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5 Analyse der -Jahres-Geburtskohorten

5.1 Entwicklung des Ernährungsstatus

Der Verlauf der Körpergrößen, nach den Geburtskohorten sortiert, bietet einen guten Einblick in die mittel- bis langfristige Entwicklung des Ernährungsstatus. Jeder Rückgang der

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mittleren Körpergrößen weist auf eine ernstzunehmende Krise hin. Baten (2002) und Komlos (1999) argumentierten, dass ebenso eine Stagnation der Körpergrößen im 20. Jahrhundert nicht nur als ein Zeichen sozialer oder ökonomischer Probleme aufzufassen ist, sondern insbesondere auch auf eine Ernährungskrise schließen lassen. Die Erkenntnisse über Hygiene und Medizin nahmen zu und breiteten sich relativ kostengünstig aus. Dies führte im Allgemeinen zu niedrigeren Energieaufwendungen in Form von Krankheiten, so dass mehr Energie für Wachstum verblieb. Somit ist eine Stagnation der mittleren Körpergröße nur zu beobachten, wenn die Ernährung einer hinreichend großen Anzahl von Individuen entweder quantitativ oder qualitativ zurückging.

Tatsächlich finden sich Belege für einen beträchtlichen Transfer medizinischen Wissens nach ASS in dem Zeitraum nach dem zweiten Weltkrieg. Impfprogramme, welche auch ältere Menschen einschlossen, boten zunehmenden Schutz gegen Keuchhusten, Masern, Pocken, Tuberkulose und andere Krankheiten (WHO, 1983b). Diese Bemühungen zeigten Wirkungen, wie an den stetig zurückgehenden Säuglings-, Kindersterblichkeits- sowie rohen Mortalitätsraten zu erkennen ist (Ahmad et al., 2000; Hill, 1992; UN Population Division, 1996). Allerdings existieren ebenso Anhaltspunkte, dass der Fortschritt weder kontinuierlich noch für alle Länder einheitlich erfolgte. Weitreichende Erfolge wurden beispielsweise in den 1980ern realisiert, als „oral rehydration“ Produkte es ermöglichten, Wasser- und Salzverluste etwa aufgrund von Diarrhöe auszugleichen, und sich das Tempo der Impferfassung beschleunigte (UNICEF 1996; 2002). Der Anteil der Bevölkerung mit Zugang zu sauberer Wasserversorgung variierte ebenso in räumlicher wie zeitlicher Hinsicht ohne eine klare Tendenz der Verbesserung für alle Staaten.54 Zudem gibt es keine Hinweise, dass die Malariahäufigkeit in der Periode 1962-1981 zurückging (Gallup und Sachs, 1998). Daher reflektieren sinkende oder stagnierende Körpergrößen Probleme sowohl in der Gesundheit als auch in der Ernährung.

Die Geburtskohorten basieren auf den 5-Jahres-Altersgruppen. Somit sind Verzerrungen durch fehlerhafte Altersangaben in den meisten Fällen zu vernachlässigen (Abschnitt 3.2). Häufig liegen sechs Geburtskohorten je Land vor, so dass sich die Zeitreihen über einen Zeitraum von 30 Jahren erstrecken. Sofern zwei DHS-Erhebungen anthropometrische Daten von Müttern liefern, werden (deckungsgleiche) Geburtskohorten aus den beiden DHS-Erhebungen zusammengefasst. Bei der Berechnung der Körpergrößenmittelwerte, gehen die jeweiligen Kohorten mit dem Anteil der Mütter als

54 Basierend auf Daten der Weltbank für die Periode 1980-98 (World Bank, 1999).

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Gewicht ein, um der jeweils repräsentativeren Erhebung ein stärkeres Gewicht zu verleihen.

Dies gilt nicht für All-Women-Surveys. Da diese repräsentativ sind und eine verlässliche Auskunft geben, ist eine Zusammenfassung mit Erhebungen, die auf Müttern basieren, nicht sinnvoll (Abschnitt 3.1). Indem mehrere DHS-Erhebungen genutzt werden, erhöht sich die Länge der Zeitreihe für einige Länder bis auf 35 Jahre. Bei der deskriptiven Betrachtung ist zudem darauf zu achten, dass die Individuen der letzten Geburtskohorte (Alter: 20-24) möglicherweise nicht ausgewachsen sind, die errechnete mittlere Körpergröße daher noch ansteigen kann (Abschnitt 3.3). Ein altersbedingter Rückgang der Körpergrößen könnte ebenso zu einer Unterschätzung des Ernährungsstatus in der ersten Geburtskohorte (Alter: 45-49) führen. Daher ist ein Fehlerspielraum an den Enden der Linien zu berücksichtigen, welcher zuweilen die Trendbestimmung erschwert.

Eine durchgängige Verschlechterung im Ernährungsstatus der Frauen seit den 1950ern ist in Guinea, Namibia, Nigeria und Simbabwe zu beobachten (Abb. 5.1). In Namibia sank die mittlere Körpergröße um fast zwei Zentimeter. In Guinea und Simbabwe betrug der Rückgang zirka ein Zentimeter. Für Nigeria ist die Einschätzung schwierig. Der Rückgang der Körpergrößen nach 1960 und nach 1975 betrug mehr als zwei Zentimeter. Diese Größenordnung spricht für Verzerrungen durch die relativ schlechte Datenqualität dieser DHS-Erhebung. Nichtsdestotrotz ist ein Abwärtstrend wahrscheinlich, da auch in den mittleren Geburtskohorten die Körpergrößen um insgesamt einen halben Zentimeter sanken.

Zudem ist es wahrscheinlich, dass ein Teil des Rückgangs an den Enden durchaus der Wirklichkeit entspricht.

In Äthiopien, Benin, Burkina Faso, Kamerun, Komoren, Malawi und Niger stagnierte der Ernährungsstatus über die gesamte Periode hinweg (Abb. 5.2). Obwohl es Auf- und Abwärtsbewegungen gab, ist in diesen Ländern kein klarer Trend zu erkennen. Zudem waren Veränderungen nur gering. In Äthiopien stieg zwar die mittlere Körpergröße von 1945 bis 1960 um vier Millimeter, allerdings knickt die Reihe 1960 und 1970 ein. Insgesamt änderte sich wenig an der im Querschnitt festgestellte Körpergröße von 156.3 cm. Auch in Benin schwankt die Reihe um 158.6 cm; ausschließlich der letzte Datenpunkt weist einen Rückgang um fast einen Zentimeter auf. In Kamerun und den Komoren ist zwar eine längere Aufwärtsbewegung über 15 Jahre zu beobachten, jedoch ergibt sich keine grundlegende Abweichung von dem längerfristigen Mittelwert. Noch konstanter verläuft die Reihe für Malawi und Niger, in denen keine bedeutsamen Unterschiede zu 156.2 cm bzw. 160.3 cm über die Zeit auftreten.

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Abb. 5.1 Rückgang der mittleren Körpergröße

156 157 158 159 160 161 162

45 50 55 60 65 70 75

Mittleres Geburtsjahr der Kohorten

Körpergrößen (in cm)

Guinea Namibia Nigeria Simbabwe

Anmerkung: Die Geburtskohorten basieren auf 5-Jahres-Altersgruppen, wobei diese dem nächsten mittleren Geburtsjahr zugeordnet sind. Körpergrößen, welche vollkommen repräsentativ für die weibliche Bevölkerung (All-Women Surveys) sind, sind als durchgezogene Linie gekennzeichnet. N(Geburtskohorte)>=50.

Abb. 5.2 Stagnation der mittleren Körpergröße

154 155 156 157 158 159 160 161

45 50 55 60 65 70 75

Mittleres Geburtsjahr der Kohorten

Körpergrößen (in cm)

Äthiopien Benin Kamerun

Komoren Malawi Niger

Anmerkung: Siehe Abb. 5.1. Die Entwicklung von Äthiopien lässt Eritrea unberücksichtigt. Da eritreanische Bürger nur zirka 5% der äthiopischen Bevölkerung stellen (Law, 1999), ergibt sich kein wesentlicher Unterschied in dem Verlauf der Körpergrößen für Äthiopien.

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Allen diesen Ländern, in welchen der Ernährungsstatus entweder sank oder stagnierte, gelang es nicht, einen nennenswerten Fortschritt in Ernährung und Gesundheit zu erzielen.

Dagegen weisen die folgenden Länder zumindest über einen längeren Zeitraum eine Verbesserung auf: In Burkina Faso, Ghana, Madagaskar, Mali, Mauretanien, Mosambik, Ruanda, Sambia, Togo, Tschad, Uganda und ZAR stieg zunächst die mittlere Körpergröße.

Dann trat allerdings ein Trendumschwung ein, so dass der Trend die Form eines umgedrehten U annimmt (Abb. 5.3, Abb. 5.4). Bis in die 1960er stieg der Ernährungsstatus in fast allen diesen Ländern. Nur im Tschad begann sich der Ernährungsstatus bereits früher zu verschlechtern. Wenn der erste Datenpunkt durch den Alterseffekt beeinflusst wird, ergibt sich für den Tschad sogar ein durchgehender Abwärtstrend. Um einen halben Zentimeter sanken dort die Körpergrößen zwischen 1955 und 1975. In den anderen Ländern ereignete sich der Trendumschwung hauptsächlich im Laufe der 1960er. In den 1970ern richtete sich der Trend in allen diesen Ländern zweifelsfrei nach unten. In den meisten Fällen verfügten die letzten Geburtskohorten über einen ähnlichen Ernährungsstatus wie drei Dekaden zuvor. In Burkina Faso und Sambia ist dagegen noch eine um einen halben Zentimeter höhere Körpergröße zu beobachten. Die Verbesserungen im Biologischen Lebensstandard konnten diese Länder folglich nicht aufrechterhalten. Überraschend hierbei ist, dass

Abb. 5.3 Inverted U der mittleren Körpergröße (1)

152 153 154 155 156 157 158 159 160 161 162 163

45 50 55 60 65 70 75 80

Mittleres Geburtsjahr der Kohorten

Körpergrößen (in cm)

Burkina Faso Ghana Madagaskar

Mali Mauretanien Mosambik

Anmerkung: Siehe Abb. 5.1.

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Abb. 5.4 Inverted U der mittleren Körpergröße (2)

156 157 158 159 160 161 162 163 164

45 50 55 60 65 70 75 80

Mittleres Geburtsjahr der Kohorten

Körpergrößen (in cm)

Ruanda Sambia Togo

Tschad Uganda ZAR

Anmerkung: Siehe Abb. 5.1.

die Ernährungs- und Gesundheitskrise vor der allgemeinen Wirtschaftskrise der afrikanischen Staaten in den 1980ern stattfand.

Die einzigen Länder in ASS, in denen ein säkularer Aufwärtstrend zu beobachten ist, sind die Elfenbeinküste, Gabun und Kenia sowie zu einem gewissen Ausmaß auch Senegal und Tansania (Abb. 5.5). Die Verbesserung im Ernährungsstatus in Kenia ist besonders beeindruckend. Der beständige Anstieg führt dazu, dass die Geburtskohorte 1970 zirka 2.5 cm größer als 1945 ist. In der Elfenbeinküste erfolgt der Anstieg langsamer, dafür aber ebenso kontinuierlich: Die Geburtskohorte 1975 ist ein Zentimeter größer als diejenigen Frauen, die drei Jahrzehnte zuvor geboren wurden. In Senegal spricht der Verlauf für eine sehr rapide Entwicklung. Von 1945 bis 1960 stieg die mittlere Körpergröße um mehr als zwei Zentimeter.

Anschließend deutet sich jedoch eine Stagnation an. Ähnlich verhielt es sich in Tansania:

Zwischen 1945 und 1965 stiegen die Körpergrößen um 1.5 cm. In der darauf folgenden Geburtsdekade zeichnet sich jedoch ein Rückgang ab. Senegal und Tansania könnten daher auch zu der Gruppe der Länder zählen, in welchen die Entwicklung des Ernährungsstatus der Form eines umgedrehten U folgte.

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Abb. 5.5 Anstieg der mittleren Körpergröße

Anmerkung: Siehe Abb. 5.1.

Insgesamt stellt die Region südlich der Sahara eine wichtige Ausnahme von dem weltweiten Trend steigender Körpergrößen dar. Die zweite Hälfte des 20. Jahrhunderts ist folglich nicht als eine Zeit zu betrachten, in welcher Fortschritt in grundlegenden menschlichen Bedürfnissen fast wie selbstverständlich erfolgte. Obwohl sich in vielen afrikanischen Ländern der Ernährungsstatus im Zeitraum 1950-65 verbesserte, wurde insbesondere in den darauf folgenden Dekaden fast der ganze Westen und Südosten des afrikanischen Kontinents von einer Ernährungs- oder Gesundheitskrise erfasst. Im Gegensatz zur derzeitigen AIDS-Pandemie war diese Krise nicht durch eine sinkende Lebenserwartung, sondern durch einen Rückgang oder eine Stagnation der mittleren Körpergrößen gekennzeichnet. Auf dem Weg zu einer Konvergenz zum Ernährungsstatus der OECD-Staaten weitete sich wieder die Kluft. Dies ist umso bemerkenswerter, da für viele andere Länder der Welt in dieser Zeitperiode ein säkularer Aufwärtstrend zu beobachten ist.

Der gute Stand (im Querschnitt), aber die schlechte Entwicklung des Ernährungsstatus von Frauen sollte von den Befürwortern einer optimistischen Ansicht der afrikanischen Entwicklung wie Sender (1999), welche die Erfolge in weichen Indikatoren wie Bildung, Lebenserwartung und Kindersterblichkeit auch nach dem ökonomischen Niedergang in den 1970ern betonten, nicht vernachlässigt werden. Tatsächlich würde es die Entwicklung der Körpergrößen erlauben, von einer sozialen oder ökonomischen Krise in ASS zu sprechen.

154 155 156 157 158 159 160 161 162 163 164

45 50 55 60 65 70 75 80

Mittleres Geburtsjahr der Kohorten

Körpergrößen (in cm)

Elfenbeinküste Gabun Kenia

Senegal Sambia Tansania

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