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Die Erschliessung der dritten Dimension

Die klimatologischen Erhebungen des 19. Jahrhunderts waren darauf angelegt, möglichst flächendeckend Langzeitdaten zu sammeln. Internationale Meteoro-logenkongresse formulierten wiederholt das Ziel, Beobachtungen rund um die ganze Erde und insbesondere in wenig besiedelten Regionen zu fördern.1 Par-allel zu diesem klimatologischen Programm entwickelte sich innerhalb der Me-teorologie ein grosses Interesse, die Datenerhebung auch in vertikaler Richtung auszudehnen. Theoretisch orientierte Meteorologen drängten darauf, Beobach-tungen aus höheren Schichten der Atmosphäre zu sammeln. Von einer dreidi-mensionalen Erfassung des Wetters erhofften sie sich neue Erkenntnisse, die es ermöglichen würden, die Wettervorgänge besser zu erklären. Mit diesem Zugang war das Ziel verbunden, die Meteorologie stärker physikalisch auszurichten, das heisst, atmosphärische Dynamiken auf der Basis von Physik – genauer der Me-chanik und Thermodynamik – zu untersuchen. Im Folgenden wird gezeigt, dass die Schweizerische Meteorologische Zentralanstalt versuchte, zur Erforschung der höheren Schichten der Atmosphäre beizutragen. Dabei soll erklärt werden, welche Argumentationen den Unterhalt eines Bergobservatoriums und den Ein-satz von Ballonen ermöglichten, stabilisierten und weitertrieben. Zu berücksich-tigen sind dabei auch die jeweiligen materiellen Konstellationen der technisch anspruchsvollen Messungen.

Das Kapitel beginnt mit einer Untersuchung der Strategien und Allianzen, mit-hilfe deren die Schweizerische Meteorologische Zentralanstalt gemeinsam mit der Meteorologischen Kommission 1882 ein Wetterbeobachtungsposten auf dem 2500 Meter hohen Säntis einrichten konnte. Die Entstehung dieser Sta-tion wird zum einen mit dem seit der Gründung der Zentralanstalt verfolgten Schwerpunkt der Alpenforschung erklärt, zum anderen mit dem Impuls, der von einer Resolution des internationalen Meteorologenkongresses im Jahr 1879 ausging. Weiter werden die bundesstaatliche Übernahme der Säntisstation und ihr Ausbau zu einem Observatorium in den Blick genommen. Dabei wird argu-mentiert, dass ein hoher Inszenierungsaufwand notwendig war, um den teuren Bau und Betrieb zu legitimieren. Die Zentralanstalt sah das Säntisobservatorium als Chance, sich wissenschaftlich zu entfalten, statt im «Mechanismus der

1 Siehe zum Beispiel die Deklaration des internationalen Meteorologenkongresses 1873 in Wien, es sei wünschenswert, in Nordpolargegenden und in Afrika meteorologische Stationen zu errichten: Bericht über die Verhandlungen 1873, S. 64.

tischen Zusammenstellung» aufzugehen.2 Ähnlich national repräsentativ wie ein Bergobservatorium war das 1898 realisierte Projekt, die Alpen im Ballon zu überqueren. Die Fahrt – arrangiert als «systematischer Feldzug der Wissenschaft in die Lüfte» – war kein offizielles Unternehmen der Meteorologischen Zen-tralanstalt, aber ihr Assistent und späterer Direktor Julius Maurer flog mit.3 Untersucht werden soll, wie diese spektakuläre Datengewinnungsmethode be-gründet wurde. Schliesslich wird der Einsatz unbemannter Ballone durch die Meteorologische Zentralanstalt thematisiert. Ab 1903 beteiligte sich die Schweiz an internationalen Simultanaufstiegen mit sogenannten Registrierballonen, die automatisch aufzeichnende Messgeräte viel höher hinauftragen konnten als bemannte Flugfahrzeuge. Die Arbeit mit unbemannten Ballonen stärkte das Selbstverständnis der Zentralanstalt als Forschungseinrichtung.

Beobachten auf 2500 Metern über Meer

Als Anfang der 1860er-Jahre die neu gegründete Meteorologische Kommission der Schweizerischen Naturforschenden Gesellschaft ein landesweites Beobach-tungsnetz aufbaute, legte sie den Fokus auf topografische Einflüsse. In ihrem ersten Bericht bezeichnete die Kommission das alpine Gebirge als meteorolo-gischen «Centralknoten», der sich auf die Wetterverhältnisse in ganz Europa auswirkte.4 Dementsprechend lautete die Projektbestimmung: «Der Zweck des Unternehmens ist, den Einfluss eines Gebirgslandes, wie die Schweiz, auf die allgemeinen meteorologischen Verhältnisse Europas zu ermitteln.»5 Nach Ansicht der Meteorologischen Kommission war die Schweiz dazu berufen und auch dazu verpflichtet, die Alpen als Wetterfaktor zu erforschen.6 Für sie stellte die Schweiz ein ideales meteorologisches Untersuchungsgebiet dar. In der Folge wurden die Resultate aus dem schweizerischen Beobachtungsnetz jedoch kaum genutzt, um die Bedeutung der Alpen für grossräumige Wettersituatio-nen zu bestimmen. Stattdessen dienten sie der Bearbeitung meteorologischer oder klimatologischer Fragen im Alpenraum selbst. Besonders der langjährige Zentralanstaltsdirektor Robert Billwiller konzentrierte sich in seinen wissen-schaftlichen Arbeiten auf die Wetter- und Klimaverhältnisse der Alpen. Unter

2 Siehe die Wortmeldung Billwillers in Protokoll der Sitzung der eidgenössischen meteorologi-schen Commission 12. 1. 1889 (BAR, E88 1000/1167, 96).

3 Siehe das Zitat in Heim 1899b, S. 10.

4 Mousson 1862a, S. 489.

5 Ebd., S. 498.

6 Siehe Mousson 1861, S. 92.

anderem widmete er dem Föhnphänomen viel Aufmerksamkeit.7 Die alpine Me-teorologie und Klimatologie bildete sich in der Schweiz – wie auch in anderen zum Alpenraum gehörenden Ländern – als Forschungsschwerpunkt heraus.8 Die Beschäftigung mit den Alpen fungierte nicht nur als Charakteristikum einer

«schweizerischen» Meteorologie, sondern wirkte gemeinsam mit der alpinen Forschung anderer Disziplinen als Verstärker von Identitätsdiskursen, die das Alpine als Wesensmerkmal der Nation darstellten.9

Der Alpenfokus der Meteorologischen Kommission manifestierte sich bereits bei der Verteilung der 88 Beobachtungsstationen von 1863 deutlich. Ein Drittel der Stationen wurde auf mehr als 1000 Metern, fünf davon sogar auf mehr als 2000 Metern über Meer eingerichtet.10 Damit begann – in den Worten des Wie-ner Meteorologen Julius Hanns – eine «systematische Ausbeutung» der Alpen für die Erforschung der Atmosphäre.11 Die Erschliessung des Gebirges mit me-teorologischen Beobachtungsstationen schloss an die in verschiedenen Wissen-schaften verbreitete Idee an, die Alpen als natürliches Laboratorium zu nutzen.12 In den folgenden Jahren arbeitete die Meteorologische Kommission darauf hin, das schweizerische Beobachtungsnetz noch stärker «nach der Höhe hin» zu ver-vollständigen.13 Von Anfang an verfolgte sie auch das Ziel, eine Bergstation mit selbst registrierenden, also automatisch aufzeichnenden Instrumenten zu betrei-ben.14 Die Gewinnung von Daten aus oberen Luftschichten stellte zunehmend ein zentrales Anliegen der meteorologischen Fachgemeinschaft dar. Die Teil-nehmer des ersten Meteorologenkongresses von 1873 waren sich einig, dass ihre Wissenschaft auf permanente Beobachtungen in möglichst hohen Lagen ange-wiesen sei.15 Heinrich Wild, der 1868 als Observatoriumsdirektor von Bern nach

7 Beispielsweise publizierte Robert Billwiller, Assistent und ab 1881 Direktor der Schweize-rischen Meteorologischen Zentralanstalt, 1875–1903 zehn Aufsätze zur Föhnthematik. Viel Beachtung erhielt: Billwiller 1899. Für einen Überblick über die Föhnforschung in der Schweiz Sprenger/Dürr/Richner 2016.

8 Siehe zum Beispiel zum Alpenfokus in Österreich Coen 2006.

9 Zum Alpenmotiv im schweizerischen Identitätsdiskurs siehe Crettaz 1992; Marchal 1992;

Zimmer 1998; Römer 2005; Walter 2007; Speich 2009; Mathieu 2015, S. 125–144. Siehe auch zur Alpenforschung: Eichelberg 1999; Pont/Lacki 2000.

10 Auf über 2000 Metern über Meer lagen die Stationen St. Bernhard, Julier, Gotthard, Bernhardin und Simplon. Siehe die Übersicht in Maurer/Billwiller/Hess 1909, S. 11–17.

11 Hann 1870, S. 162. Allerdings waren Bergstationen in den 1860er-Jahren nichts Neues. Beob-achtungen auf dem Gotthard waren bereits 1781 bis 1792 angestellt worden. Siehe Billwiller junior 1927b, S. 17.

12 Siehe Felsch 2005; Felsch 2007; Bigg/Aubin/Felsch 2009.

13 Schreiben Mousson an EDI, 24. 1. 1866 (BAR, E88 1000/1167, 95).

14 Allerdings fehlten dafür die finanziellen Mittel. Siehe dazu Mousson 1864, S. 231; Wolf 1891b, S. 25.

15 Der Kongress empfahl explizit Stationen auf Berggipfeln mit selbst registrierenden Apparaten.

Siehe Report of the Proceedings 1874, S. 36, 55 und 59.

St. Petersburg gewechselt hatte, argumentierte beispielsweise, dass die Meteoro-logie viel weiter käme, wenn sie systematisch Daten auf Bergen erheben würde.16 Bei dieser Forschungsstrategie ging es darum, von Berggipfeln aus die Vorgänge in der «freien Atmosphäre» zu beobachten. Mit dieser Bezeichnung waren die höheren, von lokalen Bedingungen am Boden unbeeinflussten Schichten der At-mosphäre gemeint. Deshalb war nicht nur die Höhe, sondern auch die Lage der Stationen auf möglichst isolierten Bergspitzen wichtig.

Das Beobachten meteorologischer Phänomene in höheren Atmosphärenschichten war stärker physikalisch orientiert als klimatologische Erhebungen mittels Be-obachtungsnetzen. An Daten zu oberen Luftschichten waren vor allem Forscher interessiert, die auf eine physikalische Erklärung atmosphärischer Vorgänge hin-arbeiteten. In einem längerfristigen Prozess verschoben sich die Erkenntnishoff-nungen der meteorologischen Fachgemeinschaft auf eine vertikale Ausdehnung ihres Beobachtungsfeldes.17 Auch die Schweizerische Meteorologische Zentralan-stalt erhoffte sich, mit Beobachtungen auf Bergen physikalischen Gesetzmässig-keiten auf die Spur zu kommen. Zusätzlich zu permanenten Beobachtungsposten auf Pässen wie dem Grossen Sankt Bernhard oder dem Gotthard bemühte sich die Zentralanstalt ab den 1870er-Jahren insbesondere um eine Station auf einem freiliegenden Gipfel, weil sich nur so die Vorgänge weitgehend unabhängig von Lokaleinflüssen erfassen liessen. Dieser Gipfel sollte in die «Mitte der Wolken-schichten» hineinragen, also höher liegen als etwa Rigi-Kulm, wo seit 1863 auf 1775 Metern über Meer beobachtet wurde.18 Doch obwohl hochgelegene Beob-achtungsstationen mit Gipfellage als erfolgversprechende Einrichtungen galten, um die freie Atmosphäre zu erforschen, entstanden sie der hohen Kosten wegen nur vereinzelt.19 Eine gut ausgerüstete Gipfelstation erforderte mindestens einen Vollzeitbeobachter, der die Instrumente verlässlich handhaben konnte. Selbst re-gistrierende Apparate konnten nicht einfach sich selbst überlassen werden, son-dern mussten mehrmals täglich kontrolliert und abgelesen werden.

Dem internationalen Meteorologenkongress 1879 wurde von Julius Hann emp-fohlen, permanente Beobachtungen auf Berggipfeln als wünschenswert zu de-klarieren.20 Der einflussreiche Wissenschaftler, der die Zentralanstalt in Wien leitete, schlug zudem vor, die Gründung eines Gipfelobservatoriums in der

16 Wild 1873, S. 49.

17 Zur damit einhergehenden Hinwendung zu atmosphärischen Dynamiken siehe Nebeker 1995, S. 27–35; Lehmann 2015, S. 27–30; Fleming 2016; Davies/Wernli 2016; Gramelsberger 2017.

18 Siehe die Beigabe «Ueber meteorologische Bergstationen» in Wetterbericht der Schweiz. Mete-orolog. Centralanstalt, 1. April 1882 (Nr. 91), 8. April (Nr. 98).

19 Das erste permanente meteorologische Gipfelobservatorium wurde 1876 auf dem Puy de Dôme im französischen Zentralmassiv in Betrieb genommen. Siehe den Überblick zu Gipfel-stationen: Hann 1879a, S. 3–11.

20 Siehe Hann 1879a.

Schweiz mit internationalen Beiträgen zu unterstützen.21 Hanns Antrag entstand wahrscheinlich auf Bitten der Schweizerischen Meteorologischen Kommission, die 1878 den Plan gefasst hatte, eine internationale Finanzierung für ein solches Observatorium anzustreben.22 Voraussetzung dafür war, dass der Meteorolo-genkongress einen Fonds schaffen würde, was jedoch keine Mehrheit fand.23 Am Ende wurde folgende Resolution verabschiedet: «Der Congress empfiehlt der Schweizerischen naturforschenden Gesellschaft ihr Möglichstes zu thun, damit ein Observatorium auf einem der hohen Gipfel der Schweiz errichtet werde.»24 Der Schweizer Delegierte, Emile Plantamour, bezeichnete diese Kongressresolu-tion allerdings als nutzlos, weil er es für unmöglich hielt, dass die Schweizerische Naturforschende Gesellschaft die Kosten allein tragen könnte.25 Nach Planta-mour hätte die Empfehlung an die naturforschenden Gesellschaften aller Länder und nicht nur an die schweizerische gerichtet werden sollen. Denn schliesslich müsste – so argumentierte der Genfer Professor – die Erforschung höherer At-mosphärenschichten allen Meteorologen gleichermassen am Herzen liegen.

Doch obwohl er bereits am Kongress die Strategie verfolgt hatte, die universelle Bedeutung des schweizerischen Projekts zu betonen, waren die Kongressteil-nehmer nicht zu einer internationalen Finanzierung bereit gewesen.

Das Scheitern der internationalen Finanzierungspläne hatte aber nicht zur Folge, dass das Projekt eines schweizerischen Gipfelobservatoriums begraben wurde.

Besonders Robert Billwiller, Bureauchef und erster Direktor der per 1881 ver-staatlichten Zentralanstalt, wirkte als vorantreibende Kraft. Bereits wenige Monate nach dem internationalen Kongress wählte die neu aufgestellte Meteo-rologische Kommission auf seinen Vorschlag hin den 2500 Meter hohen Säntis als Standort aus.26 Dessen Gipfel lag laut Billwiller «so vollständig frei» wie kein zweiter in den schweizerischen Alpen und war verhältnismässig leicht zugäng-lich.27 Die Kommission reduzierte die ursprünglich veranschlagte Summe für ein Observatorium von 100 000 Franken auf rund einen Viertel und lancierte eine Spendenkampagne.28 Dabei versuchte die Kommission, die Autorität des inter-nationalen Meteorologenkongresses zu nutzen: Sie argumentierte, die

21 Ebd., S. 22.

22 Siehe Wolf/Billwiller 1876 (1878), S. X; Hagenbach-Bischoff 1880, S. 67.

23 Siehe dazu Kapitel 3.

24 Report of the proceedings 1879, S. 27. Deutsche Übersetzung in Billwiller 1887, S. 5.

25 Siehe Plantamours Bericht an das EDI, 14. 6. 1879 (BAR, E88 1000/1167, 158).

26 An die Stelle der früheren Meteorologischen Kommission der Schweizerischen Naturfor-schenden Gesellschaft trat 1881 die Eidgenössische Meteorologische Kommission, über deren Zusammensetzung der Bundesrat bestimmte. Die meisten Mitglieder der früheren Kommis-sion waren auch in der neuen KommisKommis-sion vertreten. Siehe dazu Kapitel 8.

27 Siehe Billwillers «Motivirung des Gesuches um eine einmalige Subvention der projectirten meteorolog. Station auf dem Säntis» (BAR, E88 1000/1167, 139).

28 Siehe Billwiller/Hagenbach-Bischoff 1877 (1880), S. X.

chung der Kongressempfehlung sei eine Chance, das internationale Ansehen der Schweiz zu steigern.29 Mit der Beobachtung höherer Luftschichten könne das Land einen wichtigen Beitrag zur Wissenschaft leisten. In einem Spendenaufruf an den Schweizerischen Alpenclub, kantonale naturforschende Gesellschaften sowie an mehrere Kantonsregierungen forderte die Kommission dazu auf, «ein wahrhaft patriotisches und zugleich eminent wissenschaftliches Unternehmen»

zu unterstützen.30 So kamen 23 000 Franken zusammen.31 Zusätzlich bewilligte die Bundesversammlung einen Extrakredit von 5000 Franken.32 Diese Beiträge reichten zwar nicht aus, um ein vollständiges Observatorium zu bauen, aber er-möglichten es, eine gut ausgerüstete Station im Säntis-Gasthaus einzurichten.

Dessen Besitzer erklärte sich bereit, einen Teil des Hauses zu vermieten.33 So konnte 1882 eine ganzjährige Station auf dem Säntis eröffnet werden.

Als Beobachter stellte die Zentralanstalt einen früheren Postbeamten ein.34 Für seine Verpflegung sorgte der Wirt des Berggasthauses, der gegen zusätzliche Be-zahlung auch in den Wintermonaten auf dem Berg blieb. Alle Lebensmittel muss-ten von Trägern herauftransportiert werden. Trotz der Abgeschiedenheit stand der Säntisbeobachter täglich in Kontakt mit der Zentralanstalt in Zürich, die 1882 eine Telegrafenleitung ab Appenzell hatte verlegen lassen.35 Der Beobachter notierte fünfmal am Tag die Messwerte der verschiedenen Instrumente und kontrollierte die Apparate, die den Verlauf des Luftdruckes und der Temperatur automatisch aufzeichneten. Das wichtigste Instrument war ein 5000 Franken teurer Windmes-ser, der dank der freien Lage der Bergspitze besonders aufschlussreiche Daten zu den Luftbewegungen in der freien Atmosphäre liefern sollte.36 Zahnräder

29 Siehe den Spendenaufruf der Meteorologischen Kommission von April 1880 (BAR, E88 1000/1167, 139). Zur Bedeutung, welche der Kongressempfehlung zuschrieben wurde, siehe Billwillers Bericht in Report of the third meeting 1887, S. 28. Siehe auch die Beilage zu «interna-tionalen meteorologisch-magnetischen Beobachtungen» in Wetterbericht der Schweiz. Meteo-rolog. Centralanstalt, 21. Oktober 1882 (Nr. 294).

30 Die Kommission wandte sich an all diejenigen, «denen die Pflege der Naturwissenschaft auf heimischem Boden am Herzen» liege. Siehe den Spendenaufruf der Meteorologischen Kom-mission von April 1880 (BAR, E88 1000/1167, 139).

31 Als Überblick zur Finanzierung siehe Botschaft des Bundesrathes 1885, S. 577. Siehe auch das Verzeichnis der «Beiträge für Errichtung einer meteorologischen Station auf dem Säntis»

(BAR, E88 1000/1167, 139).

32 Bericht des Bundesrathes 1882, S. 77. Siehe auch Billwillers «Motivirung des Gesuches um eine einmalige Subvention der projectirten meteorolog. Station auf dem Säntis» (BAR, E88 1000/1167, 139).

33 Zum 1874 neu gebauten Gasthaus und zu dessen Wirt Andreas Anton Dörig siehe Kälin 2015.

34 Siehe Protokoll der Sitzung der eidgenössischen meteorologischen Commission, 25. 11. 1882 (BAR, E88 1000/1167, 96).

35 An den Herstellungskosten für die telegrafische Verbindung beteiligten sich auch Kantone und Privatpersonen. Für den Unterhalt war die Zentralanstalt zuständig. Siehe Billwiller 1884b, S. 4.

36 Siehe Billwiller 1883a (1884), S. VI; Billwiller 1884b, S. 7 f. Zu den Säntis-Messinstrumenten siehe auch MeteoSchweiz 2000, S. 168–178.

gen die Bewegungen eines grossen Schalenkreuzes auf einen Stift, der die Anzahl Umdrehungen aufzeichnete. Ein zusätzlicher Mechanismus dokumentierte Ver-änderungen im Stand der Windfahne. Hergestellt hatte das sogenannte Anemome-ter eine Londoner Werkstätte. Um es auf der Säntisspitze aufzustellen, wurde das sich dort befindende trigonometrische Signal umgebaut.37 Durch eine Holzver-schalung verwandelte sich das Gerüst in ein Häuschen, das den Apparat schützte.

Allerdings verunmöglichten die extremen Bedingungen ununterbrochene

37 1873 hatte die Alpenclub-Sektion St. Gallen ein neues trigonometrisches Signal auf dem Säntis errichten lassen, das nun umgebaut wurde. Siehe Grosser 1981, S. 47.

Abb. 19: Zeichnung des Windmessers, der 1883 auf dem Säntis aufgestellt wurde.

zeichnungen: Bei Temperaturen unter null und feuchten Westwinden setzte sich so viel Eis an, dass das Anemometer zeitweise nicht richtig funktionierte.38

Trotz der Messprobleme zeigte sich die Zentralanstalt sehr zufrieden mit den Säntisbeobachtungen. Nach der Ansicht Robert Billwillers wirkten sich Lücken in den Registrierungen nicht schwerwiegend aus, zumal nicht klimatologische Mittelwerte, sondern für theoretische Untersuchungen verwertbare Daten das Ziel seien.39 Ihm zufolge hatten die Beobachtungen das Potenzial, zahlreiche wissenschaftliche Probleme zu lösen.40 Er bezeichnete den Säntis als eine «ein-zig dem Dienste der Wissenschaft geweihte Stätte».41 Auch eine Rezension der Meteorologischen Zeitschrift zu einer Publikation über die Säntisstation sprach von einer grossen Bedeutung für die «beginnende Wissenschaft von der Physik der höheren Luftschichten».42 Der Betrieb der aufwendigen Messinfrastruktur in einer Höhe von 2500 Metern über Meer zeigt, dass sich die Zentralanstalt an der aktuellen meteorologischen Forschung orientierte. Als Bundesinstitution, zu der sie 1881 geworden war, verfolgte sie wie bereits zuvor wissenschaftliche Interessen. Zwar gewann der Praxisbezug mit der bundesstaatlichen Übernahme an Gewicht, aber die Zentralanstalt definierte sich nicht allein über direkte An-wendungsmöglichkeiten, sondern auch über ihre wissenschaftliche Rolle.43

Von der Säntisstation zum Observatorium

Der Betrieb der Säntisstation war mit der Spendensammlung für drei Jahre, also bis 1885, gesichert worden. Deshalb stellte sich schnell die Frage nach einer Weiterfinanzierung. Billwiller hielt es für unwahrscheinlich, dass Vereine und Privatpersonen einem erneuten Spendenaufruf folgen würden.44 Er überzeugte die Meteorologische Kommission davon, beim Bund eine offizielle Übernahme der Station zu beantragen. In ihrem Gesuch argumentierte die Kommission in zwei Richtungen: Zum einen machte sie wissenschaftliche Gesichtspunkte gel-tend und unterstrich die internationale Bedeutung der Säntisbeobachtungen,

38 Siehe Billwillers Erklärungen zu den Anemometeraufzeichnungen in der Zeitschrift der Öster­

reichischen Gesellschaft für Meteorologie Billwiller 1883a.

39 Billwiller 1884b, S. 9.

40 Siehe Billwiller 1883b, S. 74.

41 Billwiller 1887, S. 3.

42 Siehe Literaturbericht 1885, S. 80.

43 Siehe zu den Prognosen Kapitel 8.

44 Schreiben Billwiller an EDI, 18. 2. 1885 (BAR, E88 1000/1167, 140). Siehe auch Protokoll der Sitzung der eidgenössischen meteorologischen Commission, 22. 11. 1884 (BAR, E88 1000/1167, 96).

deren Fortsetzung der Meteorologie und der «Ehre des Landes» diene.45 Zum anderen erinnerte die Kommission an die erfolgreiche Spendensammlung, die ihr zufolge bewies, dass in weiten Kreisen ein Interesse an der Säntisstation be-stehe. Der Anklang «im Publicum» legitimierte in ihren Augen eine zusätzliche Bundesausgabe. Ausserdem verwies die Kommission darauf, dass Einrichtungen in öffentlichem Interesse zunehmend als Sache des Staates angesehen würden.46 Der Bundesrat übernahm die Kommissionsargumente weitgehend. In einer Bot-schaft an die Bundesversammlung schrieb er, die Unterstützung wissenBot-schaft- wissenschaft-licher Unternehmungen falle in allen Ländern mehr und mehr dem Staat zu.47 Daher solle man der «Freigebigkeit der Begüterten» besser «das Feld der Wohl-thätigkeit auf sozialem Gebiete» zuweisen und den Staat für die Wissenschaft sorgen lassen.48 Dem bundesrätlichen Antrag um Übernahme der Station stimm-ten National- und Ständerat im März 1885 zu, womit die meteorologischen Be-obachtungen auf dem Säntis als bundesstaatliche Aufgabe verankert wurden.49 Kurz nachdem der Fortbestand der Säntisstation gesichert war, erfuhr die Me-teorologische Zentralanstalt, dass ihr ein grosses Legat vermacht worden war.

Der im Mai 1885 verstorbene Friedrich Brunner, ein vermögender «Liebhaber der Naturwissenschaften» aus Winterthur, hinterliess der Zentralanstalt über-raschend 125 000 Franken.50 Die Auflage lautete, dieses Geld zur Erweiterung der Zentralanstalt oder zur Förderung der Wissenschaft einzusetzen. Die Mete-orologische Kommission betonte denn auch, das Legat dürfe nur für spezielle Zwecke verwendet werden und keine Budgetkürzung für die Zentralanstalt zur Folge haben.51 Der Bundesrat wies die Kommission jedoch zurecht, dass nicht sie, sondern er letztlich über das Legat des Mäzens bestimmen dürfe, weil die Zentralanstalt seit 1881 eine Bundesinstitution sei.52 Der Vorsteher des

45 Siehe «Gesuch der eidgen. meteorologischen Commission um Uebernahme der Säntissta-tion durch den Bund und Erhöhung des Credits der meterolog. Centralanstalt» (BAR, E88 1000/1167, 140).

46 «Gesuch der eidgen. meteorologischen Commission um Uebernahme der Säntisstation durch den Bund und Erhöhung des Credits der meterolog. Centralanstalt» (BAR, E88 1000/1167, 140).

Einige Gönner hatten der Zentralanstalt explizit mitgeteilt, dass sie den weiteren Unterhalt der Säntisstation als Sache des Staates ansähen. Siehe zum Beispiel Schreiben Joh. Schoch an Billwiller, eingegangen 3. 11. 1884 (BAR, E88 1000/1167, 140). Siehe zudem Billwillers «Bericht & Antrag betreffend die Fortführung der Säntis-Station» von November 1884 (BAR, E88 1000/1167, 99).

47 Botschaft des Bundesrathes 1885.

48 Ebd., S. 577.

49 Siehe Bundesbeschluß 1885.

50 Zu Friedrich, teilweise auch «Fritz», Brunner (1840–1885) siehe Friedrich Brunner 1885. Als

«Liebhaber der Naturwissenschaften» wurde er bezeichnet in Wolf 1891b, S. 26.

51 Siehe Protokoll der Sitzung der eidgenössischen meteorologischen Commission, 20. 2. 1886 (BAR, E88 1000/1167, 96).

52 Siehe Protokoll der Sitzung der eidgenössischen meteorologischen Commission, 26. 11. 1887 (BAR, E88 1000/1167, 96).

tements des Innern und die Kommissionsmitglieder kamen schliesslich überein, mit dem Legat den Bau eines Observatoriums auf dem Säntis zu finanzieren.53 Damit sollte die meteorologische Station vom Berggasthaus, das 40 Meter unter

tements des Innern und die Kommissionsmitglieder kamen schliesslich überein, mit dem Legat den Bau eines Observatoriums auf dem Säntis zu finanzieren.53 Damit sollte die meteorologische Station vom Berggasthaus, das 40 Meter unter