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Die hier vorgestellte Analyse macht diverse empirisch überprüfbare Voraus-sagen, die im Folgenden mit einigen Beispielen erläutert werden.31

Eine Voraussage betrifft phonetische Korrelate für phonemische Kontraste.

Die Annahme eines phonologischen Qualitätskontrasts in Fällen wie prahlen: prallenlässt signifikante qualitative Unterschiede zwischen diesen Vokalen er-warten. Insbesondere artikulatorische Studien bestätigen eine eher zentrali-sierte Artikulation des kurzen Vokals gegenüber einer mehr peripheren, weiter hinten gelegenen Artikulation des langen Vokals (vgl. Wängler 1964; Bohn 1992; Hoole 2002). Dieser spezifische Unterschied rührt an eine weitere Voraus-sage, nämlich dass proportionale Oppositionen ein konsistentes phonetisches Korrelat aufweisen sollten.32Die in (3a) gezeigten Messergebnisse zeigen dass eine stärker periphere versus stärker zentralisierte Artikulation ein plausibles phonetisches Korrelat für die phonologischen A:B-Kontraste sind. (Lindau 1978). Für die offenen Vokale ist dieses Korrelat am umstrittensten, lässt sich aber neben den artikulatorischen Studien auch in akustischen Studien bestä-tigen. Die Abbildung in (36) zeigt die dynamischen Verläufe von 25 % bis 75 % (Pfeilende) der beiden offenen Vokale wie in prallen (links) versus prahlen (rechts), gesprochen von 26 Sprecherinnen im Kielkorpus.33 Das Merkmal [+peripher] sagt eine größere Distanz der jeweiligen Vokale von einer berech-neten Zentralposition voraus, das Merkmal [−peripher] eine entsprechend kürzere Distanz. Diese Voraussage wird durch die spezifischen Längenunter-schiede der relevanten durch gepunktete Linien markierten Distanzen in (36)

der Abstraktheit sind dabei nicht erklärt. Schwebt ihm vor, dass aufgrund der „[ɐ]-Diphthonge“

das Vokalsystem zu verdoppeln ist? Wie ist es zu verstehen, dass er das Symbol [ɐ] in seinen Beispielwörtern verwendet, es aber nicht in sein Inventar der Monophthonge aufnimmt?

31 Ich danke den jetzigen und früheren MitarbeiterInnen im Projekt Wortphonologie am IDS Mannheim, Fabian Brackhane, Anja Geumann und Sandra Hansen-Morath, für die Durchfüh-rung und Auswertung der hier vorgestellten Messungen.

32 Hier stellt sich die wichtige Frage, auf welcher Basis sich die relevanten Oppositionsglieder einander zuordnen lassen. Aufschluss bieten hier regelhafte phonologisch bedingte Alterna-tionen wie etwa /ˈtibɛt/ <Tibet> – /tiˈbetɪʃ/ <tibetisch>, /ˈdæmɔn/ <Dämon> – /dæˈmonɪʃ/

<dämonisch>, die die Zuordnung der Vokale /ɛ/:/e/ und /ɔ/:/o/ stützen. Andere Evidenz für solche Zuordnungen zeigt sich in Abweichungen von strikter lautlicher Übereinstimmung in Assonanz- oder Reimmustern. So stützt etwa die Assonanz in <treffen> – <Lehrer> sowie

<Messer> – <Tränen> in Brentanos GedichtRomanzen vom Rosenkranzeebenfalls die Zuord-nung der Vokale /ɛ/:/e/, eventuell auch /ɛ/:/æ/ sofern Brentano /e/ und /æ/ unterscheidet.

33 Für weitere relevante Studien s. Hansen-Morath, Geumann & Raffelsiefen (2018).

bestätigt.34 Insgesamt wird die Annahme unterschiedlicher Vokalqualitäten durch die signifikant unterschiedlichen dynamischen Verläufe gestützt.

(36) Unterschiedliche dynamische Verläufe (25 %–75 %) der beiden offenen Vokale im Deutschen

Die Voraussagen der hier vorgestellten Analyse betreffen nicht nur die Kont-rast-, sondern auch die Aufhebungspositionen. So wird etwa erwartet, dass A-Vokale gegenüberB-Vokalen auch in Aufhebungspositionen qualitativ unter-schiedene Gruppen bilden, wobei für Dauer keinerlei Gruppenbildung voraus-gesagt wird. Die Ergebnisse einer hier relevanten Studie, basierend auf Deutsch-Heute-Daten, sind in (37) gezeigt. Die grünen Markierungen in der Formantenkarte in (37a) markieren die Positionen hinterer mittlerer Vokale in offenen unbetonten Silben (z. B.Áut[O],K[O]píe), während die blauen Markie-rungen die Positionen der entsprechenden Oppositionsglieder in geschlosse-nen unbetonten Silben markieren (z. B. [O]któber,Poseid[O]n). Es zeigt sich je-weils eine Gruppenbildung, wobei offene Silben (Áut[O], K[O]píe) mit mehr peripheren und geschlossene Silben ([O]któber,Poseid[O]n) mit eher zentrali-sierten Positionen einhergehen. Wichtig ist nun, dass sich für die jeweiligen Vokaldauern keine solche Gruppenbildung zeigt (vgl. (37b)). Stattdessen ist die Dauer ausschließlich von der Position des Vokals innerhalb der prosodischen Struktur determiniert.

34Der große Punkt links oben markiert die berechnete Zentralposition, die Distanzen bezie-hen sich auf die 50-Prozent-Marken der jeweiligen Vokalverläufe.

(37) a. Vokalqualitäten in Aufhebungspositionen

(Aufhebungspositionen: unbetonte offene versus geschlossene Silben)

b. Vokaldauern in Aufhebungspositionen

(Aufhebungspositionen: unbetonte offene versus geschlossene Silben)

Die Dauerunterschiede in (37b) weisen auf eine weitere Voraussage hinsichtlich der phonetischen Realisation von Phonemen in unterschiedlichen Kontexten.

Hier wird erwartet, dass dieselben Phoneme in unterschiedlichen Kontexten durchaus unterschiedlich realisiert werden, wobei die fraglichen Unterschiede

durch den Kontext determiniert sind. So wird längere Vokaldauer in Kopffüßen gegenüber anderen Füßen erwartet, ebenso stärkere Glottalisierung oder Aspi-ration in fußinitialer Position im Vergleich zu unbetonten Silben.

Die in (37) gezeigten Ergebnisse passen zu Ergebnissen weiterer Studien zu Paradigmenuniformitätseffekten, basierend auf einem eigens erstellten Korpus von 20 Sprechern. Unter der Annahme, dass Korrespondenzbeschränkungen immer nur auf phonemische Struktur Zugriff haben können, wird vorausge-sagt, dass qualitätsbezogene Paradigmenuniformitätseffekte im Deutschen existieren können, quantitätsbezogene hingegen nicht. Die erste Voraussage wird in den Messungen der Vokale in (38) bestätigt. Das <i> in der Pluralform Yetiszeigt die gleichen Formantenwerte wie das <i> in der dazugehörigen Sin-gularformYeti, nicht wie das <i> ingratis. Ähnliche Effekte zeigen sich auch für die mit <a> geschriebenen Vokale in PluralOmas, SingularOmaund der VergleichsformThomas.35

(38) Beeinflussung von Vokalqualität durch Korrespondenzbeschränkungen a.

35Paradigmenuniformitätseffekte sind nicht unbedingt so kategorisch wie in (38), sondern zeigen sich oft nur in bestimmten systematischen Abweichungen von Vergleichsformen.

b.

Die Daten in (39) zeigen die völlige Abwesenheit vergleichbarer Paradigmen-uniformitätseffekte für die Vokaldauer. Das betonte <a> inPlatoist relativ lang.

Das <a> inplatonischscheint von der Länge dieses korrespondierenden Vokals aber vollkommen unbeeinflusst und ist nicht länger als das <a> in der ersten Silbe in der VergleichsformPlatane. Ein ähnlicher Mangel an paradigmatischer Beeinflussung der <a>-Dauern lässt sich auch in (39b) beobachten.36

(39) Keine Beeinflussung von Vokaldauer durch Korrespondenzbeschrän-kungen

a.

36 Für weitere Analysen dieser Art, s. Raffelsiefen (2016). Dort werden u. a. die Abwesenheit von Paradigmenuniformitätseffekten für phonetische Realisationserscheinungen wie Auslaut-verhärtung, /ʀ/-Vokalisierung, und der [ç]-[x]-Allophonie im Deutschen behandelt.

b.

Paradigmenuniformitätseffekte werden auch für phonemische Struktur nicht zwangsläufig erwartet, da übergeordnete Markiertheitsbeschränkungen phone-mische Alternationen verursachen können (z. B.Tib/ɛ/tTib/e/ter). Die strikte Voraussage betrifft die notwendige Abwesenheit solcher Effekte mit Bezug auf subphonemische Lautstruktur.