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Emotionen, Anspannung, Motivation

Im Dokument Masterarbeit. Pacing im Level Design (Seite 41-44)

5. Performatives Pacing

5.2. Emotionen, Anspannung, Motivation

Zum beobachtbaren Verhalten einer Spielerin gehören neben ihren Aktionen auch die Emotionen und Gemütsverfassungen, die sie durch Mimik und Gestik ausdrückt. Durch Spiele können unterschiedliche Emotionen in der Spielerin ausgelöst werden. Dies ist aber ein individueller Vorgang, da jeder Mensch unterschiedlich mit Emotionen umgeht und die Intensität und Art der Emotion im gleichen Dispositiv zwischen verschiedenen Menschen variiert. Empfindet eine Person Ekel und Furcht vor einer Spiel-szene, so empfindet eine andere diese möglicherweise als harmlos oder lustig. Deshalb können Spiele-Designerinnen ausgelöste Emotionen in den Spielerinnen lediglich intendieren und versuchen, diese durch verschiedene Methoden – bspw. bestimmte audiovisuelle Reize oder narrative Events (siehe auch Kapitel 6, Kapitel 7 und Kapitel 8) – hervorzurufen, aber nicht hundertprozentig planen.

Dennoch ist das Planen einer emotionalen Variation im Spiel wichtig, da eine einzige Emotion bei der Spielerin über einen längeren Zeitraum zu Langeweile führen kann. Wie bei anderen Aspekten auch, bspw. der Action-Intensität, müssen sich die Emotionen über die Zeit abwechseln, um eine interes-sante und immer frische Erfahrung aufrechtzuerhalten.149

Rogers zufolge gibt es eine Pacing-Technik, nach der alle fünfzehn bis zwanzig Minuten die Emotionen der Spielerin geändert werden.150 Diese Pacing-Methode ließe sich durch unterschiedliche Pacing-As-pekte durchführen: Das narrative Pacing (siehe Kapitel 6) könnte bspw. im Zusammenhang mit dem visuellen und auditiven Pacing (siehe Kapitel 7 und 8) verschiedene Emotionen erzeugen und diese in dem zeitlichen Abstand von fünfzehn bis zwanzig Minuten ändern. Aber auch hier tritt die Frage auf, wie in Spielen die Zeit gemessen wird, die im Gegensatz zu Spielen wie Beat Saber (2018), bei dem ein Lied eine vorgegebene Zeitdauer hat, keinen strikten zeitlich immer-gleichen Ablauf haben. Denn was für die eine Spielerin fünfzehn Minuten dauert, kann bei der nächsten eine komplett andere Zeitdauer haben, sofern es keine zeitlichen Vorgaben in diesem Spielabschnitt gibt.

Ein mit Emotionen bzw. Gemütsverfassungen einhergehender Zustand ist die Spannung. Spannung, nicht im Sinne des literarischen Mittels (Spannungsbögen werden im Kapitel 6 besprochen), sondern im Sinne von Stress, ist die mentale Anspannung, die in der Spielerin durch eine Gefahr im Spiel erzeugt wird, bei dem Versuch in der virtuellen Welt zu überleben oder Ziele im Spiel zu verfolgen. Ist die Ge-fahr unbekannt, so sollten der Spielerin jedoch ihre potenziellen Konsequenzen gezeigt werden. Aber auch eine bekannte Gefahr kann Spannung erzeugen, wie es bspw. in Stealth Games genutzt wird:

Anstelle der Angst vor dem Unbekannten wird hier Angst vor der Entdeckung durch die Gegner er-zeugt.151

147 vgl. Feil und Scattergood, Beginning Game Level Design, 14.

148 vgl. Kremers, Level Design: Concept, Theory, and Practice, 264.

149 vgl. Sylvester, Designing Games, 37.

150 vgl. Rogers, Level Up! The Guide to Great Video Game Design, 234.

151 vgl. Davies, „Examining Game Pace: How Single-Player Levels Tick“, 2.

42 Spannung kann im Level Design genutzt werden, um das performative Pacing zu beeinflussen: Wenn die Spielerin auf eine Gefahr trifft, erhöht dies ihre Spannung, und wenn diese hoch ist, hat die Spiele-rin Schwierigkeiten damit, Konsequenzen abwägen und Situationen richtig zu beurteilen. Ein Indikator für eine hohe Spannung ist die Tendenz der Spielerin, die Bewegungsfrequenz zu verringern oder zu stoppen. In Kampfsituationen mit einer hohen Spannung ist auch die Treffsicherheit beeinträchtigt;

zusätzlich ist es auch unwahrscheinlicher, dass die Spielerin eine geeignete Waffe auswählt. In Kampfsi-tuationen mit einer niedrigen Spannung ist es hingegen wahrscheinlich, dass sie sich eine Waffe her-aussucht, mit der sie einen Vorteil über die Situation erlangt.152 Das performative Pacing hängt auch von den Herausforderungen im Level ab, denn wenn eine Herausforderung nicht schwer ist und die Spannung niedrig ist, so wird die Spielerin sich ohne Angst vor Konsequenzen durch den Level bewegen und z.B. nicht nach Deckungen suchen.153

Ein Versuch, das Spielerlebnis im Verlauf der Zeit abzubilden, kann in Abb. 15 anhand der Motivations-kurve für das Spiel Mirror‘s Edge (2008), welche in PC-Games erschienen ist,154 gesehen werden. Hier-bei wurde versucht, die Motivation seitens der Spielerin (vertikale Achse) über den Spielverlauf (ange-geben in Stunden auf der horizontalen Achse) zu quantifizieren und festzuhalten, um anschließend einen Durchschnittswert – in der Abbildung wäre es die 82 in der unteren Ecke rechts – der Motivation zu berechnen, wodurch die Zeitschrift verschiedene Spiele anhand der Motivation miteinander ver-gleichbar macht. Da die Motivation als Teil der Performanz der Spielerin vom Spielerlebnis abhängt, geht es bei dieser Kurve um das Pacing eines Erlebnisses.

152 vgl. Hullett, The Science of Level Design: Design Patterns and Analysis of Player Behavior in First-Person Shooter Levels, 137.

153 vgl. Hullett, 138.

154 vgl. Felix Schütz, „Mirror’s Edge-Test: Mit Faith über den Dächern der Großstadt“, PC GAMES, 13. Januar 2009, https://www.pcgames.de/Mirrors-Edge-Spiel-4510/Tests/Mirrors-Edge-Test-672797/.

Abbildung 15: Motivation in Mirrors Edge (https://www.pcgames.de/Mirrors-Edge-Spiel-4510/Tests/Mirrors-Edge-Test-672797/7/)

43 Die Motivationskurve ist dabei im Ansatz ähnlich zur Interest Curve nach Jesse Schell (siehe Abb. 16).

Diese beschreibt, wie das Interesse der Spielerin am Spiel über den Verlauf variiert (Punkte A-H). Das Interesse hängt neben der der Einstellung der Spielerin auch von den Event-Intensitäten im Spiel ab.155

Bei diesen Notationsformen wie auch bei den in Kapitel 4 aufgeführten Timeline-Notationsformen der Kampf-Aktivitätskurve und der Intensitätskurve fällt auf, dass bei allen die horizontale Achse die Zeit darstellt, die vertikale Achse hingegen ein unterschiedlicher Faktor (Motivation, Intensität, Kampf-Ak-tivität, Impact, etc.) ist. Während die Zeit eine objektiv messbare Größe ist, sind die anderen Faktoren meist vage und nicht direkt messbar, da sie Begriffe sind, die eine Erfahrung der Spielerin beschreiben und damit eine subjektive Größe darstellen. Aus den subjektiven Begriffen können auch spezifische Messgrößen abgeleitet werden; z.B. ließe sich im Zusammenhang mit der Spannung die Pulsfrequenz oder der Blutdruck der Spielerin während des Spielens messen. Jedoch bliebe trotzdem die Frage be-stehen, was das jeweilige Diagramm eigentlich genau beschreibt. Ist es eine Eigenschaft des Spiels, eines typischen individuellen Spielerverlaufs oder jedes Verlaufs? Und wenn letzteres der Fall wäre, wieso könnte man davon ausgehen, dass das Spielerlebnis bei zwei verschiedenen Spielerinnen den-noch ähnlich verläuft, insbesondere, wenn davon auszugehen ist, dass sie verschiedene Vorerfahrun-gen und Fähigkeiten haben? Und was passiert, wenn die eine Spielerin an einer Stelle im Spiel andere Emotionen oder eine Emotion intensiver erlebt als die andere? Wie soll daher mit diesen Diagrammen umgegangen werden?

In der Literaturwissenschaft gibt es den vor allem von Wolfgang Iser geprägten Begriff des „impliziten Lesers“156, der als grundlegendes wirkungsästhetisches Konzept die im Akt des Lesens zu realisierende Leserolle eines literarischen Textes bezeichnet: „Das Konzept des impliziten Lesers ist ein transzenden-tales Modell, durch das sich allgemeine Wirkungsstrukturen fiktionaler Texte beschreiben lassen. Es meint die im Text ausmachbare Leserrolle, die aus einer Textstruktur und einer Aktstruktur besteht."157 Der implizite Leser besitzt dabei „keine reale Existenz, denn er verkörpert die Gesamtheit der

155 vgl. Jesse Schell, The Art of Game Design: A Book of Lenses (Amsterdam; Boston: Elsevier/Morgan Kaufmann, 2008), 247 ff.

156 vgl. Wolfgang Iser, Der Akt des Lesens. Theorie ästhetischer Wirkung, 4. Aufl. (München: Fink (UTB), 1994), 50 ff.

157 Iser, 66.

Abbildung 16: Interest Curve (Schell. 2008, 248)

44 Vororientierungen, die ein fiktionaler Text seinen möglichen Lesern als Rezeptionsbedingungen anbie-tet.“158 Wenn davon ausgegangen werden kann, dass der Leser der Rezipient eines literarischen Textes ist, so ist analog dazu die Spielerin die Rezipientin eines Spiels. Damit ließe sich das Konzept des impli-ziten Lesers auch auf die Spielerin übertragen, wodurch bei Spielen von einer impliimpli-ziten Spielerin, d.h.

der von den Entwicklerinnen beim Konzeptionieren und Kreieren des Spiels grundsätzlich mitgedach-ten und miteinbezogenen möglichen Spielerin, ausgegangen werden könnte.

Die Übertragung des Konzept des impliziten Lesers auf die implizite Spielerin ergibt auch deshalb Sinn, weil Iser folgendes sagt: „Wenn wir davon ausgehen, daß Texte erst im Gelesenwerden ihre Realität gewinnen, so heißt dies, daß dem Verfaßtsein der Texte Aktualisierungsbedingungen eingezeichnet sein müssen, die es erlauben, den Sinn des Textes im Rezeptionsbewußtsein des Empfängers zu kon-stituieren.“159 Auch Spiele gewinnen erst im Gespielt-werden ihre Realität, sogar mehr noch als litera-rische Texte, die zumindest in ihrer Materialität bereits vor dem Gelesen-werden auf dem Papier ste-hen, wohingegen aus der Materialität des Programmcodes noch lange nicht der Spielverlauf ersichtlich wird. Das angezeigte Bild in einem Computerspiel wird meistens auch erst in Echtzeit berechnet und gerendert, was ein weiteres Indiz für diese These darstellt. Dadurch, dass die Spielerin von essenzieller Bedeutung für die Realität des Spiels ist, müssen die Entwicklerinnen sie schon in der Konzeptionierung und im Verlauf des Entwicklungsprozesses mitbedenken. Der Programmcode ist dabei auf eine impli-zite Spielerin zugeschnitten, bzw. auf mehrere, wenn sich bspw. der Schwierigkeitsgrad im Spiel ein-stellen lässt, denn das heißt, dass die Entwicklerinnen verschiedene implizite Spielerinnen, mit jeweils einem unterschiedlichen Grad an Fähigkeiten, im Spieldesign mitberücksichtigt haben.

Überträgt man also das Konzept des impliziten Lesers auf Computerspiele und überführt den Begriff in die Game Studies, so würden sich die Pacing-Kurven in den verschiedenen Diagrammen auf die impli-zite Spielerin beziehen lassen. Deshalb soll auch in der weiteren Betrachtung bei Notationsformen, die über die Zeit abgetragen werden, von der impliziten Spielerin ausgegangen werden, wenn nicht explizit auf eine andere Methodik hingewiesen wird.

Im Dokument Masterarbeit. Pacing im Level Design (Seite 41-44)