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II. Lampert von Hersfeld (vor 1028 - 1081/82)

3. Haltung

Wenn wir uns nun Lamperts Haltung zuwenden, so müssen unsere dortigen Gedanken dem-nach erneut bei der Wiederentdeckung seiner Werke ansetzen und verschiedene Phasen der Rezeption benennen . Denn wie bei vielen anderen mittelalterlichen und antiken

323

318 Trithemius, Annales Hirsaugienses I, S. 202. Zit. n.: Struve, Lampert, Teil A, S. 110, Anm. 87.

319 Trithemius, Annales Hirsaugienses I, S. 202. Zit. n.: Harttung, Aufzeichnungen, S. 445, Z. 20-22.

320 Centuriatoren XI, S. 647. Zit. n.: Harttung, Aufzeichnungen, S. 446, Z. 5-12.

321 Lampert über Canossa: Lampert, Annales, S. 398-412.

322 Struve, s. v. „Lampert von Hersfeld (von Aschaffenburg)“, NDB 13, S. 462, Sp. A, Z. 37-39.

323 Haltung und Einordnung Lamperts: Demandt, Geschichte Hessen, S. 354; Goetz, Investiturstreit in der deutschen Geschichtsschreibung, S. 47-57; Hafner, Reichsabtei Hersfeld, S. 53 f. u. 83 f.; W. Heinemeyer,

Hersfeld“, LexMA 4, Sp. 2183; Struve, Lampert, Teil A, S. 9-12;

Stru-; , Sp. 1632; Struve, s. v. „Lampert von Hersfeld (um 1028 - Hochmittelalter, S. 165; Lampert, Annales, Einleitung, S. XII-XV; Lampert, Lullus-Leben, Einleitung, S.

25-27; Lecheler, Lampert von Hersfeld, S. 121 f. u. 125-127; Neuhaus, Geschichte Hersfeld, S. 44 u. 66;

Schieffer, s. v. „Lampert von Hersfeld“, VerLex 5, Sp. 517-519; Schmidt, s. v. „Lampert von Hersfeld“, BBKL 4, Sp. 1058 f.; Struve, s. v. „

ve, Lampert, Teil B, S. 34-142; Struve, s. v. „Lampert von Hersfeld (von Aschaffenburg)“, NDB 13, S. 462 Struve, s. v. „Lampert von Hersfeld“, LexMA 5

gra

ve Image Hein-ric

phen haben wir es auch bei ihm im Verlauf der Jahrhunderte mit einer starken Wandlung der Beurteilung zu tun. In der Rezeptions- und Forschungsgeschichte Lamperts folgten näm-lich als Wellenbewegung auf eine geringe Bekanntheit zunächst ein hohes Ansehen, dann ein tiefer Fall und schließlich eine gleichmäßigere Einordnung. Im Mittelalter wurden Person und Werk ja bis auf Ausnahmen kaum beachtet, was aus der geringen Zahl von überlieferten Handschriften zu ersehen ist (Kap. II.2.a-d). Erst als am Beginn des 16. Jahrhunderts ein stär-keres Interesse von Gelehrten einsetzte, fand er eine weitere Verbreitung und so lassen sich allein für das folgende Säkulum sechs verschiedene Lampertausgaben nachweisen. Damals waren die Humanisten voller Lob über seine schriftstellerischen Fähigkeiten, worin ihnen urteilsmäßig fast alle Historiker der nächsten Jahrhunderte folgten. An Kenntnissen und sti-listischen Gaben steht er auch in der Tat an erster Stelle unter den mittelalterlichen Ge-schichtsschreibern. Im Vergleich zur eindeutigen Papst- und Königspropaganda schien Lam-pert mit seinen „Annales“ einen Mittelweg darzustellen und galt daher lange Zeit als Muster vermeintlicher objektiver Geschichtsschreibung, dem man denn auch als Zeuge in solch auf-gewühlter Zeit eher unkritisch vertraute. Von ihrem Wiederauffinden an dienten sie demnach lange Zeit bis weit ins 19. Jahrhundert hinein als zentrale Grundlage der Geschichtswissen-schaft, wurden als beste Quelle für die frühe Regierung Heinrichs IV. 1056-1077 angesehen und waren somit die maßgebliche Richtschnur für die Auffassung der Geschichte jener Jahr-zehnte um Investiturstreit und Sachsenkrieg. Demnach ging just das negati

hs IV. in der älteren Forschung weitgehend auf die Schilderungen Lamperts zurück.

Auch wenn man später einzelne Einschränkungen machte, kam es doch erst 1854 zur rich-tigen Überprüfung der Glaubwürdigkeit Lamperts und seiner „Annales“ in einem Akademie-vortrag Leopolds VON RANKE (1795-1886), der die Stellung des Chronisten nachhaltig er-schütterte, indem er Bedenken gegenüber dessen Zuverlässigkeit vorbrachte324. Dort be-scheinigte der Redner anhand mehrerer Einzeluntersuchungen dem Hersfelder nämlich eine völlige Unglaubwürdigkeit und gehässige Tendenz gegen Heinrich IV. Zudem war Lampert nachweislich nicht so gut unterrichtet und auch nicht so unparteiisch, wie man bis dahin ge-glaubt hatte. Mit diesem negativen Urteil über seine Aussagekraft eröffnete L. V.RANKE eine tiefgehende Kritik Lamperts, die einen langandauernden Streit um den Quellenwert gerade der „Annales“ nach sich zog, indem sich die negative Bewertung noch verstärkte. Als auf dieser Basis die quellenkritische Forschung des 19. Jahrhunderts einen empfindlichen Man-gel an Zuverlässigkeit bei der Überlieferung historischer Fakten feststellte und daraus schlie-ßen musste, wie sehr erst Lamperts sonstige, teils detaillierte und nur durch ihn verbürgte Aussagen wohl überhaupt nicht der Wahrheit entsprachen, kam es zu einer Revision seines Bildes. Bis auf Ausnahmen, wozu etwa W. GIESEBRECHT zählte, wurde die Kritik L. V. RANKEs anerkannt, ja man strebte gar noch über sie hinaus. Denn war die Autorität Lamperts erst einmal grundsätzlich erschüttert, so ging man wie in ähnlichen Fällen immer weiter, bis der Hersfelder in gänzlich trübem Licht erschien: Hier nahm gerade sein Editor O. HOLDER -EGGER (1894)eine Spitzenposition ein, aber auch G. MEYER VON KNONAU (1890ff.). Just der sonst verdienstvolle Herausgeber scheint nach dem etwas überspitzten Urteil von P. HAFNER

(1936) geradezu darauf ausgegangen zu sein, überall bewusste Fälschungen zu finden. Die Verdammung gipfelte in O. HOLDER-EGGERs Aussage: Dieser Mann hatte kein historisches Gewissen, er ahnte gar nicht, was geschichtliche Wahrheitstreue ist325. Er trieb mit diesem

nach 1081): Annales“, Hauptwerke, S. 350-352; Unger, s. v. „Hersfeld – Geschichtlicher Überblick“, GermBen 7, S. 593 f. u. Vogtherr, Reichsklöster, S. 454.

324 RANKE, Leopold von: Zur Kritik fränkisch-deutscher Reichsannalisten; Abhandlung der Königlichen Aka-demie der Wissenschaften zu Berlin; philologisch-historische Klasse; Berlin 1855 (vorgetragen 1854); S.

che; Sämtliche Werke; Band 51/52; Leipzig 1888;

Lampert, Teil B, S. 124, Anm. 2.

436-458; wieder abgedruckt in: Abhandlungen und Versu S. 125-149, speziell S. 133.

325 Holder-Egger, Studien zu Lambert von Hersfeld, S. 517. Zit. n.: Struve,

sch

rei der „Vita Lulli“ zu beobachtende Art des Ummodelns, Ergänzens, Auslassens oder Au

Canossa328. Lampert stand offensichtlich den weltlichen Ge-sch

ieg, sammenfallen, so dass ihm bald der Stempel eines „Lügenbarons“ anhaftete. Wenngleich er wahrlich keineswegs jener notorische Lügner zu be-arfen Urteil eine damals verbreitete Anschauung auf die Spitze, in der Lampert als Histo-riker nun ebenso viel Tadel einstecken musste, wie ihm als Stilist weiter Lob gezollt wurde:

Ergo homo adprime litteratus, perfectus scriptor, sed levissimus historicus, scriptor rerum gestarum nullius auctoritatis, nullius fidei ex hoc examine evadit Lampertus326.

Freilich muss O. HOLDER-EGGER zugestanden werden, dass sich ihm, nachdem er selbst erstmals Lampert noch die „Vita Lulli“ zugewiesen hatte (Kap. II.2.a), auch ganz neue Ver-gleichsmöglichkeiten zu den „Annales“ boten. Denn im Gegensatz zu seinem Hauptwerk nannte der Hersfelder ja in der Lullusbiographie seine Kernquellen und verband dies gar mit der Versicherung einer gewissenhaften Benutzung, so dass der Forscher hier einen gleichsam doppelten Ansatzpunkt zur Prüfung hatte. Er kam freilich zu einem vernichtenden Ergebnis, da die Verwendung der Quellen einer kritischen Nachprüfung nicht standhielt. Dass nur ein Teil der Quellen aufgeführt wurde, lässt sich noch mit der diesbezüglichen Definition Lamperts erklären. Jedoch waren diese dann inhaltlich oft ins Gegenteil verkehrt. Allerdings sind ihm hier wiederum die genretypischen Merkmale der Hagiographie zuzugestehen, in-dem das Werk selbst nach den Erweiterungen der zweiten Version noch nicht vollständig in der Geschichtsschreibung angekommen war, sondern auch der alten Schwarz-Weiß-Male einer Heiligenvita verhaftet blieb. So können die Vorwürfe in diesem Fall laut T. STRUVE

(1970) und E. LECHELER (1992) nicht so schwer wiegen wie bei den „Annales“. Freilich lässt seine in

sleihens von anderen Heiligen trotzdem Rückschlüsse auf seine anderen Schriften zu.

Denn wie mochte er erst lügen oder fabulieren, wo er seine Quellen überhaupt nicht nannte?

Die Zuordnung der „Vita Lulli“ rückte den Hersfelder also erst recht in ein negatives Licht, was auch Auswirkungen auf sein Geschichtswerk als Ganzes haben musste.

Insgesamt wurde so immer mehr deutlich, worin die so lange geglaubte scheinbare Zuver-lässigkeit Lamperts begründet war327: Primär suggerierte sein Schreibstil, dass er die ge-schilderten Ereignisse selbst miterlebt habe. Zwar legte er den Fürsten häufig authentisch anmutende Klagen in den Mund, doch waren dies faktisch eher seine eigenen. Bei Informati-onsmangel erfand er diese mehr oder weniger frei. Auch besserte Lampert die wenigen ihm bekannten Fakten aus lebhaften eigenen Vorstellungen auf. Demnach wies man in den

„Annales“ zahlreiche Unrichtigkeiten nach, vor allem bei Verhandlungen und Unterredungen wie in Tribur-Oppenheim und

äften und den Fragen der Politik recht fern. Daher kann man von ihm keine Antworten auf verfassungsrechtliche Fragen erwarten. So sind keine Aussagen über das, worum es im Thü-ringer Zehntstreit eigentlich ging, über die wirklichen Ursachen des Sachsenaufstandes oder die Erhebung der Bürger von Worms und Köln zu gewinnen. Zudem trog bei ihm der erste Anschein von Objektivität allzu häufig: Unter ihrem Mantel verbarg er oft, dass er seine In-formationen zumindest teilweise nur gezielt weitergab. Auch nahm man nun in ungleich hö-herem Maße die mehr oder weniger versteckte Königskritik wahr. Die zwei letzten Punkte kommen etwa beim Ehescheidungsversuch Heinrichs IV. 1069 zusammen, als der König von Lampert der Sittenlosigkeit angeklagt wurde, wobei der Chronist wohlweislich verschw dass der gewünschte Gegenkönig Rudolf gerade das gleiche beabsichtigte (Kap. V.2) . Da-329

rüber hinaus gab Lampert Einzelheiten ohne verlässliche Kunde wieder und konstruierte Zu-sammenhänge und Motivationen, die bei kritischer Prüfung in sich zu

ein unparteiischer Beobachter war, ist er dennoch nicht als

326 Lampert, Opera, Praefatio, S. XXIX, Z. 21-24.

327 Dazu kompakt: Lecheler, Lampert von Hersfeld, S. 126.

Lampert, Annales, S. 382-392 (Tribur-Oppenheim) u. 398-412 (Canossa).

328

ales, S. 114-120.

329 Bericht zum Ehescheidungsversuch: Lampert, Ann

zei

nis

mpert so bereits

ischen Autoren belesen, wie kaum ein anderer Geschichtsschreiber des Mi

enden er in ein besse-res

chnen, den die etwas zu quellenfixierte Forschung des 19. Jahrhunderts aus ihm machen wollte. Vielleicht wurden solch übertriebene Urteile auch aus Empörung darüber gefällt, dass Lampert seine Leser so lange über seine Gesinnung täuschen konnte. Denn es war damals längst bekannt, dass etwa Brunos oppositionelles „Saxonicum Bellum“ (wohl 1082) und die anonyme, kaisertreue „Vita Heinrici IV. imperatoris“ (nach 1106) die „wahren“ Geschehnis-se gesinnungsmäßig interpretierten. Sie hatten eben ihre Partei offener zur Schau gestellt.

So sorgten erst neuere Ansätze vor allem in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts für ein differenzierteres Lampertbild, das in keines der beiden vorherigen Extreme verfiel. Es stellte vielmehr grundsätzlich fest, dass er nicht als planvoller Fälscher absichtlich die Wahr-heit entstellte, sondern nach biographischen und zeittypischen Gesichtspunkten eingeordnet werden muss, welche die an sich unzweifelhaft wichtigen Erkenntnisse der Quellenkritik erst richtig bewerten helfen. So relativierte schon P. HAFNER (1936) die umfassende Kritik von O. HOLDER-EGGER330. Generell könne zwar nicht bestritten werden, dass Lampert in gewis-sen Dingen nicht genügend Kenntnisse gehabt habe, dass er allgemein der Darstellungsform mehr Bedeutung beigemessen habe als der genauen kritischen Forschung und dass er schließ-lich auch in einseitiger Parteischließ-lichkeit, ja sogar Gehässigkeit, gegenüber Heinrich IV. Position bezogen habe. Allerdings sei es eine Übertreibung, ihm pauschal immer absichtliche und bewusste Fälschung zu unterstellen und ihn als vollendeten Bösewicht331 erscheinen zu las-sen. So habe selbst O. HOLDER-EGGER schon anerkannt, dass der Chronist über viele Ereig-se, wie die königlichen Reisen, treffliche Schilderungen biete und die „Annales“ stets als ein Werk von großem Wert betrachtet werden müssten332. Insgesamt war La

für P. HAFNER bei aller berechtigten Kritik doch eine bedeutende Persönlichkeit, wörtlich […] ein Mann von glänzenden Geistesgaben und großer Gelehrsamkeit, ein Schriftsteller ersten Ran-ges, in den klass

ttelalters333.

Auch wenn diese Bemerkungen fraglos einen wahren Kern haben, dürfen sie wieder an-dersherum auch nicht den Blick auf den problematischen Charakter unseres Chronisten ver-stellen. Freilich bedeutet das verständnisvollere Einbeziehen seiner mönchisch-adligen Iden-tität in der neueren Forschung bei Weitem kein Reinwaschen Lamperts, dessen Verstellungen im Einzelnen auch noch von M. FLECK (1986/2007) nicht abgestritten wurden. Dabei wies W. D. FRITZ (1957/62)sogar noch dezidiertdarauf hin, dass der Hersfelder an vielen Stellen bewusst gelogen habe. So könne er nur dem Urteil von K. HAMPE in der 10. Auflage von dessen „Deutscher Kaisergeschichte in der Zeit der Salier und Staufer“ (1949) beipflichten:

Immerhin bleibt ein ungewöhnlich geringes Maß an historischem Wahrheitssinn und moralischer Zuverlässigkeit, so daß das an Stoffreichtum und Darstellungskunst glänzende Werk als Quelle nur mit Vorsicht zu benutzen ist334.

Diese Beurteilung steht in der Lampertforschung aber quasi noch in einer Übergangszeit, da T. STRUVE dann in seiner für uns grundlegenden Dissertation 1969/70 und den folg

pert durchaus ein subjektives Wahrheitsempfinden Kurzartikeln noch weiter ging und Lam

zugestand. Er erweiterte gleichsam die alte, primär quellenkritische Sicht hin zu einer umfas-senden Einbeziehung von Charakter und Weltbild, wodurch er Lampert wied

Licht rücken wollte. Denn der Forscher nahm die Aussagen des Chronisten nicht absolut, sondern betrachtete sie unter stilkritischen Aspekten, indem die Geschichtsschreibung

eben-3 f.

333

und Staufer; bearbeitet von F. Baethgen; 10.

nnales, Einleitung, S. XIV, Z. 27-30.

330 Kritik an O. HOLDER-EGGER: Hafner, Reichsabtei Hersfeld, S. 8

331 Hafner, Reichsabtei Hersfeld, S. 83, Z. 31.

332 Lampert, Opera, Praefatio, S. XLVII.

Hafner, Reichsabtei Hersfeld, S. 81, Z. 21-24.

334 HAMPE, Karl: Deutsche Kaisergeschichte in der Zeit der Salier Auflage; Heidelberg 1949; S. 2. Zit. n.: Lampert, A

falls als ein Spiegel der Anschauungen des Autors und dessen Umgebung aufgefasst werden müsse. Daher beendete er seine Arbeit denn auch mit einem programmatischen Wunsch:

[…] in der Hoffnung, das Verständnis für die Persönlichkeit Lamperts von Hersfeld gefördert und das traditionelle Mißtrauen gegenüber seinem Werk gemindert zu haben335.

Lamperts Glaubwürdigkeit hält aber in der Tat in vielen Fällen einer wissenschaftlichen Nachprüfung nicht stand. Doch ist es heute nur schwer nachzuvollziehen, wo er gemäß W. D.

FRITZ wirklich bewusst log, wo Entstellungen aus reinem Gewissen geschahen und wo er es einfach nicht besser wusste. Daher muss umso umsichtiger differenziert werden, denn eine Pauschalisierung Lamperts als vorsätzlicher Lügner ist genauso wenig statthaft wie seine Verklärung. Er nahm lebhaften Anteil an den Ereignissen seiner Zeit, die er so einordnete, wie ihm dies richtig erschien. Manchmal gingen Lampert dabei – wie seinen antiken Vorbil-dern – das ausufernde schriftstellerische Temperament und die Lust am Fabulieren durch.

Von diesen ausgeschmückten Schilderungen und Monologen konnte er aber hinter Klausur-ma

Hi

uern nicht in dem Umfang Kenntnis haben. Er mag auch Klosterklatsch und falsche Ge-rüchte unkritisch miteinbezogen haben, wenn sie in sein Bild der Welt passten. Weit entfernt von bewusster Verzerrung füllte er eben Wissenslücken, die er trotz Hersfelds Stellung als informiertes Reichskloster zwangsläufig haben musste, mit dialogreichen Szenen aus, die auch der Unterhaltung beim Vortrag dienen sollten. Er erstrebte scheinbar im Zweifel eher eine effektvolle denn wahrheitsgemäße Schilderung, wie im Falle der „Demütigung“ Hein-richs IV. in Canossa336. In seinen Werken manifestierte sich zudem seine subjektive Haltung und Wahrnehmung, was nicht pauschal mit absichtlicher Fälschung gleichgesetzt werden darf. Hier tritt vielmehr seine Persönlichkeit mit oft im Widerstreit stehenden Gefühlen her-vor, wodurch er zum typischen Vertreter der Umbruchszeit Heinrichs IV. wurde (Kap. V.2-4).

Um eine Bilanz der beschriebenen Rezeptionsgeschichte Lamperts zu ziehen, ist an dieser Stelle zunächst auf ein Urteil von E. LECHELER (1992)zu verweisen:

Beim Lesen der Arbeiten über Lampert fällt auf, wie sehr offensichtlich nicht nur die mittelalterlichen storiographen, sondern auch wir heute von unseren methodischen Ausgangspunkten her voreinge-nommen sind337.

Demnach bleibt der Autorin zufolge festzuhalten, dass die rein quellenkritischen Ansätze des 19. Jahrhunderts sicher in der Gegenwart überholt sind. Nach der Auffassung der moder-nen Forschung kann man vielmehr von der Persönlichkeit und den historischen Vorstellun-gen des Geschichtsschreibers nicht abstrahieren. Im Mittelalter konnte laut F.-J. SCHMALE

(1985) die Wiederherstellung der alten, „richtigen“ Ordnung als so bedeutendes Gut angese-hen werden, dass der Historiker auf jedes Mittel bis hin zur Fälschung zurückgreifen durfte338. Daran anknüpfend ordnete E. LECHELER bereits die als Verteidigung Lamperts konzipierte Monographie von T. STRUVE (1969/70) kritisch ein, die ja auch wir wegen ihrer vielen Vorzüge als eine Hauptstütze nehmen. Freilich wies E. LECHELER auf den Wider-spruch hin, dass der Autor zwar unterstellte, der Hersfelder habe seine Quellen sorgfältig geprüft, jedoch gleichzeitig zu dem Urteil kam, dass Lampert jeden Maßstab verloren habe und aus blindem Hass urteilte339. So habe sich T. STRUVE am Ende doch wieder O. HOLDER -EGGER als Lamperts größtem Kritiker angenähert, der ja dem Mönch jedes historische Ge-wissen abgesprochen hatte. Die Autorin schloss damit, dass die heftige Diskussion um die

-14.

. 30-32. Siehe dort auch die folgenden Ausführungen.

g; Darmstadt 1985; S.

26 f.

335 Struve, Lampert, Teil B, S. 142, Z. 11

336 Lampert allgemein zu Canossa: Lampert, Annales, S. 398-412.

337 Lecheler, Lampert von Hersfeld, S. 126, Z

338 SCHMALE, Franz-Josef: Funktionen und Formen mittelalterlicher Geschichtsschreibun 57. Daraus abgeleitet: Lecheler, Lampert von Hersfeld, S. 1

339 Kritik an T. STRUVE: Lecheler, Lampert von Hersfeld, S. 127.

Glaubwürdigkeit des Hersfelders aber gerade die hohe literarische Qualität seines Werkes beweise:

Wenn Historiographie auch literarischen Ansprüchen genügen soll, dann kommt das Werk des Lam-pert von Hersfeld dieser Forderung sicher in besonderem Maß entgegen340.

Was lässt sich also aus Lamperts wechselvoller Rezeptionsgeschichte für uns als Maßstab für die folgende Betrachtung seiner Haltung herauslesen? Insgesamt müssen – wie bei Eber-hard (Kap. III) – vor allem seine biographischen Umstände berücksichtigt werden, indem die neuere Forschung das Weltbild des Hersfelder Mönches besser enthüllen konnte. In seiner ungehemmten Kritik wurde er zudem Zeuge eines in der zweiten Hälfte des 11. Jahrhunderts einsetzenden politisch-sozialen Wandels in vielen Bereichen und mit weitreichenden Folgen, dessen Anzeichen etwa wachsende Territorialisierung und Individualisierung waren (Kap.

V.9). Aus konservativ-geistlicher Sicht übte er in einer ‚altväterischen‘ Haltung341 reichlich Kritik an der Politik Heinrichs IV. (1056/84-1106), die freilich von den Umständen erzwun-gen war. Lampert hatte aber noch dessen früh verstorbenen Vater Heinrich III. (1039/46-1056) miterlebt, an dem er sein Ideal ausbildete342. So konnte er die Tendenzen und Ziele der neuen Zeit nicht ergründen und war von allem nur noch enttäuscht. Dabei erkannte er nicht, dass die von ihm beklagten Missstände der Gegenwart teils schon unter der Regierung des verehrten Heinrich III. begründet worden waren. Man kann laut E. LECHELER gar so weit gehen, dass Lampert überhaupt keine Vorstellung von der geschichtlichen Bedeutung seiner Zeit und von der Größe der damals stattfindenden Veränderungen hatte343.

Hinzu kam ein konservativer Adelsstandpunkt, der sich nicht nur in der Reichspolitik, sondern auch in sozialen Fragen äußerte344. Als Angehöriger des grundbesitzenden Adels betonte er die Standesunterschiede zwischen Hoch und Niedrig sowie Arm und Reich. Dies schätzte er sogar als wichtiger ein als die Abtrennung von Geistlichen und Laien, da für beide ja die gleichen Standesunterschiede galten. So wurden einerseits die Heeraufzüge zweier gegnerischer Parteien bei ihm zu geordneten Schauspielen der unterschiedlichen Rangstufen.

Andererseits setzten sich die sozialen Unterschiede auch hinter Klostermauern fort, wie in seiner Schilderung des Fuldaer Aufstands 1063 deutlich wird, als man die betreffenden Mön-che nach ihrem Stand bestraft habe (Kap. VI.3). Trotzdem rühmte Lampert aber die unpartei-ische Rechtspflege seines Mentors Anno II. von Köln, der sich ohne Ansehen der Person besonders für Arme und Unterdrückte eingesetzt habe. Jedoch wohnte in unserem Chronisten gemäß T. STRUVE die typische „Herrenethik“ adliger Kreise mit einer tiefen Bewunderung der Standesgenossen, denen die Herrschaft in allen Bereichen zustehe.

Dagegen erfüllte ihn Misstrauen gegenüber dem Aufstieg neuer sozialer Schichten wie der Ministerialität und dem Stadtbürgertum, die er als Emporkömmlinge ohne Machtanspruch abqualifizierte. Nach allgemeinem Glauben kamen nämlich aus ihren Reihen besonders viele Unruhestifter und Verräter. Und nun musste Lampert sehen, dass solche Leute auch noch vom König gefördert wurden! So wurde er ein energischer Fürsprecher fürstlich-adliger Standesinteressen, was ihn quasi auch zum Sprachrohr der fürstlichen Opposition aus Bi-schöfen, Herzögen und Grafen machte. Lampert gab dem Unmut der Fürsten über jene Leute niedrigster Herkunft Ausdruck, die von Heinrich IV. mit höfischen Führungsstellungen und militärischen Aufgaben in den entstehenden Königslandschaften betraut wurden und so zu Konkurrenten der alten Elite aufstiegen. Ein weiterer Ausfluss seines Standesbewusstseins war die Geringschätzung des niedrigen Volkes, das er als rohe, ungebildete Masse

340 Lecheler, Lampert von Hersfeld, S. 127, Z. 11-13.

341 Struve, Lampert, Teil B, S. 34, Z. 9.

inrich III.: Struve, Lampert, Teil B, S. 34-38.

, S. 39-47.

342 Lamperts glückliche Zeit unter He

343 Lecheler, Lampert von Hersfeld, S. 125.

344 Ausführlich zum konservativen Adelsstandpunkt: Struve, Lampert, Teil B

au

en Vertrauensleuten. Besonders erbost war Lampert, als He

diesbezügliche Gegenforderungen in den Mund legte, obwohl er vom wahren Hergang der Verhandlungen keine Informationen hatte, so handelte es sich in Wirklichkeit um seine

eige-tliche Beratung und Neuwahl des ffasste345. In seiner Schilderung des Sachsenkrieges (Kap. V.3) ließ er keinen Zweifel da-ran, dass es durch Anführer zu jeder Gewalttat aufgewiegelt werden, ja sogar selbst – wie beim Verwüsten der Harzburg – einen Aufruhr initiieren könne346. Daher sei stets eine Be-schwichtigung der wankelmütigen und unberechenbaren Menge durch Vernünftige vonnöten, also durch die Fürsten. Dabei stellte er im Bericht zu 1075 zwar dezidiert dem Sachsenvolk ein negatives Zeugnis aus, verallgemeinerte es aber gleich schon selbst auf alles Volk: […] ut semper varium et instabile est plebis ingenium, […]347. Das Volk an sich sei stets gierig nach Neuem und ließe sich davon blenden. Die damit verbundene Geringschätzung von Tradition musste die Menge aber just in Gegensatz zum Adel und damit zu Lampert selbst bringen.

Einen regelrechten Hass empfand er gegenüber den Ministerialen, welche die Regierung Heinrichs IV. repräsentierten und die fürstliche Teilnahme an der Herrschaft auszuschalten drohten348. So gab er der Kritik der Adelsopposition Ausdruck, die die auf königliche Dienstmannen gestützte Königslandpolitik in Sachsen und das Eindringen von Ministerialen in den königlichen Rat ablehnte. Interessanterweise setzte Lampert die Ministerialen mit den Schwaben gleich, die ja auch tatsächlich einen großen Teil dieser Gruppe ausmachten. In seiner Rezeption sächsischer Propaganda ging der Chronist so weit, dass er ebenfalls behaup-tete, Heinrich IV. wolle die Sachsen ausrotten und dafür Schwaben ansiedeln. Dieser strebte aber die wirtschaftliche und militärische Beherrschung des Landes von Burgmittelpunkten aus an und setzte dafür treue, nicht zimperliche Dienstmannen ein. Damit intensivierte der König quasi alte, aber längst vergessene Reichsrechte gegenüber den Fürsten. Seine Maß-nahmen führten zu Klagen in der Bevölkerung und zu Misstrauen im sächsischen Adel, was sich bald im Sachsenaufstand entlud (Kap. V.3). Doch regte sich im ganzen Reich Unmut über die Ministerialen, die in Schlüsselstellungen berufen wurden, so in den geheimen Rat, den Hofdienst, die Verwaltung königlicher Ämter und in politische Aufgaben (Kap. V.9).

Unter den Königsvertrauten ragte Liupold von Meersburg heraus, über dessen Tod bei Hers-feld auch Lampert berichtete (Kap. VI.2). Zu nennen sind hier noch Regenger und Udalrich von Godesheim, die beide mit Mordanschlägen auf die Herzöge Rudolf von Schwaben und Berthold von Kärnten zu tun hatten. Auch das Goslarer Stift als Ausbildungsstätte der Reichskirche besetzte er mit sein

inrich IV. ihnen gar zu Bischofswürden verhalf, indem etwa der Goslarer Propst Rupert 1075 Bischof von Bamberg wurde. Auch Hildulf als königlicher Kandidat für das Erzbistum Köln 1076 stammte aus dem Goslarer Domstift. Beide waren aber an ihrer neuen Wirkungs-stätte allzu unbeliebt. Jedoch übte Lampert keine pauschale Kritik am Goslarer Stift, da aus der Einrichtung ja gerade auch Gunther von Bamberg und Anno von Köln hervorgegangen waren. Vielmehr monierte er eben speziell die Identität der königlichen Kandidaten.

Insgesamt kann seine Kritik so nicht auf Standesinteressen reduziert werden, sondern war auch von der Furcht bestimmt, die Ministerialen würden das Reich zu Grunde richten. Denn augenscheinlich hörte der durch seine Dienstmannen schlecht beratene König die Fürsten nicht mehr, worin Lampert den Grund für den schlechten Zustand des Reiches erkannte und somit sein prinzipielles Misstrauen gegen die neuen ungewohnten Methoden bestätigt fand.

Hier ist laut T. STRUVE der Ansatz für seine gesamte Kritik an König und Reich anzusiedeln.

Wenn Lampert in seinen „Annales“ den Fürsten in Goslar 1073 und Tribur-Oppenheim 1076 nen Ansichten349: Dabei standen Stabilität des Reiches, fürs

Lampert und das Volk: Struve, Lampert, Teil B, S. 40-42.

345

ampert, Teil B, S. 42-46.

enheim).

346 Lampert über die Verwüstung der Harzburg: Lampert, Annales, S. 232-234.

347 Lampert, Annales, S. 306, Z. 7 f.

348 Lamperts Kritik an den Ministerialen: Struve, L

349 Lampert, Annales, S. 180-186 (Goslar) u. 382-392 (Tribur-Opp