• Keine Ergebnisse gefunden

4.1 Entsorgungskonferenz

4.1.4 Evaluation des Verfahrens

Die Entsorgungskonferenz von 1991, die in die Konfliktlösungsstrategie des "Energie 2000"-Programm eingebettet war, beinhaltete Elemente eines Mediationsverfahrens. Gemäss Definition (S. 37) ist Mediati-on anwendbar, wenn Kompromissfähigkeit eines KMediati-onfliktes gegeben ist. DavMediati-on kann im vorliegenden Fall ausgegangen werden, wurde doch das Konzept von allen Akteuren akzeptiert, Gesprächsbereitschaft signalisiert und grundsätzliche Aussagen, bezüglich Entsorgung, wie Risikominimierung oder Sicherheit, wurden nicht bestritten. Ein wichtiges Element der Mediation, die Versachlichung des Streitgegenstandes und damit die Absenz unterschiedlicher Werthaltungen und Prinzipien war nur bedingt erfüllt. Immer wieder "loderten" ideologische Argumente auf, doch bot die Entsorgungsfrage grössere Chancen zu sachlicher Diskussion als die Kernenergienutzungsfrage, da die Existenz des Abfallsproblems und dessen Lösung eine unbestrittene Tatsache darstellt (Wälti 1992). Das AKW-Moratorium führte dazu, dass die bis anhin unverrückbare Position der Umweltverbände "zuerst der Ausstieg" etwas beweglicher wurde.

Kriterium 1: Fairness

Die Chance der Akteure sich gleichberechtigt in den Prozess einzubringen, war in der Entsorgungskonfe-renz gegeben. Ausführende verfügten zwar über ein grösseres Potential an Experten- und Sachwissen, dies wurde in anderen Verfahren auch ausgespielt, doch hatten gerade Umweltorganisationen in diesem Gebiet aufgeholt und sich nötiges Expertenwissen ebenfalls angeeignet. Ansonsten hätten sie diesem vermeintlichen Ungleichgewicht ihr Mobilisierungspotential der Öffentlichkeit gegenüberstellen können.

Dieses Kriterium gilt als erfüllt.

Kriterium 2: Transparenz

Die Positionen der Teilnehmenden wurden zu Beginn deklariert, hier herrschte Offenheit, ebenfalls über die Verhandlungsspielräume. Entgegen dem im Konzept festgehaltenen Grundsatz, der thematischen Eingrenzung auf die Entsorgung radioaktiver Abfälle, brachten die Umweltverbände die Forderung des Ausstiegs bereits in einer frühen Phase ein. In den Spielregeln war festgelegt worden, dass die Gespräche in vertraulichem Rahmen stattfinden sollen. Mit einer Pressemitteilung wurde die Öffentlichkeit informiert, sie enthielt aber nur allgemeine Informationen darüber, wer teilgenommen hat und welche Themen ge-meinsam behandelt wurden. Aussenstehende konnten über den Inhalt der Diskussionen, die Beschlüsse oder das vorherrschende Gesprächsklima nichts erfahren. Der Mangel an Öffentlichkeit wurde bereits während der Konferenz seitens der Spezialisten kritisiert. Das Kriterium der Transparenz kann mit nicht erfüllt taxiert werden.

Kriterium 3: Lernchancen

Dass die Akteure überhaupt zu Gesprächen bereit waren, konnte man zu Beginn der 90er Jahre als Lern-prozess und gegenseitiges Akzeptieren auslegen. Doch zeigte sich in den Debatten immer wieder gegen-seitiges Misstrauen, fehlende Akzeptanz der anderen Ansichten sowie unterschiedliche Interpretationen gesetzlicher Bestimmungen und Begriffen, wie "Gewähr". Die Seite der Ausführenden warf den Umwelt-organisationen öfters Polemik vor, gerade wenn es um ethische Betrachtungsweisen des Entsorgungs-problems ging, während diese damit konterten, technische und wissenschaftliche Argumente seien Glau-benssache. Eine Verhandlungsbereitschaft hin zu Kompromisslösungen konnte während der Konferenz nicht erkannt werden. Dieses Kriterium kann demnach als nicht erfüllt betrachtet werden.

Kriterium 4: Iterativität

Die frühe Beteiligung aller Akteure bereits bei der Ausgestaltung der Verhandlungsziele und -spielräume hat nur zwischen den Behörden und der SES stattgefunden. Die Resultate dieser Gespräche wurden allen Teilnehmenden mitgeteilt. Es wäre notwendig gewesen, mindestens einen Vertreter aller Akteursgruppen in die Vorbereitungen mit einzubeziehen, um einen grösstmöglichen Konsens über den Verhandlungsab-lauf zu erzielen. Iteratives Vorgehen bedeutet auch, dass auf später entdeckte, offene Grundfragen (bspw.

ethische Grundsätze) zurückgegriffen und der Diskussion zugeführt werden, was in der Entsorgungskon-ferenz nicht stattgefunden hat. Das Kriterium wurde nicht erfüllt.

Kriterium 5: Offene Konfliktaustragung

Die Verwaltung zögerte zu Beginn zwar, alle Interessensgruppierungen einzubeziehen, ermöglichte nach Zugeständnissen dieser schlussendlich trotzdem eine direkte und offene Auseinandersetzung mit dem Thema. Die Anzahl der Teilnehmenden stieg bis zur Sitzung auf 28 an, der Wille zur Partizipation an sol-chen Gespräsol-chen war auf allen Seiten vorhanden. Das Kriterium kann als erfüllt betrachtet werden.

Kriterium 6: Gemeinsame Festlegung der Entscheidregeln

Wie oben bereits erwähnt, fand zwar die gemeinsame Festlegung der Rahmenbedingungen zur Konfe-renz statt und wurde auch ausführlich diskutiert. Es nahmen daran aber nur die Vertreter des Bundes und der SES teil. Die anderen Teilnehmenden wurden erst nach diesen Verhandlungen zur Tagung eingeladen, erklärten sich aber mit dem Ablauf, den Zielen und den Spielregeln einverstanden. Das Kriterium 6 kann als teilweise erfüllt bezeichnet werden.

Kriterium 7: Erwartungssicherheit

Bundesrat Ogi erwähnte in seiner Rede zur Eröffnung der Konferenz: "Ich erwarte also, dass wir hier eine neue Gesprächs- und Hörkultur entwickeln können, dass wir unsere alten, abgetretenen Gärtchen verlas-sen, und dass wir in diesem Bereich der nuklearen Entsorgung in den nächsten Jahren endlich eine kon-sensfähige Lösung finden." Die Zieldefinition des Konferenzkonzepts kann mit der Erarbeitung von Kon-sensfeldern umschrieben werden sowie der Vorbereitung der Themen für allfällige weiterer Gespräche.

Unklar blieb die Verwendung der Ergebnisse aus der Konferenz im weiteren Entscheidungsprozess, auch denjenigen aus den folgenden Arbeitsgruppen. Dieses Kriterium wurde deshalb nicht erfüllt.

Kriterium 8: Motivation der Beteiligten

Die Gesprächsbereitschaft war bei allen Akteuren vorhanden, wenn auch nicht von Beginn weg, da sehr viel Misstrauen und Vorbehalte gegenüber den einzelnen Gruppen, v.a. zwischen Elektrizitätswirtschaft und Greenpeace herrschte. Bei der Elektrizitätswirtschaft drang in dieser Periode zwischenzeitlich die Hal-tung durch, dass es sich bei der Entsorgung um ein technisches Problem handle und dass die rechtlichen Rahmenbedingungen genügend Klarheit betreffend Gestaltung des Verfahrens bieten würden. Mit zu-nehmendem Widerstand an Projektstandorten änderte sich diese Haltung sukzessive, die Entsorgungskon-ferenz bildete diesbezüglich einen ersten Schritt in Richtung Gesprächs- und Verhandlungsbereitschaft.

Der Moratoriumsentscheid und der darauf folgende Energiefrieden förderte die Motivation zur Konfliktlö-sung bei allen Parteien, es brauchte diesbezüglich auch keine besonderen Anstrengungen. Das Kriterium kann als erfüllt betrachtet werden.

Kriterium 9: Fachkompetenz der Beteiligten

Die Ausführenden und die Behörden verfügten über ein grosses Potential an Expertenwissen und hatten direkten Zugang zu allen Informationen. Über diese Ressourcen verfügten die Umweltorganisationen nicht. Trotz den knappen Finanzen seitens dieser Organisationen und der Tatsache, dass das Engagement oft nebenberuflicher Art war, hatten sich diese ein beachtliches Fachwissen angeeignet. Das Ungleichge-wicht war trotzdem erkennbar und wurde auch angesprochen. Zu Beginn der Konferenz wurde

festge-stellt, dass der gesetzliche Auftrag und der Gewährsbegriff unklar waren. Zur Klärung dieser Punkte wur-de kurzfristig am darauf folgenwur-den Tag ein Vortrag eines Rechtsprofessors eingeschoben. Hier hat die Konferenz Dynamik in Bezug auf die Erhöhung ihrer Sachkompetenz gezeigt. Das Kriterium kann als teil-weise erfüllt bezeichnet werden.

Kriterium 10: Kompensatorische Massnahmen für tiefere Schichten

Die Teilnehmenden waren fast ausschliesslich Hochschulabsolventen, über die Hälfte hatte mindestens einen Doktortitel. Kompensatorische Massnahmen zum Einbezug tieferer sozialer Schichten waren nie vorgesehen. Dies hing auch mit der Form des Mitwirkungsinstrumentes zusammen, welches als Mediati-onsverfahren unter den Key-Playern ausgestaltet war. Das Kriterium ist nicht erfüllt worden.

Kriterium 11: Kompensatorische Massnahmen für Nicht-Organisierte

In energiepolitischen Diskussionen zur damaligen Zeit (gilt für heute teilweise immer noch) fällt die Unter-vertretung der Frauen auf. An der Konferenz nahm gerade eine Frau (Vertreterin von Greenpeace) teil.

Das Durchschnittsalter lag etwa um die fünfzig Jahre. Der Einbezug weiterer Akteure ausserhalb der Kern-energiepolitik war nie vorgesehen. Nicht-Organisierte waren also keine vertreten, kompensatorische Massnahmen wurden nicht unternommen, das Kriterium ist somit nicht erfüllt.

Kriterium 12: Kompensatorische Massnahmen für langfristige Interessen

Von den Umweltorganisationen wurden zwei Vertreter der "Ärzte für soziale Verantwortung" in die Kon-ferenz nominiert, diese Organisation trat bis zu diesem Zeitpunkt in energiepolitischen Diskussionen nicht in Erscheinung. Vom Namen her könnte abgeleitet werden, dass diese Gruppierung besonders die Interes-sen zukünftiger Generationen hervorheben würde. Im Eintretensvotum war dies auch teilweise der Fall.

Der Ausgleich zwischen kurzfristigen und langfristigen Interessen fand aber sonst in der Entsorgungsde-batte kaum statt, das Kriterium blieb nicht erfüllt.

Kriterium 13: Positivsummenkonflikte

Problemlösungsbereitschaft wurde von allen Seiten zu Beginn der Konferenz signalisiert. Die Konferenz war aber zu kurz um auch die Kompromissbereitschaft der einzelnen Akteure auszuloten. Es wurden mehrheitlich Positionen statuiert. In einzelnen Bereichen konnten aber Tendenzen von Konsensfelder eru-iert werden, wie bspw. bei der Wiederaufbereitung. Einig war man darin, dass weitere Gespräche statt-finden sollen. Das Kriterium kann als nicht erfüllt beschrieben werden.

Kriterium 14: Institutionelle Integration

Die Entsorgungskonferenz war die erste Veranstaltung in der Entsorgungsproblematik an der auch die Umweltorganisationen teilnahmen. Die Konferenz war eingebettet in die Problemlösungsstrategie des

"Energie 2000"-Programms. Das Kriterium kann als erfüllt taxiert werden.

Tabelle 2: Entsorgungskonferenz 1991: Zusammenstellung der Kriterien-Auswertung

Kriterien erfüllt teilw. erfüllt nicht erfüllt

1. Fairness X

2. Transparenz X

3. Lernchancen X

4. Iterativität X

5. Offene Konfliktaustragung X

6. Gemeinsame Festlegung der Entscheidregeln X

7. Erwartungssicherheit X

8. Motivation der Beteiligten X

9. Fachkompetenz der Beteiligten X

10. Kompensatorische Massnahmen für tiefere Schichten

X 11. Kompensatorische Massnahmen für

Nicht-Organisierte

X 12. Kompensatorische Massnahmen für

langfris-tige Interessen

X

13. Positivsummenkonflikte X

14. Institutionelle Integration X