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d) Faktor: Wohnortl (zur Zeit der Befragung)

Im Dokument Das Sprichwort im heutigen Tschechischen (Seite 174-200)

In der Stadt/Land-Kategorie, die auf den Wohnort zur Zeit der Befragung bezogen ist, lassen sich 23 Sprichwörter mit signifikanten Unterschieden nachweisen. Keiner der Beleg gehört dem Sprichwort—Minimum an.

Die Unterschiede lassen sich im Gegensatz zu der nachfolgenden Kategorie, die sich auf den Wohnort des Spracherwerbs bezieht, nicht erklären.

La n d b e v ö l k e r u n g

sehr signifikanter Unterschied (p <0.01):

1 Jakÿ pán, takovÿ krám. (A44) 85.4%

2 Čim blbējši sedlák, tim vētši brambory. (A 18) 69.3%

3 Dobrÿ kohout ztloustne. (A29) 38.0%

4 Kráva zajíce nedohoní. (A95) 36.7%

5 Zed’ hlavou neprorazß. (A 198) 34.2%

6 Haléf к haléri, koruna к koruné. (А34) 22.2%

7 Co neni v hlavè, musi bÿt v nohách. (A265) 91.2%

8 Со oko nevidi, to srdce nebolí. (A215) 81.5%

9 Po boufi byvá klid. (A145) 56.6%

10 Od hospody krokem, do hospody skokem. ( A l37) 16.8%

Sta dtbevölkerung :

sehr signifikanter Unterschied (pCO.Ol):

1 Mezi ślepymi jednookÿ králem. (A109) 60.8%

2 Poturčenec horši Turka. (A151) 44.0%

3 Krev neni voda. (A96) 23.1%

4 Mnoho lékafû, pacientova smrt. (A l 10) 17.7%

5 Spße vidime mrvu v oku bližniho, než bfevno v oku svém. (A 163) 11.7%

signifikanter Unterschied (p<0.05):

6 Kdo se nesrovnává s chlebem, nesrovnává se s lidmi. (A234) 53.4%

7 Nevstoupß dvakrát do tēže feky. (A l32) 40.8%

8 Hodnè psù, zajicova smrt. (A35) 40.8%

9 Čim vyše kdo sedi, tím hloubéji padá. (A20) 31.3%

10 Častā krúpéj i kämen prorāži. (A 12) 12.0%

11 Čert vždycky dèlá na vētši hromadu. (A 16) 9.5%

12 Kdo se blátem obírá, ten se umaže. (A81) 8.5%

13 Živy pes lepši než mrtvÿ lev. (A204) 1.9%

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e) Faktor:

Wohnort! (vor dem 18. Lebensjahr)

Die hier genannten 20 Sprichwörter gehören weder dem Sprichwort —M ini- mum an, noch sind sie aus dem Kreis der Sprichwörter, die für die zweite Fassung ergänzt wurden. In den 15 Fällen, in denen eine höhere Bekanntheit in der Landbevölkerung vorliegt, läßt sich das häufige Auftreten von Lexik aus dem agrarischen Bereich bemerken, während die sechs Belege für die Stadtbevölkerung aus nicht volkstümlichen, literarischen Quellen hervorge- gangen sind. Fünf von ihnen hatten auch bei Hochschulabsolventen eine signifikant höhere Bekanntheit, so daß hier eine Beziehung zwischen dem Bildungsniveau, der städtischen Herkunft und der Kenntnis literarischer Einheiten zu vermuten ist.

La n d b e v ö l k er u n g

sehr signifikanter Unterschied (p<0.01):

1 Jakÿ pán, takovÿ krám. (A44) 85.4%

2 Začal na zlatè, skončil na bláté. (A194) 46.2%

3 Dobrÿ kohout ztloustne. (A29) 38.0%

4 Kráva zajíce nedohoní. (A95) 36.7%

5 Haléi к haléíi, koruna к koruné. (A34) 22.2%

6 Od hospody krokem, do hospody skokem. (A 137) 16.8%

7 Zralé zrni samo padà. (A 199) 15.8%

signifikanter Unterschied (p<0.05):

8 Když je hra v nejlepšim, má se pfestat. (A88) 80.1%

9 Čim blbējši sedlák, tím vētši brambory. (A 18) 69.3%

10 Po boufi bÿvà klid. (A144) 56.6%

11 Kaidÿ pták tak zpívá, jak mu zobák narost. (A66) 39.6%

12 Éádná pisnička neni tak dlouhá, aby nemèla konec. (A201) 19.9%

13 Neštēsti na koni pfijiždi, pēšky odchází. (A130) 11.7%

14 Co je do kapličky, když v ní neni kázáníêko. (A7) 11.1 % 175

Stadtbevö lk erung

sehr signifikanter Unterschied (p<0.01):

1 Mezi ślepymi jednookÿ králem. (A109) 60.8%

2 Poturčenec horši Turka. (A151) 44.0%

signifikanter Unterschied (p<0.05):

3 Vira hory pfenāši. (A 184) 73.7%

4 Nevstoupß dvakrát do tēže feky. ( A l32) 40.8%

5 Spße vidime mrvu v oku bližniho, než bfevno v okú svém. (A 163) 11.7%

6 Śpatny strom, Spatné ovoce. (A169) 8.2%

Hiermit endet die statistische Auswertung der Stichprobe. Die wichtigsten Merkmale wurden untersucht und ergeben einen ersten Eindruck davon, wie sich die Sprichwortkenntnis auf die tschechischen Muttersprachler verteilt, welche Faktoren dabei relevant sind und welche Einheiten allgemein bekannt sind. Eine Vielzahl der möglichen Auswertungen des empirischen Materials bleibt aber dennoch unbearbeitet. So wurde bislang nur in dem Fall der älteren Personen mit Hochschulbildung darauf zurückgegriffen, mehrere Merkmale für die Betrachtung der individuellen und allgemeinen Sprichwort- kenntnis heranzuziehen. Es schien allerdings sinnvoll, an dieser Stelle einen

« •

Schnitt zu machen, da sonst die Übermacht der Zahlen zu groß würde. Spe- zielle Auswertungen für mehrere Merkmalskombinationen gehen über den eher globalen Ansatz dieser Arbeit hinaus und sollen in kürzeren Studien nachgeschoben werden.

Das Sprichwortmaterial in Anhang 2 harrt ebenfalls einer weiteren Analyse.

Die Varianten der einzelnen Sprichwörter bedürfen noch einer Erklärung im dialektalen Sinne, aber auch in bezug darauf, wie die einzelnen Faktoren an den Varianten beteiligt sind. Ansätze in dieser Richtung konnten nur ange- deutet werden. Der Gesamtbestand des Materials erfordert noch eine Be- Schreibung der häufig auftretenden Strukturen, der vermittelten Inhalte etc.

Wie bei den meisten Arbeiten klärt auch diese einige Fragen, nur um eine Vielzahl neuer zu eröffnen. Das Material in Anhang 2 soll zumindest inso- weit gewürdigt werden, als daß es im folgenden Kapitel zu einer

Überprü-176

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177

fiing der Ausführungen zu semantischen Fragen des Sprichworts, die ich in meiner Magisterarbeit in Teilen bereits gemacht habe, herangezogen wird.

Eine abschließende Zusammenfassung der Gesamtarbeit findet sich nach dem sechsten Kapitel.

6. Funktion und Funktionieren der semantischen Gegensätze im sekun dären Zeichensystem

Sprichwort

178

Wie die Ergebnisse der empirischen Sprichwortforschung zeigen, sind Sprichwörter auch heutzutage noch Sentenzen, die in vielen Sprachgemein- schäften bekannt sind. Beim heutigen Sprecher besteht weiterhin oftmals das romantische Verständnis von Sprichwörtern als Ausdruck der Volksweisheit.

Sprichwörter haben zwar im gesellschaftlichen Wandel von der Agrar- zur Industriewirtschaft an Relevanz und Bekanntheit verloren hat, sind aber dennoch weiterhin produktiver Bestandteil der Kommunikation und somit des menschlichen Denkens ist. Innerhalb der Publizistik und der Werbung wer- den Sprichwörter in authentischer oder modifizierter Form häufig verwendet, da sie durch ihre kurze und einprägsame Form besonders dazu geeignet scheinen, die von ihnen transportierte Information in einer A rt darzubieten, die eine leichte Speicherung im Gedächtnis ermöglicht.206

Der mnemotechnisch günstigen Eigenschaft des Sprichworts widerspricht die Annahme, daß das Sprichwort als metaphorische Einheit komplexere Mecha- nismen zur Interpretation erfordert, als dies bei Einheiten der Fall ist, die wörtlich interpretiert werden. Dieses Kapitel soll ein Versuch sein, diesem semantischen Aspekt des Sprichworts und den psychischen Operationen, die die Prozessierung einer metaphorischen Einheit ermöglichen, einen Schritt - näher zu kommen. Der fast mythosartige Rang der Metapher innerhalb der Sprachforschung soll in einem Licht dargestellt werden, in dem deutlich wird, daß die metaphorische Interpretation zwar andere Mechanismen als die wörtliche Interpretation aktiviert, daß dies aber nicht gleichzusetzen ist mit einer höheren Komplexität.

Eine solche Einschätzung resultiert daraus, daß sich metaphorische Mecha- nismen einer strukturalen Erklärung entziehen. Dieses unkonventionelle Moment der Metapher scheint in engem Zusammenhang mit dem komplexen Denken bei Kindern zu stehen, welches vom Standpunkt eines Erwachsenen aus ebenfalls unstrukturiert w irkt und unverständlich ist. Das komplexe Denken entspricht einem assoziativen Verbinden von Dingen ohne Rücksicht auf die Begrifflichkeiten, die innerhalb der sprachlichen Konventionen einer

206 V gl.: Šipoš, Ivan; u.a. (1976): "Continous Short-Term Recognition o f Pro- verbs". Studia Psychologica. 4(1976). S.278-285.

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Sprechergemeinschaft mit diesen Dingen verbunden werden.207 Es ist eine Denkart, die bei Kindern auf Grund der noch nicht konstituierten Begriffs- Strukturen in einer bestimmten Entwicklungsphase das Denken dominiert und, so betrachtet, eine "alltägliche" Erscheinung darstellt. Erwachsenen erscheint diese Denkart "komplexer" als das ihnen geläufige begriffliche Denken, da sie für eine Interpretation nicht auf das feste Begriffssystem zurückgreifen können, das sich bei ihnen etabliert hat. Das Sprichwort bietet durch seine immer wiederkehrenden Strukturen die Möglichkeit, in diesem Rahmen dennoch ein System der Metaphorisierungsmechanismen zu entdek- ken. Ein solches Modell wird im Laufe des Kapitels entwickelt.

Dies geschieht nicht aus reinem Selbstzweck, sondern in Hinblick auf die semantischen Gegensätze, die einen zweiten Interessensschwerpunkt des Kapitels darstellen. Nur durch ein adäquates Metaphorisierungsmodell kann gewährleistet werden, daß sich die semantischen Gegensätze auf der meta- phorischen Ebene - und nur dort sind sie in einer bildlich motivierten Sprichworteinheit als Satzmetapher von Bedeutung - nicht aus einer rein intuitiven Betrachtung heraus ergeben, sondern auch den Ansatz einer über- individuellen Verifikation ermöglichen. Wenn man das Sprichwort als Meta- pher versteht, dann impliziert dies, wie im zweiten Kapitel bereits erwähnt, die Einordnung des Sprichworts als sekundäres Zeichensystem, das auf dem primären System der Sprache aufbaut. Roland Barthes stellt diese Abhängig- keit in einem einfachen Schema dar:208

sekundäres Zeichensystem : A usdruck Inhalt Relation von A zu I

Л

--- A --- 4

primäres Zeichensystem: A I R

Das primäre Zeichensystem auf der unteren, ersten Ebene fungiert als Aus- druck der zweiten Ebene. Aus dieser Erkenntnis heraus ergibt sich die Not- wendigkeit, das primäre System der Sprache in bezug auf seinen semanti- sehen Aufbau näher darzulegen, was in Kapitel 2 bereits teilweise erfolgt ist und an dieser Stelle fortgesetzt wird.

179

207 V g l.: W ygotski, Lew Semjonowitsch (1934): Denken und Sprechen. Nördlin- gen 1974*. S.122ff.

20״Barthes, Roland (1964): Elemente der Semiologie. Baden-Baden 1983. S.75.

Bei diesen Betrachtungen wird die Komponentenanalyse eingeführt, da sie sich zum einen für die semantische Beschreibung von Gegensätzen gut eignet und zum anderen einen dekomponierenden Ansatz liefert, der bei der Sprich- wortinterpretation notwendig ist, da sich die Sprichwortbedeutung aus den Bedeutungskomponenten der Sprichwortkonstituenten extrahieren lassen muß.

Dieser Ansatz erweist sich als plausibel, wenn man in die Betrachtungen miteinbezieht, daß neben der Kosituation ein Teil der essentiellen Informatio- nen fur die Sprichwortinterpretation durch die semantischen Einheiten des primären Zeichensystems dem Rezipienten zur Verfügung gestellt werden.

A uf einen solchen Zusammenhang der Wortsemantik und der Sprichwortse- mantik weisen einige Parömiologen in ihren Arbeiten hin.209

Vse, v tom čisle i samye složnye, vešči možno razložit’ na élementamye komponenty, t.e. na otdel’ nye priznaki, čislo kotorych sravnitel’ no neveli- ko i iz kotorych - putem različnoj ich kombinacii - skladyvaetsja vse beskonečnoe raznoobrazie mira realij. Esli sozdat’ "alfavit" neobchodi- mych priznakov (a éta zadača suščestvenno oblegčaetsja tem, čto vse oni v konečnom sčete gruppirujutsja vokrug nebol’ šogo čisla invariantnych par protivopostavlenij tipa "svoj-čužoj", "blizkij-dalekij", "dobryj-zloj", "um- n y j-g liip y j", "b o l’ šoj-m alyjn i. t.p.) i razrabotat* "grammatiku" ich sočeta- nija, to s pomošč’ju ograničennogo količestva ischodnych dannych možno budet polučit’ ljuboe čislo vsevozmožnych kombinacij, sootvetstvujuščich opredelennym veščam, i stroguju - bez perekreščivajuščichsja klassov - sistēmu ich klassifikacii.210

Permjakov erkennt somit den Ansatz der Komponentenanalyse als richtige Herangehensweise für die Sprichwortinterpretation an, doch muß an dieser Stelle darauf hingewiesen werden, daß die Hoffnung auf eine begrenzte Anzahl von Komponenten, aus denen sich alle Wortbedeutungen zusammen- setzen ließen, welcher Permjakov in dem Zitat von 1970 Ausdruck verleiht, heutzutage schon als verworfen gilt. Dieser Sachverhalt ändert allerdings nichts an der Adäquatheit der Methode für die Analyse von Sprichwörtern.

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209 V g l.: Permjakov, G rigorij L ’ vovič (1979b): Poslovicy i pogovorki narodov Vostoka. Moskva 1979. S.31-32.; Čerkasskij, M ark Abramovič (1968): "Versuch der Konstruktion eines funktionalen Modells eines speziellen semiotischen Systems.

(Sprichwörter und Aphorismen)". In: Grzybek (1984a): S.372.

210 Permjakov, G rigorij L ’ vovič (1970): Ot pogovorki do skazki. Moskva 1970.

S.30.

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Die Betrachtung der Wortsemantik ist auch für den zweiten Schwerpunkt des Kapitels - die semantischen Gegensätze - erforderlich und stellt dafür einen wichtigen Ausgangspunkt dar. Die Verbindung der Untersuchung von Sprichwörtern und semantischen Gegensätzen ergibt sich daraus, daß seman- tische Oppositionen, innerhalb derer semantische Gegensätze eine dominante Position einnehmen, ein bestimmendes Charakteristikum der Volksliteratur im allgemeinen sind. Die Dominanz des Denkens in Gegensätzen weisen Iva- nov/Toporov beispielsweise im Bereich slavischer Texte der alten Periode nach.211

Das Denken in Gegensätzen reduziert die Wahrnehmung der Realität in eindeutig voneinander unterscheidbare Einheiten, so daß der Umgang mit der differenzierten und dadurch "konfusen" Welt durch sprachliche M ittel verein- facht wird. Diesen klärenden Charakter besitzt auch das Sprichwort, da es in seiner Funktion als Modell einer Situation eindeutige Abgrenzungen der an der Situation beteiligten Objekte schaffen muß. Außerdem ergibt sich die Präferenz von polaren und nicht differenzierten Ausdrucksmitteln, wie Freid- hof anmerkt, allein schon aus der Kürze dieser folkloristischen Gattung.212 Die semantischen Gegensätze scheinen darüberhinaus durch ihre besondere Stellung im lexikalischen System die mnemotechnischen Qualitäten der Sprichworteinheit zu verbessern. Semantische Gegensätze können demzufolge als eine frequente Einheit im Sprichwort antizipiert werden.

Die lexikologischen Ansätze der Beschreibung von semantischen Gegensät- zen erweisen sich für die Sprichwortanalyse als unzureichend, da die seman- tisch gegensätzlichen Einheiten der metaphorischen Ebene in vielen Fällen auf der ersten denotativen Ebene durch Worte repräsentiert werden, die über den engen Rahmen der lexikologischen Antonymie hinausgehen. Folgende zwei Beispiel verdeutlichen dies:

Dlouhé vlasy, krátky rozum. (A26) 181

211 Ivanov, Vjačeslav Vsevolodovič; Toporov, Vladim ir Nikolaevič (1965): Slav- janskie jazykovye modelirujuščie semotičeskie sistemy. Moskva 1965.

212 Freidhof, Gerd (1988b): "Zum semantischen Gegensatz im polnischen Sprich- wort des 17.Jahrhunderts". In: Die russische Sprache im Vergleich zur polnischen und deutschen Sprache, (= Beiträge zur Slavistik, Bd. 10). Bajor, K . (Hrsg.). Frank- fu rt/M . 1988. S.63f.

Dieses Sprichwort enthält zwei Antonympaare, von denen das eine dlouhy- krátky auch von Lexikologen wie Hauser als semantischer Gegensatz geführt w ird.213 Vlasy-rozum vertritt bildlich den Gegensatz innen-außen und ist in dieser Anwendung antonym. Es würde und wird aber von dem enggefaßten Standpunkt Hausers aus nicht als solches eingestuft.

V

Povolnost pfátety rodi, a pravda nenávist plodi. (C84)

"Prítel" und "nenávist" vertreten vom Sinn her die semantische Gegensatz- opposition "Freund-Feind", doch werden sie lexikologisch nicht als semanti- sehe Gegensätze erfaßt. Für die Beschreibung der funktionalen Repräsentan- ten muß demzufolge ein weiterer Rahmen gefunden werden.

Die Betrachtungen zum semantischen Gegensatz erfordern streng genommen auch die Berücksichtigung von syntaktischen Ausdrucksmitteln der Kontra- diktion wie der Negation oder der adversativen Konjunktionen. Viele der semantischen Gegensätze im Sprichwort werden erst durch die A rt ihrer syntaktischen Einbindung als solche wahrgenommen. Dieser Aspekt bleibt jedoch im weiteren unberücksichtigt. Die Betrachtungen konzentrieren sich auf die lexikalisch vermittelten Gegensätze, wobei die syntaktischen Mittel bei der Interpretation mitberücksichtigt, systemisch allerdings nicht erfaßt werden. Eine Analyse von Sprichwörtern ohne Rückbezug auf die "syntak- tische" Semantik scheint vom wissenschaftlichen Standpunkt aus nicht ohne Probleme zu sein, doch stellt Tarlanov in seiner Studie zur Syntax russischer Sprichwörter fest, daß die semantischen Gegensätze hauptsächlich durch lexi- kalische M ittel ausgedrückt werden.

D lja vyraienija protivopostaviternych otnošenij ispol’ zujutsja razlićnye jazykovye sredstva, važnejšee mesto sredi kotorych prinadležit javleniju antonim ii vo vsem ее mnogoobrazii.214

Die Syntax wird auch im Bereich der Figuren nur erwähnt, obwohl Freidhof nachweisen konnte, daß sowohl Parallelismus als auch (wenn auch weit weniger häufig) Chiasmus in Verbindung mit den semantischen Gegensätzen

182

213 Hauser, Pfemysl (1978): Nauka o slovní zásobé. Praha 19802.

214 Tarlanov, Zam ir Kurbanovič (1982): Očerki po sintaksisu russkich poslovic.

Leningrad 1982. S.83

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produktive Erscheinungen sind.215 Die Verbindung zwischen den semanti- sehen Gegensätzen und der Sprichwortstruktur wird durch die Diskussion der unterschiedlichen Positionen Crépeaus und Permjakovs zu dieser Problematik hergestellt, wobei über das bloße Resümieren hinaus auch neue Aspekte mit eingebracht werden.

Das Kapitel geht auf meine unveröffentlichte Magisterarbeit zurück und berücksichtigt deshalb auch Sprichwörter, die empirisch nicht getestet wur- den. Als Materialgrundlage dienen die Sprichwortsammlungen von Josef Dobrovskÿ und František Ladislav éelakovskÿ216. Sie wird um das in der empirischen Arbeit dokumentierte Material ergänzt. In vielen Fällen können die neuen Daten zur Unterstützung oder Präzisierung der früheren Ergeb- nisse herangezogen werden. Schwerpunktmäßig werden die Sprichwörter berücksichtigt, die zum Sprichwort-Minimum zu zählen sind.

Das Material liegt nur kontextlos vor, so daß eine endgültige Sprichwort- interpretation, die nach Krikman eine Einbindung in einen Kontext erfordert, nicht möglich ist.217 Psycholinguistische Tests bestätigen hingegen, daß korrekte Interpretationen unbekannter und kontextloser Sprichwörter möglich sind.218

183

2Ii Freidhof, Gerd (1988b): a.a.O, passim, und ders.: (1988a): "Paronomasie und Sprichw ort". In: Gattungen in den slavischen Literaturen. Beiträge zu ihren Formen in der Geschichte. Festschrift fü r Alfred Rammelmeyer, (= Bausteine zur Geschichte der Literatur bei den Slaven, Bd. 32). Harder, Hans-Peter; Rothe, Hans (Hrsg.).

Köln 1988. passim.

216Dobrovskÿ, Josef (1804): Ćeskych pfísloví sbirka. In: ders.: Spisy a projevy.

Sv.X V II. M iroslav Hefman (Hrsg.) Praha 1963; Ôelakovskÿ, František Ladislav (1852): Mudroslovi slovanského národu ve pfíslovích. In: ders.: Dílo Františka Ladis- lava àelakovského. Sv.II. Karel Dvofák (Hrsg.). Praha 1949.

2,7Krikm an, A rvo (1984a): "On Denotative Indefiniteness o f Proverbs” . Prover- bium. 1(1984). S.51.

2,8 Bock, Kathryn J.; Brewer, W illiam F. (1980): "Comprehension and Memory o f the Literal and Figurative Meaning o f Proverbs". Journal o f Psycholinguistic Research. (1)1980. S.70.

6 .1 . Zum semantischen Gegensatz

Die Beschäftigung mit dem Problem des semantischen Gegensatzes sowohl im engeren linguistischen Sinn als auch im dieser Arbeit zugrundeliegenden weiteren Sinn erfordert eine Auseinandersetzung mit einer äußerst diffusen Terminologie. Begriffe wie Antonymie, Kontradiktion, Opposition, Komple- mentarität, Inkompatibilität, Kontrast, Binarität, Direktionalität, Orthogona- lität, Polarität, Dichotomie, Dualismus, Àquipollenz, Privativität usw. treten auf, werden aber von den einzelnen Autoren unterschiedlich definiert und verursachen dadurch Schwierigkeiten, die der Materie selbst nicht inhärent sind. Diese Begriffsstreuung verweist dennoch darauf, daß sich die Kategorie des Gegensatzes zumindest reger Erforschung erfreut und daß es verschiede- ne Ansätze ihrer Explikation gibt, die einer einheitlichen Beschreibung ent- gegenstehen.

• • _

Allen Autoren gemeinsam ist die Überzeugung, daß der Ausdruck von Ge- gensätzen eine elementare Funktion der Sprache ist. In welchem Abhängig- keitsVerhältnis hierbei die Sprache und das Denken stehen, scheint noch nicht vollständig erforscht zu sein:

T rie r selbst beginnt sein Hauptwerk (1931) m it der umstrittenen Behaup- tung, daß jedes W ort, das ausgesprochen w ird, sein Gegenteil im Bewußt- sein des Sprechers und Hörers hervorruft; (...) T rie r behauptet, (...) daß das Gegenteil in gewisser Weise im Geist des Sprechers und Hörers wäh- rend eines Äußerungsaktes gegenwärtig ist. (...) W ir können es anderen überlassen zu erforschen, ob die Neigung, in Gegenteilen zu denken, bzw.

die Erfahrung, aufgrund binärer Kontraste zu kategorisieren, eine univer- sale menschliche Neigung ist, die sich nur sekundär in der Sprache als eine Ursache widerspiegelt, die eine W irkung hervorruft, oder ob es die a p rio ri Existenz einer großen Anzahl von entgegengesetzten Paaren von Lexemen in unserer Muttersprache ist, die uns dazu veranlaßt, unsere Urteile und Erfahrungen zu dichotomisieren oder zu polarisieren. 219

Ivanov geht in seiner Beschäftigung mit dualistischen Zeichensystemen in der Mythologie, Mathematik, Sprache etc. soweit, diese Erscheinungen auf die Asymmetrie des Gehirns, d.h. die Unterteilung in eine dominante und eine

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219 Lyons, John (1977a): Semantik. B d .l. München 1980. S.281-282. V gl. hierzu auch: ders. (1968): Einfiihrung in die Linguistik. München 1984®. S.480-481.

•II

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nichtdominante Hemisphäre zurückzuführen. Er nimmt dies als Ursprung des dualistischen Prinzips an, wodurch das dualistische Denken eine physiologi- sehe Determinierung erhielte.220 Der Ansatz, daß Sprache auf der Basis von Dichotomien aufgebaut ist bzw. sein könnte, ist eine Grundidee des Strukturalismus. Das dualistische Prinzip gilt demnach nicht nur für die Lexik im allgemeinen und die Gegensätze im besonderen, sondern gerade für die Phonologie/Phonetik und Grammatik, wie dies Arbeiten von Trubeckoj und Jakobson verdeutlichen.221 Von den empirischen Wissenschaften konn- te die Dominanz des Denkens in Gegensätzen insoweit bestätigt werden, als Assoziationsexperimente eindeutig zeigen, daß ein bestimmter Wortstimulus in vielen Fällen seinen Antonympaarpartner als Reaktion hervorruft.222 Der Psycholinguist Slobin bestätigt dies, wenn er schreibt:

Die grundlegenden Operationen zum Erkennen von Sinnbezügen - von logischen und syntaktischen Beziehungen zwischen Wörtern - sind Gegen- Überstellung und Einordnung. Gegensatzbildung scheint zu den sprachli- chen Universalien zu gehören. Antonyme werden in allen Sprachen ver- wendet.223

Diese Position kann anhand einer Auswertung des Assoziationslexikons von Leont’ev in bezug auf das Verhältnis Stimulus : Reaktion-Antonympaarpart- ner bestätigt werden.224 Es zeigt sich nämlich, daß von den 69 Stimuli, die nach dem Antonymlexikon von L ’vov (1978) einen semantischen Gegensatz- partner haben, 33 diesen Partner als häufigste, 11 als zweithäufigste und

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220 V g l.: Ivanov, Vjačeslav Vsevolodovič (1978): Gerade und Ungerade: die Asymmetrie des Gehirns und der Zeichensysteme. Stuttgart 1983.

221 V g l.: Jakobson, Roman (1931): "Z u r Struktur des russischen Verbums". In:

Form und Sinn. München 1974. S.55-67.; Trubetskoy, Nikołaj Sergeevič (1939):

Grundzüge der Phonologie, (= Travaux du Cercle Linguistique de Prague, Bd. 7).

Prag 1939.

222 V g l.: Leont’ev, Aleksej Alekseevič (1977): Slovar’ associativnych norm russ-

222 V g l.: Leont’ev, Aleksej Alekseevič (1977): Slovar’ associativnych norm russ-

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