• Keine Ergebnisse gefunden

Richard Stallman, auch bekannt als der letzte unter den wahren Hackern,1 rief vor über 30 Jahren die sogenannte Free Software Foundation ins Leben, mit der er es sich zur Aufgabe gemacht hat, die Verbreitung von Freier Software voranzutreiben. Seinem Verständnis nach ist eine Software dann frei, wenn sie in ihrer Ausführung, Verbreitung und Veränderbarkeit unabhängig von ihrem Urheber ist. Als Prämisse hierfür gilt der uneingeschränkte Zugang zum Quelltext eines Programms. Mit dem bereits im Titel genannten Zitat Stallmans: „We deserve to have control of our own computing […]“2 kann knapp zusammengefasst werden, was die Bewegung motiviert: die Forderung, dass jedem Nutzer3 die Freiheit und die Kontrolle über die eigenen Computeraktivitäten zustehen. Für Stallman ist die Umsetzung dessen klar:

[…] how can we win this control? By rejecting nonfree software on the computers we own or regularly use […]. By developing free software (for those of us who are programmers). By refusing to develop or promote nonfree software […]. By spreading these ideas to others.4

Es liegt damit auf der Hand, dass Freie Software mehr ist als bloß die lizenzrechtliche Form eines Computerprogramms. Ihre Bedeutung reicht von ethischen Werten bis hin zum sozialpolitischen Protest. Denn Freiheit ist stets auch eine Frage der Macht und das Thema in der heutigen Zeit aktueller denn je. „We live in an age transformed by computing.“5, ließ Paul Ceruzzi bereits vor über zehn Jahren verlauten. Eine Abkehr von dem Phänomen Computer ist heute keinesfalls erkennbar; spätestens seit der Verbreitung des Smartphones ist die allumfassende Vernetzung zur Realität geworden.

1 Diese Meinung vertritt Steven Levy in seiner ausführlichen Abhandlung zur Geschichte der Hackerkultur.

Wenngleich Stallman nicht wirklich als der letzte aller Hacker zu verstehen ist, so erfüllt er in Levys Augen doch als Letzter die Anforderungen der Hacker Ethik und bringt eine Ära dessen zu Ende, was Levy als das wahre Hackertum ansieht – typisch hierfür sind unter anderem die Ablehnung des Konkurrenzdenkens und ein freier Wissenstransfer. Vgl. hierzu: Levy, Steven: Hackers. Heroes of the computer revolution.

New York: Anchor Press/Doubleday 1984.

2 Stallman, Richard: „Free Software Is Even More Important Now“, in: https://www.gnu.org/philosophy/f ree-software-even-more-important.en.html (Abrufdatum: 20.12.2017).

Der Begriff des Computing kann nur schwer ins Deutsche übersetzt werden. Eine Definition von Paul Ceruzzi kann hier weiterhelfen: „Computers were invented to ‚compute‘: to solve ‚complex mathematical problems,‘ as the dictionary still defines that word.“ Und ferner: „The word ‚computer‘ originally meant a person who solved equations; it was only around 1945 that the name was carried over to machinery.“

Ceruzzi, Paul E.: A history of modern computing. Cambridge/London: MIT Press 2003, S. 1.

3 Aus Gründen der Lesbarkeit wird in der vorliegenden Arbeit auf eine genderneutrale Schreibweise verzichtet. Der generische Ausdruck „der Nutzer“ soll daher stets auch „die Nutzerin“ implizieren. Gleiches gilt für Begriffe wie „der User“, „der Anwender“, etc.

4 Stallman: „Free Software Is Even More Important Now“.

5 Ceruzzi: A history of modern computing, S. 2.

Maßgeblich für die Nutzung aller Computer sind ihre Programme; erst sie ermöglichen es, die Maschine tatsächlich zu benutzen, d.h. sie auf ein bestimmtes Ziel hin zu instruieren. Umgekehrt ist eine Software ohne die Hardware, auf der sie läuft, überflüssig, erfüllt sie doch einzig den Zweck, von einem Computer ausgeführt zu werden. Es erscheint demnach erforderlich, Software stets im Zusammenhang mit der technischen Basis des Computers zu denken. Welche Gegebenheiten liegen in dieser vor, die bei der Entwicklung von Computerprogrammen berücksichtigt werden müssen? Welche Prozesse laufen in der Maschine ab, die die Verarbeitung einer Software regulieren?

Kurzum: Wie gestaltet sich das Verhältnis zwischen der Seite der Hardware und der Seite der Software? Schon bei der bloßen Andeutung dieser Überlegungen tut sich in einem medientheoretischen Rahmen maßgeblich eine Frage von großer Bedeutung auf, welche die Gültigkeit einer Freien Software nach Stallman potentiell zunichtemachen kann: Wie frei kann eine Software eigentlich sein, die im Zusammenhang mit dem Computer begriffen wird? Und daraus folgend: Inwieweit befähigt Freie Software tatsächlich eine uneingeschränkt freie Nutzung des Computers?

Diese Fragestellung soll der folgenden Arbeit als Leitfaden dienen. Sie macht es erforderlich, zunächst zu klären, wie Freie Software in einem ‚klassischen‘ – d.h. Richard Stallman und der Free Software Foundation folgenden – Sinn definiert und durch welche Lizenzen sie in der Praxis nützlich gemacht wird. Mit der Vergabe eines Programms auch die Kontrolle über seine Veränderbarkeit – in Form eines offenen Quelltexts – mit zu vergeben, schließt auf der anderen Seite keineswegs aus, dass dem einstigen Urheber kein entsprechendes Urheberrecht anerkannt wird. Anschließend daran wird die Entstehung der Freien Software in einem historischen Kontext betrachtet: Welche Ereignisse gehen ihr voraus, die maßgeblichen Einfluss auf ihr Hervorbringen ausgeübt haben? Hier wird zunächst grundsätzlich die Emanzipierung der Software gegenüber der Hardware angesprochen, die in einem weiteren Schritt darin mündet, dass Software als Ware auf den Markt gelangt und demnach Machtverhältnisse zwischen den Industriefirmen auf der einen und den Nutzern auf der anderen Seite entstehen. Im Protest entwickeln sich im Laufe der 80er und 90er Jahre dann die Bewegungen der Freien Software sowie auch der Open-Source-Software, die es im weiteren Verlauf noch voneinander abzugrenzen gilt.

Eine zentrale Rolle spielt hierbei der Hacker, welcher stets eine „Gratwanderung an den

Grenzen von Benutzerrechten, Sinn und Hardware“6 begeht. Mit Blick auf die Geschichte der Software in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts soll schließlich hinterfragt werden, ob diese Entwicklung tatsächlich zu einer ‚Befreiung‘ des Users geführt hat. Dies soll explizit im zweiten Teil der Arbeit geklärt werden. Hier verlagert sich das Augenmerk weg von historischen Aspekten und hin zu technischen Gegebenheiten, die dem Computing als solchem zugrunde liegen. Es soll aufgezeigt werden, dass sich auf verschiedenen Ebenen im Computer hierarchische Verhältnisse manifestieren: Das betrifft die Programmierung, die Ausführung sowie auch die Bedienung von Software.

Dass Freiheit stets auch eine Frage von Kontrolle und Macht ist, äußert sich an genau diesem Punkt, denn schließlich soll durch die Betrachtung von unterschiedlichen Mechanismen, die zwangsläufig Einschränkungen mit sich bringen, deutlich werden, dass sich im Computer eine maschinelle Macht über Handlungsmöglichkeiten äußert.

Abschließend wird das Verhältnis von Software und Hardware in einen dialektischen Diskurs gestellt. Der hegelianisch geprägte Begriff der Dialektik, welcher bereits vermehrt Anwendung auf das Verhältnis von Freiheit und Kontrolle gefunden hat, soll auch hier aufgegriffen werden. All dies mündet schließlich in der Frage nach der Freiheit von Software und deren Nutzung und in möglichen Lösungsvorschlägen, indem ein neues Verständnis von Medienkompetenz propagiert wird.

Eine Arbeit wie diese kann nicht verfasst werden, ohne sich auf das Werk Friedrich Kittlers zu beziehen. Sein Standpunkt zum Thema lässt sich treffend mit den Worten Winthrop-Youngs von Software als „[…] Opium für die User, die sich weiterhin einbilden dürfen, Menschen, also Werkzeugherren oder toolmasters zu sein.“7 zusammenfassen. Besondere Aufmerksamkeit soll den Aufsätzen gelten, die in Draculas Vermächtnis erschienen sind; wie der Zweittitel Technische Schriften bereits deutlich macht, propagiert Kittler hier einen maschinennahen Blick auf die Nutzung des Computers.8 Dass in dieser Arbeit außerdem ein Werk wie Steven Levys Hackers, welches Kittler als ‚inhaltistisch‘ denunziert hätte, eine Betrachtung findet, soll kein Paradox darstellen, sondern vielmehr die zweigliedrige Untersuchung der Arbeit widerspiegeln.9 Es erscheint nicht nur konsequent, sowohl die einschlägige Literatur zur

6 Pias, Claus: „‚Children of the revolution‘. Video-Spiel-Computer als Kreuzungen der Informations-gesellschaft“, in: Ders. (Hrsg.): Zukünfte des Computers. Zürich/Berlin: diaphanes 2004, S. 217-240, hier S. 220.

7 Winthrop-Young, Geoffrey: Friedrich Kittler zur Einführung. Hamburg: Junius 2005, S. 144.

8 Vgl.: Kittler, Friedrich A.: Draculas Vermächtnis. Technische Schriften. Leipzig: Reclam 1993.

9 Vgl.: Levy: Hackers.

Freien Software und zur Geschichte der Software, als auch die kritischen Werke der Medientheoretiker zu behandeln, sondern es ist auch dahingehend fruchtbar, als neue Erkenntnisse von dem einen in das andere Feld übertragen und hinterfragt werden können.