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II. Lampert von Hersfeld (vor 1028 - 1081/82)

4. Erfahrungshorizont

An dieser Stelle bleibt also festzuhalten, dass Lampert unbeschadet der im Detail zu Recht an ihm geübten Kritik eine wichtige Quelle für die Geschichte Heinrichs IV. bis zum Ausbruch des Investiturstreits und der damit einhergehenden geistigen und politischen Umwälzungen darstellt. Zudem ermöglicht er durch seinen immer mehr oder weniger direkt vorhandenen Bezug auf das Kloster Hersfeld Einblicke in die Lokalgeschichte, die auch den Nachbarn Fulda betrafen. Dabei ist es aber nötig, überhaupt nach seinem geographischen wie mentalen Erfahrungshorizont zu fragen, um die Glaubwürdigkeit und Intention seiner Aussagen besser einzuordnen und schon im Vorgriff auf Eberhard einen Rahmen abzustecken (Kap. III.4)453.

Hier muss man natürlich mit der Biographie beginnen. Lampert entstammte einem wohl-habenden, wohl adligen Umfeld, das ein konservatives Interesse an der Bewahrung seiner traditionellen Stellung gegenüber Emporkömmlingen hatte. Zudem gehörte er in den Umbrü-chen Heinrichs IV. bereits einer älteren Generation an, die in der Zeit bis zum Tod Heinrichs III. 1056, die sie aus ihrer Jugend kannte, das wieder zu erstrebende Ideal sah. Lampert war mit klassischen und christlichen Vorstellungen gleichermaßen vertraut und setzte sich daraus ein Bild zusammen. So konnte er auf ein profundes Wissen an biblischen und antiken Ge-schichten zurückgreifen. Kombiniert man dies noch mit der Entwicklung eines Weltgeistli-chen zum Mönch, der den neuen Standpunkt nachhaltig für sich rezipierte, ergibt sich schon ein erster Eindruck seiner Lebenswelt. Diese vielschichtige Mischung haben wir ja bereits bei seiner Haltung kennengelernt (Kap. II.3)454. Folgt man nun seiner Betrachtung im „zwei-ten“ Prolog der „Institutio“ über die persönliche Arbeit und deren Grenzen, so lebte er nach eigenem Bekunden im Kloster eingeschlossen wie in einem Kerker. Daher pflege er wenig Umgang mit Menschen und sei nicht allzu wissbegierig auf die Ereignisse der Außenwelt:

Et ne quis nobis crimini ducat, quod tempora regum vel Romanorum imperatorum per successiones suas huic opusculo subtexentes non eorum quoque feliciter vel secus gesta historiae more pariter

quicumque haec legere animum inducat, nos non statuisse omn

inseramus, hoc sibi responsi habeat ia

rizont, was er ab

scribere, quae in re publica vel aecclesia gesta sunt aut geruntur, utpote monasterii carcere inclusos nec hominum expertos nec valde curiosos455.

Er wurde demnach erst durch die Not des Klosters und die zunehmende Fülle seines Stof-fes zum Historiker – nicht historia more. Er besaß stets einen beschränkten Ho

er auch selbst zugab. So stand er gerade als Mönch den Ereignissen der Welt fern und er-fuhr vieles nur vom Hörensagen, besonders wenn dies weit weg war von Hersfeld. Demnach ist bei ihm zu unterscheiden zwischen einer absichtlichen Verzerrung der Wahrheit und einer phantasiereichen Erzählung aus Informationsmangel. So konnte er zwar über Geheimver-handlungen oder den genauen Wortlaut von Dialogen nicht viel wissen, doch waren dies schon in der Antike beliebte Mittel zur Belebung des Erzählflusses. Folglich bleibt festzuhal-ten, dass Lampert dabei durchaus nicht die Absicht hatte, die Wahrheit zu verfälschen. Auch

453 Über Lamperts Erfahrungshorizont: Goetz, Investiturstreit in der deutschen Geschichtsschreibung, S. 48 f.

; Lecheler, , VerLex 5, Sp. 517-519;

Struve, Lampert, Teil B, S. 72-95 u. 139-142; Struve, s. v.

028 - nach e Antikenrezeption: Struve, Lampert, Teil B, S. 72-87.

348, Z. 15-23.

u. 52; Lampert, Annales, Einleitung, S. X u. XIII; Lampert, Lullus-Leben, Einleitung, S. 16 Lampert von Hersfeld, S. 122 u. 124 f.; Schieffer, s. v. „Lampert von Hersfeld“

Struve, Lampert, Teil A, S. 28-31, 42 u. 82 f.;

„Lampert von Hersfeld“, LexMA 5, Sp. 1632 u. Struve, s. v. „Lampert von Hersfeld (um 1 1081): Annales“, Hauptwerke, S. 351.

454 Mönchischer Standpunkt und gleichzeitig

455 Lampert, Opera, Institutio, lib. I, S.

war seine Sicht auf das Weltgeschehen aufgrund seines beschränkten Mönchsstandpunktes hinter Klostermauern doch nicht so vollständig verstellt, wie er uns in seiner Eigenstilisie-rung weismachen wollte. Denn in vielen Dingen zeigte er sich überraschend gut unterrichtet.

Nur fehlte ihm wie den meisten mittelalterlichen Geschichtsschreibern die Fähigkeit, die his-torischen Tatsachen zu einer korrekten Kausalität zu verknüpfen. Doch muss betont werden, dass es auch Ausnahmen gab, in denen der Chronist über gute Informationen von auswärts verf

457

ömischen Antike, vor allem von Livius, rezipierte er neben damaligen Wendungen und

ügte: So fällt sein Interesse an den Orten auf, die für ihn im Laufe seines Lebens eine Rolle spielten, also vor allem Bamberg (Kap. II.1)456. Auch als er das Domstift verlassen hat-te, riss seine Verbindung dorthin nicht ab, sondern er war bei guten wie schlechten Nachrich-ten immer auf dem Laufenden. Zudem besaß er weiterhin eine ausgezeichnete Ortskenntnis, was etwa bei der Schilderung zu den Wirren unter Bischof Hermann I. 1075 auffällt : Die-ser hatte ja die Kleriker aus dem dortigen Stift St. Jakob vertrieben und es dem Abt Ekbert vom Michelsberg übergeben, um in den Gebäuden ein Kloster einzurichten. Lampert lehnte diese Entscheidung aber trotz seines Mönchsstandpunktes aus alter Klerikersolidarität ab, da er bei allem mönchischem Vorrang beiden geistlichen Ständen gleichermaßen ihre Berechti-gung zuerkannte (Kap. II.3). Nicht zuletzt hatte er aber auch die lokalen Gegebenheiten noch gut in Erinnerung: Demnach legte er den vereinten Klerikern von St. Jakob und der Haupt-kirche als ein Argument gegen den Bischof in den Mund, dass St. Jakob nicht mehr als 30 Schritte (etwa 45 m) von der Bamberger Hauptkirche (Dom) entfernt an einem belebten Platz liege, der demnach viel geeigneter für weltoffene Kleriker als für Mönche in Klausur sei:

Preterea aecclesiam, quam noviter ipse extruxisset, loco celebri in mediis huc et illuc diversantium turbarum fluctibus sitam nec a maiore aecclesia Babenbergensi plus XXX passibus disparatam, multo clericis oportuniorem esse quam monachis; […]458.

Diese Angaben entsprechen der Realität, da die Entfernung ziemlich exakt diejenige von St. Jakob zur Grenze der Domimmunität ergibt. Auch war der besagte Platz vor dem ehema-ligen Haupttor, das erstmals 1154 erwähnt wurde, in der Tat an einer stark von Pilgern und anderen Reisenden belebten Kreuzungsstelle zwischen Kaufmannsstadt, Domberg und Mich(a)elsberg. Allein daraus wäre schon auf Lamperts Ortskenntnis zu schließen. Zudem findet sich ein Beispiel in den bei O. HOLDER-EGGER noch fehlenden Passagen der

„Institutio“ zum Juni 1076 über die Gefangenschaft und Flucht Bischof Burchards II. von Halberstadt (Kap. II.2.c), der Bischof Rupert von Bamberg anvertraut worden war459. Das Fragment vermochte genau anzugeben, dass er auf der Burg Gößweinstein gefangen gehalten wurde. Dabei handelte es sich wohl um die von Bischof Gunther errichtete Burg „Stein“

(petra)460 im fränkischen Jura. Laut T. STRUVE berichtet keine andere Quelle von der Burg, selbst in den „Annales“ hieß es dann bezüglich des königlichen Vorgehens gegen Burchard II. nur:

Hunc Ruoperto Babenbergensi episcopo servandum crediderat, velut preter caeteros familiares suos immitis ac ferocis ingenii viro et erga se in adversis rebus spectatae sepe fidei461.

Somit würde die ältere „Institutio“ hier erneut die Vertrautheit Lamperts mit dieser Regi-on belegen, wenngleich er in den „Annales“ an passender Stelle auf eine genauere Lokalisie-rung verzichtete. Neben solchen praktischen Kenntnissen nahm er aus Bamberg aber auch sein Wissen über Inhalt und Stil der dortigen Bibliotheksbestände mit. Durch sein Studium der r

456 Lamperts Bamberg: Lecheler, Lampert von Hersfeld, S. 122 u. Struve, Lampert, Teil A, S. 28-31.

457 Lampert, Annales, S. 262-275.

458 Lampert, Annales, S. 264, Z. 26-29.

459 Struve, Lampert, Teil A, S. 42.

460 Zit. n.: Struve, Lampert, Teil A, S. 42, Z. 23.

461 Lampert, Annales, S. 364, Z. 2-4.

Ins

r für weltliche Zu-sam

tte:

titutionen namentlich die Vorstellung von fortuna als Geschichtsmacht, die bekanntlich noch in den „Annales“ ein zentrales Leitmotiv wurde (Kap. II.3).

In einer erweiterten Dimension lässt sich sein Interesse an Bamberg natürlich auch auf die damit verbundenen Personen übertragen, die später zwar teils woanders Karriere machten, aber dadurch ja nicht zwangsläufig aus Lamperts Blickfeld gerieten (Kap. II.1). Hier ist eben vor allem sein Lehrer Anno als Erzbischof von Köln (1056-1075) zu nennen, zu dem er freundschaftliche Beziehungen unterhielt, die deutlich in seinem Werk belegt sind462. Dort zeigte sich Lampert über alle Geschehnisse in der Umgebung des Erzbischofs sehr gut in-formiert. Er widmete ihm in den „Annales“ neben zahlreichen eingestreuten, positiv gefärb-ten Berichgefärb-ten über seine politischen Aktivitägefärb-ten bis hin zum Kölner Aufstand von 1074 auch spezielle biographische Passagen: Dabei handelt es sich um eine genaue Charakterisierung zu 1072 sowie einen durchaus kritischen Nachruf zu 1075, der ja zur Vorlage der – freilich ge-glätteten – „Vita Annonis“ werden sollte (Kap. II.2.d)463. Zudem verband ihn einiges mit Bi-schof Gunther von Bamberg (1057-1065), der ihm ebenfalls persönlich bekannt gewesen sein muss: In der Umgebung des vormaligen Kanzlers wurde Lamperts Gespü

menhänge in Politik und Geschichte geschärft, ja er bekam sogar einen Einblick in die Arbeit der Spielleute und Theaterschaffenden bei Hofe. Wenn er diese Welt später auch ab-lehnte, so konnte er zumindest aus eigener Anschauung urteilen, da man es in Bamberg mit einer durchaus weltoffenen Atmosphäre zu tun hatte. Lampert widmete dem Bischof ja auch einen empfindsamen Nachruf464. Der Tod ereilte jenen 1065 auf dem Rückweg von der Pil-gerfahrt ins Heilige Land, die er an der Spitze der deutschen Bischöfe unternommen hatte – davon gleich mehr bei den Orienterfahrungen Lamperts. Zudem hatte der Hersfelder laut E.

STENGEL später Verbindungen zu den ja 1071 besuchten Klöstern Siegburg und Saalfeld, die Anno II. reformiert hatte (Kap. II.1 + VI.5). Dies zeigte sich etwa in den „Annales“ zu 1076 bei seinem Wissen über Saalfelder Verhandlungen eines königlichen Bevollmächtigten mit Otto von Northeim465. Demnach sind ähnliche Informationen vielleicht auch für Siegburg anzunehmen. Zudem erlangte Lampert so wohl seine guten Ortskenntnisse über Köln selbst, die er in seiner Schilderung des Aufstands 1074 in den „Annales“ unterbringen konnte (Kap.

V.9)466. So vermochte er gemäß T. STRUVE detailliert wie ein Augenzeuge den Fluchtweg Annos II. zu beschreiben, als dieser durch ein Kanonikerhaus entwischte, das direkt an der Stadtmauer gelegen war und erst kürzlich vom Hausherrn eine Mauerpforte erhalten ha

Angustus aditus patebat de templo in dormitorium, item de dormitorio in atrium domumque canonici cuiusdam adherentem muro civitatis. Isque ante paucos dies ortae sedicionis impetraverat ab archiepiscopo, Deo ad salutem archiepiscopi hoc ipsum misericorditer providente, ut rupto muro civitatis parvulum sibi posticum facere sineretur. Ibi eductus archiepiscopus, […]467.

Als der zurückkehrende Erzbischof dann eine Nacht in St. Gereon verbrachte, verortete Lampert den Standort korrekt außerhalb der Mauern: Ipse progressus ad Sanctum Gereonem, ibi extra urbem pernoctare statuit; […]468. Möglicherweise hat er so bei seiner Informations-reise auch Köln besucht, zumindest aber Neuigkeiten bei Annos Visiten in Hersfeld im De-zember 1072 und am 2. Februar 1075 erfahren – vor und nach dem Aufstand. Überhaupt lag ja Hersfeld zwischen Siegburg und Saalfeld, so dass sich wohl ein reger Nachrichtentausch entwickelte. Dass Lamperts Schilderung der Kölner Wirren aber eigenständig war und nicht

462 Anno II. und Köln: Lecheler, Lampert von Hersfeld, S. 122 u. Struve, Lampert, Teil A, S. 82 f.

463 Lamperts zentrale Portraits zu Anno II.: Lampert, Annales, S. 158 u. 328-340.

464 Gunthers Nachruf: Lampert, Annales, S. 104.

465 Saalfelder Verhandlungen: Lampert, Annales, S. 370-372. Dazu: Stengel, Lampert Abt, S. 256.

466 Lampert zum Kölner Aufstand: Lampert, Annales, S. 236-248.

467 Lampert, Annales, S. 242, Z. 3-9.

468 Lampert, Annales, S. 246, Z. 20 f.

etwa von einer Siegburger Vorlage stammte, zeigt sich im Hinweis auf den Wormser Bürger-aufstand, von dem nur er zu 1073 berichtet hatte und den er nun mit dem Kölner verknüpfte:

Preterea in mentem veniebat Wormaciensium insigne preclarumque facinus, quod episcopum suum insolentius agere incipientem urbe expulissent, et cum ipsi multitudine, opibus armisque instructiores sint, dedignantur, quod inferiores estimentur audacia et archiepiscopum tirannico sibi fastu imperitantem tamdiu muliebriter patiantur469.

So konnte Lampert also auch im Kölner Kontext auf persönliche Informationen und Er-fahrungen zurückgreifen. Allerdings bleibt es fraglich, ob ausgerechnet der reformkritische Hersfelder später auch die Verbindungen von Saalfeld und Hasungen zur Einführung der cluniazensischen Consuetudines geknüpft hat (Kap. II.1).

Betrachtet man sich nun Lamperts Kenntnisse über seine langjährige Heimatabtei Hers-feld, so muss man zunächst einschränkend auf die örtlichen Gegebenheiten hinweisen, um die Grenzen, aber auch die Bedeutung seiner diesbezüglichen Schilderungen abschätzen zu können. Scheinbar wurde dort nämlich die Überlieferung der Klosteranfänge und der ersten Äbte schon früh abgeschnitten (Kap. IV.1)470. So wussten die Hersfelder bald nicht mehr viel über die eigene Geschichte und Lampert musste mit einer allzu dürftigen Grundlage aus-kommen. Zunächst sind die wenigen Urkunden und Verzeichnisse zu nennen, die er schon für die „Vita Lulli“ heranzog (Kap. II.2.a). Sonst standen ihm allein die wenigen Informatio-nen zur Verfügung, die er den alten „Hersfelder Annalen“ entnehmen konnte (Kap. IV.5).

Doch selbst diese waren ihm nur mehr in einer Kurzform bekannt. Daraus resultierten etwa die bei Lampert zu beobachtenden schwankenden Jahresangaben, die oft von der zeitgenössi-schen Annalistik abwichen und auch durch Urkunden revidiert werden können. Freilich fin-det man die von ihm tradierte Abtsreihe in dieser Form auch im offiziellen Äbtekatalog des Hersfelder Totenbuchs (Kap. II.1)471. Offensichtlich bemühte sich der Chronist, das Best-mögliche aus den desperaten Quellenbeständen zusammenzutragen. Zieht man so zu Lamperts Grundgerüst die Einträge im Hersfelder Nekrolog (besonders im Kalendar C) hin-zu, so lässt sich eine fast vollständige Liste der Hersfelder Äbte bis 1090 rekonstruieren. Da-bei helfen als Ergänzung noch die Nekrologe von Tegernsee, Abdinghof, Paderborn und nicht zuletzt Fulda472. Lamperts Wissen über die fuldischen Äbte war – wiederum in auffäl-liger Parallelität zum Hersfelder Nekrolog – um einiges lückenhafter, aber zumindest deutet eine besondere Heraushebung der Nachbarabtei auch auf ein spezielles Interesse hin (Kap.

IV.7). Kehrt man nach Hersfeld zurück, so kann die dortige Annalistik auch in Bezug auf den Äbteaustausch besonders in der Frühzeit keine Angaben bieten. Zwar findet man dann in der diesbezüglichen Rubrik des Hersfelder Nekrologs A insgesamt 24 Hersfelder Mönche, die als Äbte in auswärtige Klöster wie etwa Fulda gingen, doch ist ihre Identität schwer nachzuprü-fen. Allerdings helfen hier neben der Tegernseer Überlieferung vor allem wieder Lamperts

„Annales“, die so zumindest 10 Entsendungen des 11. Jahrhunderts erhellen können473. Der letzte – annalenunabhängige – Nekrolog-Eintrag war er selbst als Abt von Hasungen 1081.

Den anderen werden wir besonders im Kontext der Gorzer Klosterreform begegnen (Kap.

IV.6). Insgesamt ist es somit auch Lampert, welcher der Forschung hilft, unter Hinzuziehung von Urkunden die frühen Abtslisten in Hersfeld und – mit Abstrichen – Fulda zu bestimmen und ihre wechselseitigen Beziehungen aufzuzeigen. In diesem Sinne ruht denn auch unsere diesbezügliche Auflistung (Kap. IV. ) zu einem guten Stück auf den Schultern des Chronis-4

ten.

469 Lampert, Annales, S. 238, Z. 17-21. Über den Wormser Aufstand: Lampert, Annales, S. 208.

ei Hersfeld, S. 13 u. Struve, Lampert, Teil A, Anhang III, S. 119 f.

II, Liste B, S. 123.

470 Quellennot: Hafner, Reichsabt

471 Erinnerung an den parallelen Wissensstand: Struve, Lampert, Teil A, Anhang III, S. 119 f.

472 Struve, Lampert, Teil A, Anhang III, Liste A, S. 121 f.

473 Struve, Lampert, Teil A, Anhang I

Weitet man den Blickwinkel etwas auf die nähere Umgebung von Hersfeld und Fulda, so wurden die lokalen Informationen ebenfalls stark von der Besitzstruktur des Klosters Hers-feld bestimmt, die sich noch stärker als Hessen auf Thüringen erstreckte (Kap. IV.3). Damit kreuzten sich aber notgedrungen auch die Wege mit dem ähnlich ausgerichteten Nachbar-kloster Fulda. Dabei standen zwangsläufig die Ereignisse in Hessen, Sachsen und Thüringen im Vordergrund. Erwähnt wird in Hessen etwa der Konflikt des Klosters mit Graf Werner III.

(„Annales“) und der Erstbeleg des Dorfes Asbach südwestlich bei Hersfeld („Vita Lulli“), wovon wir noch hören werden (Kap. IV.7 + VI.2). Zudem lieferte Lampert Informationen zur Reichspolitik – jedenfalls so, wie sie durch die Stellung Hersfelds als Reichsabtei etwa bei Königsaufenthalten oder im Kontakt mit anderen Klöstern dort ankamen. Nachrichten zu au

ie Entbindung vom Treueid, sondern nur die Exkommunikation (Kap. V.4). Gegenüber den Italienern hegte er aus seiner Unwis-senheit ein Misstrauen, dass sie durch Streitigkeiten Unruhe stiften könnten. Als Ausnahme

Canossa herauszuheben, über die er – brief-77 an die swärtigen Konventen wie Corvey waren dann intensiver, wenn etwa ein dortiger Abt spä-ter selbst in Hersfeld tätig sein sollte (Ruthard) oder wenn umgekehrt Hersfelder Mönche nach draußen gingen und damit den Ruhm des Heimatklosters förderten. Auch wenn Lam-pert schließlich nichts mehr in seinen Schriften über seine Aktivität in Hasungen berichtete, ist natürlich sein dortiges Schicksal auch landesgeschichtlich interessant.

Es lohnt sich aber noch ein Blick auf seine Wahrnehmung fremder Länder und Völker474. Bei ferneren Ereignissen zeichnete er sich gemäß W. D. FRITZ durch stets ungenaue Kennt-nisse und große Fehlerhaftigkeit aus. Hier sind etwa Lothringen, Italien oder England hervor-zuheben. Auch T. STRUVE unterstrich, wie auffallend schlecht unterrichtet Lampert über das Geschehen in Italien war, obwohl es sehr eng mit der Reichspolitik verknüpft war475. Doch während er diesseits der Alpen das Itinerar des Königs gut kannte, fehlte ihm bei den italieni-schen Ereignissen quasi jedes Gefühl für Raum und Zeit. Im Gegensatz zu Bruno im

„Saxonicum Bellum“ (wohl 1082) benutzte er nämlich kaum Briefquellen von Heinrich IV.

und Gregor VII., sondern verließ sich eher auf Hörensagen. Wie wir freilich wissen, griff er prinzipiell durchaus auch auf teils nachweisbare schriftliche Zeugnisse zurück, worunter sich sogar gerade Briefe befanden (Kap. II.3). In Bezug auf Italien bleibt aber festzuhalten, dass er sich in Marginalien verrannte und dass seine eigenen Vorstellungen den Kern des eigentlich Relevanten verfehlten. So werden wir noch von der Hochzeit Heinrichs IV. mit Bertha, der Tochter des Markgrafen Otto von Savoyen-Turin hören (Kap. V.2). Anlässlich dieses Ereig-nisses sprach Lampert in den „Annales“ zu 1066 pauschal von Berhtae reginae, filiae Ottonis marchionis Italorum476, womit er deutlich die wahren Herrschaftszustände verkannte.

Gerade von der Institution des Papsttums besaß er ebenfalls nur verschwommene Vorstel-lungen, was selbst seine wortreichen Schilderungen der Papsterhebungen von 1058 bis 1073 nicht kaschieren können. Er blieb dabei trotz aller Umbrüche in der alten Ordnungswelt Heinrichs III. befangen und sah die gesteigerte Rolle des Papsttums naiverweise primär in der nunmehrigen Anrufung als Schiedsrichter auch in königlichen Rechtsfragen. Auch wenn er hier im Kern durchaus Recht hatte, fehlte ihm doch das Gespür für die politischen und geistigen Hintergründe, die viel weiter gingen. Für ihn war der Papst eher der weise Vater in der Ferne, der im Notfall eingriff und dem alle – auch der König – zu folgen hatten. Dabei stellte der Papst aber mehr eine moralische als politische Instanz dar, indem die Rechtsdi-mension seines Amtes ausgeblendet wurde. So ging es für Lampert bei der Fastensynode 1076 nicht um die Absetzung Heinrichs IV. und d

um

ist freilich seine Schilderung der Geschehnisse in

he! – Informationen aus dem päpstlichen Rundschreiben von Ende Januar 10 lic

474 Lampert über fremde Länder und Völker: Struve, Lampert, Teil B, S. 87-95.

, Lampert, Teil B, S. 79-81 u. 87-90.

. 27 f.

475 Lampert und Italien: Struve

476 Lampert, Annales, S. 110, Z

deutschen Fürsten sog (Kap. V.4)477. Er lieferte damit neben Gregors Briefen eine der selte-nen strikt zeitgenössischen Schilderungen, da die meisten anderen Chroniken das Geschehen erst im Nachhinein beleuchteten und somit allein schon deshalb einer kritischen Bewertung zu

die

unterziehen sind478. Allerdings schmückte Lampert die Fakten frei aus und reicherte sie mit Rede und Gegenrede an. Machte Gregor VII. in seinem Brief keine Angaben über gewis-se Dinge, findet man bei Lampert nur Allgemeinplätze. Zudem sah er Canossa dezidiert als Vorstufe der Absetzung Heinrichs IV. durch die Fürsten, so dass er die Situation des Königs schwarz malte und sie mit der Wahl Rudolfs verknüpfte. Er stilisierte Heinrich IV. in kom-pletter Ohnmacht, indem dieser sich den Papstforderungen habe fügen müssen und dabei noch scheinheilig agiert habe. So durchschaute Lampert keineswegs die wahren Vorgänge oder die weltgeschichtliche Bedeutung, sondern verbuchte es als weiteren Beleg für die Missstände in Reich und Kirche, in denen es des Papstes als Schiedsrichter bedurfte. Schon

Ereignisse danach verloren wieder an Kontur, indem etwa der Lombardenaufstand angeb-lich nur die Absetzung des Königs zum Ziel hatte. Im Ganzen gesehen erwartete Lampert in seiner Idealisierung Heinrichs III. auch von dessen Nachfolger die Durchsetzung der Kaiser-macht in Oberitalien, so dass er kurzsichtig einfach deutsche Vorstellungen dorthin übertrug.

Der neue Friedenskönig sollte natürlich hier wie dort seine Herrschaft entfalten…

Eine Besonderheit in Lamperts Biographie ist bekanntlich seine Pilgerfahrt nach Jerusa-lem 1058/59, während der er Weihnachten an der Grenze zwischen Ungarn und Bulgarien verbrachte (Kap. II.1)479. Auch wenn wir von ihm leider kaum weitere Nachrichten darüber besitzen, hat er doch damals die Welt des Orients mit den dort lebenden Christen und Heiden erlebt. Freilich berichtete er in den „Annales“ zu 1064/65 in einer langen Geschichte über die Pilgerfahrt der deutschen Bischöfe ins Heilige Land, auf deren Rückkehr ja der anführende Bischof von Bamberg verstarb, was Lampert einen tiefgehenden Nachruf wert war. Über-haupt fiel sein Bericht zu dieser abenteuerlichen Unternehmung sehr detailliert aus, da er eben über eigene Erfahrungen verfügte480. Zudem beruhte seine genaue Kenntnis wohl auf einem Augenzeugenbericht, der aufgrund der zentralen Stellung des Bamberger Bischofs auf dieser Expedition wohl aus dessen Bamberger Umkreis stammte, wohin ja Lampert noch Kontakte pflegte. Bei seiner eigenen Pilgerfahrt wiederum war es sicher kein Zufall, dass er davon noch das Weihnachtsfest überlieferte, da es sowieso stets seine Jahresberichte einleite-te und hier zudem wegen der besonderen Umstände im Bewusstsein blieb. So weileinleite-te er da-mals zwar – wohl geschützt – in der unbekannten Stadt Marouwa, doch lernte er in dieser Zeit anscheinend trotzdem den Winter in Gebirgsregionen kennen. Dies hat im Nachhinein noch großen Eindruck auf ihn gemacht, so dass er nicht nur das Weihnachtsereignis direkt in den „Annales“ erwähnte, sondern die Erinnerungen dieser Tage auch auf die detailreiche Darstellung der Alpenüberquerung Heinrichs IV. nach Canossa in den „Annales“ zu 1076/77 übertrug (Kap. V.4)481. So kann man aus dieser Schilderung selbst bei anzunehmender Aus-schmückung Einblicke in die Praxis einer solchen Gebirgsüberquerung gewinnen, indem Lampert auch auf eigene Erfahrungen zurückgriff. Die abenteuerliche Welt des Orients ließ er dann jedenfalls zudem in die fabelhafte Erzählung über die Ausfahrt Roberts von Flandern in den „Annales“ zu 1071 einfließen482. Am Anfang sprach er den Leser sogar direkt an: Non ingratum fortassis lectori fecero, si gestae rei historiam quam paucis potero absolvam483. Die Geschichte handelt von einem unversorgten, jüngeren Sohn aus einer Dynastie, der sein

477 Lampert und Canossa: Lampert, Annales, S. 398-412. Rundbrief Gregors VII.: Register IV, 12.

478 Inhalt und Einbettung: Goetz, Investiturstreit in der deutschen Geschichtsschreibung, S. 48 u. 52.

479 Lampert, die Pilgerfahrt und der Orient: Struve, Lampert, Teil B, S. 91 f.

ng Heinrichs IV. 1076/77: Lampert, Annales, S. 392-398.

zu: Struve, Lampert, Teil B, S. 91 f.

480 Lampert, Annales, S. 94-104.

481 Lampert über die Alpenüberqueru

482 Lampert, Annales, S. 136-142. Da

483 Lampert, Annales, S. 136, Z. 9 f.

Glück in der F Reichtum zu erwerben. Hier begegnet uns zunächst einmal als zentrales Motto erneut das bei Lampert sehr beliebte und aus der Antike entlehnte a (Kap. II.3). Darüber hinaus enthält sein Bericht reichlich spielmannhafte e aus der volkssprachlichen Literatur

inneren Zwistigkeiten der deutschen Fürsten – inklusive Heinrichs IV. in Sachsen – übermü-von

wa dan

remde suchte, um mithilfe seiner eigenen Tüchtigkeit Land und Motiv der fortun

Züge, w e man sii

des Mittelalters kennt. Hier waren sie freilich noch in lateinischer Sprache verfasst. Schein-bar kombinierte Lampert aber aus Interesse verschiedene Stränge der damals kursierenden Vorkreuzzugsgeschichten, hatte vielleicht sogar eine volkssprachliche Vorlage in Augen-schein genommen. In gewissem Sinne fand die Welt der Sagen auch durch seine von Jordanes übernommene Geschichte zu „Attilas Schwert“ Einzug in die „Annales“ (Kap.

VI.2).

Über die nördlichen und östlichen Nachbarn des Reiches besaß Lampert insgesamt nur fragmentarisches Wissen, das deren Eigenarten nicht zu durchdringen vermochte484. Über-haupt zeichneten sich die „Annales“ trotz ihrer globalen Herangehensweise ja eindeutig durch einen Reichsbezug aus, so dass auswärtige Mächte in der Regel nur durch Interaktion mit diesem relevant wurden. So war damals in sächsischen Kreisen offensichtlich der Ver-dacht einer Einkreisungspolitik zu ihren Ungunsten weit verbreitet. Demnach rezipierte auch Lampert Gerüchte, der junge König wolle die Sachsen mithilfe von deren Nachbarn ausrot-ten. In dieser Hinsicht wurde denn auch das Bündnis Heinrichs IV. mit dem Dänenkönig Sven Estridson in Bardowick (1071) von Lampert und Bruno gedeutet, wobei es der Hersfel-der – ohne Ortsangabe – bezeichnenHersfel-derweise erst zu 1073 beim Sachsenkrieg aufführte485. Daneben bezog man auch die Liutizen und Polen in die Eingrenzungspolitik ein. Dabei sah Lampert die heidnischen Liutizen in den „Annales“ zu 1073 aus der gleichen Sicht, wie dies Tacitus mit den Germanen getan hatte, indem deren Zwietracht gut für das Reich sei486. Er folgte darin stilistisch aber eher Justin und man kann so leider keine direkte Benutzung der wohl nicht in Hersfeld, jedoch in Fulda vorhandenen „Germania“ ableiten (Kap. II.2.a + IV.5)487. Jedenfalls schwirrten darüber hinaus offenbar viele Gerüchte über sächsische und königliche Bündnisangebote in Hersfeld herum. Diese hätten zu einem blutigen Bürgerkrieg unter den Heiden geführt, wodurch sie an auswärtigen Kriegen gehindert würden, was ja all-gemein – hier ging es Lampert nicht mehr primär um die Sachsen – Kirche und Reich nur nützen konnte. Gleich im Anschluss folgte ein phantastischer Bericht über eine Hilfsexpedi-tion der Dänen, der Reginos Schilderung der Normannen als Vorbild hatte488. Dort war es ja schon um die bekannte Kriegslist gegangen, die Schiffe seineaufwärts und über Land zu schicken, um die feindlichen Stellungen zu umgehen. Auch wenn Lampert eine Bedrohung des Reichs durch fremde Mächte erkannte, wies er doch eine Konspiration zwischen Anno von Köln und Wilhelm dem Eroberer (1074) verständlicherweise als Gerücht zurück489. Al-lerdings nahm er in den „Annales“ von der Königskrönung des Polenherzogs Boleslaw II. zu Weihnachten 1076 Notiz, was er als schlechtes Zeichen wertete, dass die Barbaren durch die tig geworden waren490. Zur Thronerkämpfung des englischen Königs rund um die Wende Hastings hatte er freilich 1066 nur ungenaue Kunde bekommen, obgleich zumindest et-s über eine enorme Schlacht im Norden auch Heret-sfeld erreicht hatte und von Lampert

n in einen kosmischen Kontext gestellt wurde:

Lampert über die nördlichen und östlichen Reichsnachbarn: Struve, Lampert, Teil B, S. 92-94.

Lampert, Annales, S. 174.

Lampert und die Liutizen: Lamp

484

485

486 ert, Annales, S. 200.

488

490

487 Lampert, Lullus-Leben II, S. 94 f., Anm. 14 u. Struve, Lampert, Teil B, S. 93, Anm. 32.

Lampert und die Dänen: Lampert, Annales, S. 200.

489 Lampert, Annales, S. 252.

Lampert, Annales, S. 394.