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Wer Erfahrungen macht, sucht Erklärungen. Worte kommen zu Hilfe bei dem Versuch, Begriffe zu bilden und diese auch mitzuteilen. Das Forschungsgebiet, ist das des Spiels, ausgehend vom Begriff, den Schil-ler gegeben hat, auf dem Hintergrund der Aussagen Rudolf Steiners darüber.

Dass im Spiel, vor allem in dem des Kindes, Entwicklung stattfindet, ist ohne Weiteres einsichtig. Doch wie ist diese Entwicklung über das hinaus zu verstehen, was biologische und psychologische Beschreibun-gen ergeben? Denn in diesen ist Spiel doch nur der Träger und Bewirker von körperlichen und seelischen Organen und Resultaten, also eher zu etwas nützlich, aber nicht selbst etwas seinem Wesen nach. Wenn wir von von Schillers Hauptsatz in den „Briefen über die ästhetische Er-ziehung des Menschen“ ausgehen: „Der Mensch ist nur Mensch, wenn er spielt. Und wenn er spielt, ist er ganz Mensch.“ Dann sagt das doch auch, dass Spiel im umfassenden Sinn der Prozess ist, der den Men-schen ausmacht. Spiel also ist demnach der prozessuale Mensch. Ge-hen wir mit diesem Begriff zurück in die Embryonalentwicklung und legen zugrunde die lebendigen Beschreibungen des Stoffwechselfeldes, die der Embryologe Erich Blechschmidt in seinem Büchlein „Vom Ei zum Embryo“ gegeben hat, dann liegt es nahe, dieses Stoffwechselfeld, aus dem der Mensch dramatisch polarisierend sich selbst gestaltet, als verwandt zu erleben mit dem, was sich im Spiel des Menschen spä-ter als Spielfeld (Gustav Bally) erleben lässt. Sehr fruchtbar ist es auch, die Betrachtungen des anthroposophischen Arztes Kaspar Appenzeller

„Die Genesis im Lichte der menschlichen Embryonalentwicklung“ im Hintergrund zu haben.

Nun hat sich im Laufe der Jahre in meiner Arbeit der Eindruck erge-ben, dass vor allem bei Kindern etwa ab Ende des fünften und sich stei-gernd gegen das siebte Jahr hin deutlich wahrnehmbare Bedürfnisse entstehen, die eine bestimmte Entwicklungslogik erscheinen lassen.

Aus dieser Arbeit ist dann das entstanden, was ich nenne und vielfältig beschrieben habe als das Projekt „Sinnbildung im Kindesalter“. Wenn diesen Bedürfnissen genügend entsprochen wird, tritt etwas ein, was ich nennen kann die Reifung des Spielalters. Die Spielreifung ist zu unterscheiden von dem, was Schulreife genannt wird. Wo Letzterer eine allgemeine Beurteilung zugrunde liegt, ist die Reifung des Spieles

eine innere und individuelle Entwicklungsstufe der heranwachsenden Persönlichkeit.

Es treten in dieser Zeit bei den meisten der Kinder, mit denen ich arbei-te, eine sachliche Selbstsicherheit und ein gleichsam handwerkliches Sich-selbst-Finden auf in Bezug auf den Umgang mit Gegenständen, Substanzen und Materialien, sich daran anschließenden Prozessen und daraus folgenden Produkten, aber auch im sozialen Miteinander, ganz in aus dem Spiel erfolgenden Anlässen des täglichen Lebens. Ein eifriges und frei besuchtes Werkstattleben ist die Folge, das allzu gerne übergehen möchte in eine Schule, die darauf aufbaut, die es leider dann so nicht gibt.

In diesem reifenden Spiel aber, offenbart sich eine Entwicklungslogik, die mich dazu brachte, eine symptomatische, eine spurenweise Wie-derholung vergangener Kulturepochen darin zu sehen. In meinem ersten Kindergartenbuch versuchte ich diese Entdeckung darzustellen und nannte diese Gesetzmäßigkeit das kultur-wiederholende und kul-tur-schaffende Grundgesetz des kindlichen Spiels.

Erst später, nachdem ich dieses formuliert hatte, kam mir durch einen hilfreichen Menschen das Buch „Die geistige Wiederholung“ des Kul-turforschers Frederik Adama van Scheltema in die Hände, der seine Erkenntnisse in diesem Satz zusammenfasst: „ . . . denn sollte sich he-rausstellen, dass das Wiederholungsgesetz auch für die ‚menschliche Geschichte‘ Geltung besitzt, so müssen wir uns darauf gefasst machen, dass sich im frühen Kindesalter eine ungeheure Strecke der Mensch-heitsentwicklung zusammendrängt, während das Wiederholungs-tempo in der späteren Individualentwicklung immer mehr verlang-samt, bis zu dem Punkt, wo die ‚reife‘ Persönlichkeit den Anschluss an die historische Gegenwart findet und das Tempo ihrer Zeitgeschichte miterlebt.“

Noch später wurde mir bekannt das sogenannte psychogenetische Grundgesetz, das Stanley Hall formuliert hat, indem er es als Spiege-lung oder Entsprechung sah zu dem von Haeckel formulierten bio-genetischen Grundgesetz. So nannte auch ich in meinen Schriften diese Entdeckung zunächst nicht ganz korrekt eine Entsprechung zu Letzterem.

Nun tut sich ein Problem auf, das Erich Blechschmidt ausführlich erör-tert. Indem nämlich aus dem darwinistischen Denken heraus die Ent-wicklung der Naturreiche aus den primitiven Formen zu den vollkom-meneren bis hin zum Menschen sich zu vollziehen scheint, ergibt sich

die absurde Unlogik der heutigen Evolutionslehre, der Blechschmidt von seinen Beobachtungen aus widerspricht. Deshalb sagt er: „Ein Mensch wird nicht Mensch, sondern ist ein Mensch, und zwar in jeder Phase seiner Entwicklung.“ Für ihn steht die Genese für die Evolution, das heißt, ein Wesen entwickelt sich aus sich selbst heraus und nicht aus anderen, gar primitiveren Wesen.

Was heißt das nun für das menschliche Spiel und wie ist der Zusam-menhang mit dieser menschlichen Grundkraft zu sehen und mit der sowohl geistig-kulturellen wie auch der biologischen Herkunft zu er-klären? Mir ergibt sich der Sinn darin, die Evolution, also das logisch nicht haltbare Entstehen des Organischen aus dem Nichtorganischen, und dessen Herkunft letztlich aus dem Nichts eines hypothetischen Urknalls, gleichsam in umgekehrter Reihenfolge zu sehen, so, wie es sich aus Rudolf Steiners Entwicklungslehre wie auch der des vergesse-nen Paläontologen und Kulturphilosophen Edgar Dacqué ergibt: Die Evolution ist die Emanation eines Allumfassenden, des Urmenschen, ist ein suchendes Sich-Herausgebären der Einzelheiten der Schöpfung bis hin zum Menschen, der dann aus seiner Freiheit heraus die Schöp-fung weiterführt im Sinne seiner Herkunft.

Auch aus der Logik des gegenwärtig herrschenden technischen Den-kens wäre kein Sinn darin zu sehen, dass Information sich aus sich selbst entwickelt, um daraus schließlich einen Computer sich selbst kreieren zu lassen. Sondern jeder Informatiker weiß, dass zuerst ein omnipotenter Mensch die Einzelinformation gestalten muss, bevor der Rechner seine Aufgabe erfüllen kann, der ja auch einer geschaffenen Information, also der Idee eines Menschen zu verdanken ist.

Somit kann man sehr wohl in jeder Embryonalentwicklung die Wie-derholung der gesamten organischen Weltentwicklung sehen, aber so, dass der einzelne sich hier ausbildende Mensch das Urbild der Weltent-wicklung, den kosmischen Urmenschen in sich trägt, der sich gleich-sam suchend durch alle Entfaltungsstufen jeweils individualisiert.

Und so wäre die Verbindung zum nachfolgenden kindlichen Spielalter in geistiger Logik hergestellt, die besagt, dass das Kind in seinem Spiel in großer Geschwindigkeit und spurenweise die vergangene Kulturentwick-lung der gesamten Menschheit bis in fernste Epochen hinein wiederholt, indem es zugleich Erinnerungen an vergangene Inkarnationen nachvoll-zieht. Rudolf Steiners Beschreibungen folgend, möchte das Kind im Spiel zur Erscheinung bringen, was es als Mysterienbelehrung vor der Geburt aufgenommen hat, um die kommende Inkarnation vorzubereiten.

Eine ganz neuartige Ansicht des kindlichen Spieles, wie auch ein da-raus folgender Umgang damit wäre das Ergebnis der hier dargelegten Gedanken. Diese würden sich letztlich auch dadurch bestätigten, wenn man die von Rudolf Steiner angegebenen Kulturepochen konsequent bis ins Spielalter zurückverfolgen würde.

Werner Kuhfuss

Literatur

Kaspar Appenzeller: Die Genesis im Lichte der menschlichen Embryonalentwicklung, 1976

Gustav Bally: Vom Spielraum der Freiheit – Die Bedeutung des Spiels bei Tier und Mensch, 1966

Erich Blechschmidt: Vom Ei zum Embryo – Die Gestaltungskraft des menschlichen Keims, 1969

Edgar Dacqué: Die Urgestalt (ohne Zeitangabe) Stanley Hall: Das psychogenetische Grundgesetz, 1904

Werner Kuhfuss: Grundzüge eines kulturschaffenden Kindergartens, 2005 Werner Kuhfuss: Projekt Sinnbildung im Kindesalter beim Verfasser Weiteres unter www.kalliasschule.de

Frederik Adama van Scheltema: Die geistige Wiederholung – Die Wege des Einzelnen und seiner Ahnen, van Scheltema, 1954