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Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Strafgesetzbuches zur Strafschärfung im Bereich politisch motivierter Kriminalität

E. Opferschutz durch effektive Verfolgung politisch motivierter Kriminalität

II. Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Strafgesetzbuches zur Strafschärfung im Bereich politisch motivierter Kriminalität

Für ein demokratisch und rechtsstaatlich verfasstes Gemeinwesen ist es ein zentrales Anliegen, auch mit den Mitteln des Strafrechts gegen jegliche Form der Missachtung der Menschenwürde vorzugehen und damit den Schutz von Menschen, die allein wegen ihrer politischen Einstellung, Nationalität, Volkszugehörigkeit, Hautfarbe, Religion, Weltanschauung oder ihres äußeren Erscheinungsbildes, ihrer sexuellen Orientierung oder ihrer Behinderung Opfer von Straftaten werden. Die Würde des Menschen zu schützen, ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt (Artikel 1 Absatz 1 Satz 2 GG).

Menschen aus anderen Kulturen oder gesellschaftlichen Schichten, solche mit Behinderung oder anderweitiger sexueller oder politischer Orientierung sind in der Vergangenheit immer wieder durch von menschenverachtenden Motiven getragene kriminelle Handlungen angegriffen worden. Diese Kriminalität bedeutet für die Opfer schwerste physische und psychische Verletzungen und ist darüber hinaus geeignet, in weiten Kreisen der Bevölkerung Angst und Schrecken zu verbreiten. Diesen menschenverachtenden Kriminalitätsformen ist dabei eigen, dass das Opfer gerade als Vertreter der vom Täter als verachtenswert definierten Gruppe und wegen der Zugehörigkeit des Opfers zu dieser Gruppe angegriffen wird. Derartige Taten haben daher ein über das Individuum noch hinausgehendes Angriffsziel. Sie wollen ganze Personengruppen als verachtenswert brandmarken und sind daher geeignet, dass friedliche Zusammenleben der Bürger in der Gesellschaft erheblich zu beeinträchtigen und an den Grundprinzipien einer freiheitlichen Gesellschaft zu rütteln. Extremistisch motivierte Gewalttaten sind zwar kein auf die Bundesrepublik Deutschland beschränktes Phänomen, haben hier jedoch quantitativ und qualitativ immer noch ein besonderes Ausmaß. Selbst wenn erfreulicherweise festzustellen ist, dass in den letzten Jahren die Anzahl rechtsextremistischer Straftaten rückläufig ist, bleibt die

Bekämpfung dieser Form der Kriminalität ein zentrales Ziel der Justiz- und Kriminalpolitik des Landes Sachsen-Anhalt.

Gegen die Ausbreitung menschenverachtender Vorurteils- und Gewaltkriminalität gilt es daher, durch den Gesetzgeber deutliche Signale zu setzen.87

Schon im Jahre 1999 hatte die Europäische Kommission gegen Rassismus und Intoleranz (ECRI) deutschlandspezifisch angemahnt, den Kampf gegen die besonderen Formen von Gewalt dadurch zu verstärken, dass rassistisch begründete Straftaten als besondere Straftaten eingestuft oder der rassistische Beweggrund als erschwerender Faktor von den Gerichten berücksichtigt wird. In den Jahren 2007 und 2008 konnte unter deutscher Ratspräsidentschaft innerhalb der EU eine politische Einigung der Justizminister der EU über einen entsprechenden Rahmenbeschluss erzielt werden.88 Artikel 4 dieses Beschlusses sieht vor, dass die Mitgliedstaaten die erforderlichen Maßnahmen treffen, um sicher zustellen, dass rassistische und fremdenfeindliche Beweggründe als erschwerender Umstand gelten oder dass solche Beweggründe anderenfalls bei der Festlegung des Strafmaßes durch die Gerichte berücksichtigt werden können.

Es ist daher eine beständige Aufgabe, auf die Missachtung der Menschenwürde, die in einer politisch motivierten Straftat regelmäßig zum Ausdruck kommt, auch in verhaltensbildender und normverdeutlichender Absicht zu reagieren. Der Rechtsstaat muss auch mit den Mitteln des Strafrechts unmissverständlich zum Ausdruck bringen, dass er derartige kriminelle und menschenverachtende Angriffe nicht toleriert.

Die Bekämpfung von aus menschenverachtenden, rassistischen oder fremdenfeindlichen Gründen und Motiven begangenen Straftaten ist gerade dem Ministerium der Justiz des Landes Sachsen-Anhalt ein zentrales Anliegen. Vor dem Hintergrund hoher Zahlen extremistischer Straftaten im Jahre 2006 hatten die Fraktionen von CDU und SPD bereits damals einen Antrag in den Landtag von Sachsen-Anhalt eingebracht, der die Landesregierung aufforderte, im Bundesrat gegebenenfalls mit anderen Bundesländern initiativ zu werden. Ziel war es, eine

87 BT-Drs. 16/10123, S. 9.

88 Rahmenbeschluss 2008/913/JI des Rates vom 28. November 2008 zur strafrechtlichen Bekämpfung bestimmter Formen und Ausdrucksweisen von Rassismus und Fremdenfeindlichkeit, Amtsblatt der Europäischen Union (L 328/55) vom 6. Dezember 2008

Strafschärfung für Delikte zu erreichen, die aus politisch motivierten Gründen, aus religiöser Missachtung oder Missachtung ethnischer Minderheiten begangen wurden.89

Im Jahre 2000 war eine entsprechende Initiative von den Ländern Brandenburg und Mecklenburg-Vorpommern im Bundesrat verfolgt worden, die jedoch zunächst nicht weiter beraten worden ist.90

Gemeinsam mit dem Ministerium der Justiz des Landes Brandenburg ist durch das Ministerium der Justiz des Landes Sachsen-Anhalt sodann ein Gesetzentwurf ausgearbeitet worden, dessen vorgesehene Regelungen sich etwa wie folgt zusammenfassen lassen:

Gemäß § 46 Absatz 1 StGB ist die Schuld des Täters die Grundlage für die Zumessung der Strafe. Nach Absatz 2 der vorgenannten Vorschrift hat das Gericht bei der Zumessung der Strafe die Umstände abzuwägen, die für und gegen den Täter sprechen. Dabei muss das Gericht beim Finden einer gerechten Strafe grundsätzlich auch die Ziele des Täters in den Blick nehmen, die dieser mit der von ihm begangenen Tat verfolgt hat.

Der Gesetzentwurf zielt darauf ab, diese Ziele im Hinblick auf mit menschenverachtenden Motiven begangene Straftaten dahin näher gesetzlich zu definieren. Besonders menschenverachtende, rassistische oder fremdenfeindliche Ziele des Täters sollen bei der Findung der Strafe Beachtung finden können. Zwar erlaubt § 46 StGB auch bereits ohne diese Änderungen die Berücksichtigung von Tatzielen bei der Zumessung der Strafe. Nach der bisherigen gesetzlichen Regelung fehlt jedoch eine nähere Qualifikation dieser Ziele.

Diese Lücke will der Gesetzentwurf schließen, indem er in § 46 StGB solche Beweggründe oder Ziele ausdrücklich benennt und ihnen strafschärfenden Gehalt beimisst. Dadurch soll erreicht werden, dass die Norm den besonderen, mit der Werteordnung des Grundgesetzes unvereinbaren Unwert einer von menschenverachtenden Beweggründen oder Zielen beeinflussten Tat zum Ausdruck bringt. Die Regelung soll eine Handlungsanweisung des Gesetzgebers an die zur

89 LT-Drs. 5/399.

90 BR-Drs. 577/00 und 759/00.

Anwendung des Gesetzes berufenen Gerichte enthalten, durch die diese angemessen auf fremdenfeindliches, rassistisches oder sonst menschenverachtendes Handeln im Rahmen der Strafzumessung reagieren können. Der Normbefehl würde insoweit aber auch bedeuten, dass die mit den Ermittlungen betrauten Staatsanwaltschaften und Polizeibehörden den fraglichen Beweggründen und Zielen sich rechtzeitig widmen und die insoweit notwendigen Beweise umfassend sichern.

Des Weiteren erstrebt der Entwurf eine Änderung von § 47 Absatz 1 StGB. Nach der bisherigen Rechtslage wird eine Freiheitsstrafe unter sechs Monaten durch das Gericht nur dann verhängt, wenn besondere Umstände, die in der Tat oder der Persönlichkeit des Täters liegen, die Verhängung einer Freiheitsstrafe zur Einwirkung auf den Täter oder zur Verteidigung der Rechtsordnung unerlässlich machen. Dieser Norm soll folgender Satz angefügt werden:

„Unerlässlich zur Verteidigung der Rechtsordnung ist die Verhängung einer Freiheitsstrafe in der Regel, wenn die Tat von menschenverachtenden, rassistischen oder fremdenfeindlichen Beweggründen oder Zielen mitbestimmt war.“

Weiter ist eine Änderung von § 56 Absatz 3 StGB vorgesehen. Diese Vorschrift bestimmt, dass bei einer Verurteilung zu Freiheitsstrafe von mindestens sechs Monaten die Vollstreckung nicht ausgesetzt wird, wenn die Verteidigung der Rechtsordnung sie gebietet. Durch einen Verweis auf die eben genannte Vorschrift des § 47 Absatz 1 Satz 2 StGB-Entwurf sollen die Gerichte leichter in die Lage versetzt werden, bei Freiheitsstrafen von mehr als sechs Monaten von einer Strafaussetzung zur Bewährung abzusehen, wenn es um Taten geht, die aus den o. g. Motiven heraus begangen worden sind.

Da die von Menschenverachtung, Fremdenfeindlichkeit oder Rassismus mitbestimmten Taten regelmäßig auf Zustimmung und Nachahmung angelegt sind, soll den Tätern und potenziellen Nachahmern mit den Mitteln der Verhängung kurzer Freiheitsstrafen und der regelmäßigen Vollstreckung von Freiheitsstrafen von über sechs Monaten das Riskante ihres Handelns verdeutlicht werden. Entsprechende Täter könnten dann auch bei erstmaliger Tatbegehung nicht zwangsläufig auf die Verhängung einer Geld- oder Bewährungsstrafe vertrauen. Denn gerade in diesen, oft gewaltbereiten Kreisen von

Straftätern werden Bewährungs- oder Geldstrafen kaum als spürbare Sanktionen empfunden.

Das Ministerium der Justiz des Landes Sachsen-Anhalt hat gemeinsam mit anderen Bundesländern in den vergangenen drei Jahren maßgebliche gesetzgeberische Vorarbeiten für diesen Gesetzentwurf geleistet und ist weiterhin um seine Realisierung und sein Inkrafttreten bemüht. Diese Bemühungen sind ganz wesentlich von dem Gedanken getragen, mit den Mitteln des Strafrechts und einer angemessenen Berücksichtigung menschenverachtender Motive von Gewaltstraftätern auch einen Beitrag zur Verhinderung künftiger Straftaten in diesem Bereich zu leisten und damit dem Opferschutz Rechnung zu tragen.

Nachdem die Länder Brandenburg, Sachsen-Anhalt und Mecklenburg-Vorpommern noch in der 16. Legislaturperiode des Deutschen Bundestages den entsprechenden Gesetzesantrag dem Bundesrat zugeleitet hatten, hatte dieser im Juli 2008 beschlossen, den Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Strafgesetzbuches gemäß Artikel 76 Absatz 1 GG beim Deutschen Bundestag einzubringen.91

Das Gesetzgebungsverfahren insgesamt ging auf eine gemeinsame Initiative der fünf neuen Länder in jener Legislaturperiode zurück. Im Februar 2010 hat das Land Mecklenburg-Vorpommern den Gesetzentwurf auch für Sachsen-Anhalt erneut dem Bundesrat mit dem Antrag zugeleitet, denselben dem Deutschen Bundestag zur Beschlussfassung vorzulegen.92 Nunmehr sind der Rechts- und Innenausschuss des Bundesrates mit dem Gesetzentwurf befasst. Derzeit ist der Antrag jedoch nicht mehrheitsfähig.

Sachsen-Anhalt unterstützt und fördert das weitere Gesetzgebungsverfahren und wird sich im Bundesrat weiter dafür einsetzen, dass die entsprechenden Regelungen umgesetzt werden.

91 BR-Drs. 458/08.

92 BR-Drs. 71/10.