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Einordnung der Erkenntnisse in den aktuell laufenden politischen Prozess zum Stromverbundziel

3 Ausgestaltung eines europäischen Stromverbundziels

3.3 Einordnung der Erkenntnisse in den aktuell laufenden politischen Prozess zum Stromverbundziel

3.3.1 Stellung der von der EU-Kommission berufenen Expertengruppe

Die EU-Kommission hat im Jahr 2016 eine Expertengruppe einberufen (vgl. Abschnitt 3.1), die sie bei der Spezifizierung des Stromverbundziels für das Jahr 2030 unterstützen soll.

Ergebnisse der Arbeit der Gruppe sind in einem Abschlussbericht [12] veröffentlicht. Die nach unserem Verständnis wesentlichen Erkenntnisse werden im Folgenden kurz dargestellt:

• Die aktuelle Definition des Stromverbundziels für das Jahr 2020 war bei dessen Ein-führung 2002 ein guter Ausgangspunkt zur Stärkung des EU-Strombinnenmarktes.

Die Definition des aktuellen Stromverbundziels reflektiert allerdings eine im Ver-gleich zu heute grundlegend andere Struktur der Stromversorgung. Aus diesem Grund sieht die Expertengruppe es als erforderlich an, einen neuen Ansatz zur Bewertung des Stromverbundziels zu entwickeln. Diese sollte das Ziel der Wohlfahrtsmaximierung

im Strombinnenmarkt unterstützen und die neuen Anforderungen an die europäische Stromversorgung bis zum Zieljahr 2030, besonders der Integration von EE, adressie-ren.

• Für die Ausgestaltung eines neuen Stromverbundziels reicht nach Meinung der Exper-tengruppe ein einzelner Indikator nicht mehr aus. Daher werden drei Indikatoren vor-geschlagen. Der erste Indikator ist als absolute Größe in Form der durchschnittlichen jährlichen Preisdifferenzen zwischen relevanten Ländern, Regionen oder Gebotszonen definiert. Als Schwellenwert für die Untersuchung einer stärkeren Vernetzung schlägt die Expertengruppe eine Preisdifferenz von 2 €/MWh vor. Liegen die durchschnittli-chen jährlidurchschnittli-chen Preisdifferenzen zwisdurchschnittli-chen Gebotszonen über diesem Wert, sollen ge-botszonenüberschreitende Netzausbaumaßnahmen untersucht werden. Die beiden wei-teren Indikatoren bilden neue Definitionen für den Stromverbundgrad ab. Ersterer setzt sich je Mitgliedstaat aus dem Verhältnis zwischen thermischer Übertragungska-pazität und Jahreshöchstlast zusammen. Zweiter ist je Mitgliedstaat als thermische Übertragungskapazität bezogen auf die gesamte installierte Leistung der EE-Anlagen definiert. Für diese beiden Indikatoren ist die Vorgabe eines pauschalen Zielwerts von 15%, wie ursprünglich als Stromverbundziel für 2030 angedacht, nicht mehr angemes-sen. Statt eines festen Zielwerts schlägt die Expertengruppe eine jährliche Überprü-fung der Indikatoren anhand von verschiedenen mit Schwellenwerten hinterlegten Stu-fen durch ENTSO-E vor. So sollen Mitgliedstaaten umgehend Investitionen in den grenzüberschreitenden Ausbau der Stromnetze anstoßen, falls sie einen Schwellenwert in Höhe von 30 % unterschreiten. Dabei muss jedes Projekt, das zu einer Verbesse-rung des betroffenen Indikators führt, die Aufnahme in den TYNDP und die nächste PCI-Liste beantragen. Liegt einer der beiden Indikatoren zwischen 30 % und 60 %, ist der jeweilige Mitgliedstaat aufgefordert, regelmäßig mögliche grenzüberschreitende Netzausbaumaßnahmen zu untersuchen. Diese Maßnahmen sollten dann die Aufnah-me in den TYNDP und die nächste PCI-Liste beantragen.

• Alle Investitionsmaßnahmen sind in einer Kosten-Nutzen-Analyse zu analysieren. Es sollen nur Maßnahmen umgesetzt werden, bei denen der Nutzen die Kosten übersteigt.

• Die vorgeschlagene Herangehensweise zur Bemessung des Stromverbundziels (Indi-katoren und Schwellenwerte) soll in regelmäßigen Abständen, spätestens aber in fünf Jahren, überprüft werden.

3.3.2 Aktueller Stand zur Governance-Verordnung

Im Prozess der Verabschiedung einer neuen Governance-Verordnung wird auch das Strom-verbundziel für das Zieljahr 2030 in die Verordnungen integriert. Dabei soll im Rahmen der Ausgestaltung der Nationalen Pläne für Energie und Klima in Artikel 4 d (1) festgelegt wer-den, mit welcher Methode die jeweiligen Mitgliedstaaten das vorgegebene Stromverbundziel von mindestens 15 % im Zieljahr 2030 erfüllen [14]. Der Europäische Rat hat dazu eine Änderung [19] vorgeschlagen, die als Spezifikation der zu verwendenden Methode vorsieht, dass eine Strategie zur Zielwertfestlegung ab 2021 in enger Zusammenarbeit mit den be-troffenen Mitgliedstaaten erarbeitet wird, wobei die Dringlichkeit anhand von den drei aus dem Vorschlag der Expertengruppe entnommenen Indikatoren (vgl. Abschnitt 3.3.2) beurteilt wird. Als Schwellenwerte sollen für durchschnittliche Preisdifferenzen die 2 €/MWh und für die beiden Verbundgradindikatoren die untere Grenze von 30 % gelten. Weiterhin wird expli-zit für jede neue Verbindungsleitung ein positives Ergebnis einer Kosten-Nutzen-Analyse gefordert. In Artikel 21, der die Berichtserstattung zum EU-Binnenmarkt behandelt, ist in Abs. 1 a das mitgliedstaatsscharfe Maß der Verbundfähigkeit der Stromnetze in Bezug auf das vorgegebene Stromverbundziel in Höhe von 15 % gefordert [14]. Hierzu hat der Rat ebenfalls eine Änderung [19] vorgeschlagen, die zusätzlich den Bericht über die Ausprägung der jewei-lig berechneten Indikatoren und die Maßnahmen zur Umsetzung der abgestimmten Strategie zur Erreichung des angestrebten Maßes der Verbundfähigkeit der Stromnetze vorsieht.

3.3.3 Bewertung

Jede Art von politisch vereinbartem und damit nur abstrakt definiertem Verbundziel ist mit einer detaillierten Untersuchung der energiewirtschaftlich-technischen Notwendigkeit von Netzausbau unvereinbar. Insofern sollten Verbundziele vor allem als Erst-Indikatoren für möglichen Netzausbaubedarf dienen und die Durchsetzung eng mit den bestehenden und ggf.

zu optimierenden (vgl. Abschnitt 5.1) Prozessen zur europäischen Netzentwicklung (z.B. über den Ten-Year-Network-Development-Plan (TYNDP)) und den Projekten von gemeinschaftli-chem Interesse (PCI) verzahnt werden.

Die Schlussfolgerungen der Expertengruppe sind vor diesem Hintergrund im Grundsatz zu unterstützen. Die Notwendigkeit einer Anpassung des Stromverbundziels wird auch von der Expertengruppe gesehen. Die vorgeschlagenen Indikatoren erscheinen zumindest im Sinne erster Hinweise für die Beurteilung möglichen Austauschbedarfs nachvollziehbar.

Gleichzei-tig würde durch die Forderung nach einer positiven Kosten-Nutzen-Analyse sichergestellt, dass nicht zur Umsetzung eines übergeordneten Verbundziels energiewirtschaftlich unsinnige Investitionen vorgenommen werden.

Verschiedene Elemente dieser Vorschläge finden sich auch in der Ratsposition zur Gover-nance-Verordnung aus dem Clean Energy Package wieder. Allerdings hält dieser Entwurf weiterhin auch an einem Verbundziel von 15% fest, das offensichtlich wie in der Vergangen-heit definiert ist. Die weiteren Indikatoren und die Anforderung einer positiven Kosten-Nutzen-Analyse werden zwar erwähnt, es erscheint aber unklar, ob z. B. aufgrund Nichterrei-chung der Indikatoren oder negativer Kosten-Nutzen-Analyse das 15%-Ziel auch unterschrit-ten werden kann. Falls nicht, wäre das insbesondere vor dem Hintergrund der auch von der Expertengruppe anerkannten veränderten Situation am europäischen Strommarkt und daraus resultierender fehlender Zielgenauigkeit der Definition des Verbundgrades fragwürdig.