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ENTSCHÄDIGUNGSPOSITIONEN

Kapitel 8.1 – Entschädigungsrecht im Ausland: Wir skizzieren die Grundsätze der rechtlichen Rahmenbedingungen bezüglich des

8.1 Entschädigungsrecht im Ausland

Im Ausgangspunkt kann festgestellt werden, dass in den Rechtsordnungen etwa der EU-Mitgliedstaaten das Instrument einer Enteignung, also Eigentumsentziehung und -beschränkung zu Gunsten des Allgemeinwohls, bekannt ist.179 Dabei ist allerdings zu berücksichtigen, dass sich nicht in sämtlichen dieser Rechtsordnungen ein dem Art. 14 GG bzw. § 903 BGB vergleichbarer Eigentumsbegriff entwickelt hat180 und dass dementsprechend im Ansatz fundamentale Unterschiede bestehen, insbesondere wie Eigentum

179 S. beispielhaft die Länderberichte zu Dänemark, Frankreich, Großbritannien, Österreich, Schweden sowie slowakische / tschechische Republik bei Büchs, Handbuch des Eigentums- und Entschädigungsrechts, Rn.

271 ff.

180 So etwa zu Großbritannien Büchs, Handbuch des Eigentums- und Entschädigungsrechts, Rn. 274.

geschützt ist.181 So ist auch nicht allen Ländern das Instrument eines Grundbuchs bekannt, in welchem beispielsweise Beschränkungen des Grundeigentums eingetragen werden.

Gleichwohl sehen die Rechtsordnungen gleichermaßen vor, dass eine Enteignung auf das für die Erreichung des legitimen öffentlichen Zwecks erforderliche Maß zu beschränken ist, dass also eine vollständige Entziehung des Eigentums nicht gerechtfertigt ist, wenn für die Erreichung des öffentlichen Zwecks auch eine Beschränkung des Eigentums ausreicht (Grundsatz der Verhältnismäßigkeit).

Alle Rechtsordnungen ermöglichen Enteignung für Zwecke des Stromnetzausbaus

Die Enteignung ist jeweils nur für das Allgemeinwohl zugelassen, wobei einige Rechtsordnungen – vergleichbar dem deutschen Recht – spezifische Fachgesetze enthalten, die für einen jeweils bestimmten öffentlichen Zweck eine Enteignung ermöglichen:

 So verfügt beispielsweise die Schweiz über ein – allgemeines – Bundesgesetz über die Enteignung, das für den Bereich des Stromnetzbaus durch das Starkstromwegegesetz flankiert wird (dazu näher in Kapitel 8.2).

Das letztgenannte Gesetz enthält ebenfalls enteignungsrechtlich relevante Regelungen (wobei allerdings grundsätzlich eine privatrechtliche Vereinbarung angestrebt wird182). Alle Eingriffe in die Eigentumsgarantie bedürfen einer gesetzlichen Grundlage, und der Staat darf nur zur Verfolgung verfassungsrechtlich legitimierter Zwecke in die Eigentumsordnung eingreifen. Grundsätzlich ist dabei jedes öffentliche Interesse geeignet, einen Eingriff ins Eigentum zu rechtfertigen.183

 In Frankreich ist nach den Vorgaben der Verfassung eine Enteignung im Fall einer öffentlichen Notwendigkeit (s. bereits Art. 17 der Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte von 1789: „nécessité publique“) bzw., weniger streng, auch für einen öffentlichen Nutzen gestattet (s. Art. 545 des französischen Zivilgesetzbuchs, dem Code Civil).184

 Auch das italienische Recht sieht nach der Verfassung vor, dass eine Enteignung nur im öffentlichen Interesse erfolgen darf, wobei durch ein formelles Gesetz die Situationen beschrieben werden müssen, in denen das Institut der Enteignung eingesetzt werden darf. Die Entscheidung, was im öffentlichen Interesse liegt, ist grundsätzlich in den politischen Gestaltungsspielraum der Legislative einzuordnen.185

 Die österreichische Verfassung erlaubt eine Enteignung nur auf Grundlage eines Gesetzes und nur dann, wenn ein öffentliches Interesse besteht, wobei eine Vielzahl von öffentlichen Interessen dankbar sind. Eine

181 S. von Arx, Grundrechtlicher Eigentumsschutz, S. 260.

182 S. Feil, Enteignung und Enteignungsentschädigung, S. 64.

183 Vgl. von Arx, Grundrechtlicher Eigentumsschutz, S. 135 ff.; umfassend auch Feil, Enteignung und Enteignungsentschädigung.

184 Vgl. von Arx, Grundrechtlicher Eigentumsschutz, S. 82 f.; Hübner/Constantinesco, Einführung in das französische Recht, S. 104; ausführlich zu Frankreich auch Herbert, Der Enteignungsbegriff und das Enteignungsverfahren in Deutschland und Frankreich.

185 Vgl. von Arx, Grundrechtlicher Eigentumsschutz, S. 96 f.

– EINE BESTANDSAUFNAHME Enteignung ist nur zulässig, wenn ein konkreter Bedarf vorliegt, dessen

Deckung im öffentlichen Interesse liegt, das Objekt zur Deckung dieses Bedarfs geeignet ist und es unmöglich ist, diesen Bedarf anders als durch Enteignung zu decken.186

 Eine Enteignung ist nach spanischem Recht nur bei Vorliegen von berechtigten Gründen des öffentlichen Interesses oder des gesellschaftlichen Interesses zulässig.187

 Auch im Vereinigten Königreich ist eine Enteignung nur bei einem öffentlichen Interesse zulässig, wobei hieran keine allzu hohen Anforderungen gestellt werden.188

Generell lässt sich sagen, dass andere Rechtsordnungen ebenfalls die Enteignung für die Zwecke des Stromnetzausbaus ermöglichen, weil es sich insoweit um Infrastrukturvorhaben handelt, die dem Allgemeinwohl dienen.

Alle Rechtsordnungen gehen von Grundsatz aus, dass Enteignung von Eigentum entschädigungspflichtig ist

Zwar ist zu konstatieren, dass nicht alle Rechtsordnungen – ausdrücklich – auch die Entschädigungspflicht für (formelle und / oder materielle) Enteignungen vorsehen:

 Bei formellen Enteignungen ist nach dem schweizerischen Recht die Entschädigung Voraussetzung für den Rechtsübergang. Die Entschädigung kann als Geldleistung oder seltener in Form von Realersatz erfolgen. Es ist eine volle Entschädigung zu leisten. Der Entschädigungsanspruch von Mietern und Pächtern kann aber nicht über den Wert dessen hinausgehen, was ihnen an Gebrauchs- und Nutzungsrechten nach Inhalt und Dauer des abgeschlossenen Vertrags tatsächlich zusteht. Die Entschädigung bemisst sich entweder nach objektiven Kriterien (Verkehrs- bzw. Verkaufswert) oder nach subjektiven Kriterien (Interesse des Enteigneten, das konkret zu enteignende Recht zu behalten bzw. nach dem Schaden, der ihm entsteht, wenn der gegenwärtige oder geplante Gebrauch des in Frage stehenden Rechts unmöglich gemacht oder beschränkt wird). Der Enteignete trifft die Wahl, ob die Entschädigung nach objektiven oder subjektiven Kriterien erfolgt.189

 In Frankreich macht die Enteignung die Zahlung einer gerechten und vorherigen Entschädigung notwendig. Sie ist dann gerecht, wenn der Wert des Eigentums am Tag der Entziehung dem Marktwert entsprochen hat und die Entschädigungshöhe nach dem Marktwert bestimmt wurde.

Wertschwankungen, die das Eigentum durch die Bekanntgabe der bevorstehenden Entziehung erfahren hat, bleiben unberücksichtigt. Auch weitere Schäden im Vermögen des Betroffenen sind auszugleichen. Bei der weiteren Regelung darf der Gesetzgeber auch den Erfordernissen der Einfachheit und Schnelligkeit bei der Berechnung der

186 Vgl. von Arx, Grundrechtlicher Eigentumsschutz, S. 113 f., 116 f.

187 Vgl. von Arx, Grundrechtlicher Eigentumsschutz, S. 163.

188 Vgl. von Arx, Grundrechtlicher Eigentumsschutz, S. 212.

189 Zum Ganzen von Arx, Grundrechtlicher Eigentumsschutz, S. 140 f.

Entschädigungsleistung Rechnung tragen. Die Entschädigung muss nicht zwingend in Geld gewährt werden.190

 Auch nach der italienischen Verfassung ist eine Enteignung nur bei Gewährung einer Entschädigung rechtmäßig. Hierbei muss es sich um einen ernstlichen bzw. gerechten Ersatz handeln, der einen Ausgleich trifft zwischen den berechtigten Interessen des Enteigneten und denen der Allgemeinheit. Der Ausgleich soll daher so hoch sein, wie es die öffentliche Hand im Interesse des Enteigneten unter Berücksichtigung der Interessen der Allgemeinheit garantieren kann; die Höhe der Entschädigung muss nicht dem vollen Marktwert entsprechen, sondern muss das Ergebnis einer Abwägung zwischen den öffentlichen und den Privatinteressen sein.191

 Das österreichische Recht schließt demgegenüber entschädigungslose Enteignungen nicht von vornherein aus. Wohl bei Enteignungen im eigentlichen Sinne ist aber eine Entschädigung verfassungsrechtlich geboten.192

 Nach spanischem Recht ist die Enteignung an die Zahlung einer Entschädigung geknüpft. Die Entschädigung muss dabei dem wirtschaftlichen Wert des enteigneten Guts oder Rechts entsprechen.

Zwischen dem betroffenen Eigentum und der Höhe der Entschädigung muss ein verhältnismäßiges Gleichgewicht bestehen. Der Gesetzgeber darf bei der Entschädigungsregelung die Grenzen der Adäquanz zwischen Schaden und Ersatz nicht überschreiten.193

 Demgegenüber ist im Vereinigten Königreich jedenfalls theoretisch auch die entschädigungslose Enteignung möglich, spielt aber in der Praxis keine Rolle (mehr).194 Auch wenn es sich nicht um ein definitives verfassungsrechtliches Gebot handelt, ist eine Enteignung grundsätzlich nur gegen Entschädigung zulässig. Dabei ist grundsätzlich der Verkehrswert geschuldet, auch Folgekosten sind zu entschädigen.195

Gleichwohl kann also festgestellt werden, dass die Rechtsordnungen von dem einheitlichen Grundsatz ausgehen, dass die Enteignung von Eigentum entschädigungspflichtig ist.

Kein einheitliches Bild bezüglich der Form und Höhe der Entschädigungszahlungen

Unterhalb der Ebene des einheitlichen Grundsatzes, wonach Eigentumsbeschränkungen vermögenswertneutral auszugleichen sind, ergibt sich aber ein heterogenes Bild.196 Dies beruht etwa auch darauf, dass in einigen Rechtsordnungen – wie der Bundesrepublik Deutschland – das (Privat-)Eigentum

190 Zum Ganzen von Arx, Grundrechtlicher Eigentumsschutz, S. 83 f.

191 Zum Ganzen von Arx, Grundrechtlicher Eigentumsschutz, S. 98.

192 Zum Ganzen von Arx, Grundrechtlicher Eigentumsschutz, S. 120 ff.

193 Zum Ganzen von Arx, Grundrechtlicher Eigentumsschutz, S. 163 ff.

194 Vgl. von Arx, Grundrechtlicher Eigentumsschutz, S. 260.

195 Vgl. von Arx, Grundrechtlicher Eigentumsschutz, S. 212.

196 Vgl. von Arx, Grundrechtlicher Eigentumsschutz, S. 260.

– EINE BESTANDSAUFNAHME auch eine Gemeinwohlfunktion hat (s. Art. 14 Abs. 2 GG), was Folgen für das

Schutzniveau etwa im Hinblick auf die Wertgarantie haben kann.197

Eine Untersuchung der Einzelheiten der jeweiligen Entschädigungspraktiken im Bereich des Netzausbaus geht über den Rahmen dieser Untersuchung hinaus, zumal es in diesem Zusammenhang auch keine unionsrechtlichen Vorgaben gibt, die insoweit einen Mindeststandard festsetzen würden.

Nach unserem Verständnis weicht die Entschädigungspraxis im Ausland aber – unabhängig von der konkreten dogmatischen bzw. rechtstechnischen Grundlegung – nicht wesentlich von der Entschädigungspraxis in der Bundesrepublik ab:

 So ist eine Enteignung für dem Allgemeinwohl dienende Maßnahmen bzw.

(Infrastruktur-)Vorhaben auch in anderen Rechtsordnungen möglich. Dies scheint insbesondere auch für den Bereich der Stromnetze der Fall zu sein.

 Die Enteignung ist nach dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit auf das für die Erreichung des legitimen Zwecks erforderliche Maß zu beschränken.

Dementsprechend ist das Eigentum nur zu beschränken und nicht vollständig zu entziehen, wenn bereits die Eigentumsbeschränkung – etwa die Belastung mit einem Leitungsrecht – für den öffentlichen Zweck ausreicht.

 Im Fall einer Enteignung ist für die Entziehung bzw. Beschränkung, d.h. für den eingetretenen Rechtsverlust, eine Entschädigung zu leisten. Einige Rechtsordnungen sehen auch die Entschädigung von anderen Folgen vor, dies scheint aber nicht in allen Rechtsordnungen der Fall zu sein. Dies unterstreicht, dass den Gesetzgebern bei der Ausgestaltung des Entschädigungsregimes Gestaltungsspielräume zugestanden werden.

 Die Entschädigung dient dabei jeweils dazu, den eingetretenen Rechtsverlust auszugleichen. Dementsprechend ist eine Entschädigung (nur) in dem Umfang des Rechtsverlusts zu leisten. Im Fall einer Überspannung entspricht dies der Wertminderung, weil die Nutzung des Grundstücks im Übrigen – jedenfalls regelmäßig – nicht eingeschränkt wird.

Nach unserem Verständnis ist Grundlage für die Entschädigung i.d.R. der Verkehrs- bzw. Marktwert des in Anspruch genommenen Eigentums. Die Zahlungen werden üblicherweise als Einmalzahlungen vorgenommen, mindestens in der Schweiz existieren jedoch auch wiederkehrende Zahlungen bzw. Nachentschädigungen (siehe nachfolgendes Kapitel).