• Keine Ergebnisse gefunden

Die Kulturlandschaft in Deutschland unterliegt einem ständigen Wandel. So hat sich die Landnutzung und mit ihr das Landschaftsbild immer wieder geändert. Verbesserte Anbaumethoden in der Landwirtschaft, höhere Erträge bei geringerem Energieeinsatz sowie der Fokus auf neue Anbaupflanzen, die nicht mehr nur der Ernährung, sondern der

„sauberen“ Energiegewinnung dienen, haben die Struktur des Offenlandes in den letzten Jahrzehnten maßgeblich verändert. Es ist nicht abzustreiten, dass durch diese Intensivierung der Landwirtschaft viele Flächen verloren gingen, die noch vor einigen Jahrzehnten häufig zu finden waren. So kam es in den 50er und 70er Jahren zu einem drastischen Strukturverlust durch Flurbereinigungen (MÜHLENBERG/SLOWIK 1997).

Grünlandflächen beispielsweise, die für die Frischfuttermahd für Milchvieh genutzt wurden, waren dank neuem Kraftfutter aus Soja- oder Fischmehl nicht mehr notwendig und verschwanden so mehr und mehr aus der offenen Kulturlandschaft (GEORGE 1996, GEORGE 2010). Auch Habitatstrukturen, wie Hecken, Saumhabitate, Grünstreifen und Brachen mussten zunehmend durch Zusammenlegung von Ackerflächen weichen. Wie wichtig solche Strukturen für viele Arten der Offenlandschaft sind, wurde in verschiedenen Studien (WYLLIE 1976, KREBS et al. 1999, GATTER 2007, ZOLLINGER et al. 2013) eingehend belegt. Die Artendiversität geht zunehmend zurück und gerade jene Arten mit speziellen Ansprüchen an ihren Lebensraum finden immer seltener geeignete Habitate zum Überleben. Werden die komplexen Zusammenhänge einzelner Habitate durch Flächennutzungswandel stark verändert, so dass sich die Lebensbedingungen verschlechtern, verschwinden über kurz oder lang ganze Populationen von Arten, da sie kurzfristig kaum in der Lage sind, sich an andere Lebensräume anzupassen. Vielfältige Nahrungsketten können aus dem Gleichgewicht geraten und zerstört werden. In der vorliegenden Arbeit wurden Einflüsse und Wechselwirkungen auf eine Greifvogelart, die aufgrund ihrer Abhängigkeit von Umwelteinflüssen als Indikatorart fungiert (NICOLAI et al. 2008), untersucht. Der Rotmilan (Milvus milvus) steht als Top-Karnivor am Ende der Nahrungskette und ist, wie andere Arten der Kulturlandschaft, darauf angewiesen, genügend Beute für sich und seinen Nachwuchs zu finden. Denn nur eine ausreichende Reproduktion sichert den erfolgreichen Fortbestand seiner Art.

Umfangreiche anthropogene Veränderungen in der Landwirtschaft, vor allem im letzten Jahrhundert, wie die Ausweitung von Rapsanbau und die Umstellung von Sommer- auf Wintergetreide (KREBS et al. 1999), wirken sich negativ auf die Nahrungssuche des

18 Rotmilans aus (vgl. SUDFELDT et al. 2009). Deutschlandweit wurden innerhalb des letzten Jahrhunderts, vor allem nach der Wiedervereinigung 1989, starke Bestandseinbrüche in den Brutpaarzahlen festgestellt (MAMMEN/STUBBE 2009). In den Dichtezentren Mitteldeutschlands kam es zu besonders starken Rückgängen des Rotmilons durch den Wandel der landwirtschaftlichen Nutzung und den Rückgang seines Hauptbeutetieres, dem Feldhamster (Cricetus cricetus), seit den 1930er Jahren (WEBER/STUBBE 2000).

Von BirdLife International wurde der Rotmilan in die Kategorie SPEC 2 (Art mit hauptsächlichem Vorkommen in Europa und ungünstigem Erhaltungszustand) eingestuft und ist eine Art des Anhang I der Europäischen Vogelschutzrichtlinie von 1979.

Doch nicht nur der Rotmilan ist von den Veränderungen der Lebensbedingungen in der offenen Kulturlandschaft betroffen (DONALD et al. 2001). Das „European Bird Census Council“ verzeichnet seit Beginn der Aufzeichnungen im Jahr 1980 bis 2008 einen Bestandsrückgang der wichtigsten Vögel der Agrarlandschaft (Indikatorarten) von 49% in Europa, wie z.B. Feldsperling (Passer montanus), Feldlerche (Alauda arvensis), Rebhuhn (Perdix perdix) oder Kiebitz (Vanellus vanellus) (EBCC 2011). Stark betroffen ist beispielsweise die Feldlerche (Alauda arvensis), die durch die überwiegende Nutzung von Winterweizen auf offene Stellen, wie Fahrspuren, im Getreidefeld ausweichen muss, wodurch sie nur noch zu einer Brut pro Jahr kommt (DAUNICHT, zitiert in MÜHLENBERG/SLOWIK 1997).

Das Vogelschutzgebiet EU-SPA V19 (Unteres Eichsfeld, 13.710 ha) wurde im Jahr 2001 festgelegt, da es u.a. durch vorhergehende Untersuchungen einen repräsentativen Ausschnitt aus dem niedersächsischen Vorkommen des Rotmilans (Milvus milvus) im mitteleuropäischen Verbreitungszentrum darstellt, sowie ein landesweit bedeutendes Vorkommen des Mittelspechtes (Dendrocopos medius) und des Wanderfalken (Falco peregrinus) beinhaltet.

19

Abbildung 1 Landschaftsausschnitt vom Vogelschutzgebiet EU-SPA V19 (Unteres Eichsfeld). (Foto:

E.Gottschalk)

Um den Brutbestand des Rotmilans im Vogelschutzgebiet zu bestimmen, wurden Kartierungen durchgeführt, die zum einen die Brutpaare ermitteln und außerdem die Reproduktion dokumentieren sollten. Anhand der ermittelten Zahlen lassen sich Dichteveränderungen erkennen und frühzeitig nötige Schritte einleiten, um ggf.

Bestandsrückgängen entgegen zu wirken. In Deutschland nahmen die Bestandszahlen seit 1990 stark ab (MAMMEN/STUBBE 2009). Vor allem im Dichtezentrum, im Harzvorland, kam es durch den Wandel der Landwirtschaft zu starken Bestandseinbrüchen (NICOLAI

/MAMMEN 2009). In den verschiedenen Regionen, in denen der Rotmilan vorkommt, wurden seitdem zum Teil unterschiedliche Entwicklungen festgestellt. Nicht jede Region weist einen Rückgang der Art auf. Wie entwickelte sich der Rotmilanbestand im Unteren Eichsfeld in den letzten Jahren und lassen sich Prognosen für die zukünftige Bestandsentwicklung ableiten ?

20 Um in Zukunft geeignete Schutzmaßnahmen für die Rotmilane zu entwickeln, ist eine umfangreiche Kenntnis über die Nahrung, die Habitatnutzung und Gefährdungsursachen im Brutgebiet notwendig.

Nahrungsanalysen wurden bislang beim Rotmilan, wie auch bei anderen Greifvögeln, zumeist mit Untersuchungen der Gewölle oder Fraßreste durchgeführt (MEBS 1964,TRAUE

1970, DAVIS/DAVIS 1981, GEDEON/STUBBE 1991, MÖCKEL/GÜNTHER 1991, UNDERHILL -DAY 1993,GRAHAM et al.1995,HILLE 1995,DRAZNY/ADAMSKI 1996,GRÜNKORN/LOOFT

1999, WEBER/STUBBE 2000, WEBER/KRATZSCH 2006, NACHTIGALL 2008, LÖW 2012, COEURDASSIER et al.2012). Die meisten Beuteauswertungen zum Rotmilan stammen aus dem Dichtezentrum, speziell dem Hakel und Hakelumland (STUBBE et al. 1991, WEBER/STUBBE 2000, WEBER/KRATZSCH 2006) Bei diesen Untersuchungen wurde die Bedeutung der Feldhamster als Beutetier deutlich. Die Nachweishäufigkeit dieser Art in den Rotmilannestern, aber auch Mäusebussard- und Schwarzmilannestern, sank zunehmend mit Abnahme der Feldhamsterbestände. Der Anteil Kleinsäuger und Vögel nahm dagegen zu. In den Rotmilannestern wurde zudem, als Anpassung an die veränderte Beuteverfügbarkeit, mehr Aas gefunden (WEBER/STUBBE 2000).

Die Analysen von Gewöllen und Fraßresten erlaubten einen Überblick über die Beutetiere und deren Nachweishäufigkeit, konnten aber weder genau quantifizieren, noch einen zeitlichen Verlauf wiedergeben. Zudem kommt es zu Fehleinschätzungen, da kleinere Beutetiere unterrepräsentiert und größere überrepräsentiert sind. So lässt sich anhand gefundener Reste von großen Säugern nicht abschätzen, wie viel von dem Tier tatsächlich verfüttert wurde. Mit Hilfe von Kameraaufzeichnungen am Nest kann ein viel größerer Umfang an Beutetieren erfasst werden. Ausserdem lassen sich die Gewichte der Nahrung und die zeitliche Abfolge ermitteln. Die Kameramethode wurde von MEIER et al. (2000) an einem (!) Mäusebussardnest, von NACHTIGALL (2008) an einem (!) Rotmilannest und von SCHEVE (1998) an jeweils einem (!) Rotmilan- und Schwarzmilannest, von LEWIS et al. (2004) an mehreren Habichtnestern und von HAUFF (1996) an einem (!) Seeadlernest über 2 Jahre getestet. LEWIS et al. (2004) verglichen dabei die Methode der Videoüberwachung mit Fraßreste- und Gewöllauswertungen an den gleichen Nestern und ermittelten unterschiedliche Anzahlen an Beutetieren. Auch MEIER et al. (2000) betonen den systematischen Fehler, der durch die Gewölluntersuchungen entsteht. So waren bei ihnen in den Gewöll- und Fraßrestproben Regenwürmer, Insekten und Kleinnager völlig unterrepräsentiert, im Vergleich zu den Ergebnissen aus einem Videohorst. NACHTIGALL

(2008) kam ebenso auf unterschiedliche Anteile von Kleinsäugern und Vögeln bei

21 unterschiedlicher Erfassung. In seinem Kameranest fiel die Bedeutung von Kleinsäugern auf, wohingegen bei den Nestkontrollen sehr viele Vögel nachgewiesen werden konnten.

Mit Hilfe der Nahrungsanalyse in der vorliegenden Arbeit, an 12 Rotmilannestern über 4 Jahre, sollte anhand einer größeren Stichprobe geklärt werden, was die Rotmilane in verschiedenen Jahren und Habitaten verfüttern und ob Nahrungsmangel auftritt. Können alle Jungvögel ausreichend versorgt werden oder verhungern Jungvögel, wenn die Altvögel zu wenig Nahrung verfüttern? Außerdem konnte so erstmals ein umfangreiches Nahrungsspektrum verschiedener Brutpaare über einen längeren Zeitraum erfasst werden (5.005 Beutestücke).

Ein weiterer Untersuchungsschwerpunkt lag in der Analyse der Habitatnutzung. Wo suchen die Rotmilane, wie erfolgreich, nach Nahrung? Gibt es Strukturen, die stärker genutzt werden als andere? Auf welchen Flächen ist es dem Rotmilan möglich, genügend Beute während der Brutzeit zu finden? Die Nutzung des Habitats wurde in Untersuchungen von PORSTENDÖRFER (1998),HILLE (1995)undDRIECHCIARZ/DRIECHCIARZ (2009) bereits für einzelne Jahre durchgeführt. Doch wie unterscheiden sich mehrere Jahre untereinander? Kann ein vermehrtes Auftreten von Kleinsäugern auch mehr Jagdaktivität auf verschiedenen Flächen bedingen?

Zur Nutzung von Aas liegen bisher keine quantitativen Ergebnisse vor. In der vorliegenden Studie wurde analysiert, wie intensiv Rotmilane ausgelegtes Aas nutzen. Lässt sich hieraus ein Schutzinstrument entwickeln, um die Nahrungsversorgung in der Brutsaison zu verbessern?

Ein Aspekt, der ebenfalls noch nicht quantitativ untersucht wurde, sollte in dieser Studie erste Anhaltspunkte für die Bedeutung der Reproduktion liefern, die Prädation durch Raubsäuger. Mit Hilfe von Fotofallen sollte geklärt werden, ob Rotmilane, speziell die Jungvögel, gefährdet sind und wie stark der Einfluss von Raubsäugern auf die Population sein kann. Zurzeit liegen keine Studien vor, die den Einfluss von Waschbären oder Mardern auf Greifvögel untersucht haben. Es gibt lediglich Beobachtungen einzelner Waschbären, die in Greifvogelnestern gesichtet wurden.

Die Ergebnisse dieser Untersuchung sollen helfen, in Zukunft geeignete Schutzmaßnahmen für den Rotmilan zu entwerfen. Das Wissen über den Nahrungserwerb

22 in der offenen Kulturlandschaft, die Nahrung und die möglichen Gefahren sind dabei grundlegende Voraussetzungen, um Maßnahmen gezielt zu planen.