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Das Sachenrecht regelt die Zugehörigkeit von Sachgütern zu Rechtssubjekten. Es bestimmt, wer diese beherrschen und wer über sie verfügen darf.1

Ziel dieser Dissertation ist es, die mit dem Auftreten von auf Blockchains abgebildeten Kryptowerten verbundenen Herausforderungen an das österreichische Recht aus sachenrechtlicher Sicht zu beleuchten.

Das Zivilrecht versucht, unterschiedliche Lebenssachverhalte „technologieneutral“ zu erfassen.

Das ermöglicht es, terminologisch und systematisch, „altes“ Recht auf Sachverhalte anzuwenden, welche sich der historische Gesetzgeber nicht einmal vorstellen konnte. Dennoch besteht im Einzelfall die Herausforderung, zu prüfen, ob technologische Entwicklungen wie Blockchain-Netzwerke in der bestehenden Rechtsordnung ausreichend regelbar sind. Eine ernsthafte rechtliche Auseinandersetzung mit diesen technologischen Neuerungen ist angebracht. Die zentrale Frage im Sachenrecht stellt sich im Umgang mit den unkörperlichen, ja gar fiktiven, Kryptowerten. Bieten die bestehenden sachenrechtlichen Normen, welche größtenteils teleologisch auf körperliche Sachen reduziert sind, dem Rechtsanwender ein sinnvolles rechtliches Gerüst für Rechte an Kryptowerten? Neben der Untersuchung der technologischen Neuerungen befasst sich diese Arbeit zwangsläufig mit ganz grundlegenden Fragen wie dem Besitz und Eigentum an unkörperlichen Sachen. Diese Fragen sind mit den anerkannten Auslegungsmethoden zu lösen.2 Bei der Untersuchung dieser Fragen wird sich jedoch zeigen, dass bisweilen L und Rsp unter dem Einfluss der Pandektistik die Grundsäulen der Auslegung von Gesetzesbestimmungen, insbesondere die Auslegung nach dem Wortlaut, zu ignorieren scheinen, was eine Rechtsanwendung erschwert.3 Folgte der Rechtsanwender etwa dem Wortlaut der §§ 309 und 311 ABGB, käme er im Ergebnis nicht zu der im österreichischen Recht praktizierten Einschränkung der Anwendung der sachenrechtlichen Normen auf nur körperliche Sachen.

Mittlerweile hat der bekannteste Vertreter der Kryptowährungen, Bitcoin, seinen zehnten Geburtstag gefeiert. Zwar sollen der Bitcoin und seine zugehörige Blockchain nicht im Mittelpunkt dieser Arbeit stehen, doch eignet sich diese Technologie, die eine der einfachsten aus den

1 Welser/Kletečka, Bürgerliches Recht I15 Rz 744.

2 P. Bydlinski in KBB6 § 6 ABGB Rz 2.

3 Wendehorst, Zum Einfluss pandektistischer Dogmatik auf das ABGB, in FS 200 Jahre ABGB (2011) 75; LG Klagenfurt 3R 378/01z = AnwBl 2003/7869 (Peck).

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Anfängen der Blockchain-Entwicklung darstellt, als ideales Beispiel für Erklärungen zum technologischen Hintergrund. Aus diesem Grund ist das Bitcoin System überproportional oft in dieser Arbeit genannt. Die Ausführungen dazu gelten jedoch für die große Mehrzahl der Kryptowerte. Andere Anwendungen und Projekte in Verbindung mit kryptographischen Wertträgern sind ebenso erwachsener geworden. Wer sich mit den Eigenschaften von sogenannten Kryptowährungen befasst, kommt zur Erkenntnis, dass es sich dabei nicht um „Geld“

handelt, sondern vielmehr um ein dezentralisiertes Vertrauensnetzwerk.4 Die Prognosen zu den wirtschaftlichen Auswirkungen dieser Netzwerke schienen noch vor wenigen Jahren mehr als hochgegriffen. So prognostizierte ein anlässlich des Weltwirtschaftsforums vorgestelltes White Paper dieser neuen Technologie ein Potential von 10 Prozent des globalen Handelsvolumens bis 20255 und identifizierte die Blockchain-Technologie als einen der sechs Megatrends der nächsten Jahre,6 welcher unser aller Leben verändern könnte.7 ME eröffnen sich gerade bei der Abwicklung des Wertpapierhandels auf einer Blockchain immense Möglichkeiten. Vertrauen in Finanzdienstleister ist nicht mehr notwendig, es wird durch Algorithmen und Rechnerleistung ersetzt.8 Nicht für jeden Anwendungszweck ist jedoch der Einsatz eines komplexen Blockchain-Netzwerks auch sinnvoll.9 In den Bereichen Schnelligkeit und Kapazität sind zentralisierte Netzwerke weiterhin im Vorteil.

In Österreich gibt es durchaus vielversprechende Lösungsansätze. Es wurde eigens ein interdisziplinäres Forschungsinstitut an der Wirtschaftsuniversität Wien gegründet, um den Potentialen dieser neuen Technologie gerecht zu werden.10 Auch ist in den letzten Jahren einiges an deutschsprachiger Literatur zum Thema Blockchain-Technologie erschienen. Dennoch gibt es bislang mehr Fragen als Antworten, und eine Rechtsprechung fehlt weitestgehend.11

Die Änderung des technischen Rechtsanwendungskontexts lässt planwidrige Lücken in unserer Rechtsordnung vermuten. Vornehmlich durch Analogien wird versucht, Antworten auf Fragen zu finden, welche die Gesetze im direkten Anwendungsbereich schuldig bleiben, obgleich sie diese nach ihrem Zweck geben müssten. Gelingt dies nicht, stellt sich die Frage, ob eine Anpassung

4 Beck, Bitcoins als Geld im Rechtssinne, NJW 2015, 580 (583); Antonopoulos, Bitcoin & Blockchain, Grundlagen und Programmierung2 (2018) XV.

5 Trade Tech – A New Age for Trade and Supply Chain Finance http://www3.weforum.org/docs/White_ Paper_

Trade_Tech_report_2018.pdf, (Stand September 2018).

6 World Economic Forum Survey Projects Blockchain „Tipping Point“ by 2023 https://www.coindesk.com/world-economic-forum-governments-blockchain (abgefragt am 3. 1. 2020).

7 Boucher, How blockchain technology could change our lives, European Parliamentary Research Service, Scientific Foresight Unit (STOA), PE 581.948.

8 Meisner, Finanzwirtschaft in der Internetökonomie2 (2017) 167.

9 Rabl, Recht smart1.02: (Rechtlich) Scheitern an der Selbstbedienungskasse, ecolex 2019, 121.

10 Forschungsinstitut für Kryptoökonomie https://www.wu.ac.at/cryptoeconomics/ (abgefragt am 28. 3. 2019).

11 Bislang gibt es lediglich eine gerichtliche Entscheidung zur Umsatzsteuerpflicht(EuGH 22. 10. 2015, C-264/14, Hedqvist) wobei weitere gerichtliche Auseinandersetzungen folgen werden und die Rechtswissenschaft sich darauf vorbereiten sollte.

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der bestehenden Normen ausreicht oder neue Phänomene besser ihren Platz in einem Sondergesetz finden sollten. Einen mutigen neuen Weg bei der Einordnung im rechtlichen Sinne geht dabei der Gesetzgeber in Liechtenstein, der erstmalig eine völlige Neuregelung mittels eines

„Blockchain Gesetzes“ wagt.12 Ziel des neuen Gesetzes ist es, die Rechtssicherheit für Nutzer und Dienstleister zu gewähren, sowohl aufsichtsrechtlich als auch privatrechtlich. Dabei wird angesichts der rasanten Entwicklung versucht, den Rahmen so weit wie möglich zu stecken. Das Gesetz spricht folglich nicht von der Blockchain, sondern vielmehr von „vertrauenswürdigen Transaktionssystemen“. Ist eine Neuregelung, wie sie Liechtenstein versucht, sinnvoll, oder bietet die österreichische bzw europäische Rechtsordnung nicht ohnehin schon alle benötigten Werkzeuge? Hier soll zwar kein Rechtsvergleich im eigentlichen Sinne angestellt, jedoch, wenn immer es für die Untersuchung der offenen Fragen hilfreich erscheint, ein Blick über die Grenze, vornehmlich in die deutschsprachigen Nachbarländer, geworfen werden.

Eine ebenso spannende Neuerung sind die sog Smart Contracts. Sie erlauben einen vorher festgelegten Regeln folgenden automatisierten Vertragsschluss unter Verwendung von dezentralen Netzwerken. Man spricht dabei auch von programmierbarem Geld. Dennoch sind Smart Contracts nicht Gegenstand dieser Dissertation. Smart Contracts bestimmen den Zeitpunkt der Vertragsausführung. Diese mündet idR in eine Übertragung von Kryptowerten. Die Fragen des Vertragsabschlusses und der Ausführung bleiben ausgespart. Diese Arbeit konzentriert sich auf die Übertragung selbst.

Die vorliegende Abhandlung soll sachenrechtlichen Fragen im Zusammenhang mit vornehmlich dezentral organisierten Blockchain-Netzwerken nachgehen. Dazu sind zivilrechtliche Untersuchungen anzustellen. Nach einer Einführung in die Grundlagen der Blockchain-Technologie sollen Antworten auf ua folgende Fragen gefunden werden:

Sind Kryptowerte Sachen im Sinne des ABGB? Sind sie Daten oder ein völlig neuartiges Konstrukt sui generis? Wie definiert das Unionsrecht virtuelle Währungen? Wie wird diese Vorgabe in Österreich umgesetzt?

Ist Besitz an unkörperlichen Sachen möglich? Kann an Kryptowerten Eigentum begründet werden, und wenn ja, welcher Vertragstyp ist auf Transaktionen anwendbar? Ist ein gutgläubiger Erwerb vom Nichtberechtigten möglich? Taugen Kryptowerte als Pfand?

Taugen Kryptowerte zur Abbildung von Wertpapieren? Wie werden diese „verbrieft“ und übertragen?

12 Gesetz für Token und VT Dienstleister LGBl 2019.301.

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Was geschieht im Falle einer Rückabwicklung eines Vertrages über Kryptowerte, insbesondere mit ex tunc Wirkung, wenn doch Blockchains unveränderlich sind? Lässt sich ein Kryptowert gem

§ 366 ABGB gar vindizieren?

Welche Rechtsordnung kommt bei grenzüberschreitenden Rechtsgeschäften zur Anwendung? Ist das UN-Kaufrecht anwendbar?

Zusammenfassend geht es also um Frage, ob die auf einer Blockchain basierenden kryptographischen Werte in die bestehende Sachenrechtsordnung eingegliedert werden können, und falls nein, welche Änderungen der Gesetzgeber sinnvollerweise anstreben sollte.

Entsprechend den aufgeworfenen Fragen liegt dieser Arbeit folgender Aufbau zugrunde:

Der erste Abschnitt beschreibt die Blockchain-Technologie und ihre grundlegenden Prinzipien und nimmt eine Begriffsbestimmung vor.

In einem zweiten Teil erfolgt eine sachenrechtliche Einordnung, der die Sacheigenschaft beleuchtet. In der Folge wird der Frage nachgegangen, ob sich Kryptowerte zur Abbildung von Wertpapieren bzw Wertrechten eignen.

Im Rahmen des dritten Abschnittes wird die Anwendbarkeit sachenrechtlicher Prinzipien auf Kryptowerte geprüft. Diese Grundsätze bilden die Voraussetzung für die Begründung eines dinglichen Rechts.

Der vierte Teil untersucht die Anwendbarkeit konkreter sachenrechtlicher Normen, angefangen vom Besitz über das Eigentum bis hin zum Pfandrecht und Zurückbehaltungsrecht. Ein Schwerpunkt liegt in der Frage nach der passenden Übergabe dieser unkörperlichen Gegenstände.

Während der fünfte Teil auf Fragen der Rückabwicklung eingeht, soll der sechste Teil die Frage nach der bei grenzüberschreitenden Geschäften anwendbaren Rechtsordnung beantworten.

Die Arbeit schließt mit einer Zusammenfassung der wesentlichen Ergebnisse und Folgerungen.