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Entwicklung von Zuwanderung und Integration

I. Zuwanderung und Integration in Sachsen-Anhalt

1. Entwicklung von Zuwanderung und Integration

Sachsen-Anhalt hat den bundesweit niedrigsten Anteil ausländischer Bevölkerung und ebenfalls den niedrigsten Anteil von Menschen mit Migrationshin-tergrund. Als Menschen mit Migrationshintergrund werden hier gemäß Mikrozensus zusammengefasst:

Ausländerinnen und Ausländer, Spätaussiedlerinnen und Spätaussiedler, Eingebürgerte und die Kinder der drei genannten Gruppen.

Am 31.12.2009 lebten 44.393 oder 1,9 % Ausländerin-nen und Ausländer in Sachsen-Anhalt (vgl. Abb. 1).

Darüber hinaus lebten nach Meldung der Landkreise an das Innenministerium am 31.12.2008 23.162 oder 1 % Spätaussiedlerinnen und Spätaussiedler in Sach-sen-Anhalt. Insgesamt wurden seit 1991 29.339 Men-schen in Sachsen-Anhalt eingebürgert. Wie viele von ihnen noch in Sachsen-Anhalt leben, wird statistisch ebenso wenig erfasst wie die Zahl ihrer deutschen Kinder und der Kinder aus binationalen Ehen. Eine gesicherte Zahl aller Menschen mit Migrationshinter-grund liegt uns daher für Sachsen-Anhalt nicht vor.

Das Merkmal „Migrationshintergrund“ wird im Mi-krozensus seit 2005 zwar erhoben. Aufgrund des geringen Anteils dieser Gruppe in den ostdeutschen Bundesländern liegen repräsentative Zahlen aus dem Mikrozensus aber nur für Ostdeutschland ins-gesamt vor. Demnach haben 4,8 % der Menschen in den neuen Bundesländern einen Migrationshinter-grund, rund 35 % von ihnen haben eine ausländische Staatsangehörigkeit und über 20 % von ihnen sind bereits in Deutschland geboren. Dies zur Grundlage nehmend können wir für Sachsen-Anhalt von einem Anteil der Menschen mit Migrationshintergrund von rund 4 – 4,5 % ausgehen. Demgegenüber liegt der Ausländerinnen- und Ausländeranteil bundesweit bei rund 8,8 %, der Anteil der Menschen mit Migra-tionshintergrund inzwischen bei rund 20 % (Stati-stisches Bundesamt, Ergebnisse des Mikrozensus 2005).

Diese Zahlen verweisen bereits darauf, dass die Inte-grationssituation sich in den ostdeutschen Ländern erheblich von der in den westdeutschen Ländern unterscheidet. Da über den Mikrozensus und die Kinder- und Jugendhilfestatistik hinaus in der amtli-chen Statistik das Merkmal „Migrationshintergrund“

bislang nicht erhoben wird, können wir uns für eine

Auseinandersetzung mit der Lebensrealität von Mi-grantinnen und Migranten in Sachsen-Anhalt bislang nur auf die Daten zur ausländischen Bevölkerung und die Erfahrungen aus den Migrationsdiensten stützen.

Die Struktur der Migration in Sachsen-Anhalt ist ge-prägt durch die Zuweisung von Asylbewerberinnen und -bewerbern, Spätaussiedlerinnen und -aussied-lern und jüdischen Zuwanderinnen und Zuwande-rern nach dem Königsteiner Schlüssel. Die Zuwei-sungszahlen aller drei Gruppen sind stark rückläufig.

So sind die Aufnahmezahlen insbesondere bei den jüdischen Zuwanderinnen und Zuwanderern auf-grund geänderter Aufnahmevoraussetzungen und bei den Spätaussiedlerinnen und Spätaussiedlern im Hinblick auf die verbesserten Lebensbedingungen in den Herkunftsgebieten sehr zurückgegangen (vgl.

Tab. 10 und 11). Die Zahl der Asylbewerberinnen und Asylbewerber liegt bereits seit 2005 jährlich unter 1.000 (vgl. Tab. 5). So wurden im Jahr 2009 nur 762 Asylanträge in Sachsen-Anhalt gestellt. Die fünf wichtigsten Herkunftsländer waren: Irak, Vietnam, Kosovo, Benin und Syrien (vgl. Tab. 7).

Im Mai 2009 gründete sich mit Romano Drom e.V. in Mag-deburg erstmals in Ostdeutschland eine Selbstorganisation der Roma, um die Situation von Roma in der Gesellschaft zu vermitteln. Foto: Flüchtlingsrat Sachsen-Anhalt e.V.

Aus Sicht der Zugewiesenen bedeutsam ist, dass sie nicht freiwillig nach Sachsen-Anhalt kommen, son-dern in eine Region mit erheblichen Arbeitsmarkt-problemen zugewiesen wurden. Abhängig vom Status haben sie entweder nicht die Berechtigung erwerbstätig zu sein oder häufig geringe Chancen am Arbeitsmarkt. Dementsprechend haben wir es seit Mitte der 90er Jahre auch mit einer dramatisch hohen Fluktuation unter Migranten zu tun: Wer in seiner Bewegungsfreiheit nicht mehr beschränkt ist, zieht dorthin, wo es Arbeit gibt. Je qualifizierter die Migrantinnen und Migranten sind, desto eher wan-dern sie ab.

Ein weiterer Strukturunterschied zwischen ost- und westdeutschen Bundesländern besteht in der Auf-enthaltsdauer und der Verfestigung des Aufent-halts. Die Ausländerinnen und Ausländer in den ostdeutschen Ländern sind durchschnittlich kürzer in Deutschland und verfügen häufiger nicht über ei-nen gesicherten Aufenthaltstitel. Nach Angaben des Migrationsberichts der Bundesregierung (BT-Drs.

17/650) lebten Ende 2008 65,5 % der ausländischen Bevölkerung mindestens 10 Jahre in Deutschland.

Demgegenüber sind es in Sachsen-Anhalt nur 33,2 % (vgl. Tab. 3). Während nach Migrationsbericht im Bundesdurchschnitt der Anteil der Aufenthaltsge-stattungen und Duldungen (ungesicherter Aufent-halt) nur bei 1,9 % liegt, hat diese Gruppe in Sachsen-Anhalt einen Anteil von 7,8 % an der ausländischen Bevölkerung (vgl. Tab. 4).

Darüber hinaus unterscheidet sich die Migrationsbe-völkerung zwischen Ost und West auch in kultureller Hinsicht bzw. im Hinblick auf die Herkunftsländer erheblich. Während die westdeutsche Migrations-bevölkerung durch die mit Abstand stärkste Mi-grationsgruppe aus der Türkei geprägt wird, ist die Migrationsbevölkerung in Sachsen-Anhalt durch eine große Vielfalt der Herkunftsländer geprägt. Die Hauptherkunftsländer sind Vietnam, Russische Föde-ration, Ukraine, Polen, Türkei (vgl. Tab. 6). Zieht man ergänzend die Herkunftsstaaten der Spätaussiedle-rinnen und -aussiedler dazu, so zeigt sich ein osteu-ropäischer Schwerpunkt der Migration in Sachsen-Anhalt. Die weitaus meisten Spätaussiedlerinnen und -aussiedler kommen aus den Staaten der ehe-maligen Sowjetunion (vor allem Russ. Föderation, Ka-sachstan und Ukraine), nur wenige Aussiedlerinnen und Aussiedler sind aus Polen, Rumänien und ande-ren osteuropäischen Staaten eingewandert.

Die Migrationsbevölkerung ist – in Ost und West gleichermaßen – deutlich jünger als die einheimi-sche Bevölkerung. So bilden die Altersgruppen bis 45 Jahre bei der ausländischen Bevölkerung in Sach-sen-Anhalt mehr als 75%, während ihr Anteil bei den Deutschen unter 50 % liegt. Die Altersgruppe bis 25 Jahre ist in der ausländischen Bevölkerung in Sach-sen-Anhalt mit 29,3 % vertreten, während es in der deutschen Bevölkerung lediglich 21,8 % sind. 23,5 % der Deutschen in Sachsen-Anhalt sind 65 Jahre und älter, aber nur 3,9 % der ausländischen Bevölkerung (vgl. Abb. 2).

Eine weitere wichtige Gruppe sind die ausländischen Studierenden. Im Wintersemester 2008/2009 stu-dierten bei insgesamt 52.034 Studierenden 4.453 ausländische Studierende an Sachsen-Anhalts Hoch-schulen (vgl. Tab. 21). Nur 468 von ihnen waren

Bil-dungsinländerinnen und Bildungsinländer, also Stu-dierende, die ihre Hochschulzugangsberechtigung in Deutschland erworben haben (vgl. Tab. 22).

Fachkräftezuwanderung nach Sachsen-Anhalt ist bisher aufgrund der schwierigen Arbeitsmarktsitua-tion schwach ausgeprägt. 6.966 Ausländerinnen und Ausländer waren am 30.06.2009 in Sachsen-Anhalt sozialversicherungspflichtig beschäftigt (vgl. Tab. 27).

Das entspricht einem Anteil von 0,9 %. Der Anteil der Ausländerinnen und Ausländer an den Gewerbean-meldungen liegt demgegenüber deutlich über dem Bevölkerungsanteil.

Die Arbeitslosenquote von Ausländerinnen und Aus-ländern liegt in Sachsen-Anhalt nahezu doppelt so hoch wie die von Deutschen. So waren im Jahres-durchschnitt 2009 4.722 Ausländerinnen und Aus-länder in Sachsen-Anhalt arbeitslos gemeldet. Dies entspricht einem Anteil von 26,1 % gegenüber einem Anteil von 14,3 % bei der erwerbsfähigen Bevölkerung in Sachsen-Anhalt insgesamt (vgl. Tab. 26).

Die von der Fachhochschule Potsdam in Koopera-tion mit der IntegraKoopera-tionsbeauftragten des Landes Brandenburg durchgeführte Auswertung der Daten des Mikrozensus für Ostdeutschland hat aber ge-zeigt, dass viele Migrantinnen und Migranten über gute Qualifikationen und berufliche Erfahrungen aus ihren Herkunftsländern verfügen. So verfügen in Ostdeutschland 20,8 % aller Migrantinnen und Migranten über einen Hochschulabschluss. Demge-genüber liegt der Anteil der Hochschulabsolventin-nen und -absolventen mit Migrationshintergrund in Westdeutschland nur bei 10,2 % und unter der einheimischen Bevölkerung in Ostdeutschland bei 10,4 %. Lediglich 37,3 % der Migrantinnen und Mi-granten in Ostdeutschland bringen keinen Berufs-abschluss mit, während in Westdeutschland 50,4 % der Migrantinnen und Migranten nicht über einen Berufsabschluss verfügen. Diese Daten zeigen, wie dringlich eine verbesserte Anerkennung von auslän-dischen Bildungs- und Berufsabschlüssen für eine verbesserte Arbeitsmarktintegration und zur Nut-zung beruflicher Potentiale von Migrantinnen und Migranten gerade in den ostdeutschen Ländern ist.

Auch zeigen die Auswertungen des Mikrozensus, dass in Ostdeutschland die schulische Integration von Kindern mit Migrationshintergrund besser ge-lingt als in Westdeutschland. Demnach gehen in Sachsen-Anhalt 36,3 % der Schülerinnen und Schüler mit Migrationshintergrund zum Gymnasium, wäh-rend dies im Bundesschnitt lediglich 19,9 % sind (Sta-tistisches Bundesamt, Fachserie 11 Reihe 1). Der Gym-nasialanteil ausländischer Schülerinnen und Schüler

in Sachsen-Anhalt liegt bei rund 21 % (vgl. Tab. 18). Es bestehen aber ausgeprägte Unterschiede nach Her-kunftsländern. So gehen rund 70 % aller vietnamesi-schen Kinder zum Gymnasium (vgl. Tab. 18).

Die Integrationssituation in Ost- und Westdeutsch-land unterscheidet sich also sowohl zahlenmäßig als auch im Hinblick auf die Bedingungen der In-tegration. Den Hintergrund dafür bildet die unter-schiedliche Integrationstradition in Ost und West.

Während die Bundesrepublik Deutschland bereits seit den 1950er Jahren verschiedene Zuwanderungs-bewegungen erlebte, war die DDR seit ihrer Grün-dung vorwiegend durch Abwanderung geprägt. Zum Zeitpunkt der Wende gab es in der Bundesrepublik Deutschland eine 30jährige Zuwanderungstraditi-on und ein zumindest in den Städten interkulturell geprägtes Alltagsleben. Demgegenüber war Zuwan-derung in die DDR zunächst weitgehend beschränkt auf die Aufnahme von politischen Flüchtlingen und Aufenthalte ausländischer Studierender und Ler-nender aus politisch ausgewählten Herkunftslän-dern. Erst in den 80er Jahren wurden systematisch Vertragsarbeitnehmerinnen und -arbeitnehmer an-geworben, um den Arbeitskräftemangel in der DDR auszugleichen. Hauptherkunftsländer waren: Viet-nam, Kuba, Angola und Mosambik. Ihr Aufenthalt war auf 5 Jahre begrenzt, ihre Unterbringung isoliert, Kontakte zur deutschen Bevölkerung waren nicht vorgesehen. Nach der Wende kehrte der Großteil der insgesamt rund 15.000 in Sachsen-Anhalt lebenden

ehemaligen Vertragsarbeitnehmerinnen und -ar-beitnehmer gezwungenermaßen zurück in ihre Her-kunftsländer. Nur ein kleiner Teil von ihnen blieb und lebte zunächst mit unsicherer Aufenthaltsperspekti-ve (befristetes Bleiberecht) in Sachsen-Anhalt. 1997 konnte die Möglichkeit zur Aufenthaltsverfestigung für diese Gruppe aufgrund einer Bundesratsinitiati-ve Sachsen-Anhalts Bundesratsinitiati-verbessert werden.

Parallel dazu erlebten die ostdeutschen Länder seit 1991 eine neue Art und Dimension von Zuwanderung:

Zuweisung von Asylbewerberinnen und -bewerbern, Spätaussiedlerinnen und -aussiedlern sowie jüdi-schen Zuwanderinnen und Zuwanderern aufgrund bundesgesetzlicher Regelung. Im Vergleich zur DDR-Zeit handelte es sich insbesondere Anfang der 90er Jahre um erhebliche Aufnahmezahlen. So wurden in den Jahren 1992 und 1993 in Sachsen-Anhalt jeweils über 15.000 Flüchtlinge aufgenommen.

Dies geschah in einer Zeit des sozialen und struk-turellen Umbruchs, in dem die einheimische Bevöl-kerung ohnehin erheblich verunsichert war. Das steigende Ausmaß an Fremdenfeindlichkeit und die stillschweigende Unterstützung, die fremdenfeind-liche Gewalt Mitte der 90er Jahre erhielt, kann nur in diesem Zusammentreffen von sozialer Verunsiche-rung, Identitätsbrüchen, mangelnder interkultureller Erfahrung und einer als bedrohlich wahrgenomme-nen Zuwanderung erklärt werden.

Marktfest zur Eröffnung der Interkulturellen Woche 2009 in Halle Foto: Jugendwerkstatt Frohe Zukunft Halle e. V.