• Keine Ergebnisse gefunden

2.4 Rückgratmodifikationen

2.4.2 Elektroneutrale Rückgratmodifikationen

Ein anderer Ansatz für die Konzeption modifizierter Internucleotidbrücken besteht darin, die negative Ladung zu eliminieren, ohne dabei die Phosphatdiestereinheit komplett zu ersetzen. Der ausgeprägt anionische Charakter der unmodifizierten Nucleinsäuren verhindert deren Diffusion durch die Zellmembran. Auch die zelluläre Aufnahme von ON, die über Rezeptor-vermittelte, adsorptive Endocytose verläuft, ist schwach ausgeprägt und strukturspezifisch.[69] Daher wurden zahlreiche

elektroneutrale Internucleotidbrücken konzipiert, um die Bioverfügbarkeit der Oligonucleotide zu verbessern.[70] Abgesehen von eher anwendungsbezogenen Arbeiten sind auch Untersuchungen an elektroneutralen Internucleotidbrücken durchgeführt worden, um die Relevanz der negativen Ladung für die physikochemischen Eigenschaften der Nucleinsäuren einschätzen zu können. Die bereits Ende der 1970er Jahre synthetisierten uniformen Methylphosphonate 32 (Abb. 2.9) – damals noch zu potentiellen bioanalytischen Zwecken – wiesen im Vergleich zu natürlichen Nucleinsäuren eine wesentlich geringere Löslichkeit in Wasser auf.[71] Zudem konnte anhand der Röntgenstrukturanalyse von Methylphosphonat-modifizierten Dinucleotideinheiten gezeigt werden, dass die Hydrathülle der Methylphosphonateinheiten stark verzerrt ist.[72-73] Ähnliche Phänomene wurden auch bei den gründlich untersuchten Dimethylensulfonen 33 (Abb. 2.9) beobachtet. Des Weiteren wurde gezeigt, dass die Löslichkeit uniformer Dimethylensulfon-modifizierter ON von ihrer Primärstruktur abhängig ist. Dies steht im Gegensatz zu Nucleinsäuren, deren physikalische Eigenschaften (Wasserlöslichkeit, Basenpaarung, Geschwindigkeit in der Gelelektrophorese) bei gleicher Länge nahezu sequenzunabhängig sind.[23]

Abb. 2.9: Elektroneutrale Rückgratmodifikationen 32-35.

Auch das Aggregationsverhalten der uniformen elektroneutralen Dimethylensulfone 33 (Abb. 2.9) unterscheidet sich deutlich von demjenigen natürlicher Nucleinsäuren.

Oligomere von acht oder mehr Monomeren tendieren zur Bildung sehr stabiler Sekundärstrukturen durch Faltung und nicht durch Hybridisierung mit komplementären Strängen.[23] Dies geschieht auch dann, wenn die Basensequenz

α β

nicht auf eine Bildung von Haarnadel-Strukturen schließen lässt. Werden dagegen neutrale Modifikationen unter Beibehaltung des Phosphatdiesters vereinzelt in Nucleinsäure-Duplices eingeführt, resultiert fast ausschließlich eine Duplex-Destabilisierung.[28] Eine weitere interessante Rückgratmodifikation, in der die negative Ladung unter Erhalt der Phosphatdiestereinheit eliminiert wurde, ist die α,β-D-CNA (dioxaphosphorinan constrained nucleic acids). Durch die Einführung einer Ethyleneinheit, die das C-5’-Atom mit einem Sauerstoffatom der Phosphatdiestereinheit verknüpft, konnten zwei konformationell eingeschränkte und ungeladene Internucleotidbrücken unterschiedlicher Konfiguration (RC5'/Sp 34 und SC5'/Rp 35, Abb. 2.9) erhalten werden.[74] Auf diese Weise wurden die Torsionswinkel α (P-O-Bindung, Abb. 2.9) und β (5’-C-O-Bindung, Abb. 2.9) entsprechend der jeweiligen Geometrie der Phosphatdiestereinheit festgelegt. Die RC5'/Sp Einheit 34 wurde als „kanonisch“ bezeichnet, da sie die Phosphatdiestereinheit in der gauche (-)-Konformation (g-) festlegt, die auch in gewöhnlichen A- und B-Helixformen unmodifizierter Nucleinsäuren vorliegt. Die Einführung einer einzigen Modifikation dieses Typs ergab im Fall von DNA/DNA-Duplices (9mer) eine deutliche (ΔTm = +2.9 bis +5.9 °C/Mod) und im Fall von DNA/RNA-Duplices (9mer) eine geringe Erhöhung (ΔTm = +0.9 °C/Mod.) der thermischen Stabilität.[74-75] Im Gegensatz dazu wurden sowohl DNA/DNA- als auch DNA/RNA-Duplices durch die Einführung einer „nicht-kanonischen“ SC5'/Rp-Einheit 35 (g+-Konformation) deutlich destabilisiert (ΔTm = -9.0 bzw. -6.1 °C).[74-75] Anhand von einem 3D-Strukturmodell und CD-spektroskopischen Untersuchungen konnte bestätigt werden, dass die „kanonische“ D-CNA bei der Hybridisierung keine signifikante Veränderung der Torsionswinkel herbeiführt und insbesondere mit der B-Helixform kompatibel ist, während die „nicht-kanonische“

D-CNA strukturelle Verzerrungen verursacht, die auch bei Interaktionen der Nucleinsäuren mit Proteinen beobachtet werden.[74] Außerdem stabilisiert die nicht-kanonische D-CNA-Modifikation Haarnadelstrukturen beträchtlich (ΔTm = +7.4 °C), sofern sie in der loop-Region lokalisiert ist.[75]

Es sind vermehrt auch neutrale Internucleotidbrücken untersucht worden, in denen eine komplette Ersetzung der Phosphatdiestereinheit vorgenommen wurde. Einer der wichtigsten Repräsentanten dieser Klasse sind die von de Mesmaeker entwickelten Amid-Verbrückungen 36-38 (Abb. 2.10).[76] Sie gehören zu den punktuellen Rückgrat-Modifikationen, deren Einbau durch Einfügen von Amid-verknüpften Nucleosid-Dimeren in eine Nucleotidsequenz mittels festphasengestützter

ON-Synthese möglich ist. Innerhalb einer solchen Sequenz liegen demnach alternierende Phosphatdiester- und Amidbrücken vor. Die Hauptgründe für die intensiven Untersuchungen dieser Variante der Verbrückung sind neben deren Elektroneutralität die Nicht-Stereogenität und der ausgesprochen hohe Grad an Inertheit gegenüber Hydrolyse (Nuclease-Abbau). Der Einfluss der Amid-Verbrückung auf die thermische Stabilität der DNA/RNA-Hybride ist insbesondere von der Position der Amidbindung innerhalb der Verbrückung abhängig.[76-78] Die besten Resultate hinsichtlich der Duplexstabilität mit komplementären RNA-Strängen wurden erzielt, wenn die Amidbindung in der Mitte der Verbrückung (Abb. 2.10 Struktur 36) angeordnet war (ΔTm = +0.5 bis +3 °C/Mod.).[76] Als Begründung hierfür wurde eine durch die Amidbindung induzierte Vorzugskonformation (3’-endo) der Riboseeinheit diskutiert.[78] Die Vorzugskonformation rührt daher, dass die hinsichtlich der Rotation eingeschränkte Amidbindung bevorzugt in der trans-Konformation vorliegt und die Torsionswinkel der anderen Bindungen der Verbrückung verzerrt. Dies wurde anhand von molekularmechanischen Simulationen bestätigt.[76] Die dadurch erzeugte Geometrie der (Desoxy-)Riboseeinheit (3’-endo) ist vorteilhaft für die Hybridisierung im Sinne einer A-Helix. Dazu passt auch der Befund, dass modifizierte DNA/RNA-Duplices durch die Modifikation 36 stabilisiert und DNA/DNA-Duplices destabilisiert wurden.[77] Andere Positionen der Amidbindung 37 und 38 (Abb. 2.10) führten hingegen in den meisten Fällen zu einer Destabilisierung (ΔTm = -0.5 bis -2.9 °C/Mod.) von DNA/DNA- und von DNA/RNA-Duplices.[78-79]

Abb. 2.10: Amidmodifikationen 36-38 nach De Mesmaeker.

Dieser Sachverhalt wurde ebenfalls anhand der Vorzugskonformationen der Internucleosidbrücken 37 und 38 begründet.[78-79] Substitutionen von Phosphateinheiten durch Amide wurden auch an RNA/RNA-Doppelsträngen durchgeführt. Überraschenderweise traten selbst bei der Substitution von zehn Phosphateinheiten durch Amide in einem 26mer nur geringfügige Veränderungen der physikochemischen Eigenschaften wie Hydratation, Duplexstabilität (ΔTm = -0.5 °C/Mod.) oder Geometrie auf.[80] Insgesamt wird also deutlich, dass bei singulären oder alternierenden elektroneutralen Brücken-Modifikationen die Auswirkung der Vorzugskonformation über den elektrostatischen Effekt dominiert.

Ein uniform ungeladenes Rückgrat führt hingegen zu Eigenschaften des Biopolymers, die für Proteine typisch sind.