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Zur empirischen Sprichwortforschung

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Der Ausdruck ”empirische Sprichwortforschung'' ist mit den Begriffen "Empi- rie", "Feldforschung" und "Statistik" verbunden, die in philologischen Arbeiten selten auftauchen. Es scheint daher notwendig, diese Begriffe kurz zu erläutern und ihren Stellenwert für philologische Fragestellungen deutlich zu machen, bevor ein Überblick der bislang existierenden Arbeiten empirischer Sprichwort- forschung gegeben wird.

Volkskundler und Folkloristen haben oft ihre Sprichwortforschung nicht nur auf Vorlagen in der Literatur beschränkt, sondern sind ins "Feld" gegangen und ha- ben "dem Volk aufs Maul" geschaut. Dabei ging es in der Regel um die Erfas- sung einer möglichst großen Anzahl von Einheiten, die ein möglichst vollständi- ges Bild der sprichwörtlichen Wendungen liefern sollten. Solche Sammlungen liegen für ganze Sprachgemeinschaften vor, aber auch für kleinere Gruppen, wie einzelne Dialektgruppen oder sogar nur Dorfgemeinschaften.

In den Philologien trifft man Feldforschung nur in einigen Teildisziplinen, wie z.B. der Soziolinguistik, an. In seiner Arbeit wertet der Philologe in der Regel bereits vorhandene Quellen aus. Seine Suche nach "Wahrheit und Erkenntnis"

bleibt somit immer in einer Abhängigkeit von dem Material, das andere für ihn vorbereiten, das sie vor ihm bereits gesichtet haben. Die empirische Welt des Philologen ist demzufolge eine Welt, die durch das Prisma anderer gelaufen ist.

Dieser Umstand und die dadurch entstehenden Verzerrungen in der Interpreta- tion werden dabei in den meisten Fällen noch nicht einmal reflektiert.

Feldforschung stellt somit eine Möglichkeit dar, sich seinem Forschungsobjekt anzunähern und sich seiner empirischen Daseinsform "auszusetzen". Sie kann so zu einem tieferen Verständnis des Objekts führen und konzeptionelle Miß- deutungen der nichtempirischen Philologie aufdecken.

Damit soll nicht ausgesagt sein, daß Feldforschung frei wäre von jedweder Verzerrung, denn allein die Auswahl und Charakterisierung des Forschungsge- genstands bedeutet letztendlich eine Voreingenommenheit gegenüber der Empi- rie. So grenzt die im zweiten Kapitel vorgegebene Definition von Sprichwort den Ausschnitt der empirischen Wirklichkeit ein, der in der vorliegenden Arbeit erfaßt wird. Diese Voreingenommenheit wird von Forschern, die selbst nicht empirisch arbeiten, zum Anlaß genommen, die Feldforschung als unnötig abzu- tun, da sie die Schwäche des herkömmlichen Arbeitens wiederhole. Diesem Standpunkt ist insoweit Recht zu geben, als daß eine uneingeschränkte

Anna-Schritt außerhalb des Diskurses, der über den Gegenstand geführt wurde, zu machen, und legt den Gegenstand selbst offen. Feldforschung kann als Versuch gesehen werden, die Voreingenommenheit zu reduzieren. Sie stellt einen Gegen- pol zu der traditionellen Philologie dar, die durch die Reproduktion und Geschlossenheit ihres Diskurses eine zweite Wirklichkeit etabliert, in der allein die Aussagen des Diskurses Sinn machen.

In der vorliegenden Arbeit kommen weiterhin statistische Berechnungen zum Tragen. Auch dies ist für eine philologische Arbeit ein ungewöhnliches Vor- gehen. Zum einen werden Bekanntheitsgrade für einzelne Sprichwörter errech- net. Zum anderen wird ermittelt, ob die Sprichwortkenntnis in bestimmten gesellschaftlichen Gruppen größer ist als in anderen. Die in der vorliegenden Arbeit durchgeführten Berechnungen berücksichtigen die Verfahren der Statistik und werden somit dem Anspruch gerecht, auf der gesammelten empirischen Basis der Stichprobe gültige Verallgemeinerungen für die tschechische Gesamt- bevölkerung vorzunehmen. Am Ende werden auf Zehntel berechnete Werte prä- sentiert, die den Anschein von Objektivität und naturwissenschaftlicher Präzi- sion aufkommen lassen. Die von den sogenannten exakten Wissenschaften ge- äußerte Kritik an den Geisteswissenschaften, spekulativ und subjektiv zu sein, scheint hier gegenstandslos zu werden.

Diese Position kann unkommentiert nicht übernommen werden, denn die von diesen Wissenschaften für sich in Anspruch genommene Objektivität ist prinzipiell in Frage zu stellen. Statistische Werte, die aus einer sorgfältig durchgeführten Stichprobe hervorgehen, lassen natürlich ein besseres und präzi- seres Bild von den tatsächlichen Gegebenheiten entstehen, als wenn man sie nicht zur Verfügung hat. Bestehende Vermutungen können auf Grund solcher Ergebnisse unterstützt oder entkräftet werden. Dennoch ist anzumerken, daß die statistischen Werte zwar mathematisch präzise sind, doch für die Empirie nur Tendenzcharakter haben. Auch wenn durch statistische Berechnungen die Wahrscheinlichkeit für abweichende Ergebnisse theoretisch minimiert werden, sind sie für die Empirie nicht bindend.

Die errechneten Werte dieser Untersuchung zum tschechischen Sprichwort ge- ben allerdings einen völlig neuen Einblick in die Thematik, der in dieser Art vorher nicht möglich war. Sie zeigen beispielsweise sehr eindrucksvoll, welche Sprichwörter sehr bekannt sind und welche überhaupt nicht bekannt sind. Sie geben ein besseres Fundament, von dem aus gesicherte Aussagen über den

Sprichwortbestand und das Sprichwort-Minimum des Gegenwartstschechischen möglich sind. Sie veranschaulichen, welche Faktoren die Kenntnis von Sprich- Wörtern beeinflussen können.

Im Bereich der empirischen Sprichwortforschung liegen bislang nur wenige Arbeiten vor, die auf Massenbefragungen zurückgehen. Die wichtigste und, was das Materialkorpus angeht, umfangreichste Arbeit legte bislang der bereits oftmals zitierte Permjakov vor.132 Bei der Korpusauswahl wurde auf mehrjäh- rige Vorarbeiten von Permjakov und seinen Mitarbeitern zurückgegriffen und in einer ersten Befragung in den Jahren 1971/72 1500 Parömien (darunter 700 Sprichwörter) dreihundert Personen zur Bearbeitung vorgelegt. Aufgabe der Probanden war es, diejenigen Einheiten zu kennzeichnen, die ihnen nicht be- kannt w aren.133 Auf Grundlage dieser Umfrage wurde das Korpus auf ein Drittel reduziert und 1974/75 einer weiteren Stichprobe vorgelegt. Nun sollten die Befragten allerdings die nur mit ihren Anfängen angeführten Einheiten ver- vollständigen.134

Als Ergebnis beider Befragungen konnte Permjakov erstmalig ein parömisches Minimum für eine Sprachgemeinschaft erstellen, welches auch ein Sprichwort- Minimum der russischen Sprache umfaßte.135 Permjakov selbst sah die Rele- vanz des parömischen und Sprichwort-Minimums hauptsächlich darin, als Hilfe im Fremdsprachenerwerb zu dienen. Dies dokumentiert der Band 300 allgemeingebräuchliche russische Sprichwörter und sprichwörtliche Redens- artenm , in dem die russischen Einheiten mit deutschen Erklärungen und Äquivalenten für den deutschsprachigen Russischlernenden versehen sind.

Die große Schwachstelle der Untersuchung Permjakovs besteht jedoch darin,

132Die Befragungen Permjakovs sind an anderer Stelle bereits ausführlich be- schrieben, so daß sie hier nur in ihren wichtigsten Zügen vorgesteilt werden. V gl.:

Grzybek, Peter (1991b): "Sinkendes Kulturgut? Eine empirische Studie zur Bekanntheit deutscher Sprichwörter". Wirkendes Wort. 2(1991). S.243-244.

133Permjakov, G rigorij L ’ vovič(1971): Paremiologičeskijéksperiment. Materiały dija paremiologičeskogo minimuma. Moskva 1971.

,34Vor- und Nachteile dieser Methode werden weiter unten genauer diskutiert, da die vorliegende Arbeit auf diesen Testplan zurückgreift. V gl.: S.95ff.

,35Einheiten m it mindestens 90%iger Bekanntheit sind erstmals veröffentlicht in:

Permjakov, G rigorij L ’ vovič (1988): Osnovy struktumoj paremiologii. Moskva 1988. S.

154ff. Die Sprichwörter, Aphorismen und unteilbaren Sentenzen befinden sich auf den Seiten 154 bis 162.

136Erschienen 1985 in Moskau und Leipzig

daß bei der Auswahl der Probanden kein Wert auf die Repräsentativität der Gesamtstichprobe gelegt wurde. Wie Krikman bei seinem Versuch einer stati- stischen Auswertung zeigt, kommen fast alle Befragten aus dem Moskauer Ge- biet, liegt der Frauenanteil bei fast 70% und sind niedrige Bildungsschichten kaum vertreten.137

Die Reaktion der parömiologischen Fachwelt war dennoch äußerst positiv, und die Erstellung von parömischen und Sprichwort-Minima für alle Sprachen wur- de allgemein als ein Desiderat der zukünftigen Forschung ausgerufen.138 Seit Ende der achtziger Jahre arbeitet der deutsche Slāvist Peter Grzybek an Vorar- beiten zum Sprichwort-Minimum der deutschen und kroatischen Sprache. Er war mir durch seine methodischen Kenntnisse und Erwägungen in vielen Belan- gen ein wichtiger Orientierungspunkt und eine große Hilfe. Für beide Sprachen hat er bereits erste Pilotstudien durchgeführt und veröffentlicht.139 In beiden Fällen greift er dabei auf das zweite Testmodell von Permjakov (Anführung der Sprichwortanfänge) zurück. Während die deutsche Stichprobe mit 125 Personen bereits recht aussagekräftig ist, bleiben die Ergebnisse der kroatischen mit 40 Personen noch sehr wage. Die deutsche Pilotstudie wird im weiteren zum Ver- gleich mit den Resultaten der vorliegenden Arbeit herangezogen.

Grzybek konnte in Zusammenarbeit dem Essener und Bochumer Universitäten (Prof. Baur bzw. Prof. Eimermacher) die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) für die Finanzierung seines Vorhabens gewinnen, so daß von 1991 bis 1993 mehrere Personen an dem Projekt arbeiten konnten. Die Untersuchungen waren auf Grund der Sorgfalt, mit der das Korpus für die Umfrage ausgewählt werden sollte, sehr vielversprechend und hätten im Bereich der Parömiologie gewiß einen neuen Standard setzen können. Leider wurde das Projekt ab Sep- tember 1993 von der DFG nicht weitergefördert, so daß die weitere Zukunft der halbfertigen Arbeiten ungewiß ist. Neben diesem Projekt wird momentan aller- dings auch für das Ungarische ähnliches unternommen. Nachdem folglich Per- mjakov mit seinen Arbeiten zum Russischen erstmalig ein Sprichwort-Minimum erstellt hat, werden demnächst vergleichbare Minima für das Ungarische und, aufbauend auf der vorliegenden Arbeit, für das Tschechische vorliegen.

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,” V g l.: Grzybek (1991b): a.a.O., S.243f.

,38V gl.: Grzybek (1991b): a.a.O., S.244.

139V g l.: Grzybek, Peter (1991b): a.a.O., S. 239-264, und Grzybek, Peter; Škara, Danica; Bošnjak, Zdenka (1992): " Istraživanja poslovičnog minimuma na hrvatskom po- dručju". Radovi FF, Razdio filoloških zmnosti. Im Druck.

4 .1 . Vorbereitung der empirischen Untersuchung

Mehr noch als bei anderen wissenschaftlichen Arbeiten steht am Anfang jeder empirischen Arbeit die Frage nach den angestrebten Ergebnissen, denn in Abhängigkeit davon sind die adäquaten Mittel und Methoden zu deren Ermitt- lung zu finden. Während bei anderen Arbeiten eine Korrektur im Arbeitsprozeß möglich ist, schließt sich eine Veränderung bei empirischen Arbeiten fast aus, da ansonsten die bereits gesammelten Daten nicht weiter verwertbar sind. Drei Fragen sollen durch die vorliegende Studie einer Klärung zugeführt werden:

— Welche Sprichwörter sind dem heutigen Sprecher des Tsche- chischen bekannt und in welchem Maße? (־ mit dem Fernziel der Erstellung eines Sprichwort-Minimums der tschechischen Sprache).

— In welchem Wortlaut sind die einzelnen Sprichwörter heute bekannt?

— Welche Faktoren beeinflussen den Umfang der Sprichwort- kenntnis?

Als Ermittlungsmethode bot sich eine Befragung in Form eines Fragebogens an, da nur sie gewährleisten konnte, daß eine möglichst große Anzahl von Ver- suchspersonen aus möglichst verschiedenen Gruppen angesprochen werden konnte. In Anlehnung an die Stichprobengröße, die Permjakov für seine Unter- suchungen im Bereich des Russischen gewählt hat, wurde eine Zahl von ca. 300 Versuchspersonen anvisiert.

Im weiteren soll erläutert werden, wie der Fragebogen konzipiert wurde, um möglichst aussagekräftige Ergebnisse zur Beantwortung der drei Hauptfragen zu erbringen, und auf welchen Verteilungsmodus zurückgegriffen wurde, um anhand der 300 geplanten Fragebögen möglichst repräsentative Aussagen für die Gesamtbevölkerung machen zu können. Dabei sollen auch die alternativen Möglichkeiten diskutiert werden, die für die letztendliche Fassung verworfen wurden, um die Prozeßhaftigkeit der Arbeit zu dokumentieren und somit einen Einblick in die jeweiligen Entscheidungsprozesse zu gewähren. Zuerst werden die Faktoren, die die Sprichwortkenntnis beeinflussen könnten, erörtert, bevor

dann die Frage der Auswahl der Sprichwörter für den Fragebogen diskutiert wird.

Bevor die Konzeption des Fragebogens besprochen wird, muß folglich geklärt werden, welche Faktoren sich auf den Umfang der Sprichwortkenntnis auswir- ken können und in welche Untergruppen sie sich teilen lassen, d.h. wie sie sich stufen. Für jeden Faktor ist eine Hypothese zu formulieren, die die Auswirkun- gen der jeweiligen Faktorenstufen auf den Umfang der Sprichwortkenntnis be- schreibt. Die Hypothesen werden durch die später folgende statistische Auswer- tung der Stichprobenergebnisse entweder als signifikant bestätigt oder verwor- fen.

In Anlehnung an den Usus in soziologischen Arbeiten im allgemeinen und der Pilotstudie von Peter Grzybek im besonderen werden folgende Faktoren bezüg- lieh ihres Einflusses auf die Sprichwortkenntnis untersucht: Alter, Stadt/Land- Wohnort, Bildung und Geschlecht.

(...) a minimum requirement for any sample is that it have a degree o f representativeness on the bases age, sex and (some operationalization of) social class or education level, or both, and perhaps o f ethnicity and rural versus urban o rig in .140

Für die beiden ersten Faktoren Alter und Stadt/Land-Wohnort können aus den bestehenden Definitionen des Sprichworts als einer tradierten Einheit der Volkskunst folgende Annahmen abgeleitet werden:

— Das Sprichwort als tradierte Einheit läßt einen altersspezifi- sehen Unterschied in der Kenntnis zu Gunsten älterer Perso- nen erwarten, die als Träger der Tradition anzusehen sind.

Der Faktor Alter umfaßt somit die zwei Stufen der älteren und der jüngeren Personen.

— Das Sprichwort als Einheit der Volkskunst hat seinen Ur- sprung in agrarisch strukturierten Bereichen, so daß sich im Vergleich mit der Stadtbevölkerung eine größere Sprichwort- kenntnis bei der Landbevölkerung annehmen läßt. Der

Fak-90

140Sankoff, David (1988): "Problems o f Representativeness. In: Sociolinguistics. An International Handbook o f the Science o f Language and Society. Edited by Ulrich Ammon et al. Berlin/New York 1988. S.902.

tor ist zweistufig und teilt sich in die Stadt- und die Land- bevölkerung.

Der Faktor Bildung gestaltet sich komplizierter, da er zum einen dreistufig angesetzt ist, wobei sich die Stufen auf die absolvierten Schultypen základní škola (Grundschule), stfednlškola (Mittelschule) und vysoká škola (Hochschule) beziehen, zum anderen kann man aus dem Forschungsgegenstand, den Sprich- Wörtern, keine Hypothese bezüglich der Einwirkung der Stufen auf die Sprich- wortkenntnis deduzieren. Als Anhaltspunkt können allein die Ergebnisse der Pilotstudie von Grzybek herangezogen werden. Seine Stichprobe ergab signi- fikante Unterschiede zugunsten der niedriger gebildeten Probanden, d.h. der

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Personen mit Grund- bzw. Realschulabschluß. In Übereinstimmung damit lassen sich auch für die tschechische Stichprobe ähnliche Ergebnisse antizipieren.

Inwieweit sich, wie bei Grzybek, letztendlich die zwei niedrigeren Stufen (Haupt- und Realschule) zusammenfassen lassen, da die Unterschiede der Sprichwortkenntnis nicht signifikant ausfielen, wird erst die Auswertung selbst zeigen. Wäre zwischen allen Stufen ein signifikanter Unterschied zu ver- zeichnen, müßte der Vergleich der Sprichwortkenntnis sowohl für die Stufen Grund- und Mittelschule als auch für die Stufen Mittel- und Hochschule zugunsten der jeweils niedriger gebildeten Gruppe ausfallen.

Als vierter Faktor wurde die in soziologischen Arbeiten immer präsente Ge- Schlechterunterscheidung mit aufgenommen. Bezüglich der Korrelation von Sprichwortkenntnis und Geschlecht können, wie bei dem Faktor Bildung, keine Aussagen aus den Charakteristika der Sprichworteinheiten selbst erschlossen werden. Grzybek konnte in seiner Pilotstudie keine signifikanten Unterschiede zwischen beiden Stufen, den Männern und den Frauen, feststellen. Eine gerich- tete Hypothese schließt sich im Gegensatz zu den vorherigen Faktoren deshalb aus. Für diesen Faktor wird somit eine ungerichtete Hypothese angesetzt, die behauptet, daß ein irgendgearteter Unterschied zwischen der Sprichwortkenntnis von Männern und Frauen besteht. Für die vier Faktoren Alter, Bildung, Stadt /Land-Wohnort und Geschlecht, die in der Studie untersucht werden sollen,

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können somit folgende Hypothesen zur Überprüfung formuliert werden:

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Hypothese I: Altere Personen kennen mehr Sprichwörter als jüngere.

Hypothese II: Personen aus ländlichen Gegenden kennen mehr Sprichwörter als Personen aus städtischen.

Hypothese III: Personen mit niedriger Bildung kennen mehr Sprichwörter als Personen mit höherer Bildung.

Hypothese IV: Es besteht ein geschlechterspezifischer Unterschied in der Sprichwortkenntnis.

Für die Konzeption des Fragebogens ergibt sich die Frage, in welcher Form die Faktoren von den Probanden abgefragt werden. Zwei Verfahren sind hier denk- bar. Entweder sind im Fragebogen für den jeweiligen Faktor mögliche Antworten vorgegeben und der Proband muß sich einer von ihnen zuordnen, oder der Proband wird aufgefordert, zu jedem Faktor seine individuellen Daten anzugeben. Im vorliegenden Fragebogen sind beide Verfahren zur Anwendung gekommen. Der Vorteil einer Abfragung durch vorgegebene Kategorien ist, daß sie zu einer Unifizierung der Informationen beiträgt, wo ansonsten eine große Vielfalt der möglichen Antworten zu erwarten ist und der Forscher letztendlich die Zuordnung zu den einzelnen Kategorien selbst vornehmen muß. Da für die Faktoren Stadt /Land-Wohnort und Bildung voneinander stark abweichende Angaben der einzelnen Versuchspersonen möglich sind, wurde für sie auf das Verfahren mit vorgegebenen Antwortmöglichkeiten zurückgegriffen. Der Faktor Stadt/Land-Wohnort wird im Fragebogen differenziert nach dem Wohnort zur Zeit der Befragung (Wohnort 1) und dem Wohnort bis zum 18. Lebensjahr (Wohnort 2) geführt. Diese Unterscheidung verfolgt zwei Ziele. Auf der einen Seite soll sie ein sozusagen synchrones Bild der momentanen Sprichwort- kenntnis in bezug auf die Stadt/Land-Verteilung ermöglichen. Auf der anderen Seite soll sie für den Wohnort 2, d.h. für den Ort, wo der Proband seinen Spracherwerb vollzogen hat, zu Aussagen darüber verhelfen, ob hier die Stadt/Land-Unterscheidung eine Rolle spielt.141

Innerhalb dieser Kategorien werden die Versuchspersonen aufgefordert, sich einer der drei Gruppen vesnice (Dorf), mèsto (Stadt) und velkomësto142 (Groß­

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141Das fu r den W ohnort 2 das achtzehnte Lebensjahr als Grenze gewählt wurde, soll nicht dahingehend verstanden werden, daß erst in diesem A lter der Spracherwerb abge- schlossen sei. Die Arbeiten von Vygockij u.a. belegen im Gegenteil, daß die Begriffsbil- dung und der Spracherwerb etwa im Alter von 12 bis 14 vollendet w ird. Die Grenze wurde vielmehr auf Grund der Tatsache gewählt, daß die ersten räumlichen Veränderun- gen in der Regel nach dem Abschluß der Ausbildung zustande kommen.

142Als einzige Großstadt wurde Prag anerkannt, auch wenn einige Brünner Versuchs- personen hier eine andere Einschätzung hatten.

stadt) zuzuordnen sowie den kraj (Bezirk) einzutragen, in dem sich die Wohn- orte 1 und 2 befinden. Die Differenzierung der Bezirke ist auf Grund der gestellten faktorenspezifischen Aufgaben zur Stadt/Land-Verteilung nicht erforderlich. Sie wurde dennoch zusätzlich in .den Fragebogen integriert, da die Spezifizierung der Bezirke die Unterscheidung der Sprichwortkenntnis für die Versuchspersonen sowohl aus den böhmischen und mährischen Landesteilen als auch aus den verschiedenen Bezirken ermöglicht. Weiterhin können auf diese Weise, auch wenn dialektologische Analysen nicht als Ziel der Studie formuliert sind, auftretende Sprichwortvarianten gegebenenfalls als regionale Erscheinun- gen erläutert werden.

Der Faktor Bildung wird im Verhältnis zu den Vergleichswerten der Gesamt- bevölkerung, die in die drei Gruppen: Grundschul-, Mittelschul- und Hoch- schulabschluß gegliedert sind, differenzierter abgefragt. Folgende Kategorien sind vorgegeben:

— základní škola : 9-jährige Grundschule

— stfednf odborná škola : 4-jährige Fachmittelschule für technische und handwerkliche Berufe

— stfednf škola všeobecnā : 4-jährige allgemeinbildende Mittelschule, Be-rufsfeld sind die sog. "white collar"-Berufe.

— vysoká škola : 4- bis 5-jähriges Hochschulstudium

Die Kategorie Hochschule ist nochmals unterteilt in naturwissenschaftliche Stu- dien sowie geisteswissenschaftliche Studien mit bzw. ohne philologisches Fach.

Diese Differenzierungen können bei der Auswertung gegebenenfalls weitere Er- klärungsmöglichkeiten für unterschiedliche Ergebnisse zulassen. Für den Ver- gleich der drei großen Bildungsstufen besteht die Möglichkeit, die beiden Typen der Mittelschule sowie alle Hochschulstudien zusammenzufassen.

Rückblickend erweist sich bei der Auswertung als problematisch, daß der Be- reich der Grund- und Mittelschulen nur in drei Schultypen untergliedert ist. Sie bringt die notwendige und sinnvolle Differenzierung der beiden Mittelschultypen mit sich, die sich durch ihre unterschiedlichen Zielberufe (Fachmittelschule -

"blue-collar"-Berufe in Handwerk und Technik; allgemeine Mittelschule -

"white-collar"-Berufe) deutlich voneinander abheben, übersieht jedoch die Kategorie stfední odborná učilištē, die wie folgt zu charakterisieren ist:

"strední odbomá učilištč -- drive školy učnovske — školy pfipravující ab- solventy zákl. škol na vÿkon dèi. povolání; hist, (vÿvojovë) nejvyšši typ zafízení pro vÿchovu kvalifikovaného prac. dorostu. S.o.u. um ožnuji jed- notné vÿchovné púsobení na učnē v odbomém vÿcviku, ve vyuèování odb.

a vSeobecné vzdélávacím predmétûm i v mimoškolni a mirnoprac. činnosti.

Čtyfletē obory poskytují űplné stf. vzdèlání s matu ri tou um ožftujici vÿkon nàroènÿch dèi. povolání a dalši vysokoSkolské studium. Dvou- a tríleté obory pfipravují kvalifikované dèlníky.” 143

Die stfední odbomá učilištē stellt einen Sammelbegriff für alle Fachschularten nach Beendigung der Grundschule dar. Die zwei- bis dreijährigen Schulen wer- den in der statistischen Beurteilung des soziologischen Instituts der Tschechoslo- wakischen Akademie der Wissenschaften (ČSAV), auf das die der Studie zu- grundeliegenden Vergleichszahlen der Gesamtbevölkerung zurückgehen, zu den

Die stfední odbomá učilištē stellt einen Sammelbegriff für alle Fachschularten nach Beendigung der Grundschule dar. Die zwei- bis dreijährigen Schulen wer- den in der statistischen Beurteilung des soziologischen Instituts der Tschechoslo- wakischen Akademie der Wissenschaften (ČSAV), auf das die der Studie zu- grundeliegenden Vergleichszahlen der Gesamtbevölkerung zurückgehen, zu den