• Keine Ergebnisse gefunden

3 Ausgestaltung eines europäischen Stromverbundziels

3.2 Ausgestaltung eines EU-weiten Stromverbundziels

3.2.2 Vorgehen zur Ausgestaltung

3.2.3.2 Denkanstöße zur grundlegenden Neugestaltung

Die Herangehensweise zur grundlegenden Neugestaltung eines Stromverbundziels zeigt Abbildung 3.4. Ausgangspunkt für die Neugestaltung ist die primäre Zieldefinition (vgl.

Abschnitt 3.2.3). Darauf basierend sind Definitionen zur Wirkungsrichtung (Top-Down- oder Bottom-Up-Ansatz), zum Geltungsbereich des Stromverbundziels (wie z. B. länder- oder grenzscharfe Vorgaben) und schlussendlich zum Steuerungsinstrument notwendig. Zu beach-ten ist dabei, dass sich durch Wechselwirkungen zwischen diesen Aspekbeach-ten Festlegungen bei

Einzelaspekten auf die möglichen Definitionen der anderen Aspekte auswirken können. Eine wesentliche Herausforderung bei der Neugestaltung eines Stromverbundziels ist, wie auch bei der Anpassung des aktuellen Stromverbundziels (vgl. Abschnitt 3.2.3.1), die umfassende Berücksichtigung der grundsätzlichen Anforderungen (vgl. Abschnitt 3.2.1) an das Stromver-bundziel.

Abbildung 3.4: Herangehensweise zur grundlegenden Neugestaltung eines Stromverbundziels

Definition Wirkungsrichtung

Die Wirkungsrichtung bei der Ausgestaltung eines Stromverbundziels gibt die Art der Ziel-vorgabe vor. Denkbar ist dabei, entweder einen Top-down- oder einen Bottom-up-Ansatz zu verfolgen.

Beim Top-down-Ansatz wird ein vorab definiertes Gesamtziel auf unterlagerte Ebenen heruntergebrochen. Zum Beispiel wird eine Vorgabe für die gesamte EU festgelegt und diese auf die Mitgliedstaaten (oder andere Ebenen wie Gebots- oder Regelzonen) heruntergebro-chen.

Die wesentlichen Vorteile eines solchen Ansatzes sind die folgenden:

Zieldefinition

Definition Steuerinstrument

Definition

Geltungsbereich (länder-, grenzscharf …) Definition

Wirkungsrichtung (Top-down vs. Bottom-up)

• Die Zielerreichung ist aufgrund der zentralen Vorgabe eines Ziels einfach zu kontrol-lieren.

• Lokale Hemmnisse können durch eine übergeordnete Zielvorgabe einfach überwun-den werüberwun-den.

• Es ist möglich eine klare Richtlinie für die jeweilige Ebene (z. B. für Mitgliedstaaten) vorzugeben.

• Entscheidungen werden von hohen politischen Instanzen getroffen, wodurch eine poli-tische Festlegung einfach möglich ist.

Nachteile beim Top-down-Ansatz können sich hingegen aus den folgenden Aspekten erge-ben:

• Die Zielsetzung findet auf einem sehr hohen Level statt und verfügt damit meist nicht über wichtige Informationen auf den unteren Ebenen (z. B. lokale Gegebenheiten in-nerhalb der Mitgliedstaaten), die jedoch für eine effiziente Zielerreichung von hoher Bedeutung sein können. Zum Beispiel ist es sehr schwierig, eine effiziente Höhe für einen Zielwert vorzugeben, da Informationen hinsichtlich verfügbarer Potenziale auf unteren Ebenen fehlen. Folglich kann es zu ineffizienten Zielvorgaben kommen.

• Zielen die nach dem Top-down-Prinzip vergebenen werden können, entsprechen ggf.

nicht den Interessen der Akteure auf der jeweiligen Ebene (z. B. Mitgliedstaaten).

Demnach kann die Durchsetzung solcher Ziele schwierig sein.

• Nach Verabschiedung einer Zielvorgabe ist eine Korrektur sehr schwierig, selbst wenn es sich um eine kontraproduktive Zielsetzungen handelt, da sie einerseits meist auf ei-ne bestimmte Dauer festgelegt sind, andererseits die verantwortlichen Parteien für eiei-ne Kurskorrektur keine detaillierte Kenntnis über die hiermit verbundenen Wirkungen haben.

• Selbst bei begründeten und im Sinne der Zielerreichung effizienten individuellen Ab-weichungen für verschiedene beteiligte Akteure (z. B. Mitgliedstaaten), ist eine solche Abweichung schwierig zu argumentieren. In der Tendenz sind Ziele nach dem Top-down-Ansatz daher eher einheitlich für alle Beteiligten definiert, obwohl dies häufig zu ineffizienten Vorgaben führt.

Der Bottom-up-Ansatz gibt Ziele auf unteren Ebenen vor, die sich zu einem Gesamtziel aggregieren. Zum Beispiel könnte es sich um grenzscharfe Zielvorgaben handeln, die sich nach der Aggregation zu einem EU-weiten Ziel zusammensetzen.

Bei einem solchen Ansatz ergeben sich im Wesentlichen die folgenden Vorteile:

• Auf unteren Ebenen (z. B. grenzscharf) liegen bessere Informationen zu den lokalen Gegebenheiten vor, die in eine Zielvorgabe einfließen können. Somit ist es möglich, eine effiziente Vorgabe sowohl der Zieldefinition als auch der Höhe des Ziels auf Grundlage umfangreicher Informationen auszugestalten.

• Eine lokal begrenzte Ausgestaltung eines Ziels lässt weitgehende Freiräume bei der Berücksichtigung individueller Bedürfnisse oder Ausgangslagen.

Nachteile des Bottom-up-Ansatzes sind hingegen überwiegend in den folgenden Punkten begründet:

• Der Bottom-up-Ansatz stellt auf europäischer Ebene eher keine Grundlage für ein ge-meinsames Ziel dar. Es ist vielmehr ein Ansatz, der ein Ergebnis aus dezentralen, ggf.

auf Basis von methodisch vereinheitlichten, Prozessen liefert und insofern evtl. redun-dant zu bestehenden Prozessen wie dem TYNDP und der Festlegung von PCI ist.

• Eine Schwierigkeit liegt in der Vorgabe einheitlicher Bewertungsmethoden, nach de-nen sich alle beteiligten Akteure (z. B. Mitgliedstaaten) gleicherweise richten.

• Lokale Hemmnisse sind schwieriger zu überwinden, da auf unteren Ebenen stark indi-viduelle Interessen im Vordergrund stehen. Demnach können daraus im Vergleich zu Vorgaben von höheren Instanzen (z. B. EU) eher geringere Fortschritte beim Netzaus-bau folgen.

• Ein solcher kleinteiliger Prozess, der in lokal eng abgegrenzten Regionen stattfindet und somit in Summe eine Vielzahl unterschiedlicher Parteien betrifft, erfordert einen hohen Koordinationsaufwand und aufwendige Kontrollen.

• Eine hohe Informationsdichte und ein hoher Koordinationsaufwand führen zusammen zu einem hohen Aufwand bei der Ermittlung effizienter Ziele.

Schlussendlich ist für ein EU-Ziel auf höchster Ebene der energie- und klimapolitischen Ziele, der bereits aktuell verwendete Top-down-Ansatz, trotz erkennbarer Nachteile bei der Berück-sichtigung individueller Randbedingungen und daraus resultierender Ineffizienzen, vermutlich die besser geeignete Variante. Zurückzuführen ist dies im Wesentlichen einerseits auf die nur damit mögliche Einfachheit und Transparenz der Zieldefinition, die damit verbundene einfa-che Überprüfbarkeit der Zielerreichung und die klare Zuweisung der Verantwortlichkeiten.

Definition Geltungsbereich

Der geografische Erstreckungsbereich eines Verbundgrades ist im Grundsatz variabel und kann sich von leitungsscharfen Vorgaben bis hin zu einer EU-weiten, nicht auf Mitgliedsstaa-ten herunterbrechbaren, Zielvorgabe erstrecken. Abbildung 3.5 zeigt diese Geltungsbereiche auf und ordnet sie bzgl. der Zuordenbarkeit der Verantwortlichkeit für die Zielerreichung und der Komplexität der Zielfestlegung ein. Dabei ist zu erkennen, dass mit zunehmendem geo-grafischen Erstreckungsbereich die Zuordenbarkeit der Verantwortlichkeit für die Zielerrei-chung abnimmt.

Abbildung 3.5: Typische Geltungsbereiche bei der Ausgestaltung eines Stromverbundziels Mit Blick auf die beiden äußeren Optionen (leitungsscharf und EU-weit) für die Wahl des Geltungsbereichs zeigt sich:

• einerseits das der geringe Aggregationsgrad bei der leitungsscharfen Option aufgrund der hohen Komplexität eine Vorgabe auf dieser Ebene nicht praxistauglich zulässt,

• andererseits, dass bei einer EU-weiten Zielvorgabe die fehlende Zuordenbarkeit von Verantwortlichkeiten die Durchsetzung eines effizienten Stromnetzausbaus nahezu unmöglich macht.

Im Folgenden werden daher nur noch der grenzscharfe, länderscharfe und regionsscharfe Geltungsbereich beschrieben und anhand ihrer Vor- und Nachteile diskutiert.

• Grundsätzlich ist bei einer grenzscharfen Betrachtung eine Zielvorgabe je Grenze zwischen zwei Gebotszonen notwendig. Für die Ermittlung solcher Zielvorgaben ist zum Beispiel der Einsatz einer zukunftsgerichteten Simulation des Strommarkts unter

leitungsscharf grenzscharf länderscharf regionsscharf EU-weit

Zuordenbarkeit der Verantwortlichkeit

Komplexität der Zielfestlegung

gering hoch

hoch gering

Berücksichtigung des präventiven Engpassmanagements zur Bewertung gebotszonen-überschreitender Stromnetzausbaupotenziale denkbar. Dabei sind für eine effiziente Ausgestaltung der Ziele grenzspezifische Informationen zu berücksichtigen, wie zum Beispiel die Kosten für zusätzlich notwendige Netzinfrastruktur. Durch die sehr spezi-fischen und detaillierten Informationen könnte sich ein Top-down-Ansatz daher auf-grund von fehlenden Informationen als sehr schwierig erweisen. Demnach bietet sich eher ein Bottom-up-Ansatz an, der jedoch wie oben diskutiert für ein EU-Ziel potenti-ell ungeeignet ist.

Eine Übersicht der wesentlichen Vor- und Nachteile einer grenzscharfen Zielvorgabe zeigt Tabelle 3-1. Demnach bieten die Vorteile zwar eine sehr gute Ausgangslage für die Ausgestaltung effizienter grenzscharfer Stromverbundziele, der wesentliche Nach-teil liegt aber in dem hohen Aufwand der Ermittlung solcher Ziele.

Vorteile Nachteile

✓ gute Näherung der Stromnetzausbaupo-tenziale aus Sicht des Strommarktes

 starke Abhängigkeit von energiewirt-schaftlicher Szenariokonfiguration

✓ näherungsweise Berücksichtigung von Kosten und Nutzen für Netzausbau möglich

 Unsicherheit der Nutzbarkeit bei Erhö-hung der grenzüberschreitenden Über-tragungskapazität durch Vernachlässi-gung der Auswirkungen auf interne Netzrestriktionen

✓ klare Zuordnung der Verantwortlichkeit an die betroffenen Parteien

 hoher Aufwand der Ermittlung von grenzscharfen Stromverbundzielen Tabelle 3-1: Vor- und Nachteile einer grenzscharfen Zielvorgabe

• Eine länderscharfe Zielvorgabe kann entweder einheitlich für alle Länder (wie beim heutigen Verbundziel) oder individuell je Mitgliedstaat festgelegt werden. Dabei ist eine länderindividuelle Festlegung vermutlich schwierig zu erreichen. Eine einheitli-che Festlegung stellt dabei notwendigerweise einen Kompromiss dar, der eine Abwä-gung zwischen den regional unterschiedlichen Anforderungen erfordert. Alternativ wäre für eine individuelle Festlegung eine länderspezifische Methode erforderlich. Ei-ne Übersicht der Vor- und Nachteile eiEi-ner solchen Zielvorgabe zeigt Tabelle 3-2.

Vorteile Nachteile

✓ Einfache Kontrolle der Zielerreichung  Komplexität der energiewirtschaftlichen Auswirkungen in dieser Form vermut-lich nicht abbildbar

✓ klare Zuordnung der Verantwortlichkeit an die Mitgliedstaaten

 Zielallokation auf jeweilige Grenzen kann politisch und nicht durch Effizienz getrieben sein

✓ Gewährleistung der rechtlichen Durch-setzbarkeit

 Netzausbau könnte an Grenzen mit geringsten Widerstand, nicht aber zwin-gend mit höchstem Nutzen stattfinden

 Mitgliedstaat alleine kann Zielerrei-chung nur bedingt steuern, da immer ein zweiter Mitgliedstaat beteiligt sein muss.

Tabelle 3-2: Vor- und Nachteile einer länderscharfen Zielvorgabe

• Bei einer regionsscharfen Zielvorgabe ist die Definition der jeweiligen Regionen über unterschiedliche Wege möglich. Zum Beispiel ist eine Zusammenfassung mehre-rer Mitgliedsstaaten oder Gebotszonen zu einer Region oder auch ein Regionszu-schnitt anhand von Netzengpässen denkbar. Die Ausgestaltung der Zielvorgabe ähnelt dabei stark derjenigen bei einer länderscharfen Vorgabe, allerdings mit dem wesentli-chen Unterschied einer schwierigeren Zuordenbarkeit von Verantwortlichkeiten für die Zielerfüllung. Tabelle 3-3 zeigt die wesentlichen Vor- und Nachteile einer regions-scharfen Zielvorgabe.

Vorteile Nachteile

✓ Anreiz für integrierte Staaten an geeig-neten Außengrenzen ihrer Region Netz-ausbau voranzutreiben (Rationalität und entsprechende Preissignale vorausge-setzt)

 Ggf. keine realen Reissignale zur Orien-tierung für effizienten grenzüberschrei-tenden Netzausbau vorhanden. (Abwei-chung der Regionsgrenzen von Gebots-zonengrenzen)

✓ Zuschnitt anhand struktureller Netzeng-pässe zeigt Netzausbaubedarf an geeig-neter Stelle auf

 Keine klare Zuordnung der rechtlichen Verbindlichkeit möglich.

 Zuschnitt an strukturellen Netzengpäs-sen erfordert zeitlich variable Regionen.

 Bei einer solche Zielvorgabe ist zu befürchten, dass Netzausbau regionsin-tern, aber nicht an den Regionsgrenzen vorangetrieben wird

Tabelle 3-3: Vor- und Nachteile einer regionsscharfen Zielvorgabe

Zusammenfassend gilt bei Definition des Geltungsbereichs: die Effizienz der Vorgaben nimmt mit der regionalen Auflösung zu, gleichzeitig nimmt die Transparenz und politische Vermittelbarkeit ab.

Mögliche Treiber des Austauschbedarfs

Bei der Definition eines praktikablen Stromverbundziels steht im Vordergrund, die minimal notwendige Einbindung eines Systems in das europäische Verbundnetz möglichst genau anhand von einfachen und transparenten Kenngrößen zu beschreiben. Folgende Ansätze kommen hierfür in Betracht.

• Weiterhin möglich bleibt, wie in der aktuellen Definition des Verbundgrades, der Be-zug auf einen Größenmaßstab wie die installierte Erzeugungskapazität, der den Aus-tauschbedarf eines Systems beschreibt. Eine solche Definition wird typischerweise für einen Mitgliedsstaat unabhängig von Einflüssen durch andere Mitgliedsstaaten vorge-nommen.

• Die Berücksichtigung solcher Einflüsse kann jedoch die Zielgenauigkeit eines Ver-bundziels verbessern und ggf. Hinweise über die sinnvolle Allokation von Übertra-gungskapazität eines Landes auf die verschiedenen Grenzen zu seinen Nachbarländern bieten. Hierfür bieten sich u. a. folgende Ansätze an

o Analyse der Ähnlichkeit von Systemen z. B. über Korrelationsmaße. Generell ist zu erwarten, dass Vernetzung einen umso höheren Nutzen bringt, je unähn-licher benachbarte Systeme in relevanten energiewirtschaftlichen Eigenschaf-ten sind. Korrelieren z. B. die EE-Einspeisezeitreihen zweier Nachbarländer nur in geringem Maße, können durch Austausch zwischen diesen Ländern vermutlich in höherem Maße Synergiepotenziale erschlossen werden als bei sehr hoher Korrelation. Ähnliche Wirkungen sind z. B. bzgl. der Korrelation von Strompreisen oder Lastgängen zu erwarten.

o Nutzung von (absoluten) Strommarktkenngrößen. Aus den Ergebnissen der Strommärkte können ggf. direkte Indikationen für den Nutzen zusätzlicher Austauschkapazitäten gezogen werden. Ein solcher typischer Indikator ist die durchschnittliche Marktpreisdifferenz zwischen zwei Gebotszonen. Ergibt sich eine Marktpreisdifferenz abweichend von Null zwischen zwei Gebotszonen besteht zwischen diesen ein Netzengpass. Ein weiterer gebotszonenüberschrei-tender Netzausbau zur Entlastung oder gar Behebung des Engpasses kann da-bei zu einer Steigerung der Kosteneffizienz in der Stromversorgung führen (vgl. Abschnitt 2.2.2), sobald der Nutzen die Kosten des Ausbaus übersteigt.

Aus den Marktpreisdifferenzen lässt sich aufgrund fehlender Information über die jeweiligen Gebotszonenkurven jedoch keine Information über die effiziente Höhe der Netzkapazität zur verbesserten Integration der Strommärkte ablesen.

Es ist jedoch klar, dass derart vereinfachte und plakative Indikatoren den Bedarf an effizien-tem grenzüberschreitenden Netzausbau nicht vollständig erfassen können. Sie können und sollten deshalb nur ein Mindestniveau an grenzüberschreitendem Netzausbau inzentivieren.

Die Ermittlung darüber hinausgehender effizienter Ausbaumaßnahmen muss Teil von auf-wändigeren und genaueren Prozessen wie der Festlegung des TYNDP sein.