurze Zeit aufgegeben wird. Einzig die gesundheitliberufli-chen Probleme könnten Sandy am Abschluss der Ausbildung hindern. Diese seien jedoch grösstenteils behoben. Ausserdem wäre Sandy gut ver-netzt, falls es aufgrund der Gesundheit zu Problemen kommen sollte. Abbildung 19 veranschaulicht den be-schriebenen Fallverlauf:

Abbildung 19: Fallverlauf Sandy

Nach Meinung der Experten und Expertinnen hätten ohne Netz2 ähnliche Entwicklungen stattgefunden. Sandy würde auch ohne Case Managerin einen Sek II-Abschluss erreichen. Es wäre mit einer Verzögerung des Ab-schlusses von maximal 12 Monaten zu rechnen. Weil der Beginn der Berufsausbildung somit ausserhalb des Beobachtungszeitraums liegt, ist der Statuswechsel in Abbildung 20 nicht dargestellt.

Die gesundheitliche Situation von Sandy hätte sich auch ohne Case Management stabilisiert. Da sie weiterhin Schmerzen verspürt hätte und weiterhin arbeitsunfähig gewesen wäre, hätten sich die Ärzte und die Eltern von Sandy verstärkt um eine Diagnose bemüht. Die Verzögerung bis zur genauen Diagnose, die ohne Netz2 entstan-den wäre, wird auf 3 Monate geschätzt. Entsprechend wären der Spezialist des Schmerzzentrums sowie die Phy-siotherapie 3 Monate später in den Unterstützungsprozess involviert worden. Zudem hätten die Reha-Aufenthalte mit leichter Verspätung stattgefunden. Auch hätte die IV-Eingliederungsberatung die Funktion der RAV-Beratung 3 Monate später übernommen.

Die Experten und Expertinnen gehen davon aus, dass das Berufsvorbereitungsjahr ohne Netz2 weggefallen wäre.

Berufsvorbereitungsjahre sind nach Ansicht eines Experten eigentlich nicht dazu da, den Jugendlichen und jun-gen Erwachsenen eine Tagesstruktur zu ermöglichen oder ihre gesundheitliche Genesung zu fördern. Ohne Netz2 wäre Sandy vermutlich etwas länger ohne Tagesstruktur geblieben. Ihre depressiven Verstimmungen hät-ten sich dadurch möglicherweise verschlimmert. Die Experhät-ten und Expertinnen gehen jedoch nicht davon aus, dass sie „abgekippt“ oder „zusammengebrochen“ wäre. Eine Mehrfachproblematik ist bei ihr nicht unbedingt gegeben. Abbildung 20 veranschaulicht den hypothetischen Fallverlauf von Sandy. Der Statuswechsel in eine Berufsausbildung ist nicht ersichtlich, da er ausserhalb des Beobachtungszeitraums liegt.

Abbildung 20: Hypothetischer Fallverlauf Sandy

Januar 2012 Januar 2014

Erfolgver- sprechen-der Status

Übergangs-status

Prekärer Status

Status

T1 Floaterin

IV-Eingliederungsberatung RAV-Beratung

Hausarzt

Spezialist Schmerzzentrum Januar 2013

Reha-Aufenthalt

Physiotherapie Reha-Aufenthalt

Eintritt Netz2 April 2012

September 2013 Ende Beobachtungszeitraum

Chirurg

Kostenberechnung

Wie aus Tabelle 31 hervorgeht, ist der Fallverlauf mit Netz2 insgesamt kostspieliger. Zusätzliche Kosten entste-hen an verschiedenen Stellen. Die 18-monatige Begleitung durch Netz2 ist mit einem Kostenaufwand von CHF 8‘400.00 verbunden. Zudem vermittelt die Case Managerin an ein Berufsvorbereitungsjahr. Dadurch werden zusätzliche Kosten von CHF 15‘000.00 generiert. Diese fallen im hypothetischen Fallszenario weg, weil die Ju-gendliche kein Berufsvorbereitungsjahr absolviert. Im Fallverlauf mit Netz2 erfolgt der Aufbau des massge-schneiderten Unterstützungssystems 3 Monate früher als im hypothetischen Fallszenario. Die Kosten für die Unterstützungsleistungen im medizinischen Bereich liegen deswegen etwas höher.

Im hypothetischen Fallverlauf verzögert sich der Sek-Abschluss um ein Jahr. Diese Verzögerung ist mit Kosten im Wert von CHF 6‘036.00 verbunden. Wenn die Kosten (Kosten im Beobachtungszeitraum, längerfristige Kos-ten) für beide Fallverläufe aufsummiert und anschliessend verglichen werden, bleibt der hypothetische Fallver-lauf dennoch kostengünstiger. Ohne Case Management werden CHF 18‘084.00 eingespart. In Tabelle 31 sind die beschriebenen Berechnungen dokumentiert:

Tabelle 31: Kostenberechnung Fall Sandy

Kosten während des Beobachtungszeitraums

Kosten mit CM Kosten ohne CM

18 Mte. Case Management CHF 8‘400.00 1 12 Mte.

Berufsvorbereitungs-jahr CHF 15‘000.00 2

2x 3 Wochen Reha-Aufenthalt CHF 21‘000.00 3 2x 3 Wochen Reha-Aufenthalt CHF 21‘000.00 3 5 Mte. RAV-Beratung CHF 750.00 .4 8 Mte. RAV-Beratung CHF 1‘200.00 4

16 Mte.

IV-Eingliederungsberatung CHF 2‘400.00 5 13 Mte.

IV-Eingliederungsberatung CHF 1‘950.00 5 18 Mte. Hausarzt CHF 3‘600.00 6 18 Mte. Hausarzt CHF 3‘600.00 6 3 Mte. Chirurg CHF 750.00 7 6 Mte. Chirurg CHF 1‘500.00 7 15 Mte. Spezialist

Schmerzzent-rum

CHF 3‘750.00 8 12 Mte. Spezialist Schmerzzent-rum

CHF 3‘000.00 8

15 Mte. Physiotherapie CHF 3‘600.00 9 12 Mte. Physiotherapie CHF 2‘880.00 9

Längerfristige Kosten

Kosten mit CM Kosten ohne CM

EFZ-Ausbildung MPA an

Pri-vatschule CHF 20‘000.00 10 EFZ-Ausbildung MPA an

Privat-schule CHF 20‘000.00 10 12 Mte. Verzögerung bis zum

Sek II-Abschluss CHF 6‘036.00 10

Total CHF 79‘250.00 Total CHF 61‘166.00

Kosteneinsparung ohne CM: CHF 18‘084.00

1Schätzung Kosten Case Management: Häufigkeit der Leistung: Ø 2x 1h pro Monat; Stundenansatz: 150. / Diese Schätzung ent-spricht ungefähr den Berechnungen von Fritschi (2014), der die Kosten für 1.5 Jahre Case Management Berufsbildung auf CHF 5‘600.00. schätzt.

2Die Kosten für ein Berufsvorbereitungsjahr werden auf CHF 15‘000.00 geschätzt.

3Die Kosten für 1 Tag Reha-Aufenthalt werden auf CHF 500.00 geschätzt.

4Schätzung Kosten RAV-Beratung: Häufigkeit der Leistung: Ø 1x 1h pro Monat; Stundenansatz CHF 150.00.

5Schätzung Kosten IV-Eingliederungsberatung: Häufigkeit der Leistung: Ø 1x 1h pro Monat; Stundenansatz CHF 150.00.

6Schätzung Kosten Hausarzt: Häufigkeit der Leistung: Ø 1x 1h pro Monat; Stundenansatz CHF 200.00 .

7Schätzung Kosten Chirurg: Häufigkeit der Leistung: Ø 1x 1h pro Monat; Stundenansatz CHF 250.00 .

8Schätzung Kosten Spezialist Schmerzzentrum: Häufigkeit der Leistung: Ø 1x 1h pro Monat; Stundenansatz CHF 250.00 .

9Schätzung Kosten Physiotherapie: Häufigkeit der Leistung: Ø 4x 0,5h pro Monat; Stundenansatz CHF 120.00 .

10Die Kosten einer 3-jährigen EFZ-Ausbildung zur medizinischen Praxisassistentin an einer Privatschule werden auf CHF 20‘000.00 geschätzt.

11Die durchschnittlichen gesellschaftlichen Kosten für ein Jahr Verzögerung des Sek II-Abschlusses in der Alterspanne zwischen 18 und 24 Jahren werden auf CHF 6036.00. geschätzt. Dieser Wert entspricht den Schätzungen von Fritschi et al. (2012) für die Al-tersspanne zwischen 25 und 29 Jahren (vgl. S. 39).