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Entwicklung des neuen Simulationsansatzes

6.1 Modellbeschreibung

6.1.1 Entwicklung des neuen Simulationsansatzes

Der Korrosionsprozess kann prinzipiell in vier Bereiche aufgeteilt werden, die sich jeweils gegenseitig beeinflussen, wie es schematisch in Abbildung 58 veranschaulicht wird.

6 Numerische Korrosionssimulation

Abbildung 58: Kreisdiagramm zur Veranschaulichung der Zusammenhänge bei einer vollständigen Beschreibung des Korrosionsprozesses [125].

Der Bereich 1 „el. Potential“ (Abbildung 58) bezeichnet die Lösung der Poisson-Gleichung unter Berücksichtigung der Ladungserhaltung. Aus diesem Teil der Rechnung ergibt sich die Potentialverteilung gemäß den Standardpotentialen an den Elektrodenflächen. Im Bereich 2 „Transport“ (Abbildung 58) erfolgt die Lösung der Diffusionsgleichung für jede im Modell integrierte chemische Spezies. Damit wird in diesem Abschnitt die Transportgeschwindigkeit der Moleküle und Ionen im Elektrolyt aufgrund von Potential- und Konzentrationsgradienten berechnet. Bereich 3 (Abbildung 58), der für die vollständige Betrachtung des Korrosionsprozesses notwendig ist, sind die chemischen nicht-faradayschen Reaktionen dargestellt.

Beispielsweise sind hier die Folgereaktionen der Metallauflösung (Abbildung 59) zu nennen, wie das Ausfallen der Korrosionsprodukte, oder andere Gleichgewichtsreaktionen, wie zum Beispiel die Autoprotolyse des Wassers.

Der Bereich 4 (Abbildung 58) erfasst die faradayschen Korrosionsreaktionen, die beschreiben, mit welcher Geschwindigkeit sich das Metall aufgrund der spezifischen Materialeigenschaften je nach vorliegender Potentialverteilung auflöst. Alle vier Bereiche werden während des Lösungsprozesses simultan gelöst, wobei jede freie Variable an jedem Knotenpunkt des Netzes berechnet wird.

6.1 Modellbeschreibung

Abbildung 59: Reaktionsschemata für Zink und Eisen von der Auflösung des reinen Metalls zu den verschiedenen Endprodukten (nach [127]).

Das entstehende Gleichungssystem wird insbesondere für ausgedehnte Geometrien oder feine Vernetzungen sehr groß, da die Dimension der Matrix proportional zu dem Produkt der Anzahl der Knotenpunkte mit der Anzahl an freien Variablen ist. Das Fernziel des in dieser Arbeit entwickelten Simulationsansatzes ist es jedoch, den Korrosionsverlauf an kompletten Fahrzeugkarosserien zu modellieren. Hierdurch wird die Berechnung so aufwendig, dass sie keinen wirtschaftlichen Nutzen mehr bringt. Die Reduktion der Netzfeinheit und damit die Verringerung der Knotenpunkte ist nur bis zu einem gewissen Grad zielführend, weil die Netzqualität auch die Rechenstabilität und die Konvergenz der numerischen Lösung beeinflusst. Alternativ kann die zugrundeliegende Beschreibung des Korrosionsprozesses vereinfacht werden, wodurch die Anzahl der freien Variablen gemindert wird.

Der Grundgedanke zur Vereinfachung des vollständigen Lösungsansatzes ist daher eine Auseinandersetzung mit den wesentlichen Auslösern des Korrosionsprozesses.

Die Triebkraft hinter der Metallauflösung ist gemäß des Faraday Gesetzes der Stromfluss über die Grenzfläche zwischen dem Metall und dem Elektrolyt, wobei die Ursache für elektrische Ströme immer Potentialdifferenzen sind. Alle weiteren Variablen können den Korrosionsprozess zwar beeinflussen, sind aber nicht

6 Numerische Korrosionssimulation Die Potential- und die Stromdichteverteilung. Die weiteren Einflüsse werden bei Bedarf indirekt als empirische numerische Faktoren in die Stromdichte eingebunden.

Abbildung 60: Reduzierte Form der Beschreibung des Korrosionsprozesses [13].

Ein weiterer Vorteil ist die Unabhängigkeit von der Zeit, da beide Variablen als stationäre Randbedingungen in das Gleichungssystem eingehen. Die zeitliche Veränderung der Geometrie geht erst im Rahmen der ALE-Beschreibung in die Lösung ein, wodurch indirekt auch die Potentialverteilungen und somit der Stromfluss zeitlich variabel sind. Da der Zusammenhang zwischen dem Stromfluss durch eine Metalloberfläche in Abhängigkeit des anliegenden Potentials durch Polarisationskurven beschrieben wird, kann diese materialspezifische Relation und ihre Näherung in Form einer Tafelgerade als Randbedingung für die korrodierenden Oberflächen gewählt werden. In welchen Fällen die Polarisationskurve selbst und in welchen die Tafelnäherung geeigneter ist, wird im Abschnitt 6.1.2 dargelegt.

Zusätzlich bietet diese Beschreibung die Möglichkeit schnelle Wechsel in Klimabedingungen, wie sie in Klimawechseltests auftreten, in einer Simulation zu berechnen, weil nicht alle Gleichungen direkt temperatur-, feuchte- und konzentrationsabhängig sind. Stattdessen kann das bei spezifischen Klimabedingungen experimentell bestimmte Polarisationsverhalten der Metalle jeweils neu hinterlegt werden. Das ist insbesondere möglich, weil in einem Klimawechseltest eine begrenzte Anzahl an Klimabedingungen in einer festgelegten Reihenfolge auftreten und dadurch keine beliebig große Anzahl an Parameterkombinationen notwendig ist.

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6.1.1.1 Berechnung der benötigten Austauschstromdichte aus der Zielunterwanderung

Die grundsätzliche Durchführbarkeit dieser deutlichen Reduzierung der Beschreibung des Korrosionsprozesses wird in einem ersten Schritt anhand des Gesetzes der Ladungserhaltung überprüft, da trotz der Vereinfachungen fundamentale physikalische Gesetze erhalten bleiben müssen. Die Ladungserhaltung äußert sich bei elektrochemischen Prozessen in betragsmäßig gleichen Strömen an Anoden- und Kathodenflächen. Dies wiederum führt über das Faraday-Gesetz ( 12 ) zu einer Äquivalenz der übertragenen Elektronen an den Elektrodenflächen, an denen die Reaktionspartner ionisiert werden.

Aus dieser Überlegung folgt ein erster Simulationstest, indem eine bekannte Lackunterwanderungsweite pro Zeit, die sogenannte Zielunterwanderung, als fixe Größe festgesetzt wird. Über die geometrischen Größenverhältnisse kann damit direkt auf den Materialabtrag, die geflossenen Elektronen und schließlich auf die mittlere Stromdichte geschlossen werden. Weitere Parameter werden zunächst nicht festgelegt, damit die Unterwanderung ungehemmt ablaufen kann.

Die festzusetzende Zielunterwanderung wird in einem Salzsprühnebeltest bestimmt, indem ein verzinktes, lackiertes und gezielt geschädigtes Stahlblech verschiedenen Klimabedingungen acht Wochen lang ausgesetzt wird. Die experimentell bestimmte Weite der von dem Schaden ausgehenden Lackunterwanderung beläuft sich auf 4 mm. Durch die Korrosion hat sich die Zinkschicht unterhalb der Lackschicht vollständig aufgelöst, während der Stahl durch den anodischen Schutz des Zinks dagegen nahezu unangetastet bleibt (Abbildung 61).

Abbildung 61: Schliffbild eines elektrolytisch verzinkten Sta hlblechs nach acht Wochen im Salzsprühnebeltest.

6 Numerische Korrosionssimulation Zur Bestimmung der durchschnittlichen Austauschstromdichte j wird das Faraday-Gesetz gemäß Gleichung ( 12 ) verwendet

𝑀𝑣𝑒𝑟𝑙𝑢𝑠𝑡 =𝑀𝐹𝑒∗ 𝐼𝑔𝑒𝑠∗ 𝑡

U = 4 mm die experimentell bestimmte Unterwanderungsweite z = 2 die Ladungszahl der entstehenden Zinkionen

F = 96485 C/mol die Faraday-Konstante

MZn = 65,38 g/mol die molare Masse des Zinks und t = 4838400 s die achtwöchige Testdauer.

Somit ergibt sich die mittlere Zielstromdichte j, die während der Auslagerung im Salzsprühnebeltest über die Grenzfläche Zink/Elektrolyt geflossen ist, zu 17,4 A/m².

Wird diese Stromdichte als Austauschstromdichte für die anodische Zinkauflösung bei einer sehr geringen Steigung der Tafelgeraden gesetzt, folgt aus der Simulation genau die erwartete Unterwanderungsweite von 4 mm.

Selbstverständlich ist dieses Vorgehen noch keine Lösung für die Zielsetzung dieser Arbeit, aber es beweist die grundsätzliche Anwendbarkeit dieses neuen Ansatzes.

Da sich das Flächenverhältnis von Anode zu Kathode im Simulationsverlauf verkleinert, verschiebt sich auch die Potentialverteilung in Richtung des Gleichgewichtspotentials der Kathode. Da es sich bei der berechneten Stromdichte um einen mittleren Wert handelt, muss der Einfluss der Potentialänderungen im Simulationsverlauf verhindert werden. Dies wird über eine möglichst minimale Steigung der Tafelgeraden erreicht.

6.1.1.2 Verhältnis von Kathoden- zu Anodenfläche

Nachdem dieser grundlegende, neue Modellierungsansatz tatsächlich sehr vielversprechend in dem Testbeispiel funktioniert, wird als nächster Schritt auch die Stromdichte an der Kathode einbezogen. Da aus einschlägiger Literatur [128]

bekannt ist, dass die Stromstärke an der Anode mit wachsender zugehöriger Kathodenfläche zunimmt, wird untersucht, ob eine vergleichbare Entwicklung in den

6.1 Modellbeschreibung

Simulationen auftritt. Diese im Korrosionsschutz als „Goldene Regel“ bekannte Tatsache beruht ebenfalls auf der Ladungserhaltung im Elektrolyt, wonach die Gesamtströme an der Anode und der Kathode betragsmäßig gleich sein müssen.

Tatsächlich ergibt sich daraus, dass der entscheidende Faktor für die Zunahme des Stromflusses das Verhältnis von Kathoden- zu Anodenfläche [128] ist. In Abbildung 62 wird exemplarisch für einen Stahlträger, der in Beton eingegossen ist, der Kontaktkorrosionsstrom gegen die Kathodenfläche aufgetragen, während die Anodenfläche konstant bleibt. Es ist deutlich ein Anstieg der Stromdichte zu erkennen.

Abbildung 62: Darstellung des Stroms an der Anodenfläche in Abhängigkeit der Kathodenfläche für einen Stahlträger in Beton [128].

Arya et al. [128] haben den Stromfluss über Kathoden- und Anodenflächen bis zu einem Flächenverhältnis von 200:1 untersucht und bei vergleichsweise großen Kathoden festgestellt, dass hierbei eine Verlangsamung des Wachstums zu verzeichnen ist. Das bedeutet, dass die Fernschutzwirkung des unedleren Partners nicht unbegrenzt weit reicht.

Diese beiden Aspekte lassen sich im Rahmen der Simulationen sehr gut reproduzieren (Abbildung 63). Auch hier nimmt die Stromdichte kontinuierlich zu, wenn das Verhältnis von Kathoden- zu Anodenfläche wächst, wobei sich das Stromdichtewachstum gleichzeitig reduziert.

6 Numerische Korrosionssimulation

Abbildung 63: Darstellung der Stromdichte an der Anodenfläche in Abhä ngigkeit der Kathodenfläche für die Simulation einer Stahl -Zink-Paarung

Die „Goldene Regel“ des konstruktiven Korrosionsschutzes kleine Anodenfläche zu vermeiden, wird also durch die Simulationsergebnisse bestätigt.