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Führt ein ausbildungsfachaffines Studium zu mehr Studienerfolg?

8. Weiterbildung oder Neustart? Die Studienfachwahl von Studierenden mit Ausbildung

8.1.6 Führt ein ausbildungsfachaffines Studium zu mehr Studienerfolg?

Die einzige Studie, die sich explizit mit der Frage beschäftigt, ob Studierende mit Ausbildung, die sich für ein Studienfach entscheiden, das thematisch mit dem Ausbildungsfach verwandt ist, erfolgreicher studieren, ist die von Grendel und Kollegen (2014). Die Forscher untersuchen, ob ein ausbildungskon-gruentes Studium zu mehr Studienerfolg im Sinne guter Noten führt. Sie finden aber keinen Einfluss der fachlichen Nähe zwischen Ausbildung und Studienfach, jedoch finden sie einen Zusammenhang zwischen der Anwendbarkeit des in der Ausbildung Gelernten und den Studiennoten. Die befragten Studierenden gaben nämlich unabhängig davon, ob sie ein fachverwandtes Studienfach wählten an, dass sie Kenntnisse und Fähigkeiten einsetzen, die sie sich während der Ausbildung aneigneten. Dazu zählen Zeitmanagement, die Fähigkeit des Verknüpfens von Theorie und Praxis aber auch eine klare Zielvorstellung und Motivation für die Aufnahme des Studiums, welche sie auf Erfahrungen in der Aus-bildungs- und Arbeitszeit zurückführen.

140 Aus der Forschung zu traditionellen Studierenden und Studienerfolg ist bekannt, dass es sich positiv auswirkt, wenn diese in der Schule einen Leistungskurs in dem Fach besucht haben, das sie nun auch studieren (Fries 2002; Jirjahn 2007). Darüber hinaus gilt, wie bereits im Abschnitt 2.6 zur Studierfähig-keit erwähnt, die Vermittlung von Wissenschaftspropädeutik in der gymnasialen Oberstufe als Garant für die Studierfähigkeit. Wissenschaftspropädeutik vereint Kompetenzen, die zum wissenschaftlichen Arbeiten befähigen und die ehemaligen Oberstufenschülern und -schülerinnen helfen, das Studium zu bewältigen. Studierenden mit Berufsausbildung fehlen diese Kompetenzen teilweise. Lediglich die Stu-dierenden des ersten Bildungsweges haben auch eine gymnasiale Oberstufe besucht. Allerdings haben Studierende mit Ausbildung auch überfachliche Kompetenzen erworben, die ihnen bei der Bewälti-gung des Studiums helfen können. Dazu zählen beispielsweise Zeitmanagement, Problemlösekompe-tenz, Kommunikations- und Strukturfähigkeit. Diese Soft Skills können die fachlichen Wissenslücken beispielsweise in Mathematik zwar nicht ersetzen aber eventuell an anderer Stelle kompensieren.

Während das Studium ganz offen Bezug nimmt auf das in der Oberstufe Gelernte, so sind Studiengänge nur in den seltensten Fällen an Lehrinhalten der Berufsausbildung orientiert.

Bereits die Beschäftigung mit dem Kompetenzerwerb während des Studiums geht in den meisten Fäl-len nicht über eine rein normative oder deskriptive status-quo-Beschreibung hinaus (Kuhn et al. 2016).

Noch weit weniger Beachtung hat bisher der Kompetenzerwerb in der Berufsausbildung oder -praxis sowie seine Messung erfahren (vgl. Winther und Klotz 2014). Klotz und Winther (2016) finden heraus, dass sich im Zuge der Ausbildung nicht nur die domänenspezifischen sondern auch die allgemeinen Kompetenzen erweitern. Sie gehen davon aus, dass sich allgemeine Fähigkeiten „in Enkulturationspro-zessen durch praktische Erfahrungen mit spezifischem Wissen zu einer elaborierten Handlungsbasis verbinden“. (Klotz und Winther 2016: 778) Seeber (2014) findet heraus, dass bereits die in der Sekun-darstufe erworbenen Kompetenzen in Lesen und Mathematik darüber entscheiden, wie erfolgreich der Kompetenzzuwachs in der Ausbildung ist. Das ist deshalb interessant, weil es darauf hinweist, dass nicht erst mit der Entscheidung für ein Studium eine Positivselektion stattfindet, sondern schon beim Übergang von der Schule in die Ausbildung die Voraussetzungen dafür veranlagt sind, erfolgreich die Ausbildung zu durchlaufen und später erfolgreich zu studieren. In diesem Sinne gilt: Wer bereits ein schlechter Sekundarschüler/eine schlechte Skundarschülerin war, wird auch in der Ausbildung weniger lernen; der Abstand zu den leistungsstärkeren Azubis wird in der Ausbildung nicht aufgeholt. Somit unterliegt auch die spätere Entscheidung für ein Studium einem Selektionseffekt, der schon zu Beginn der Ausbildung veranlagt war.

141 8.1.7 Synthese des Literaturüberblicks

Zusammenfassend kann gesagt werden, dass es nur wenige empirische Studien und damit auch nur eingeschränkte gesicherte Erkenntnisse über Studierende mit Ausbildung im Studium gibt. Aus dem Literaturüberblick in Kapitel 2 wissen wir zunächst, dass die Befunde zum Studienerfolg von Studieren-den mit Berufsausbildung uneindeutig sind und zumindest nicht darauf hindeuten, dass sie weniger erfolgreich studieren als traditionelle Studierende. Im Zentrum politischen und wissenschaftlichen In-teresses scheint angesichts der Anzahl an Publikationen die Gruppe der Studierenden des dritten Bil-dungsweges zu stehen. Vor dem KMK-Öffnungsbeschluss und seiner sukzessiven Umsetzung ab 2009 war für diese Personengruppe der Zugang zum Studium eingeschränkt möglich. So konnte sie nur the-matisch verwandte Fächer studieren und meist nur eine Fachhochschule besuchen und musste häufig zusätzlich ihre Studierfähigkeit durch Eignungsprüfungen beweisen. Dies trifft nun nur noch auf solche ausgebildeten Studierenden zu, die weder eine formale HZB noch einen Meister-, Techniker-, oder Fachwirt-Abschluss haben, was nur wenige der Studierenden des dritten Bildungsweges betrifft. Damit ist mit der Thematisierung der Anrechenbarkeit von Kenntnissen, die in der Berufspraxis erworben wurden, diese sehr kleine Gruppe in der Literatur deutlich überrepräsentiert.

Im Gegensatz dazu wird äußerst selten thematisiert, dass Absolventen einer Berufsausbildung grund-sätzlich vor der Wahl stehen, ein thematisch an die Ausbildung anschließendes Fach zu studieren oder sich völlig neu zu orientieren. Vor diese Entscheidung gestellt, entscheiden sich der Literatur zufolge die meisten für ein ausbildungskongruentes Studium. Dass diese Entscheidung in den Forschungsar-beiten überwiegt, kann jedoch auf zwei Gründe zurückgeführt werden: Erstens fokussieren sich viele Arbeiten auf Studierende des dritten Bildungsweges, die bis 2009 keine Wahlfreiheit hatten. Zweites verwenden viele Untersuchungen Daten, die aus der Zeit vor dem Öffnungsbeschluss der KMK (2009) stammen. Damals konnten Studierende des dritten Bildungsweges jedoch per se fast ausschließlich ausbildungsfachkongruent studieren, denn sie hatten in der Regel eine fachbezogene Fachhochschul-reife. Deshalb können die dargestellten Ergebnisse a.) nicht auf die Zeit nach dem KMK-Beschluss und b.) nicht auf andere Studierendengruppen mit Ausbildung übertragen werden.

Weiterhin wurde deutlich, dass es Fachbereiche gibt, in denen es sich besonders anbietet, ein Studium nach der Berufsausbildung aufzunehmen, weil die Ausbildung thematisch eng verbunden ist mit dem möglichen Studienfach (Gesundheits- und Erziehungsberufe, sowie kaufmännische und technische Be-rufe). Bei der Verdeutlichung dieses Zusammenhangs hilft das Schema von Rauner (2010), welches Ausbildungsberufe entlang der Dichotomie akademisch – nicht-akademisch und handwerklich – theo-rieorientiert einordnet. Dadurch wird deutlich, dass die Entscheidung für oder gegen ein kongruentes Studium im Anschluss an Ausbildung und Praxis nicht abhängig von strukturellen Gegebenheiten

ge-142 schieht. Studierende mit Ausbildung geben in der Mehrheit an, ihr zuvor erworbenes Wissen gut ein-bringen zu können. Dies beschränkt sich nicht nur auf Fachwissen, sondern auch auf Soft-Skills. Einhel-lig stellen sie im Kontrast dazu jedoch Wissenslücken in Mathematik fest. Der Grund für die Aufnahme eines Studiums nach der Ausbildung ist meist karrierebezogen, sodass auch in dieser Hinsicht von ei-nem Selektionseffekt ausgegangen werden muss: Ausgebildete in bestimmten Fächern finden eine gute Anschlussfähigkeit für ein Studium vor und sehen damit eine Chance, ihre Karriere weiterzuent-wickeln. Hinzu kommt, dass sich wiederum die leistungsstarken Ausbildungsabsolventen für ein Stu-dium entscheiden, weshalb es eigentlich richtig ist, von einem doppelten -fachlichen und leistungsbe-zogenen- Selektionseffekt zu sprechen. In Bezug auf das Erkenntnisinteresse dieser Arbeit gibt es nur eine einzige empirische Studie, die zu dem Schluss kommt, dass es hinsichtlich der Studiennoten kei-nen Unterschied macht, ob ausbildungskongruent oder inkongruent studiert wird. Entscheidend für den Studienerfolg ist vielmehr das Ausmaß der Anwendbarkeit zuvor erworbener Fähigkeiten, sowie die Fach- und Hochschulwahl.

8.2 Forschungsfragen

Ausgehend von den im Literaturüberblick zusammengetragenen Erkenntnissen über Studierende mit Berufsausbildung zeigt sich, dass es bisher erhebliche Wissenslücken hinsichtlich der Frage gibt, ob die Wahl eines dem Ausbildungsberuf thematisch verwandten Faches den Studienerfolg gegenüber der Wahl eines thematisch nicht verwandten Faches erhöht. Überträgt man die Ergebnisse der Forschung zum Zusammenhang von Leistungsfachwahl und Studienerfolg bei Studierenden, die die gymnasiale Oberstufe besucht haben, auf Studierende mit Ausbildung, so ist davon auszugehen, dass eine mit dem Ausbildungsfach kongruente Studienfachwahl den Studienerfolg positiv beeinflusst. Dies scheint aus zweierlei Gründen plausibel: Erstens können in der Ausbildung erworbene Fachkenntnisse eingebracht werden. Zweitens hat bereits eine positive Identifikation mit dem Studiengegenstand stattgefunden, welche die Studienmotivation positiv beeinflusst und auch über eventuell auftretende schwierige Pha-sen im Studium hinweghilft.

Studierende mit Ausbildung hingegen, welche sich für ein Studienfach entscheiden, das nichts mit ihrer Ausbildung zu tun hat, können das Studium als schwieriger erleben als ihre kongruent studierenden Kommilitonen mit Ausbildung, weil ihnen das Vorwissen fehlt, um Zugang zum Fach zu finden und sie, je nach Art des Hochschulzugangs, darüber hinaus noch das fehlende Wissen der gymnasialen Ober-stufe nachholen müssen. Dies kann zu Überforderung und damit zu Abbruchintentionen, schlechteren Noten und einem langsameren Vorankommen im Studium führen. Andererseits gibt es aber auch An-haltspunkte dafür, anzunehmen, dass Studierende mit Ausbildung, welche sich für ein nicht-ausbil-dungskongruentes Studium entscheiden, andere als die fachlichen Kompetenzen (die ihnen ja fehlen)

143 ins Studium einbringen und gewinnbringend für sich nutzen können: Organisationsfähigkeit, Zeitma-nagement, Soft Skills, Erfahrungen im Umgang mit Herausforderungen, strukturiertes Arbeiten, etc.

Es ist aber auch möglich, dass gar nicht entscheidend ist, ob kongruent oder nicht-kongruent studiert wird, sondern dass vielmehr die Motivation der Studierenden mit Ausbildung entscheidend ist für ih-ren Studienerfolg. Die in der Literaturschau dargestellten Forschungsarbeiten berichten vom ausge-prägten Weiterbildungswillen der Befragten und von ihrer Entschlossenheit, das Studium zu beenden.

Es ist davon auszugehen, dass sich Personen, die zuvor eine Ausbildung abgeschlossen haben und da-mit bereits über einen für den Arbeitsmarkt qualifizierenden Abschluss verfügen, intensiv da-mit ihrem Studienwunsch auseinandergesetzt und ihn ausgiebig reflektiert haben, bevor sie an die Hochschule gingen. Daher haben sich nur die sehr Entschlossenen unter ihnen schließlich an der Hochschule ein-geschrieben. Durch diesen Selektionseffekt handelt es sich bei der Gruppe der Studierenden mit Aus-bildung um die leistungsfähigsten und motiviertesten Personen mit BerufsausAus-bildung. Vor diesem Hin-tergrund ist es plausibel, dass sie entgegen aller Widerstände ihr Studium erfolgreich beenden werden, egal, ob sie kongruent oder nicht-kongruent studieren. Wieder zurückkommend auf die Erkenntnisse zum Zusammenhang von Leistungskurswahl und Studienerfolg bei traditionellen Studierenden ist je-doch von einem leichten Vorsprung der kongruent studierenden gegenüber den nicht-kongruent stu-dierenden auszugehen, da sie bereits Vorkenntnisse des Faches mitbringen.

Daraus ergeben sich für diesen Kapitel folgende Forschungsfragen: