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Neben den Vorteilen der Kürze, Verständlichkeit und freien Verfügbarkeit des Frage-bogens und der erprobten Einsätze in europäischen betrieblichen Kontexten (BAuA, 2002) erfuhr der WAI in der Vergangenheit Kritik aus den Reihen der Arbeitsmedizi-ner. So wird u. a. angeführt, dass dieser lediglich die Beanspruchungsfolgen bei Er-werbstätigen erfasst, während die individuellen Arbeitsbedingungen unberücksichtigt bleiben (Elsner, 2005). Der WAI wurde jedoch als subjektives Screening-Instrument konzipiert, welches durch das Antwortverhalten der Teilnehmenden einen bestehen-den Handlungsbedarf in individuellen oder arbeitsbezogenen Bereichen aufzeigen kann. Daher sind dem WAI weitergehende Gespräche und Untersuchungen zu den Quellen der Beeinträchtigungen anzuschließen (Bieneck, Sedlatschek, Kuhn, Freude

& Pech, 2005).

Kritisch zu betrachten ist jedoch die lediglich auf Kreuzklassifizierungen, Korrelati-onsanalysen und inhaltlichen Überlegungen beruhende Annahme der Eindimensio-nalität des Arbeitsfähigkeits-Gesamtindex (Tuomi et al., 1985) sowie die vorgegebe-ne Punktevergabe zur Berechnung des WAI, welche in der Literatur lediglich festge-legt, jedoch nicht weiter begründet wird (Ilmarinen, J. & Tuomi, 2004). Die sieben WAI-Dimensionen, welche aus zehn Items resultieren, bilden dabei keine Faktoren gemäß der Testtheorie ab (WAI-Netzwerk, 2015). So kamen verschiedene Reliabili-tätsstudien während der Untersuchung der psychometrischen Eigenschaften des WAI zu unterschiedlichen Ergebnissen bezüglich dessen Faktorenstruktur. Martus, Jakob, Rose, Seibt und Freude (2010) fanden in ihren Analysen an einer deutschen Stichprobe mittels konfirmatorischer Faktorenanalysen, dass ein Modell, bei dem die sieben Dimensionen des WAI auf zwei korrelierenden Faktoren luden, bessere Fit-Indizes lieferte als das eindimensionale Modell. Die WAI-Dimensionen (1), (2) und (7) wurden dabei als Faktor der subjektiv eingeschätzten Arbeitsfähigkeit und Ressour-cen interpretiert, die WAI-Dimensionen (3) und (5) als gesundheitsbezogener Faktor.

Die WAI-Dimensionen (4) und (6) zeigten dagegen uneinheitliche Muster je nach Be-rufsgruppe. Eine Schwäche der Studie von Martus et al. (2010) ist die aus drei Ein-zelstudien gebildete ad-hoc-Stichprobe bestehend aus 324 weiblichen Bürokräften, Lehrerinnen und Lehrern sowie Erzieherinnen (Martus, Freude, Rose, Seibt & Jakob, 2011). Analysen im Rahmen des Second German Sociomedical Panel of Employees (Bethge, Radoschewski & Gutenbrunner, 2012) an 1 036 Erwerbstätigen hingegen stützen die Annahme einer einfaktoriellen Struktur des WAI, wobei mehrfaktorielle Modelle nicht explizit geprüft wurden. In einer früheren psychometrischen Untersu-chung des WAI an rund 40 000 Krankenschwestern aus verschiedenen europäi-schen Ländern fanden sich dagegen länderspezifische Unterschiede in der

Fakto-renstruktur (Radkiewicz & Widerszal-Bazyl, 2005). So wurde anhand von Hauptkom-ponentenanalysen für Stichproben aus Deutschland und Finnland eine einfaktorielle Struktur gefunden, während in den übrigen teilnehmenden Ländern eine überein-stimmende zweifaktorielle Struktur gefunden wurde. Die WAI-Dimensionen (1), (2), (6) und (7) wurden in dieser Studie als subjektive, die Dimensionen (3), (4) und (5) als objektive Komponenten der Arbeitsfähigkeit interpretiert. Auch weitere Untersu-chungen mit übersetzten WAI-Versionen fanden uneinheitliche Faktorenstrukturen. In einer griechischen Stichprobe fanden sich zwei Faktoren, welche ähnlich zu den Er-gebnissen von Martus et al. (2010) interpretiert wurden (Alexopoulos et al., 2013), während für iranische, brasilianische und argentinische Stichproben drei Faktoren des WAI gefunden wurden (Abdolalizadeh et al., 2012; Martinez, Latorre & Fischer, 2009; Peralta, Godoi Vasconcelos, Härter Griep & Miller, 2012). Tabelle 2.2 gibt eine Übersicht über die Studien mit der gefundenen Anzahl an Faktoren und der Vertei-lung der WAI-Dimensionen.

Tab. 2.2 Befunde zur Faktorenstruktur des Work Ability Index Autoren Land

Fakto-ren Faktor 1 Faktor 2 Faktor 3

Bethge et al.

(2012) D 1 (1) - (7)

Radkiewicz &

Widerszal-Bazyl (2005)

D & F 1 (1) - (7)

Rest- Euro-pa

2 (1), (2), (6), (7) (3), (4), (5)

Martus et al.

(2010) D 2 (1), (2), (4)*, (6)*, (7) (3), (4)*, (5), (6)*

Alexopoulos et

al. (2013) G 2 (1), (2), (6)*, (7) (3), (4), (5), (6)*

Abdolalizadeh et

al. (2012) I 3 (1), (2), (6) (3), (4), (5) (7)

Martinez et al.

(2009) B 3 (1), (2) (3), (4), (5), (6) (7)

Peralta et al.

(2012) A 3 (1), (2), (7) (5), (6) (3), (4),

Anmerkungen. D = Deutschland, F = Finnland, G = Griechenland, I = Iran, B = Brasilien, A = Argentinien.

*Doppelladung.

Die Heterogenität der bisherigen Studienergebnisse kann verschiedene Ursprünge haben. Sie ist als Resultat kultureller Unterschiede, sprachlicher Mängel in den Übersetzungen, nicht vergleichbarer Stichproben mit teilweise geringer Güte oder unterschiedlicher Analysemethoden denkbar. So wurden in den voran genannten Analysen, soweit im Methodenteil erläutert, statistische Analysen (Hauptkomponen-tenanalysen in IBM SPSS, konfirmatorische Faktorenanalysen in IBM SPSS AMOS)

angewandt, welche den Items des WAI ein metrisches Skalenniveau zuschreiben (Abdolalizadeh et al., 2012; Martus et al., 2010). Dies kann jedoch nicht für alle Items des WAI angenommen werden. Bei diesem Vorgehen beruhen die durchgeführten Faktorenanalysen auf für ordinale Variablen nicht angemessene Produkt-Moment-Korrelationen, obwohl die Berechnung von polychorischen Korrelationen dem vorzu-ziehen ist (Eid, Gollwitzer & Schmitt, 2013).

Um den in Deutschland weitgehend anerkannten und im BGM häufig im Zusammen-hang mit dem Haus der Arbeitsfähigkeit eingesetzten WAI korrekt interpretieren zu können, soll in der vorliegenden Arbeit die Faktorenstruktur des WAI anhand von Strukturgleichungsmodellen unter Berücksichtigung des Messniveaus überprüft wer-den. Für die Analysen liegen bereits Daten einer repräsentativen Stichprobe der Er-werbsbevölkerung in Deutschland aus der „Studie zur Mentalen Gesundheit bei der Arbeit“ (S-MGA) vor. Die detaillierte Beschreibung der Studie erfolgt in Kapitel 3.1.

Angelehnt wird die Überprüfung an die Untersuchung von Martus et al. (2010), so dass neben dem Modell mit einer einfaktoriellen Struktur zwei weitere genestete Mo-delle mit einer zweifaktoriellen Struktur konfirmatorisch überprüft werden. Diese bei-den Modelle unterscheibei-den sich dadurch, dass wie bei Martus et al. (2010) in einem Modell Doppelladungen für die Dimensionen (4) und (6) auf beide Faktoren zugelas-sen werden. Im Hinblick auf eine angenommene diskriminante Validität beider Fakto-ren auf die Arbeitsfähigkeit ist das Zulassen von Doppelladungen jedoch nur schwer interpretierbar. Darüber hinaus ergaben die Analysen von Martus et al. (2010), dass das Item der WAI-Dimension (4) in der Gesamtstichprobe auf dem zweiten Faktor deutlich höher lädt als auf dem ersten Faktor. Dagegen lädt das Item der WAI-Dimension (6) höher auf dem ersten Faktor als auf dem zweiten Faktor. Aus diesen Gründen wird ein viertes Modell überprüft, bei dem die WAI-Dimensionen (1), (2), (6) und (7) sowie die WAI-Dimensionen (3), (4) und (5) durch zwei Faktoren erklärt wer-den, wie es in den Studien von Radkiewicz und Widerszal-Bazyl (2005) außerhalb Deutschlands und Finnlands gefunden wurde. Grundsätzlich wird angenommen, dass die eindimensionale Struktur des WAI für eine repräsentative Erwerbstätigen-stichprobe nicht bestätigt werden kann. Vielmehr wird erwartet, dass ein zweifaktori-elles Modell mit Einfachstruktur, d. h. ohne Doppelladungen, zu einer besseren Mo-dellgüte führt. Aufgrund der Befunde der genannten Studien wird dabei angenom-men, dass das vierte Modell gemäß Radkiewicz und Widerszal-Bazyl (2005) am Bes-ten auf die DaBes-ten passt. Die beiden Faktoren repräsentieren dabei zum einen die subjektiv eingeschätzte Arbeitsfähigkeit und Ressourcen und zum anderen die Ge-sundheitsbedingungen.

Hypothese 1a: Für eine repräsentative Erwerbstätigenstichprobe aus Deutschland wird die Annahme der zweifaktoriellen Struktur des WAI gestützt.

Hypothese 1b: Von den geprüften zweifaktoriellen Modellen zeigt das Modell gemäß Radkiewicz und Widerszal-Bazyl (2005) für die vorliegenden Daten ei-ne bessere Modellpassung als die übrigen Modelle.

Die Abhängigkeit des Alters und des Geschlechts auf die mit dem WAI gemessene Arbeitsfähigkeit wurde bereits in den Längsschnittuntersuchungen von 1981-1992 betrachtet (Ilmarinen, J., Tuomi & Klockars, 1997). In den Studien von Gould, Pol-vinen und Seitsamo (2008) wurden das Absinken der gemessenen Arbeitsfähigkeit mit dem Alter und Unterschiede im WAI zwischen weiblichen und männlichen Er-werbstätigen bestätigt. Die ungünstigeren Ergebnisse im WAI der Frauen wurden dabei hauptsächlich durch eine größere Anzahl von Erkrankungen und

krankheitsbe-dingten Fehltagen hervorgerufen. Diese Ergebnisse spiegeln sich auch im Anstieg der AU-Tage mit dem Alter und einer höheren Anzahl von AU-Tagen für Frauen wi-der (Badura et al., 2010; Rebscher, 2016; Knieps & Pfaff, 2015). Auch Martus et al.

(2011) fanden einen negativen Einfluss des Alters auf den WAI, welcher sich jedoch nicht für alle untersuchten Berufsgruppen zeigte.

Um Vergleiche von Testwerten zwischen Subgruppen vornehmen zu können, gilt als Voraussetzung, dass in den jeweiligen Subgruppen mit dem Testinstrument das glei-che Konstrukt gemessen wird. Diese Voraussetzung wird Messinvarianz genannt und lässt sich in vier hierarchisch abhängige Formen unterteilen: konfigurale, metri-sche, skalare und strikte faktorielle Messinvarianz (Christ & Schlüter, 2012). Konfigu-rale Messinvarianz bezieht sich dabei auf die Gleichheit der Faktorstruktur und La-dungsmuster der manifesten und latenten Variablen zwischen den Substichproben und ist die am wenigsten restriktive Form der Messinvarianz. Metrische Messinvari-anz ist restriktiver als die konfigurale MessinvariMessinvari-anz und liegt vor, wenn die Faktorla-dungen zwischen den Subgruppen identisch sind. Skalare Messinvarianz wiederum ist restriktiver als die metrische Messinvarianz und impliziert zusätzlich die Gleichheit der Intercepts bzw. Konstanten (Höhe der Ausprägung der manifesten Variablen, wenn die latente Variable null ist) in den Subgruppen. Die Überprüfung der strikten faktoriellen Messinvarianz (Meredith, 1993) ist für den Vergleich zwischen Substich-proben optional und bezieht sich auf die Gleichheit der Residuen der manifesten Va-riablen. Erst wenn wenigstens partielle skalare Messinvarianz zwischen den Sub-gruppen vorliegt, sind Vergleiche von Testwerten anhand von latenten Mittelwerten sinnvoll interpretierbar (Byrne, Shavelson & Muthén, 1989).

In der Literatur sind bisher keine Untersuchungen der Messinvarianz für den WAI bekannt. Da unklar ist, ob die verschiedenen Subgruppen die Items des WAI unter-schiedlich wahrnehmen und bewerten (z. B. aufgrund unterunter-schiedlicher körperlicher Voraussetzungen zwischen Männern und Frauen sowie zwischen Jüngeren und Älte-ren), wird für spätere Mittelwertvergleiche in der vorliegenden Arbeit die Messinvari-anz des WAI für das Geschlecht und für drei Altersgruppen (31- bis 40-Jährige, 41- bis 50-Jährige und 51- bis 60-Jährige) überprüft. Grundsätzlich wird davon ausge-gangen, dass der WAI in allen Subgruppen das gleiche Konstrukt der Arbeitsfähigkeit misst. Daraus leiten sich folgende zwei Hypothesen ab:

Hypothese 2: Für den WAI liegt skalare Messinvarianz zwischen Frauen und